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Das Auge isst mit – und was unser Essverhalten sonst noch beeinflusst

Kommentar schreiben Aktualisiert am 30. Mai 2017

Es ist wohl der Genießer- und Köche-Spruch schlechthin: „Das Auge isst mit!“ Dass an dieser Aussage was dran ist, weiß jeder, der sich ab und zu, wenn´s schnell gehen muss, einen merkwürdig schlammfarbenen Erbseneintopf aus der Dose warm macht oder sich ein Fertiggericht aus der Mikrowelle holt. Es sättigt, aber so richtig schmecken wird es nicht – selbst wenn wir blassgelben Kartoffelbrei eigentlich ganz gerne mögen. Was für ein Unterschied dagegen, sich an einen schön gedeckten Tisch zu setzen, auf dem uns ein leckeres, appetitlich vielfarbiges Gericht erwartet, dazu noch liebevoll dekoriert und auf einem hübschen Teller angerichtet – ein herrliches Geschmacks- und Genusserlebnis! Und das sogar dann, wenn sich auf dem Teller etwas befindet, das wir eigentlich gar nicht so gerne essen … Das Interessante daran: Es liegt nicht nur an der rein ästhetischen Zubereitung und unserer subjektiven Wahrnehmung, dass unser Auge buchstäblich mitisst. Vielmehr ist inzwischen wissenschaftlich erwiesen, dass das, was wir sehen, tatsächlich auch unsere geschmackliche Wahrnehmung bestimmt.

Ein roter Saft? Der muss nach Kirsche schmecken!

In vielen Tests haben Forscher herausgefunden, dass wir mit bestimmten Farben offenbar automatisch bestimmte Geschmacksrichtungen verbinden, das heißt, dass sich unser Geschmackssinn wohl wesentlich am Aussehen von Speisen und Getränken ausrichtet. So wurden in einer Untersuchung den Testpersonen Apfelsaft in drei farblichen Varianten angeboten. Es handelte sich dabei immer um denselben Saft, jedoch gab es ihn nur einmal in der bekannten Apfelsaftfarbe. Einmal wurde er grün gefärbt, ein weiteres Mal in knallroter Farbe gereicht. Der Geschmack blieb dabei immer gleich. Dennoch war sich die Mehrzahl der Testpersonen absolut sicher, dass sie einmal Apfelsaft, einmal Kiwisaft (grünes Getränk) und einmal Johannisbeersaft (roter Saft) getrunken hätten. Zum gleichen Ergebnis kam man beim Verkosten von Naturjoghurt, das man mit völlig geschmacksneutraler roter Farbe eingefärbt hatte und das prompt als Erdbeerjoghurt eingeschätzt wurde. Ein Joghurt braucht also einfach nur rot auszusehen, und schon denken wir, es müsse sich um ein Erdbeerjoghurt handeln! Warum das so ist? Die Wissenschaft erklärt es schlicht mit der Macht der Gewohnheit – wir haben es einfach im Laufe unseres Lebens so gelernt und unterliegen bei solchen Fehlinterpretationen wie den beschriebenen optischen Täuschungen. Und weil auch clevere Verkaufsstrategen das wissen, werden viele Lebensmittel mit künstlichen Farben versehen, damit die Konsumenten mehr Lust auf das Produkt bekommen. Klar: Eine intensiv-leuchtend rote Erdbeermarmelade muss doch einfach fruchtiger schmecken als eine blassrote!

