Das Unbewusste hat Redebedarf: Sprechen im Schlaf
„I know the secrets that you keep when you´re talking in your sleep ...“ – „Wenn du im Schlaf sprichst, verrätst du mir deine Geheimnisse“, hieß es in einem alten Popsong aus den 1980er-Jahren. Da plaudert also die Liebste im Schlaf intime Details aus ihrem geheimen Doppelleben aus – gibt es so etwas wirklich? Ob und wie viele Liebesbeziehungen aus einem solchen Grund schon in die Brüche gingen, das kann niemand sagen. Und ob wir überhaupt in der Lage sind, echte Geheimnisse klar und deutlich im Schlaf zu verraten, auch das wird im Allgemeinen für eher unwahrscheinlich gehalten. Das Sprechen im Schlaf – medizinisch Somniloquie genannt – konnten selbst die aufgewecktesten Schlafexperten bislang nur teilweise erforschen. Aber einige interessante Erkenntnisse gibt es doch.
Selbst im Tiefschlaf liegen wir nur selten völlig still und stumm da – einige Menschen sind sogar schwer aktiv, während sie schlafen. Da gibt es die, die sich wild im Bett herumwerfen, andere, die mit den Zähnen mahlen und knirschen, und natürlich die nachtaktivsten von allen, die Schlafwandler. Und dann gibt es die Menschen, die im Schlaf sprechen. Allzu viele sind es wohl nicht: Ziemlich verbreitet ist die Somniloquie nur unter Drei- bis Zehnjährigen; bei etwa der Hälfte aller Kinder dieser Altersgruppe vernehmen die Eltern oder Geschwister regelmäßiges Geplapper, das aus den Kissen dringt. Unter Erwachsenen macht die Gruppe der Schlafredner Schätzungen zufolge nur noch etwa fünf Prozent aus.
Allerdings könnte die „Dunkelziffer“ hier deutlich höher sein – die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) geht von etwa 20 Prozent der Allgemeinbevölkerung aus1. Festlegen will und kann sich hier keiner, denn die Zahlen beruhen ja nur auf den Angaben anderer Personen, die von dem nächtlichen Gerede etwas mitbekommen. Bei Schlafrednern, die nachts allein oder neben einem ebenfalls tief schlafenden Partner im Bett liegen, dürfte das Phänomen häufig unbemerkt bleiben. Da während des Schlafs das Kurzzeitgedächtnis ausgeschaltet ist, kann sich normalerweise niemand mehr nach dem Aufwachen an sein nächtliches Geplauder erinnern.
Inhaltsverzeichnis
- Medizinisch harmlos – für den Schlafpartner mitunter ein Problem
- Die Ursachen: ungeklärt und wahrscheinlich vielfältig
- Von Gemurmel bis zu Beschimpfungen
- Was verraten Schlafredner wirklich?
- Wenn Somniloquie zur echten Belastung wird
Medizinisch harmlos – für den Schlafpartner mitunter ein Problem
Aus medizinischer Sicht ist das Sprechen im Schlaf harmlos, allerdings tritt es häufig im Verbund mit Durchschlafstörungen oder den sogenannten Parasomnien auf. Bei diesen handelt es sich um bestimmte Auffälligkeiten, die sich bei Schlafenden zeigen, etwa das Schlafwandeln, das die Schlafqualität stark vermindern und in ausgeprägter Form durchaus gefährlich werden kann. Das Sprechen im Schlaf allein jedoch stört die Schlaftiefe und -qualität normalerweise nicht, sagt der Leiter des schlafmedizinischen Zentrums am Bezirksklinikum Regensburg Dr. Peter Geisler in einem Artikel der „Apotheken Umschau“2. Negative Auswirkungen zeigten sich am ehesten im zwischenmenschlichen Bereich, so der Experte augenzwinkernd. Klar: Wer nicht allein schläft und seinen Bettgenossen regelmäßig mit lauten Worten aus dem Schlaf reißt, macht sich wahrscheinlich ebenso unbeliebt wie ein lauter Schnarcher.
