A, B, AB oder 0: Was die Blutgruppe mit dem Verlauf von Krankheiten zu tun haben kann
Sage mir deine Blutgruppe, und ich sage dir, welche Krankheiten du hast oder nicht hast? Nein, auf diese einfache Formel kann man es nun wirklich nicht bringen. Doch auch wenn es bislang an hieb- und stichfesten Beweisen mangelt, so deutet doch einiges darauf hin, dass die Blutgruppe eines Menschen zumindest beeinflussen kann, wie dieser Mensch mit einer Krankheit fertig wird bzw. wie schwer oder leicht eine Erkrankung bei ihm verläuft. Zuletzt sorgten diverse Studien aus verschiedenen Ländern der Welt für Aufsehen, die Hinweise darauf ergeben hatten, dass der Verlauf einer Covid-19-Erkrankung von der Blutgruppe des Patienten abhängig sein könnte. Blutgruppen, ihr Zusammenhang mit Krankheiten und der aktuelle Forschungsstand – wir haben diese Informationen hier zusammengetragen.
Kennen Sie Ihre Blutgruppe? Erstaunlich viele Menschen antworten darauf mit „Nein“. Im Alltag scheint es auch nicht wirklich wichtig, dies zu wissen, doch unter bestimmten Umständen muss die Blutgruppe bestimmt werden, z.B. bei einer Schwangerschaft, vor einer Bluttransfusion und einer Organtransplantation. Was die meisten Menschen wissen: Es gibt verschiedene Blutgruppen: „A“, „B“, „AB“ oder „0“. Sie unterscheiden sich in der Beschaffenheit der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) im Blut und darin, ob bestimmte Antikörper im Blutserum vorhanden sind.
Manche Blutgruppen kommen ziemlich häufig vor, andere dagegen sind eher selten. Das Vorkommen variiert je nach Kontinent bzw. Land. Nach Angaben des Deutschen Roten Kreuzes weisen in Deutschland rund 43 Prozent der Menschen die Blutgruppe A auf und 41 Prozent die Blutgruppe 0. 11 Prozent entfallen auf die Blutgruppe B und nur fünf Prozent auf die Blutgruppe AB.
Inhaltsverzeichnis
- Von Antigenen ...
- ... und Antikörpern
- Der Rhesus-Faktor: vor allem in der Schwangerschaft bedeutsam
- Kann die Blutgruppe vor Malaria schützen?
- Wissenschaftler forschen weltweit nach Zusammenhängen
- Blutgruppe und Corona: Nichts als Vermutungen?
- Aktuelle US-Studie: „Kein Zusammenhang“
Von Antigenen ...
Die Blutgruppe wird dadurch bestimmt, welche Oberflächeneigenschaften die roten Blutkörperchen aufweisen. Die Struktur der Oberfläche der Erythrozyten wird aus Eiweißkörpern (Proteinen) gebildet, den sogenannten Blutgruppen-Antigenen. Je nachdem, welcher Art diese sind, bestimmt sich die Blutgruppe: A, B, AB oder 0. Das „AB0“-Blutgruppensystem, in dem diese verschiedenen Gruppen zusammengefasst sind, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von dem österreichischen Mediziner Karl Landsteiner festgelegt.
Die Blutgruppe ist vererbt, das heißt, sie hängt von den Blutgruppen der biologischen Eltern ab. Dabei kommt ein Blutgruppenmerkmal vom Vater, ein weiteres von der Mutter. Hat ein Kind die Blutgruppe A, dann haben entweder Vater und Mutter beide diese Blutgruppe, oder ein Elternteil hat 0 und der andere A. Entsprechend verhält es sich bei Gruppe B. Die Blutgruppe 0 eines Kindes bedeutet immer, dass beide Eltern 0 haben. Die Blutgruppe AB bekommt man von Eltern, die einerseits A und andererseits B aufweisen.
... und Antikörpern
Daneben gibt auch das Blutserum, also die Blutflüssigkeit ohne die roten Blutkörperchen, Aufschluss über die Blutgruppe. Im Serum befinden sich Eiweißkörper, die „Blutgruppen-Antikörper“ genannt werden. Der Körper hat dafür gesorgt, dass diese Antikörper, die wichtige Bestandteile des Immunsystems sind, sich niemals gegen das eigene Blut richten. Deshalb sind im menschlichen Blut nur Antikörper gegen fremde Blutgruppen vorhanden, keine jedoch gegen die eigene Blutgruppe. Konkret heißt das, dass bei der Blutgruppe A Antikörper gegen die Blutgruppe B vorhanden sind, auch „Anti-B“ genannt. Entsprechend verhält es sich bei Blutgruppe B mit Antikörpern gegen Gruppe A („Anti-A“). Wer die Blutgruppe 0 hat, besitzt sowohl Anti-A als auch Anti-B, Menschen mit der Blutgruppe AB dagegen haben weder Anti-A noch Anti-B.