Zuviel Appetit? Vielleicht mal zu etwas Blauem greifen …

Blaue Lebensmittel, sagen Wissenschaftler, werden von Menschen instinktiv eher abgelehnt. So wird zumindest das Ergebnis weiterer einschlägiger Untersuchungen interpretiert – und damit erklärt, dass unsere Vorfahren in der Urzeit die Erfahrung gemacht hätten, dass blaue, violette und schwarze Dinge meist etwas Giftiges oder Verdorbenes wären. Auf dieser Basis empfehlen die Experten Abnehmwilligen, öfter mal von blauen Tellern zu essen, um den Appetit zu zügeln. Auch wenn diese Annahmen auf Anhieb etwas verwegen klingen mögen – etwas wird wohl dran sein, denn bis heute verbinden wir blaues Essen ja häufig mit Schimmel und Verdorbenem; viele Menschen lehnen deshalb z.B. Gorgonzolakäse strikt ab. Doch ein Widerspruch drängt sich auf: Oliven, Pflaumen, Auberginen, Blaubeeren und blaue Weintrauben haben zahlreiche Liebhaber. Die Wissenschaft interpretiert das dahingehend, dass wir inzwischen gelernt hätten, diese Nahrungsmittel als „gut“ einzuschätzen. Nach wie vor sei es jedoch schwierig, Verbraucher dazu zu bringen, bisher unbekannte blaue Lebensmittel zu probieren. So habe sich bei einem Versuch gezeigt, dass blaues Ketchup sich kaum verkaufte. Anders sei es nur bei Kindern, die sich geradezu magisch von poppigen Farben angezogen fühlen, wie z.B. von leuchtend blauem Eis.

Sehen macht satt!

Die Augen spielen nicht nur beim Geschmackserleben, sondern auch beim Sättigungsgefühl eine größere Rolle, als mancher denken mag. Das haben US-Forscher bei einem besonders interessanten Test herausgefunden. Die eine Hälfte der Probanden bekam eine Suppe in normalen Suppentellern vorgesetzt, die andere Hälfte in Tellern, die genauso wie die anderen aussahen, jedoch über einen Schlauch im Boden immer wieder nachgefüllt wurden. Der Effekt: Die Esser mit den Nachfülltellern aßen 73 Prozent mehr Suppe als die anderen Teilnehmer. Anschließend sollten die Probanden angeben, wie gesättigt sie sich fühlten, und schätzen, wie viel sie gegessen hatten. Keiner der Teilnehmer glaubte, wesentlich mehr gegessen zu haben als die anderen, und keiner der Mehr-Esser fühlte sich stärker gesättigt als die Teilnehmer aus der Vergleichsgruppe. Diese Ergebnisse liefern, so die Forscher, deutliche Hinweise darauf, dass die Nahrungsmenge offenbar vor und während des Essens anhand optischer Kriterien abgeschätzt werde. Das bedeute auch, dass die Zuverlässigkeit der Selbsteinschätzung beim Essen deutlich verringert werde. Und weil dies alles unbewusst ablaufe, komme es so oft dazu, dass Menschen deutlich mehr äßen, als sie brauchten. Die daraus folgende Empfehlung der Wissenschaftler: Wer weniger Kalorien als bisher zu sich nehmen wolle, solle seine Mahlzeiten aus gut gefülltem, aber eher kleinem Essgeschirr verzehren.

Das Buffet und der „Dessert-Effekt“ – Warum wir mehr essen als uns gut tut

Wer kennt das nicht? Die Qual der reichen Auswahl, die ein üppiges Buffet bietet, führt meistens dazu, dass wir von allem probieren – und uns damit natürlich viel zu viel auf den Teller laden. Später, wenn all die vielen unterschiedlichen Leckereien verzehrt sind und der Hosenbund drückt, stellen wir fest, dass wir deutlich mehr gegessen haben, als uns gut tut – und mehr, als wenn nur ein oder zwei Gerichte zur Wahl gestanden wären. Forscher haben auch das schon hinreichend untersucht und belegt. Im Umkehrschluss heißt das auch: Bekämen wir jeden Tag immer nur ein und dieselbe Mahlzeit, würden wir deutlich weniger essen. Das, was Wissenschaftler den „Dessert-Effekt“ nennen, ist eine Überlistung unseres Sättigungsgefühls. Dieses wächst grundsätzlich im Verlauf der Nahrungsaufnahme, während der positive Geschmacksreiz, der die Menschen zum Essen „verführt“, im Lauf der Mahlzeit abnimmt. Der „Dessert-Effekt“ stellt sich dann ein, wenn wir sehr viele verschiedene Nahrungsmittel mit unterschiedlichen Geschmacksrichtungen gleichzeitig zur Auswahl haben. Denn jedes neue Nahrungsmittel bietet einen neuen Geschmacksreiz. Wundert es also noch jemanden, dass bei unserem heutigen Überangebot an Nahrung Übergewicht ein buchstäblich „zunehmendes“ Problem darstellt? Gut, dass es einen Ausweg aus der „Dessert-Effekt“-Falle gibt, selbst wenn man häufig (z.B. auf Reisen in Hotels) vor einem großen Buffet steht. Ernährungsexperten empfehlen, sich an möglichst magerem, weißen Fleisch, Fisch, Gemüse und Salat satt zu essen, Kohlenhydrate wie Brot oder Pasta zu meiden und sich stattdessen lieber abschließend ein leckeres kleines Dessert zu gönnen. Bei Frühstücksbuffets darf es gerne eine große Portion Rührei sein, allerdings am besten ohne den gebratenen Speck dazu.

