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Apfelessig: Wundermittel, Power-Trunk – oder einfach nur Essig?

Kommentar schreiben Aktualisiert am 29. Juli 2019

Apfelessig einfach nur im Salat? Viele schütteln da empört den Kopf, gilt doch Apfelessig als wahres Wundermittel für Küche, Körper und sogar für den Haushalt. Schon unsere Groß- und Urgroßmütter haben ihn als altes Hausmittel verwendet, um verschiedensten Beschwerden vorzubeugen oder sie zu behandeln, haben Fleisch mit ihm zartgemacht, Lebensmittel mit ihm konserviert und den Fliesenboden mit ihm geputzt.

 

Selbst Ärzte in vorbiblischer Zeit, so berichtet u.a. das Gesundheits- und Ratgeberportal UGB (Unabhängige Gesundheitsberatung) in dem Artikel „Apfelessig: Zwischen Lebensmittel und Heilmittel“ 1, sollen bereits verschiedene Essigessenzen eingesetzt haben, etwa zur Wundreinigung, als abschwellendes Mittel oder um Fieber und Entzündungen zu behandeln. Er scheint also tatsächlich einiges zu können, der Apfelessig. Doch was ist wirklich dran an diesem „Wunder-Trunk“, welche wirksamen Inhaltsstoffe enthält er und wofür ist er wirklich gut?

 

Was kann Apfelessig?

 

So viel soll er können, der Essig aus Apfelwein! Wie beispielsweise das Gesundheits- und Ernährungsportal gesundheit.de2 auflistet, soll Apfelessig das Immunsystem ankurbeln, den Blutdruck und den Blutzuckerspiegel regulieren, den Cholesterin- und Blutfettspiegel senken, Kopfschmerzen lindern, wegen seiner antibakteriellen Wirkung gegen Entzündungen und Erkältungen helfen und die Darmgesundheit stärken. Zu gesunden und kräftigen Haaren und Nägeln und einer schönen Haut soll er obendrein noch verhelfen. Und außerdem soll ein täglicher kräftiger Schluck Apfelessig den Körper mit vielen Vitaminen, Spurenelementen und Mineralstoffen versorgen. Nicht zuletzt gilt der süßsaure Trunk als Wunderwaffe gegen unerwünschte Pfunde und Fettpölsterchen, da er angeblich Verdauung und Stoffwechsel in Schwung bringt.

 

Wunder-Drink mit Wunder-Wirkung?

 

Kein Wunder also, dass Apfelessig inzwischen zum wahren In-Drink geworden ist. Will man Apfelessig als Spezialgetränk einnehmen, so wird von den meisten Fachleuten empfohlen, ein- bis zweimal pro Tag zwei Teelöffel davon (am besten in Bio-Qualität) mit ca. 0,2 Liter Wasser und etwas Honig zu vermischen und zu trinken. Da der Geschmack dann aber doch nicht jedermanns Sache ist, gibt es Apfelessig längst nicht mehr nur pur, sondern auch als limonadenartiges gesüßtes Apfelessig-Getränk und in Pulver-, Kapsel-, Tabletten- und Brausetablettenform. Auf den Flaschen und Verpackungen der unterschiedlichen Apfelessig-Produkte stehen unterschiedliche Anwendungsgebiete: mal ist er ein Putzmittel, mal ein medizinisches Hausmittel, mal eine Flüssigkeit zur Hautpflege.

 

Apfelessig – was steckt drin?

 

Um Apfelessig zu gewinnen, werden zunächst Äpfel zu Apfelwein gekeltert, meist aus eher säuerlichen Sorten wie Elstar, Boskop oder Cox-Orange. Der Apfelwein wird dann fermentiert, das heißt, man setzt ihm Essigsäurebakterien zu, die zusammen mit Sauerstoff aus der Luft den Alkohol zu Essig umwandeln. So wird aus dem Apfelwein Apfelessig.

