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Der grüne Therapeut: Was der Wald für unsere Gesundheit tun kann

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Würzige Waldluft und erdige Düfte einatmen, dem sanften Rauschen des Laubs oder auch des Regens, dem leisen Knacken der Äste, dem fröhlichen Zwitschern der Waldvögel lauschen, sehen, wie das Sonnenlicht durch das belaubte Geäst und die Kronen der Bäume dringt und ein faszinierendes Licht-Schatten-Spiel erzeugt ... So ein Waldbesuch ist eine Wohltat für alle Sinne. Ein Gang durch den Wald kann nach einem stressigen Tag oder einer arbeitsreichen Woche helfen, die „Batterien aufzuladen“ und sich wieder frisch und kräftig zu fühlen. Dass es den meisten Menschen gut geht, wenn sie mit offenen Augen, Ohren und Nasenlöchern durch den Wald spazieren oder sportlich wandern, das ist längst bekannt. Mittlerweile gibt es aber sogar handfeste, wissenschaftlich erforschte Hinweise darauf, dass der regelmäßige Aufenthalt im Wald die körperliche und psychische Gesundheit unterstützt.

 

Den Wald auf sich wirken lassen

 

Einen nahe gelegenen Wald zu finden, ist hierzulande nicht schwer, denn laut offizieller Zahlen ist gut ein Drittel der Gesamtfläche Deutschlands, etwa 11 Millionen Hektar, bewaldet.1,2 Wichtig: Im Wald sollte man am besten absolut nichts tun, also weder telefonieren noch arbeiten noch lesen – sondern einzig und allein den Wald auf sich wirken lassen. Dass man sich dabei in einem System aus lebenden (und sehr freundlichen) Organismen befindet, das wissen wir spätestens, seit wir Peter Wohlleben kennen.

 

Der Ex-Forstbeamte aus Rheinland-Pfalz hat seine Liebe und Leidenschaft für Bäume und den Wald zum Lebensinhalt gemacht, ist mit Vorträgen, Büchern, Exkursionen und zahllosen Medienauftritte zum berühmten „Bäumeflüsterer“ avanciert – und hat unzählige Menschen neu für den Wald begeistert. Wie z.B. in einem Radiobeitrag des Deutschlandfunks erläutert wird, weiß Wohlleben, dass Bäume leben, dass sie Gefühle und ein Gedächtnis haben, dass sie ihren Nachwuchs ähnlich wie wir Menschen umsorgen.3

 

In dem erfolgreichsten seiner drei Bücher „Das geheime Leben der Bäume“4 zeigt Wohlleben, wie klug Bäume sind, wie sie kommunizieren und Freundschaften pflegen. Das machten unter anderem Duftstoffe möglich, die quasi als Boten zwischen Ästen und Baumkronen hin und her flitzten, oder auch Pilze, die mit ihren Fäden eine Art Netzwerk bildeten. So formten mehrere Bäume, berichtet Wohlleben, bei Unwettern oft eine Art Solidargemeinschaft, indem sie sich gegenseitig stützten, ihre Bewegungen abbremsten und somit verhinderten, dass einer von ihnen stürzt.

 

Waldspaziergang oder Waldbaden?

 

Dass Peter Wohlleben so viel Erfolg mit seinen spannenden Geschichten über Bäume hat, lässt darauf schließen, wie verbunden sich die Menschen mit der Natur und speziell dem Wald fühlen. Und dass der Wald mit seinen tausenden sichtbaren Bewohnern und vielen unsichtbaren Geheimnissen eine tolle Lebensschule ist, das bekommen vor allem Kinder zu spüren, die von Erwachsenen bewusst an das Ökosystem Wald herangeführt werden und sich viel in ihm bewegen. Waldkindergärten erfahren regen Zulauf, und unzählige Vereine, Institutionen und natürlich Schulen bieten kindgerechte Exkursionen in und durch die heimischen Wälder an, veranstalten Waldquizze, -rätsel und -schnitzeljagden und vermitteln damit auf spielerische Weise, was der Wald den kleinen und großen Menschen zu erzählen hat.5

 

Höchste Zeit also, allein oder mit der Familie mal wieder einen ausgiebigen Waldspaziergang zu machen. Wobei – halt! „Einen Waldspaziergang machen“, das war gestern. Ist man auf dem neuesten Stand, dann geht man „Waldbaden“. Der Begriff umschreibt die therapeutische Nutzung des Waldes und sorgt, aus Japan kommend, in der westlichen Welt zunehmend für Furore. Inzwischen gibt es auch bei uns in Deutschland immer mehr „Waldbademeister“, also Therapeuten, die entsprechende Workshops und Exkursionen anbieten und vor allem gestressten Städtern die Heilkraft des Waldes nahebringen wollen.

 

Waldbaden – oder Shinrin-yoku (japanisch für Waldbad) steht für einen ganz bewussten Aufenthalt im Wald mit dem Ziel, einen therapeutischen Effekt daraus zu gewinnen. Als therapeutische Maßnahme wurde es Anfang der 1980er-Jahre in Japan entwickelt, als die dortige staatliche Forstbehörde für Waldgänge als „Bestandteil eines guten Lebensstils“ plädierte. Nach vielfachen Forschungen japanischer Wissenschaftler, die die positiven Effekte der Naturerlebnisse im Wald auf Wohlbefinden und Gesundheit belegten, gibt es nun schon seit einigen Jahren sogar einen eigenen Forschungszweig an japanischen Universitäten: die „Forest Medicine“, also „Waldmedizin“, die vom japanischen Gesundheitswesen ausdrücklich gefördert wird.