Gewohnheit, Erfahrung, Ablenkung und Co.: Was unser Essverhalten sonst noch beeinflusst

Sie essen nur, wenn sie Hunger haben? Sie essen nur so lange, bis Sie satt sind? Wenn Sie das glauben, täuschen Sie sich wahrscheinlich – es sei denn, Sie haben die alten Erfahrungen und Gewohnheiten, die Ihrem Essverhalten zugrunde liegen, erfolgreich überwunden. Denn – auch das ist wissenschaftlich längst erwiesen – wir entscheiden nicht alleine, was, wann und wie viel wir essen. Schon unsere Kindheit prägt uns da nachhaltig. Wenn die Eltern am liebsten abends beim Fernseher Nüsschen knabberten, werden wir das in unserer ersten eigenen Wohnung wahrscheinlich auch noch tun. Zum Kino gehören Popcorn oder Nachos „einfach dazu“, und der Kaffee schmeckt nur, wenn es dazu auch ein Stück Kuchen gibt – alles erlernte Gewohnheiten, völlig unabhängig von Hungergefühlen oder Appetit. Und so gut wie jeder weiß, wie stark sich Emotionen auf unser Essverhalten auswirken – je nachdem, wie wir es von Kindheit an gelernt haben. Stress, Aufregung, Kummer – nur her mit der Schokolade! Die schenkt uns Trost, lenkt uns ab und schafft bessere Laune – das glauben wir zumindest, wir haben es ja früher oft genug so erfahren. Wer sich vor dem Fernseher, beim Telefonieren oder Lesen gedankenlos eine Praline nach der anderen in den Mund schiebt, isst wahrscheinlich so lange weiter, bis die Packung leer ist. Das liegt daran, dass man bei einem solch unkontrollierten Essen kein Sättigungsgefühl verspürt. Und nicht zuletzt entscheidet häufig die Art unserer Gesellschaft über unser Essverhalten. Wenn unsere Freunde rauchen oder Bier trinken, machen wir es ihnen wahrscheinlich nach – wir wollen ja dazugehören. Wenn die Kollegen am Kantinentisch ihre Mahlzeit hastig hineinschlingen, essen wir wahrscheinlich genauso schnell, sitzen wir dagegen mit einem echten Genießer am Tisch, werden wir uns ebenfalls länger Zeit lassen. Laut entsprechender Studien verzehren wir bei einem langen, geselligen Abend mit Genießern bis zu 44 Prozent mehr als die sonst üblichen Mengen. Fazit: Selbstbestimmung sieht anders aus!

Die gute Nachricht: Alte Gewohnheiten kann man durch neue, bessere ersetzen!

Wer sich immer wieder dabei ertappt, dass er zu viel oder das Falsche isst, oder wer auf der Waage feststellt, dass er seine Essgewohnheiten ändern sollte, wird sich freuen: Oft helfen schon kleine Tricks. Werden die Pralinen in einer Box hoch oben im Schrank verstaut, dann geht man nicht so oft dran. Wenn dagegen eine Schale mit Obst greifbar mitten auf dem Tisch steht, greift man immer wieder zu – und hat gar nicht mehr so große Lust auf Schoki und andere „Sünden“. Auch kleinere Packungen zeigen verblüffende Wirkungen, ebenso wie Mahlzeiten auf kleineren Tellern oder aus kleineren Schalen. Wer sich mehr Zeit für eine Mahlzeit nimmt, isst bewusster und wird früher ein Sättigungsgefühl verspüren. Häufigere, kleine Mahlzeiten, über den Tag verteilt, verhindern, dass sich abends der Heißhunger meldet und dann alles verschlungen wird, was gerade greifbar ist. Selbstbestimmtes Essen geht also doch – und nicht vergessen: Das Auge isst immer mit!

Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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