Was das bedeutet, ist klar: Nur bestimmte Blutgruppen sind miteinander kompatibel – bei Blut- und Organübertragungen eine unter Umständen lebenswichtige Tatsache. Denn wenn einem Organismus Blut einer anderen, nicht verträglichen Blutgruppe zugeführt wird, so werden die Antikörper die „fremden“ Erythrozyten angreifen. Und das kann unter Umständen so schwerwiegende Folgen haben, dass der Patient daraufhin stirbt. Bei Organtransplantationen ist es ebenso wichtig, dass die Blutgruppe des Organspenders mit der des Empfängers zusammenpasst. Ist dies nicht der Fall, könnte das Spenderorgan abgestoßen werden.
Der Rhesus-Faktor: vor allem in der Schwangerschaft bedeutsam
Soweit das Blutgruppensystem „AB0“. Ein weiteres wichtiges System ist das „Rhesus-Blutgruppensystem“. Es umfasst mehrere Antigene, also Eiweißkörper, die sich auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen befinden und unter dem Begriff „Rhesus-Faktoren“ (kurz „Rh-Faktoren“) bekannt sind. Sie werden mit D, C, c, E und e benannt; der wichtigste, weil wirkungsstärkste, ist der Rh-Faktor D. Hat nun eine Person dieses Antigen „D“ auf seinen roten Blutkörperchen sitzen, so ist sie Rh-positiv, gekennzeichnet mit „+“. So bedeutet also das Kürzel „A+“ beispielsweise, dass es sich bei der Blutgruppe um „A positiv“ handelt. Fehlt dagegen das D-Antigen, ist der Mensch Rh-negativ, hat also beispielsweise die Blutgruppe „B-“, sprich „B negativ“. In Deutschland sind übrigens die meisten Menschen, nämlich 85 Prozent, Rhesus-positiv.
Der Rhesusfaktor spielt unter bestimmten Umständen eine große Rolle, etwa bei der Schwangerschaft einer Rhesus-negativen Mutter. Trägt diese ein Rhesus-positives Kind aus, könnte das zu Problemen führen. Zwar verlaufen die Blutkreisläufe von Mutter und ungeborenem Kind getrennt voneinander, doch kann das Blut der Mutter bei einer Operation oder der Geburt mit dem Blut des Kindes in Kontakt kommen. Dadurch kann die Mutter Antikörper gegen das Blut ihres Kindes produzieren, was insbesondere bei einer zweiten Schwangerschaft mit einem Rhesus-positiven Kind gravierende gesundheitliche Folgen haben kann. Aus diesem Grund erhält jede Schwangere, die Rhesus-negativ ist, spätestens in der 30. Schwangerschaftswoche eine sogenannte „Rhesus-Prophylaxe“.
Kann die Blutgruppe vor Malaria schützen?
Wie kann es nun sein, dass die Blutgruppe eines Menschen ihn möglicherweise vor einer Infektion mit bestimmten Krankheiten schützt oder den Verlauf einer Krankheit, die bei ihm ausgebrochen ist, ungünstig beeinflusst? Die zahlreichen Forschungen*, die zu dieser Frage angestellt wurden und werden, konnten noch keine Beweise für ein solches Zusammenwirken liefern, zeigen jedoch einige Hinweise darauf. Offenbar können die in den einzelnen Blutgruppen vorhandenen verschiedenen Antikörper und Antigene in ganz spezifischer Weise mit den jeweiligen Krankheitserregern zusammenspielen, sodass sich unterschiedliche Effekte auf die Infektionsanfälligkeit eines Menschen ergeben können – oder eben darauf, wie leicht oder schwer eine Infektion verläuft.
Bereits seit Jahren wird in internationalen Forschungsarbeiten immer wieder eine Verbindung zwischen der Blutgruppe 0 und dem Verlauf einer Malaria-Erkrankung entdeckt. An dieser Krankheit starben laut dem neuesten Welt-Malaria-Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2018 weltweit 400.000 Menschen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich bei Menschen in Malaria-Gebieten über Tausende von Jahren Veränderungen im Genmaterial entwickelt haben, die sie gegen eine Malaria-Infektion schützen können. Bereits 2007 kamen zwei Forscherinnen in einer Überblicksstudie, die mehrere klinische Berichte überprüfte, zu dem Ergebnis, dass zum einen die Blutgruppe 0 in Malariagebieten besonders häufig vorkommt – und dass diese Blutgruppe gerade dort offenbar einen Vorteil bietet. Denn es hatte sich gezeigt, dass Kinder mit Blutgruppe 0 offenbar weniger gefährdet sind, eine schwere Form von Malaria zu bekommen. Wie die Blutgruppe den Verlauf genau beeinflusst, könnte von verschiedenen Faktoren abhängen, die in den Studien detailliert beschrieben sind.