 

Wie in zahlreichen Veröffentlichungen, u.a. bei gesundheit.de nachzulesen ist, stecken in Apfelessig die Vitamine B1, B2 und B6, FolsäureVitamin C, Vitamin E und Beta-Carotin (Provitamin A), die Mineralstoffe Kalium, Kalzium, MagnesiumNatrium, Phosphor, Chlor und Schwefel sowie die Spurenelemente Eisen, Fluor, Kupfer, Kupfer, Mangan, Silizium, Zink und Bor.2 Daneben enthält Apfelessig antioxidativ (= gegen freie Radikale) wirkende Flavonoide, Enzyme, Aminosäuren, Ballaststoffe und Gerbsäure sowie organische Säuren wie Zitronen- und Essigsäure.

 

Was die Konzentration und damit die Wirksamkeit all dieser Nährstoffe angeht, kommen Experten jedoch zu einem enttäuschenden Schluss. Die UGB etwa schreibt, dass die Wirkstoffe, die man über Essig aufnimmt, „verschwindend gering“ seien. So enthalte der klassische Trunk aus Apfelessig, Wasser und Honig kein Vitamin C, nur 0,001 mg Beta-Carotin und gerade mal 10 mg Kalium.

 

Dann solle man doch lieber gleich einen Apfel essen, denn der liefere 12 mg Vitamin C, 187 mg Kalium, einen 34 Mal höheren Anteil an Beta-Carotin und auch deutlich mehr Ballaststoffe.1  Auch die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen empfiehlt in einem großen Online-Artikel über Apfelessig, naturtrüben Apfelessig in Bio-Qualität zu kaufen, denn dieser enthalte noch am meisten der wertvollen Inhaltsstoffe aus der Frucht.3

 

Die VZ wie auch die UGB betont, dass Bio-Apfelessig in der Regel aus ganzen, reifen Äpfeln inklusive Schalen hergestellt wird und zudem weder pasteurisiert (also nicht hitzebehandelt) noch filtriert wird. Und gerade die im ungefilterten Essig schwimmenden Trübstoffe, so die UGB, seien für die Gesundheit besonders wertvoll.

 

Dann doch lieber Apfelessig-Kapseln schlucken?

 

Die Verbraucherzentrale NRW hat Apfelessig-Kapseln als mögliche Alternative zum Essig-Trunk unter die Lupe genommen. Nach ihren Recherchen enthalten die meisten Kapseln ca. 500 mg Extrakt aus Apfelessig, manche davon auch noch Apfelfasern und Apfelpektin. Letztere könnten als Ballaststoffe eine leicht sättigende Wirkung haben und insofern womöglich unterstützend bei einer Diät wirken. Doch sei fraglich, wieviel der ohnehin eher kleinen Mengen an Nährstoffen aus dem Apfelessig tatsächlich in den Apfelessigkapseln landeten; die Herstellerinformationen dazu seien „eher spärlich bis gar nicht vorhanden“. Wirklich relevante Mengen seien es jedenfalls nicht, so die VZ, und da den meisten Kapseln auch noch synthetische Vitamine zugesetzt würden, sei es „mit der Natürlichkeit nicht mehr so weit her“.3

 

Vor Illusionen wird gewarnt

 

Zur Vorsicht gegenüber allzu großen Heilsversprechen rät auch die UGB. Viele Naturheilkundler schrieben dem Apfelessig auch wegen der enthaltenen Essigsäure gesundheitsfördernde Wirkungen zu. Tatsache sei jedoch, dass zwar Apfelessig – wie alle Nahrungsmittel, die Essigsäure enthielten – den Fluss von Speichel und Magensäure und die Produktion von Verdauungssäfte im Darm anregen und somit Völlegefühl mindern könne.

