Älterwerden – ein Prozess mit vielen Chancen
„Altwerden ist nichts für Feiglinge“ lautete der Buchtitel, mit dem der damals 83-jährige Joachim Fuchsberger Jüngere etwas verschreckte und viele Ältere zum bedeutungsvollen Kopfnicken brachte. „Nicht das Altern ist das Problem, sondern unsere Einstellung dazu“, sprach dagegen vor Tausenden von Jahren der weise Cicero. „Älter werde ich später“, schrieb mit damals 54 Jahren trotzig die scheinbar ewig junge und schöne Iris Berben. Ja, was denn nun? Mit dem Älterwerden, das merkt man schon an diesen drei unterschiedlichen Aussprüchen, hat wohl jede und jeder so sein ganz eigenes Päckchen zu tragen.
Der Alterungsprozess des Menschen ist höchst komplex und wird von zahllosen verschiedenen Faktoren beeinflusst, vor allem von den genetischen Anlagen, den Lebens- und Umweltbedingungen, nicht zu vergessen das persönliche Schicksal, die Lebensweise und natürlich die persönliche Einstellung sich selbst und dem eigenen Altern gegenüber. Je günstiger möglichst viele dieser Faktoren sind, desto unproblematischer wird wohl das Älterwerden ablaufen. Nur eines ist bei wirklich allen gleich: Aufhalten kann das Älterwerden niemand. Doch man kann diesem unausweichlichen Prozess sehr viel Positives abgewinnen – wetten?
Was uns beim Altern zu schaffen macht
Altern heißt: Der gesamte Organismus verliert an Kraft, Widerstandsfähigkeit und Beweglichkeit. Die laufenden Abnutzungs- und Verfallsprozesse sorgen für zunehmende Schmerzen und Einschränkungen bei bestimmten Bewegungen, Unsicherheit beim Gehen, vermindertes Seh- und Hörvermögen und Vergesslichkeit. In unserer modernen Welt kommen natürlich auch noch viele schädigende Einflüsse dazu, die der körperlichen Gesundheit im Lauf des Lebens zusetzen und den Alterungsprozess deutlich beschleunigen können. Falsche Ernährungsgewohnheiten, zu wenig Bewegung, Dauerstress, Schadstoffe wie Koffein, Alkohol und Nikotin, aber auch Feinstaub in der Luft und andere Umwelteinflüsse tragen nicht unwesentlich dazu bei, dass unserem Körper die jugendliche (Spann-)Kraft nach und nach abhandenkommt.
Neben den innerkörperlichen Alterungsprozessen, die z.B. die Knochen, Muskeln und Gelenke, das Atem- und Herz-Kreislaufsystem, das Gehirn, die Nerven und das Immunsystem betreffen, sind es vor allem die deutlich sichtbaren Zeichen des Alterns, die überwiegend, aber längst nicht mehr nur den Frauen zu schaffen machen. Die Haut und das Bindegewebe werden schlaffer, Falten treten auf, selbst bei schlanken Menschen sieht der Körper immer weniger straff aus und muss sich mehr und mehr der Schwerkraft ergeben. Kein Wunder also, dass sich Hersteller von Kosmetika, Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln wie auch Schönheitschirurgen und Kosmetiker unter dem Oberbegriff „Anti-aging“ an ihren Produkten und Angeboten haufenweise die sprichwörtlichen „goldene Nase“ verdienen.
Anti-aging – nur ein verzweifelter Versuch, sich gegen die Natur aufzulehnen?
Spätestens wenn sich die ersten Krähenfüße um die Augen zeigen, hoffen viele darauf, dass bestimmte Präparate, Nahrungsmittel und Diäten, Hormone, Spritzen und Behandlungen ihr Altern aufhalten. Nun ja, einiges schadet zumindest nicht, manches kann auch helfen, den Körper zumindest gesund zu erhalten. Und für gute Ernährung, eine allgemein gesunde Lebensweise und eine hochwertige Pflege zeigt sich der Körper sowieso immer dankbar. Viele hochgepriesene Wundermittel jedoch – vor allem wenn sie ohne Beratung einfach aus dem Internet bestellt werden – nützen nur den Finanzen ihrer Anbieter. Besser ist es, sich gezielt vom Arzt und Apotheker beraten zu lassen, um herauszufinden, welches Mittel tatsächlich geeignet sein könnte, den Körper länger jung zu halten.