Genervte Partner von Schlafrednern wissen allerdings auch: Zum Glück wird nicht die ganze Nacht gequasselt. Meistens tritt Somniloquie vor allem während der sogenannten REM-Phase auf, also der Tiefschlafphase, in der sich hinter den geschlossenen Lidern die Augen stark und schnell bewegen (REM = Rapid Eye Movement), die Atem- und Herzfrequenz ansteigen und das Gehirn besonders aktiv ist, sodass wir in dieser Phase auch die meisten Träume erleben. In dieser Phase verarbeiten wir Erlebtes im Schlaf – gut möglich also, dass dann bei einigen Menschen das im Traum gesprochene Wort auch gut hörbar nach außen dringt. Dass es sich dabei oft nur um unverständliches Gebrabbel handelt, liegt laut Professor Michael Schredl, dem wissenschaftlichen Leiter des Schlaflabors am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim (ZI) daran, „dass die für das Sprechen nötigen Muskeln nachts entspannt sind.“
Die Ursachen: ungeklärt und wahrscheinlich vielfältig
Was aber ist nun der Grund dafür, dass manche Menschen im Schlaf sprechen – und viele andere nicht? Die Schlafforscher und -mediziner Peter Geisler und Michael Schredl kommen in der „Apotheken Umschau“2 zu keinem eindeutigen Schluss, denn die Ursachen der Somniloquie sind noch längst nicht eindeutig erforscht. Vermutlich spielt die Psyche eine nicht unerhebliche Rolle, Stress, Erschöpfung oder psychische Erkrankungen, z.B. Depressionen, könnten begünstigend wirken, ebenso wie Fieber oder auch reichlicher Alkoholgenuss am Abend. Auch einen „Zusammenhang mit Trauminhalten“ hält Michael Schredl für möglich. Peter Geisler sieht zudem eine Verbindung zum Schlafwandeln, da anscheinend die Schlafredner besonders häufig unter den Schlafwandlern zu finden sind. Geisler zufolge könnte das Sprechen im Schlaf auch eine „Miniform des Schlafwandelns“ sein.
Was die Art und Inhalte der nächtlichen Reden angeht, hat die Schlafforschung schon einige interessante Erkenntnisse gewonnen. Auffallend ist, dass einige Schlafredner nur wirres Zeug oder einzelne Laute murmeln, vor sich hin brabbeln oder ausrufen, während andere ganze, grammatikalisch korrekte und gut verständliche Sätze sprechen und sogar Fragen klar beantworten.
Von Gemurmel bis zu Beschimpfungen
In einem Beitrag im Portal „Der Schlaffuchs“ des Hamburger Schlafexperten Eike Dagott3 wird eine Studie erläutert, die französische Wissenschaftler mit 232 Probanden durchführten und 2017 in SLEEP (Oxford University Press), einer internationalen Zeitschrift für Schlafforschung, veröffentlichten4. Für die Studie wurden Männer und Frauen mit und ohne Schlafstörungen – davon einige, die wussten, dass sie gelegentlich im Schlaf sprechen – im Schlaflabor beobachtet; alles, was sie sprachen oder tönten, wurde aufgezeichnet. Zu hören waren schließlich „883 Sprachepisoden mit 3349 klar verständlichen Wörtern und 59 % nichtverbale Äußerungen (murmeln, lachen, flüstern und schreien).“
Einige spezielle Details: Generell sprachen die männlichen Studienteilnehmer mehr als die Frauen, als häufigstes Einzelwort wurde „Nein“ ausgesprochen, in knapp zehn Prozent aller Reden wurden obszöne Dinge erwähnt, vor allem während der REM-Phase waren häufig Beschimpfungen, Beleidigungen und Flüche zu hören, überwiegend von männlichen Probanden. In fast 13 Prozent wurden ganze Sätze mit Nebensätzen geformt – und: der größte Teil der Äußerungen wurde in grammatikalisch korrekten Sätzen ausgesprochen. Daraus schlossen die Forscher, dass „unser Gehirn während des Schlafs dasselbe neuronale System benutzt, das auch bei Wachheit für die Sprachproduktion zuständig ist.“
Dafür, dass offenbar so häufig mehr gebrabbelt als verständlich gesprochen wird, machten die französischen Schlafforscher zum Teil die unterschiedlichen Schlafpositionen verantwortlich: Wer auf der Seite oder auf dem Bauch liege, blockiere unter Umständen die für die Sprachproduktion notwendigen Organe und Muskulatur. Einiges spreche außerdem dafür, dass im Schlaf die für Artikulation zuständigen Organe außer Funktion gesetzt seien. Die relativ vielen „Nein!“-Ausrufe, Flüche und auch die Obszönitäten deuteten, so die Wissenschaftler, darauf hin, dass es im Schlaf offenbar häufig „angespannte Kommunikationssituationen“ gebe.