 

Zudem könne das durch die organischen Säuren bedingte saure Milieu im Dünndarm die Mineralstoffaufnahme im Organismus verbessern. Jedoch sei die aufgenommene Säure, bis sie im Darm ankomme, größtenteils bereits neutralisiert, ihre Wirkung sei damit gleich null. Zumindest aber, so die UGB-Autoren, wirke Essigsäure gegen Bakterien und könne somit z.B. bei Entzündungen helfen. Andere Inhaltsstoffe, die „möglicherweise gesundheitsfördernd“ wirkten, seien derzeit aber nicht bekannt.1

 

Ebenso ernüchternd äußert sich Dr. Stefan Kabisch von der Studienambulanz des „Deutschen Instituts für Ernährungsforschung“ in Berlin in einem Beitrag des Radiosenders Deutschlandfunk Kultur (DLF).4 Essigsäure könne helfen, „vielleicht winzige Störenfriede in meinem Körper zu eliminieren“, da Säure schließlich immer antibakteriell wirke. Doch sobald irgendwelche Lebensmittel im sehr sauren Verdauungstrakt gelandet seien, sei damit „der Nutzen des Essigs eigentlich schon verpufft“, so Kabisch. Die nützlichen Bakterien aus der Essigkultur überlebten die Magensäure meistens erst gar nicht und schaffen es somit nicht in den Darm, wo sie den Stoffwechsel positiv beeinflussen könnten.  

 

Für die verdauungsfördernde und fettreduzierende Wirkung des Apfelessigs scheinen sich bisher ebenfalls noch keine einwandfreien Beweise gefunden zu haben. Keine Rede könne sein von einem positiven Einfluss des Apfelessigs auf die Fettverbrennung, so die Experten des UGB kategorisch.1 Dafür, dass Apfelessig ein „natürliches Schönheitsmittel“ und „bioaktiver Fatburner“ mit fettfreisetzender bzw. fettreduzierender Wirkung sei und somit beim Abnehmen helfen könne, gebe es keinerlei wissenschaftliche Nachweise, stößt die Verbraucherzentrale NRW ins selbe Horn.

 

Die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA habe zweifelsfrei nachgewiesen, dass zumindest die Einnahme von Apfelessig in Pulver- oder Kapselform weder die Fettverbrennung noch die Hautgesundheit und -schönheit begünstige.3

 

Apfelessig - Kein Schaden, kein Nutzen  

 

Fassen wir also die Meinungen der Experten im Wesentlichen zusammen: Apfelessig ist sicherlich – zumindest in naturbelassener Form – ein gutes Nahrungsmittel. Dass der Konsum schaden könne, dazu findet sich zumindest kein Hinweis in den Veröffentlichungen. Lediglich von größeren Mengen an Apfelessig rät die Gesundheitsberatung UGB ab, da die Säure die Zähne angreifen und den Magen reizen könne.1 Doch bis auf seine mehr oder weniger anerkannte antibakterielle Wirkung scheint dieser Essig – egal in welcher Form – keinen erwiesenen gesundheitlichen Nutzen zu haben.

 

„Kein Powertrunk aus Vitaminen und Mineralstoffen“ sei Apfelessig, so bringt es die die Ernährungswissenschaftlerin Angela Clausen von der Verbraucherzentrale NRW, die sich ausführlich mit Apfelessig für das Portal „Klartext Nahrungsergänzung“ beschäftigt hat, im Beitrag des DLF4 auf den Punkt. Laut UGB ist Apfelessig „keinesfalls“ ein Medikament, das man sich selbst verordnen sollte. Allenfalls könne er als Hausmittel – und in Absprache mit dem behandelnden Arzt – die Behandlung von Beschwerden wie Sodbrennen oder Magen-Darm-Problemen möglicherweise unterstützen. „Reine Illusion“ sei es, wenn man glaube, dass Apfelessig Körperfett zum Schmelzen bringen oder als Appetitzügler funktionieren könne.1

 