Die beste Wirkung – da sind sich Experten aller Disziplinen einig – haben Maßnahmen, die mit der gesamten Lebensführung zu tun haben, wenig bis gar nichts kosten und an deren Nutzen niemand zweifelt: fettarme, vitaminreiche, ausgewogene Ernährung plus ausreichend Bewegung plus möglichst wenig Exzesse, etwa beim Rauchen, Trinken oder Arbeiten, dagegen möglichst viele Aktivitäten, die Spaß und glücklich machen und das Hirn in Bewegung halten. So ist Bewegung die bisher einzige wissenschaftlich gesicherte Methode, um die körperlich-geistigen Alterungsprozesse zu verlangsamen. Egal, wie alt man bereits ist – mit einem regelmäßigen, auf den körperlichen Zustand abgestimmten Ausdauertraining kann man nicht nur das Herz-Kreislauf-System schon nach kurzer Zeit stärken, sondern auch Gedächtnis, Koordination und Reaktionsvermögen verbessern.
Herz und Kreislauf freuen sich besonders über Wandern, Walken, Radfahren oder Schwimmen. Krafttraining hilft, Unfällen und Stürzen vorzubeugen und sich allgemein stärker und widerstandsfähiger zu fühlen. Bewegung und Sport hat sich sogar als wirksam gegen Niedergeschlagenheit, Mutlosigkeit und Depressionen erwiesen. Also: runter von der Couch – jedoch nie ohne vor dem Start den Arzt aufzusuchen und mit ihm zu besprechen, welcher Sport in welchem Maße in Frage kommt. Und: Spaß sollte es natürlich auch machen, sonst hält einen der innere Schweinehund schon bald wieder auf dem Sofa fest. Wer sich etwa einer Sportgruppe aus Gleichgesinnten anschließt und gezielt nach speziellen Seniorentrainings schaut, z.B. in Volkshochschulen, Sportvereinen und Fitnessstudios, knüpft damit oft neue soziale Kontakte und hat wieder mehr Freude am Leben.
Wie alt bin ich wirklich?
„60 ist das neue 40“ und „80 ist das neue 60“ – dahinter steckt die Tatsache, dass das „chronologische Alter“, sprich die Anzahl der Lebensjahre, bei weitem nicht immer den körperlichen Alterszustand bestimmt. Das „biologische Alter“ sagt viel mehr darüber aus, wie es uns wirklich geht. Es wird durch bestimmte körperliche Messwerte hinsichtlich Muskelmasse (Kraft), Sauerstoffaufnahmefähigkeit (Ausdauer), Körperfettanteil und Knochendichte beschrieben. Bei diesen Messungen ergeben sich oft bei einem sportlichen Mittfünfziger bessere Werte als bei einem untrainierten 30-jährigen. Der Mittfünfziger hat wahrscheinlich durch eine wie oben beschriebene Lebensweise dazu beigetragen, seine körperliche Leistungsfähigkeit – und damit auch seine Ausstrahlung und Attraktivität – lange aufrechtzuerhalten.
Auch wenn manche das nicht glauben wollen: Studien haben gezeigt, dass derzeit die meisten Menschen bis etwa ins 75. Lebensjahre hinein geistig und körperlich fit und weitgehend mit ihrem Leben zufrieden sind. Viele Männer und Frauen in diesem Alter beschreiben vor allem die Lebensphase zwischen 60 und 75 als positiv besetzten Abschnitt, in dem sie noch viel vorhaben.
Aktiv im dritten Lebensabschnitt
Neben vielen Befragungen, Untersuchungen und Studien räumt sehr umfassend die "Berliner Altersstudie" 1 mit einigen negativen Behauptungen und Klischees auf. Im Rahmen dieser interdisziplinären, bereits seit Jahrzehnten laufenden und sehr aufwändig betriebenen Studie untersuchen Wissenschaftler unterschiedlichster Fachrichtungen (u.a. Psychologen, Mediziner, Ernährungs- und Alterswissenschaftler und Genetiker) ältere und jüngere Menschen. Sie befragen die Probanden zu ihrem Verständnis des Begriffs „Altern“, zu ihren Handlungsmöglichkeiten und -ressourcen und zu ihren Lebenskompetenzen. Es zeigt sich, dass die meisten alten Menschen mit ihrem Leben zufrieden sind, sich unabhängig und selbstbestimmt fühlen. Je sozial aktiver jemand ist, desto zufriedener und geistig leistungsfähiger ist er auch. Auffallend ist, wie viele Rentner sich für die Gesellschaft engagieren, z.B. in verschiedenen Ehrenämtern für Bedürftige, bei der Enkel- oder Hausaufgabenbetreuung oder als Berater und Mentoren für junge Berufstätige.
