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Bulimie: Wenn der Bezug zu Körper und Essen verloren geht

Kommentar schreiben Aktualisiert am 11. April 2016

Die Gedanken kreisen nur noch um das Essen. Bulimiker nehmen bei Heißhungerattacken unkontrolliert bis zu 10 000 Kalorien zu sich. Danach überkommen sie Scham- und Schuldgefühle und die Angst, zuzunehmen. Als Gegenmaßnahmen erbrechen sie, nehmen Abführmittel, treiben exzessiv Sport oder fasten. Im Gegensatz zur Magersucht erkennt man Bulimie-Kranke nicht an ihrem Körper. Ihr Gewicht liegt im Normbereich oder etwas darunter. Trotzdem fühlen sie sich zu dick. Die Angehörigen wissen oft nichts von der heimlichen Sucht.

Was sind die Symptome von Bulimie und welche Formen gibt es

Hauptmerkmal sind Heißhungerattacken. Der Betroffene nimmt innerhalb von 1-2 Stunden 4000 bis 10 000 Kalorien zu sich. Definiert ist die Bulimie so, dass Ess-Anfälle mindestens 2-mal wöchentlich 3 Monate lang auftreten. Aus Scham, sich nicht unter Kontrolle zu haben, Ekel vor seinem Körper und der Angst, Gewicht zuzulegen, greift der Bulimie-Kranke zu verschiedenen Mitteln: Erbrechen, Abführ- und Entwässerungsmittel, Appetitzügler und Schilddrüsenpräparate. Bei diesen Maßnahmen spricht man vom Purging-Typ (purging = säubern, entfernen). Durch das Erbrechen fühlt er sich gereinigt, von sich selbst und dem vielen Essen. Der Non-Purging-Typ arbeitet mit Hungerphasen (Fasten) und exzessivem Sport. Eine Bulimie beginnt meist mit 17, 18 Jahren, tritt aber zunehmend auch früher auf. Bulimiker führen ein Doppelleben: In der Öffentlichkeit können sie ihr Essverhalten kontrollieren und treten perfekt auf. Ihre Ess-Brech-Sucht leben sie in der Heimlichkeit. In Deutschland leiden 1,1 % der Mädchen und Frauen und 0,3 % der Jungen und Männer unter Bulimie.

Wie unterscheidet sie sich von Magersucht und Binge Eating

Bei Binge Eating (binge = Gelage) kommt es ebenfalls zu Heißhungerattacken und unkontrollierbaren Fress-Anfällen. Allerdings wird das Gegessene hinterher nicht erbrochen oder abtrainiert. Deshalb kommt es bald zu Übergewicht. Als Hauptursachen werden Stress, negative Gefühle und Langweile angegeben. Bei Magersucht will der Betroffene immer weiter abnehmen. Auch wenn er nur noch Haut und Knochen ist, fühlt er sich zu dick und möchte das Körpergewicht noch weiter reduzieren. Antrieb ist das Bedürfnis, seinen Körper (und sich selbst) unter Kontrolle zu haben.

Was sind die Risikofaktoren und Ursachen?

Oft wurde durch strikte Diäten oder eine vorausgegangene Magersucht das natürliche Essverhalten gestört. Bestimmte Berufsgruppen sind prädestiniert: Models, Tänzer und Skispringer. Bulimiker mussten oft zu früh erwachsen werden und als Kind zu viel Verantwortung übernehmen. In der Familie herrscht ein hohes Anspruchsdenken. Vielleicht ist ein Elternteil viel auf Diät und räumt Schlankheit einen hohen Rang ein, wie es das Schönheitsideal in der Gesellschaft auch tut. Manchmal  gibt es schon andere Suchtprobleme in der Familie. Auslöser kann auch der Verlust einer wichtigen Bezugsperson sein. Die soziale und familiäre Prägung führt zu einem schwachen Selbstbewusstsein, überhöhten Leistungsanspruch und Perfektionismus. Dazu kommen extreme Selbstkritik und Versagensängste. Das Fressen und Brechen löst für kurze Zeit diese hohe innere Anspannung und beruhigt. Das schwache Selbstbild wird allein an der Figur festgemacht. Auch die Selbstwahrnehmung ist gestört: Man fühlt sich zu dick, obwohl man normalgewichtig oder schlanker ist.

Welche Komorbiditäten treten auf?

Neben der Bulimie können Alkohol-, Nikotin-, Medikamentensucht- und andere Drogenabhängigkeiten auftreten. Auch Kaufsucht mit Ladendiebstählen, Frustkäufe und andere übertriebene Geldausgaben sind möglich. Im Verhalten können sich sozialer Rückzug oder übermäßige Anpassung an die Vorgaben der Familie, einer Gruppe oder des gesellschaftlich auferlegten Leistungszwangs zeigen. Die dahinter steckenden Minderwertigkeitsgefühle können zu Depressionen führen. Bulimie kann auch Ausdruck einer Ablehnung der Weiblichkeit oder Sexualität sein.