Diejenigen, die auf die positiven gesundheitlichen Effekte des Apfelessigs schwören, benennen häufig Studien, die diese Wirkungen belegen könnten. Doch ein genauerer Blick auf diese Untersuchungen hält einer kritischen Betrachtung ebenfalls nicht stand. Laut Verbraucherzentrale NRW gibt es zwar einige Studien, jedoch mit zu wenigen Teilnehmern. Versuche mit Ratten hätten gezeigt, dass Apfelessig wohl einen gewissen Einfluss auf den Insulinstoffwechsel und das Sättigungsgefühl habe. Diese Studienergebnisse basierten aber lediglich auf Tierversuchen und seien auch nicht auf das in Nahrungsergänzungsmitteln enthaltene Apfelessig-Pulver übertragbar.3

 

„Die große Essigstudie gibt es nicht“

 

Das Online-Nachhaltigskeitsportal utopia.de stellt in einem Artikel über Apfelessigdie bisher anscheinend einzige ernstzunehmende Studie mit menschlichen Probanden vor.5,6 Sie wurde in Japan durchgeführt mit dem Ziel, den Zusammenhang von Apfelessig und Abnehmen zu erforschen. Die beteiligten Wissenschaftler hatten Übergewichtige in drei zufällige Gruppen eingeteilt.

 

Die Teilnehmer von zwei Gruppen nahmen 12 Wochen lang hoch- und niedrigdosiertes essighaltiges Wasser ein. Die Teilnehmer der dritten (Vergleichs-)Gruppe tranken lediglich Placebo-Wasser, das keinen Apfelessig enthielt. Im Ergebnis nahmen die Teilnehmer, die Apfelessig getrunken hatten, deutlich mehr ab als die Probanden der Vergleichsgruppe, zugleich sanken bei den Essigtrinkern die Blutdruckwerte. Essig müsse sich also positiv auf die Fettreduzierung und den Blutdruck auswirken, schlossen die Forscher daraus – und empfehlen seitdem eine tägliche Einnahme von 15 ml Essig. 

 

„Die große Essigstudie mit 1000 Probanden gibt es nicht“, sagt dagegen im DLF-Beitrag4 Dr. Stefan Kabisch von der Studienambulanz des „Deutschen Instituts für Ernährungsforschung“ in Berlin. Er führt Untersuchungen zu Diabetes durch und stößt dabei immer wieder mal auf Studien zur Wirkung von Apfelessig. Die Teilnehmerzahlen seien zu gering, die beobachteten Effekte wenig aussagekräftig, meint der Wissenschaftler: „In manchen Studien sieht man einen Effekt, in manchen ist einer zu sehen, der sehr überschaubar und klein ist, so dass das kein Befund ist, der richtig gut belegt ist.“ Vom Essig an sich hält Kabisch allerdings recht viel.

 

Essigsäure ist ein Molekül, das aus der Nahrung natürlicherweise im Körper entsteht, erklärt er, und von dieser Essigsäure wisse man, dass sie biologisch positiv wirke, etwa antientzündlich oder hinsichtlich der Insulinsensibilität, wodurch sie auch dazu beitragen könne, dass sich das Fettprofil im Blut verbessert. Das, so Kabisch, wisse man aber nur von derjenigen Essigsäure, die erst im Darm entsteht. Und dort entstehe sie „in viel größeren Mengen, als sie überhaupt in einem Teelöffel enthalten sein kann.“


Fazit:

 

Wer also jeden Morgen einen Apfelessig-Trunk genießt (oder zumindest schluckt), wird seiner Gesundheit sicherlich nicht schaden – ihr aber wahrscheinlich auch nicht wesentlich nützen. Zu diesem Schluss kommt auch Tim Wiese, der Autor des DLF-Beitrags über Apfelessig, der für seinen Bericht auch einen Selbstversuch mit Essigtrunks und Co. durchgeführt hat.4 Er rät dazu, lieber aus mit der Nahrung zugeführten Ballaststoffen (die vor allem in pflanzlicher Kost und gutem Getreide stecken) im eigenen Körper selbst Essigsäure zu produzieren. Das sei dann „Essigsäure, die unserem Körper wirklich gut tut.“

 

Und wenn es wirklich Apfelessig sein soll, dann beim Kauf am besten immer auf beste Qualität achten – und in leckeren Gerichten genießen!

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Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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