Auch die Sexualität spielt noch eine große Rolle im Alter – und wirkt als wahrer Jungbrunnen. Oft sind Ältere sogar sexuell weit aktiver als junge Menschen. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass mehr Ältere als Junge in festen, gewachsenen Beziehungen leben. Jeder Altersforscher weiß, dass die sexuelle Erregbarkeit bei Frauen und Männern bis ins hohe Alter erhalten bleibt. Beim Sex werden dann die Gewohnheiten und Vorlieben nach und nach an die körperlichen Veränderungen angepasst, so werden z.B. zärtliche Berührungen und Küsse wichtiger als heftige Orgasmen. Eine erfüllende, beglückende Sexualität ist so bis ins hohe Alter möglich.
Das Glück des Alterns
Es zeigt sich also immer deutlicher ein gewisses Alters-Paradox: Der Körper baut ab, die Seele erlebt ein Hoch. Die Lebenszeit schwindet, doch mit dem Leben selbst kommt man viel besser klar. Zu diesem Ergebnis kam auch eine interessante Studie des kalifornischen Psychiaters Dilip Jeste, der vor wenigen Jahren mit seinem Team rund 1500 Personen im Alter zwischen 21 und 100 Jahren nach ihrem körperlichen und geistigen Wohlergehen befragte. Lebensfreude, Ausgeglichenheit und Gelassenheit nahmen offensichtlich mit steigendem Alter zu. Die Teilnehmer berichteten auch, dass sie den unausweichlichen körperlich-geistigen Abbau, den sie an sich feststellten, nicht als wirklich belastend wahrnähmen. Besonders hilfreich bei einer solchen Lebenseinstellung ist offenbar die Weisheit des Alters, die den Sinn für das Wesentliche schärft. Viele Dinge, die früher groß und wichtig waren, werden wohl im Alter immer unwichtiger.
Das alles darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, wieviel Elend es unter alten Menschen gibt. Auch dass die Selbstmordraten bei alten Menschen besonders hoch sind, gibt Anlass zur Sorge. Doch betrachtet man allein die Statistiken, geht es vielen älteren und alten Menschen eindeutig so gut wie nie zuvor.
„Stattliche“ Männer, „unsichtbare“ Frauen
Dabei spielt es jedoch immer noch eine Rolle, ob man als Frau oder Mann auf der Welt unterwegs ist. Werfen wir mal einen Blick in die Werbung: Hier werden ältere Frauen und Männer überwiegend als Kundinnen und Kunden von Arzneimitteln (z.B. gegen Blasenschwäche, Arthrose und Vergesslichkeit) und Treppenliften gezeigt. Was die äußerlichen Herausforderungen des Alters angeht, sind weibliche Werbefiguren wieder in der Überzahl, etwa bei Haarfarben sowie straffenden Arzneimittel und Kosmetika. Ganz klar: Unsere Gesellschaft knüpft nach wie vor unterschiedliche Wertungen an älter werdende Frauen und Männer. Zwar werden auch Männer in der Öffentlichkeit als alternde Wesen wahrgenommen, und nicht wenige hadern mit ihrem körperlichen Verfall. Jedoch bringen viele „in die Jahre gekommene“ Männer von Haus aus ein so stabiles Selbstbewusstsein mit, dass sie sich auch mit gewaltigem Bauchumfang und dünnem Haar noch für unwiderstehlich halten. So finden es viele 50-plus-Männer in Dating-Portalen im Internet ganz normal, bei den Damen als Wunschalter 25 bis 40 anzugeben – und haben damit oft auch Erfolg, denn manche jüngere Frau weiß einen „stattlichen Herrn“ (der ja auch vielfach, anders als die meisten Frauen, mit einem stattlichen Vermögen winken kann) durchaus zu schätzen. Hat eine ältere Frau jüngere Männer im Visier, wird sie kaum ernst genommen und hat bei ihrer Zielgruppe nur wenige Chancen.