Was verraten Schlafredner wirklich?
So weit, so gut – auf wirklich erhellende Erkenntnisse zur Somniloquie scheinen wir noch warten zu müssen. Diejenigen, die sich Sorgen machen (müssen), pikante Details aus einem geheimen Doppelleben im Schlaf zu verraten, könnte die Lektüre eines Buchs des Schlafforschers Arthur Arkin interessieren. In der Frauenzeitschrift „Bild der Frau“5 wird zusammengefasst, was Arkin für sein Buch „Sleep-Talking: Psychology and Psychophysiology“ von Schlafrednern erfuhr. Der Wissenschaftler weckte seine Probanden direkt nachdem sie im Schlaf gesprochen hatten, und fragte sie, was sie gerade geträumt hatten. Die deutliche Mehrheit der Befragten (79 Prozent) berichtete von Träumen, die mit dem, was sie gesprochen hatten, übereinstimmten. Umgekehrt betont Arkin aber auch, dass eben 21 Prozent der Befragten Dinge ausgesprochen hätten, die nichts mit ihren Träumen zu tun hatten. Arkin rät Partnern von Schlafrednern, deren Aussagen nicht für real zu halten. Ein Name, der im Schlaf gestöhnt werde, heiße nicht, dass der Schlafende mit dieser Person eine heiße Affäre habe – manchmal sei das, was da „ausgesprochen“ werde, ganz einfach nur „sinnfreies Gerede.“
Wenn Somniloquie zur echten Belastung wird
Reden im Schlaf, so viel scheint jedenfalls festzustehen, ist letztlich – solange es den eigenen und den Schlaf anderer nicht stört – grundsätzlich kein Problem. Aktiv etwas dagegen tun sollte man nur, wenn es mit starken Schlafstörungen einhergeht. Denkbar sind in leichteren Fällen Methoden wie autogenes Training und Meditation oder pflanzliche Arzneimittel, die das Ein- und Durchschlafen fördern. Dazu sollte man auf die sogenannte „Schlafhygiene“ achten, also: vor dem Zubettgehen nicht schwer essen, möglichst wenig oder keinen Alkohol trinken, abends keine Probleme mehr wälzen, nicht bis zum Schlafengehen vor dem Computer oder Fernseher sitzen, ein gut gelüfteter Schlafraum und möglichst regelmäßige Schlafzeiten.
Nur in schwereren Fällen, etwa wenn das Sprechen im Schlaf zusammen mit ausgeprägtem Schlafwandeln oder anderen Auffälligkeiten im Schlaf auftritt und/oder wenn den Betreffenden zugleich psychische Störungen oder Belastungen bedrücken, ist es sicher nicht verkehrt, den Hausarzt oder einen Neurologen bzw. Schlafmediziner aufzusuchen. So können mögliche körperliche/medizinische Ursachen abgeklärt und ggf. behandelt werden. Wer spürt, dass das Schlafreden eher psychische Ursachen hat, sollte sich nicht scheuen, einen Psychologen oder Psychotherapeuten zu Rate zu ziehen.
Quellen anzeigen
Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.