Armut und Gesundheit - Wenn Geld eine Rolle spielt!
Gesundheit hat viele Ursachen. Eine davon ist das Einkommen: Weniger Geld heißt schlechtere Ernährung, Übergewicht, ein dreifach höheres Risiko für chronische Krankheiten und eine niedrigere Lebenserwartung. In Deutschland stagniert nach Angaben des statistischen Bundesamts die Zahl der von Armut bedrohten Menschen: 2017 waren es 15,5, 2018 15,3 Millionen. Das sind immerhin fast 19 bzw. 18,7 % der Bevölkerung. Dazu zählen zunehmend Kinder. Wie ist das Essverhalten bei geringem Einkommen? Welche gesundheitlichen Folgen hat das? Wieviel Geld braucht man, um sich gesund zu ernähren? Welche Wirkung hat das Einkommen auf die Lebenserwartung? Was kann der Staat gegen Armut tun?
Inwiefern leben arme Menschen ungesünder?
Menschen mit geringem Einkommen und geringer Bildung treiben weniger Sport, rauchen mehr, sind höheren Belastungen am Arbeitsplatz ausgesetzt und haben unter schlechteren Wohnsituationen zu leiden. Sie sind anfälliger für chronische Erkrankungen und haben häufiger Übergewicht.1 Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus werden seltener zu den Früherkennungsuntersuchungen U3 bis U9 gebracht. Sie haben schlechtere Zähne und können Stress nicht so gut bewältigen. Sie sind häufiger schon vor der Geburt der Schädigung durch Nikotin ausgesetzt und tendieren auch selbst mehr zu einer Suchterkrankung. Oft leben sie an verkehrsreichen Straßen ohne echte Spielmöglichkeiten, was das Risiko für Verkehrsunfälle erhöht. Vorteile sind durch das Fehlen des Hygiene-Hypes der Eltern eine seltenere Erkrankung an Allergien. Sie werden häufiger geimpft und nehmen weniger Arzneimittel ein, was je nach Präparat von Vorteil oder Nachteil sein kann.2
Wie wirkt sich ein geringes Einkommen auf die Ernährung aus?
Es fängt schon bei den Kleinsten an: Nur 67 % der Mütter mit niedrigem sozialem Status stillen und das 6 Monate lang. Mütter mit hohem sozialem Stand geben zu 90 % ihrem Säugling die Brust und stillen ihn durchschnittlich 8,5 Monate lang.2 Einkommensschwache Menschen essen weniger frisches Gemüse und Obst, Vollkorn- und Milchprodukte, frisches Fleisch und fettarme Fleischprodukte. Stattdessen kommen Konserven, Fastfood, fettreiches Fleisch und preisgünstige Wurstsorten auf den Tisch. Halbfertig- und Fertigprodukte wie Pommes frites mit hohem Gehalt an Fett, vielen Kalorien, aber wenig Nährstoffen stehen zusammen mit Chips, Cola und Limo ganz oben auf dem Speisezettel.1
Wieviel Geld braucht es, um sich gesund zu ernähren?
Eine zu Hause zubereitete Mahlzeit ist billiger als Pommes von der Imbissbude und der Burger vom Schnellrestaurant. Wenn es aber zu Hause nichts Warmes gibt, greift man auch mal zu dem Auswärtsessen, auch um bei den Freunden dazuzugehören. Aber selbst wenn man daheim essen möchte, ist Weißbrot leider billiger als Vollkornbrot, sind manche Konserven immer noch günstiger als frisches Gemüse, obwohl unverarbeitete, regionale Frischkost inzwischen zum Spottpreis zu haben ist.
Experimente, z.B. von der Fernsehsendung Planet Wissen, zeigen, dass man mit Arbeitslosengeld II so wenig für Nahrungsmittel zur Verfügung hat, dass die Tagesration, die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlen wird, nicht bezahlbar ist: Für eine gesunde Ernährung bräuchte eine Mutter mit einem 10-jährigen Kind etwa 40 Euro mehr als dass ihr zusteht.1 Das Forschungsinstitut für Kinderernährung hat die Kosten einer optimierten Mischkost mit dem Leistungssatz der ALG II-Empfänger abgeglichen: Wenn ein Kind täglich 2,57 Euro und ein Jugendlicher ab 14 Jahren 3,42 Euro am Tag bekommen, fehlen den Kindern von 4 – 6 Jahren 17 Euro und den 15 – 18-Jährigen fast 80 Euro (44 %), um die empfohlenen Nahrungsmittel einkaufen zu können. Kritisch ist auch die Versorgung an Ganztagsschulen. Da kann eine warme Mahlzeit von 1,90 bis zu 3,50 Euro kosten, was den ganzen Tagessatz auffrisst und deshalb nicht bezahlt werden kann.2 Wie fühlt sich ein Kind, das aus Armutsgründen nicht am gemeinsamen Essen teilnehmen kann?
Wie arm sind wir in Deutschland?
Als arm gilt man, wenn das Einkommen unter 50 % des Durchschnittseinkommens liegt. Bei 60 % darunter wird von Armutsgefährdung gesprochen. Der Schwellenwert für Armut lag 2018 für eine alleinlebende Person bei 1136 Euro, bei einem Paar mit zwei Kindern bei 2385 Euro im Monat.4 2,1 Millionen Kinder in Deutschland leben in Familien unter der Armutsgefährdungsgrenze. In Westdeutschland leben 15,7 % der Kinder unter 15 Jahren von ALG II. In Ostdeutschland ist es fast jedes vierte Kind.