Wissenschaftler forschen weltweit nach Zusammenhängen
Auf der Suche nach Zusammenhängen zwischen der Blutgruppe und weiteren Infektionskrankheiten fand man wiederum heraus, dass Menschen mit der Blutgruppe 0, die an Cholera erkrankt sind, unter sehr viel heftigeren Verläufen leiden als Menschen mit anderen Blutgruppen. Als Grund hierfür vermutet man (vereinfacht gesagt), dass die Antigene auf den Erythrozyten der Blutgruppen A, B und AB die schädliche Wirkung des Cholera-Giftstoffs auf die Darmschleimhaut abschwächen.
Blutgruppe und Corona: Nichts als Vermutungen?
Was die Öffentlichkeit gerade im Jahr 2020, vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, besonders aufrüttelt: Es wurden seit März einige wissenschaftliche Beiträge veröffentlicht, die zumindest vermuten lassen, dass die Blutgruppen Einfluss auf den Verlauf einer Corona-Infektion nehmen. Diese sogenannten Preprints (also Manuskripte, die noch nicht offiziell und absichernd begutachtet wurden) deuten an, dass die Blutgruppe A ein 50 Prozent höheres Risiko mit sich bringt, eine schwere Covid-19-Erkrankung durchzumachen.
So stellten im März 2020 chinesische Wissenschaftler in den schwer von Corona betroffenen Städten Wuhan und Shenzen einen Vergleich der Blutgruppen von über 2000 Covid-19-Patienten mit denen von knapp 3.700 Gesunden an. Es zeigte sich, dass sich 41 Prozent der dort lebenden Menschen, die die Blutgruppe A haben, mit dem neuartigen Corona-Virus infiziert hatten, dagegen nur 25 Prozent mit der Blutgruppe 0. Auf der Basis der chinesischen Ergebnisse untersuchte im darauf folgenden Monat eine New Yorker Studie ebenfalls diesen Zusammenhang und fand auch hier unter den Covid-19-Infizierten deutlich mehr mit Blutgruppe A als mit Blutgruppe 0 – allerdings nur bei den Rh-positiven Blutgruppen.
Zuletzt stellte eine Mitte Juni veröffentlichte Vorab-Studie eines internationalen Forscherteams der Universitäten Kiel und Oslo diesen Zusammenhang heraus. Sie erschien im renommierten „New England Journal of Medicine“1 und bestätigte die Aussagen eines zuvor veröffentlichten Preprints. Die Wissenschaftler aus Norddeutschland und Norwegen stützen sich auf Daten von mehr als 1.600 schwer an Covid-19-Erkrankten in italienischen und spanischen Corona-„Hotspots“. Wie sich zeigte, tragen Menschen mit Blutgruppe A offenbar ein deutlich höheres Risiko für ein krankheitsbedingtes Atemversagen: Die Patienten mit Gruppe A mussten weitaus häufiger beatmet werden als Patienten mit anderen Blutgruppen. Eine weitere Vermutung: Menschen mit Blutgruppe 0 sind möglicherweise am besten gegen einen schweren Covid-19-Verlauf geschützt.
Aktuelle US-Studie: „Kein Zusammenhang“
Während der Mediziner und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach die Vorveröffentlichung als „robust“ bezeichnet und die Hoffnung äußerte, das Ergebnis könne die Entwicklung von Medikamenten positiv beeinflussen, wurden bereits wenige Wochen später die deutsch-norwegischen Ergebnisse wieder in Frage gestellt. Wie u.a. der SWR berichtet2, ergibt dies eine neue Studie von Forschern der Harvard Medical School. Für die Untersuchung wurden die Daten von fast 1300 positiv auf eine Corona-Infektion getesteten Menschen analysiert, von denen mehr rund 500 im Krankenhaus behandelt wurden. In der Veröffentlichung der Studie in einem renommierten Fachjournal3 heißt es, die Blutgruppe nehme keinen Einfluss auf „eine schwere Verschlechterung der Symptome bei Menschen (...), die positiv auf COVID-19 getestet wurden“. Allerdings gestehen die Wissenschaftler selbst ein, dass relativ wenige Patienten für die Studie untersucht worden seien. Die SWR-Fachjournalistin vermutet zusammenfassend, dass die Blutgruppe für die Schwere einer Covid-19 Erkrankung nur ein ursächlicher Faktor von mehreren sei.
Letztlich besteht wohl derzeit noch kein Anlass, allzu viel auf die zahlreichen Studien zum Zusammenhang von Blutgruppen und Krankheiten bzw. Krankheitsverläufen zu geben. So warnt beispielsweise der Epidemiologe Jürgen May vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin im ARD-Wissensmagazins „Quarks“: Wenn man herausfinde, „dass zum Beispiel eine bestimmte Blutgruppe häufiger als andere Blutgruppen gepaart ist mit einem schweren Verlauf einer bestimmten Infektion“, sei dies noch nicht der Beweis dafür, dass es da einen tatsächlichen ursächlichen Zusammenhang gebe. Um die Ergebnisse der vielen Studien abschließend zu sichern, werden also noch viele weitere Forschungen nötig sein.
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Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.