Auch wenn eine Frau mit 50 heute um ein Vielfaches jünger und frischer wirkt als noch vor wenigen Jahrzehnten – insgesamt ist es für sie auch heute noch unendlich schwer, ohne gesellschaftliche Abwertung älter zu werden. Dabei werten sich die Frauen oft selbst ab, weil sie den überkritischen Blick von außen bereits verinnerlicht haben. Das bekannte Bild von der Kuh und der Ziege illustriert das besonders schonungslos. Frauen ordnen sich selbst willig in eine der Kategorien ein – Motto: Frauen werden im Alter entweder dünn und drahtig, sportlich und dynamisch und zugleich zickig (Ziege) oder gemütlich dick, phlegmatisch und gutmütig (Kuh). Dazwischen gibt es offenbar – nichts.
Wie es die kluge Journalistin Bascha Mika (Jahrgang 1954) in ihrem Buch „Mutprobe“ 2 auf den Punkt bringt, gewinnen ebenso wie Männer natürlich auch Frauen mit dem Alter an Charakter, Persönlichkeit und Erfahrung. Nur wird das bei Frauen nicht als positiv verbucht. Denn es ist nach wie vor gutes Aussehen und jugendliche Strahlkraft, die eine Frau erfolgreich machen. Nach Mikas (und nicht nur ihrer) Beobachtung ist eine Folge davon, dass Frauen jenseits der 50 aus der Öffentlichkeit und von den Fernsehschirmen weitgehend verschwinden – und das nicht selten freiwillig, weil sie überzeugt sind, dass niemand sie mehr sehen will. Besonders deutlich, so Bascha Mika, werde das im Journalismus, bei dem Männer jeden Alters, aber kaum eine ältere Frau uns die Welt erklären dürften. Lediglich im Schauspielgeschäft beobachtet die Autorin (wenige) Ausnahmen wie Iris Berben, Corinna Harfouch, Hannelore Elsner oder Andrea Sawatzki. Sie dürfen auch noch weiblich auftreten. Aber dass sie dabei superjung und möglichst faltenfrei aussehen müssen – das versteht sich von selbst. Wenn eine knapp 70-jährige Iris Berben im ärmellosen Kleid einen etwas schlaff gewordenen Oberarm zeigt, wird das garantiert gnadenlos in den Medien kommentiert.
Wie das auflösen? Wir Frauen sollten lernen, uns liebevoll anzunehmen wie wir sind, unsere eigene Wahrnehmung hinterfragen und unserer eigenen inneren Stimme folgen statt den überkritischen Stimmen „der anderen“, schlägt Bascha Mika vor. Wenn wir also vor dem Spiegel stehen und denken „Eigentlich sehe ich doch ganz gut aus“, dann sollten wir das ruhig auch glauben. Schriftstellerin Ulrike Draesner, Jahrgang 1962, ermutigt zum breiteren Austausch der Frauen untereinander – und macht in ihrem Buch „Eine Frau wird älter“ 3 selbst den Anfang. Der bezeichnende Untertitel: „Ein Aufbruch“. Draesner zeigt, wie viele Facetten das Älterwerden hat und welche Möglichkeiten darin stecken. Sie berichtet von den ambivalenten Gefühlen in der Zeit des Wechsels von der fortpflanzungsfähigen zur älteren Frau, von Mut und auch von Trauer, weil man sich ja auch von vielen Dingen verabschieden muss. Lösungen bietet Draesner nicht an, dafür Denkanstöße. So sieht sie das Leben nicht als Bergan- und dann Bergabstieg, sondern als „Wegemuster“. Sie fragt: Wo bin ich bisher langgegangen, welche Umwege und Abzweigungen habe ich genommen? So entsteht ein ganzheitliches Bild einer vom Leben geprägten Persönlichkeit. Daraus entsteht die Dynamik für die letzten Lebensjahrzehnte, in denen man sich eine wesentliche Frage beantworten kann: Wie gehe ich wirklich gestaltend mit der mir verbleibenden Zeit um? Gestalten heißt dann eben nicht zwingend, dass man bzw. frau sich Falten entfernen lässt und die Haare färbt, sondern: Das Älterwerden als Werden zu einer vollständigen Person. Älterwerden als Geschenk also. Eine gute Idee, das mal so zu sehen, oder?
1 Die Berliner Altersstudie im Internet: BASEII
2 Bascha Mika, „Mutprobe. Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden“, C. Bertelsmann Verlag, München 2014
3 Ulrike Draesner, „Eine Frau wird älter. Ein Aufbruch“, Penguin Verlag, 2018. Basierend auf der Hör-CD „Happy Aging“, Supposé Verlag.
Viele interessante Aspekte, Geschichten und Forschungsergebnisse zum Thema Älterwerden im Portal www.altern-in-deutschland.de
Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.