Ist nur das Geld Grund für eine ungesunde Ernährung bei sozial schwächeren Menschen?
Fehlt das Geld für das Nötigste, hat man manchmal einfach andere Sorgen als sich um gesunde Ernährung zu kümmern. Man braucht viel mehr haushälterische Fähigkeiten bei Armut, am besten ein Auto für Großeinkäufe, wenn etwas gerade im Sonderangebot ist, und zuhause eine Gefriertruhe, um die Schnäppchen zu lagern. Alles nicht im Budget! Manche Menschen mit geringem Einkommen können genauso wie in anderen sozialen Schichten einfach nicht kochen. Nur dass dann kein Geld da ist, sich hochwertige, nahrhafte Kost in einem Restaurant servieren zu lassen.
In der Gießener Armutsstudie, die bei 15 Beispielfamilien mit geringem Einkommen durchgeführt wurde, gab es neben der einseitigen ungesunden Ernährung auch Haushalte, die mit sehr wenig Geld eine abwechslungsreiche Ernährung auf den Tisch zauberten, z.B. weil sie einen eigenen Garten hatten. Die ungesunde Auswahl der Nahrungsmittel und ihre Zubereitung kann deshalb auch noch mit mangelndem Interesse zusammenhängen.1
Welche gesundheitlichen Folgen hat die Ernährungsweise von Menschen mit wenig Einkommen?
Kinder, die in Armut aufwachsen, sind dreimal so häufig übergewichtig und auch häufiger krank als Kinder aus den höchsten Einkommensgruppen. Gerade in den ersten 1000 Tagen von der Empfängnis bis zum Ende des zweiten Lebensjahrs ist eine optimale Nährstoffversorgung des Kindes für seine weitere Entwicklung wichtig. Fehlen z.B. Eisen, Zink, Jod und die Vitamine A und D, kann das die körperliche und geistige Entwicklung negativ beeinflussen, was zu späterer Zeit nicht mehr vollständig reparabel ist. Einer Einschulungsuntersuchung zufolge treten bei Kindern aus sozial schwachen Verhältnissen fünf- bis zehnmal häufiger Sprachstörungen und Beeinträchtigungen der geistigen Entwicklung auf.
Es konnte eine direkte Beziehung zwischen Einkommen und Größe des Gehirnareals des Hippocampus sowie Einkommen und Sprachverständnis festgestellt werden. Auch Studien aus Schweden bestätigen, dass Kinder aus armen Verhältnissen 21 Jahre nach der Erstuntersuchung im Vergleich zu Kindern aus reicheren Familien dreimal häufiger Bluthochdruck, Diabetes und Übergewicht haben. In den skandinavischen Ländern erhalten Kinder in Kindergarten und Schule kostenlose Verpflegung.
Es ist deutlich günstiger für den Staat, sprich die Gemeinschaft, die Verköstigung zu bezahlen als die Erkrankungen in höherem Alter.3 Sozial schlechter gestellte Menschen bekommen früher chronische Erkrankungen, die zudem schwerer verlaufen, sagt Thomas Lampert, Leiter des Fachgebiets Soziale Determinanten der Gesundheit am Robert-Koch-Institut. Die Überlebenszeit nach Eintritt der Krankheit ist kürzer. Die Patienten aus einkommensschwachen Verhältnissen entwickeln häufiger weitere Erkrankungen und Funktionseinschränkungen und brauchen oft spezifische Behandlungen.5
Welche Wirkung hat Armut auf die Lebenserwartung?
27 % der Männer, die als armutsgefährdet gelten, erreichen nicht das Rentenalter. Von Frauen in derselben Einkommensklasse sterben nur 13 % vor ihrem 65. Geburtstag. Unter den Männern, die 80 – 99 % des Durchschnittseinkommens verdienen, liegt die vorzeitige Sterberate nur bei 19 %, bei den Frauen bei 10 %. Die mittlere Lebenserwartung bei geringverdienenden Männern liegt 8,6 Jahre unter dem Durchschnitt (71 statt 79,6 Jahre). Frauen mit sehr wenig Einkommen verlieren im Schnitt 4,4 Jahre Lebenserwartung (von 82,8 auf 78,4).5
Was müsste der Staat tun, um Armut entgegenzuwirken?
Mögliche Veränderungen sind die Erhöhung des Mindestlohns, höhere Kinderzuschläge, Kinderbetreuung, eine Kindergrundsicherung, Bewegungs- und Förderangebote sowie eine kostenlose Verpflegung an Schulen. Auch eine familienfreundliche Arbeitsmarktpolitik, eine Städtegestaltung mit Spielraum für Kinder und die Integration sozial schlechter gestellter Menschen statt sie auszugrenzen, stellen Gegenmaßnahmen zur Armut in diesem reichen Land dar.2
Quellen anzeigen
Beate Helm, Heilpraktikerin, freie Redakteurin und Autorin für Gesundheitsthemen und Persönlichkeitsentwicklung. Selfpublisherin. Weiterbildungen in Ernährungswissenschaft, Homöopathie, Pflanzenheilkunde, Ayurveda, psychologischer Beratung und systemischer Therapie. Langjährige Erfahrung in Yoga und Meditation. Bei apomio seit 04/2015.