Was sind die Folgen von Bulimie?

Die Magensäure, die beim Erbrechen in den Mund gelangt, zerstört die Zähne. Die Speicheldrüsen entzünden sich und schwellen an („Hamsterbacken“). Die Mundwinkel werden wund. In der Speiseröhre kommt es zu Entzündungen, Blutungen und Vernarbungen. Der verlangsamte Stofftransport bringt Verstopfung und eine Aufblähung des Magens mit sich. Im schlimmsten Fall kommt es zum Magendurchbruch. Gleich nach den Ess-Attacken kann eine akute Bauchspeicheldrüsenentzündung auftreten. Bei der Hälfte der Betroffenen wird die Form des Gehirns verändert (Pseudo-Atrophie). Langfristig ist das Ausbleiben der Regel (Amenorrhoe) möglich. Häufiges Erbrechen kombiniert mit Abführmitteln führt zu Störungen des Elektrolythaushalts mit Folge von Herzrhythmusstörungen, Osteoporose und Schädigung der Nieren.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Da die Erkrankung auf körperlicher und seelischer Ebene behandelt werden muss, braucht es ein Therapeutenteam aus Ärzten, Psychotherapeuten und Ernährungsberatern. Die Therapie kann ambulant oder stationär stattfinden. Der Patient erhält einen Essensplan. Er lernt, regelmäßig drei Mahlzeiten täglich im Sitzen einzunehmen. In einer Verhaltenstherapie wird er mit schwierigen Lebenssituationen, auf die er bisher mit Ess-Attacken reagiert hat, konfrontiert und lernt, neu damit umzugehen. Auch an der Angst vor Lebensmitteln mit vielen Kalorien wird gearbeitet. Die Beziehung zum Essen soll entspannt und normalisiert werden. Die Patienten kochen in der Gemeinschaft. Durch Gesprächstherapie in der Gruppe lernen sie, dass sie mit ihrer Krankheit nicht allein sind. Kunst- und Bewegungstherapie ermöglichen freien Selbstausdruck. Eine systemische Therapie löst destruktive Familienmuster. Entspannungsverfahren ermöglichen den Umgang mit der hohen inneren Unruhe. Zusätzlich können zum Einstieg Antidepressiva verordnet werden.

Wie ist die Prognose?

50-60 % der Erkrankten genesen vollständig oder fast vollständig, 20-30 % zum Teil. Bei 10-20% entwickelt sich eine chronische Bulimie und etwas 0,5 % sterben.

Was können Angehörige tun?

Erst mal nicht viel. Sie brauchen selbst Unterstützung durch Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen. Sie müssen ihr Leben weiter leben und Grenzen setzen. Damit ermöglichen sie, dass es der Bulimiker auch tut. Bulimie-Kranke brauchen keine feste Hand und keine Überfürsorglichkeit. Das engt sie ein und drängt sie noch mehr in ihre Essstörung. Angehörige können Therapie-Anlaufstellen vorschlagen. Hingehen und etwas ändern wollen, müssen die Kranken selbst. Sie können ihr Selbstbewusstsein nur aufbauen, wenn sie aktiv sind und Verantwortung übernehmen. Sie allein wissen oder wollen zumindest herausfinden, was das Beste für sie ist. Sie brauchen Liebe und Akzeptanz ohne Preisschild daran, ohne Forderung, ohne Zeitdruck.

Wie kann eine Familie einer Bulimie vorbeugen?

Am besten leben die Eltern einen genussvollen, gesunden Umgang mit Essen vor. Mahlzeiten sollten so oft wie möglich gemeinsam zubereitet und eingenommen werden. Kinder sehen, ob ihre Eltern ihren Körper lieben, auch wenn er ein paar Fettpölsterchen hat. Sie registrieren auch, ob Eltern jedem Modetrend folgen oder ihren eigenen Stil entwickeln. Kinder anzuerkennen für das, was sie sind, kreativ gestalten und altersgerecht leisten, fördert ihr Selbstbewusstsein.

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Beate Helm
Autor: Beate Helm

Beate Helm, Heilpraktikerin, freie Redakteurin und Autorin für Gesundheitsthemen und Persönlichkeitsentwicklung. Selfpublisherin. Weiterbildungen in Ernährungswissenschaft, Homöopathie, Pflanzenheilkunde, Ayurveda, psychologischer Beratung und systemischer Therapie. Langjährige Erfahrung in Yoga und Meditation. Bei apomio seit 04/2015.

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