 

Das hat zur Folge, dass Ärzte vor allem japanischen Großstädtern (die bekanntlich besonders geplagt sind von drangvoller Enge und miserabler Luft) quasi per Rezept den Gang in den Wald verordnen. Mehrere Waldgebiete Japans wurden dafür extra zu Wald-Therapiezentren ernannt.

 

Was ein „Waldbad“ bewirken kann

 

Waldbaden ist nun auch in Deutschland längst zum Trend geworden. Neben entsprechenden Seminarangeboten gibt es inzwischen jede Menge Bücher und Presseveröffentlichungen darüber, fast ebenso viele Einzelpersonen und Institutionen bieten Ausbildungen zum „Kursleiter für Waldbaden“, „Wald-Achtsamkeits-Trainer“ oder „Waldtherapeuten“ an. Manche davon weisen eine eher zweifelhafte Qualifikation auf, andere wiederum überzeugen mit seriösen Ausbildungen, u.a. die erst 2018 gegründete Deutschen Akademie für Waldbaden, die als überregionale Plattform für Waldbaden in Deutschland und den angrenzenden Ländern fungieren will.6

 

Viele mögen denken, dass Waldbaden letztlich nicht mehr als ein trendiger Begriff ist. Doch das stimmt nicht so ganz. Zwar braucht man, um ein Bad im Wald zu nehmen, nicht mehr als einfach gemütlich vor sich hin zu schlendern – ein Sport ist das Waldbaden also keineswegs. Doch geht es vor allem darum, mit gezielten Methoden (die in einem Waldbaden-Kurs vermittelt werden) den Wald und seine Pflanzen und Tiere bewusst wahrzunehmen, effektive Atem- und Entspannungstechniken im Einklang mit der Natur zu lernen, sich intensiv zu spüren und sich dabei möglichst mit den eigenen Lebensfragen zu beschäftigen – und ganz nebenbei vieles über die umgebende Natur zu lernen.

 

Waldbaden ist „ein natürlicher Weg zu Ausgeglichenheit, Freude, Begeisterung und Gesundheit“, schreibt die ausgebildete Natur- und Wildnistherapeutin Ina Schmitt aus Kaiserslautern, die ein eigenes Internet-Portalbetreibt und selbst Waldbaden-Seminare anbietet: „Durch das Einatmen der ätherischen Öle, die die Bäume in die Luft abgeben, wird unser Immunsystem gestärkt.7 Unser Körper produziert aufgrund der in der Waldluft enthaltenen Terpene verstärkt so genannte Killerzellen, die gegen Krebs wirken.“

 

Das lässt natürlich aufhorchen – und führt uns direkt zu einer wichtigen Frage: Wie gesund ist der Aufenthalt im Wald denn nun wirklich? Wie haltbar sind die bisher erbrachten wissenschaftlichen Belege dafür, dass der Wald zum Therapie- und Gesundheitszentrum taugt, dass er tatsächlich ein „Therapeut“ für unsere Körper und Seelen ist?

 

Was die Wissenschaft über das Waldbaden weiß

 

Immer mehr Wissenschaftler in Deutschland und Österreich befassen sich inzwischen mit der therapeutischen Wirksamkeit des Waldes und erforschen, inwieweit sich unsere Wälder medizinisch nutzen lassen. Darüber steht in einem umfassenden Online-Artikel des Wochenmagazins „ZEIT“ viel Aufschlussreiches zu lesen, u.a. dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Lehrstühle für Wald- und Umweltpolitik sowie für Public Health und Versorgungsforschung an der Uni München sowie Mitarbeiter der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft in einer Kooperation intensiv den unterschiedlichen gesundheitlichen Effekten von Waldaufenthalten auf der Spur sind.8 Die bisherigen Erkenntnisse zu den entsprechenden physiologischen und psychologischen Veränderungen haben sie jüngst in „LWF aktuell“, dem Organ der Bayerischen Landesanstalt für Wald- und Forstwirtschaft, veröffentlicht.9

 

Darin bleiben die Forscher vorsichtig: Dass der Wald den Menschen gut tue, stehe zwar fest, doch seien die genauen Wirkmechanismen der Waldnatur vielfach noch unklar, das „Forschungsfeld Wald und Gesundheit“ stehe erst am Anfang. Es gebe bislang nur vereinzelte Studien mit ausreichend großen Fallzahlen und valider Statistik. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen internationale Forscher, die für eine Metaanalyse 127 Studien zur gesundheitlichen Wirkung des Waldes aus den Jahren 2007 bis 2017 untersucht haben. Auch sie betonen, dass die Langzeitwirkung des Waldbadens noch nicht ausreichend belegt sei.10

 

Überzeugende Forschungsergebnisse aus Japan

 

In Asien traut man sich da schon weiter; die Studienergebnisse asiatischer Forscher aus den vergangenen zehn Jahren sind aussagekräftig. Wie die „Apotheken Umschau“ in einem Bericht zur Waldtherapie erläutert, haben japanische Forscher bei einem Vergleich von Wald- und Stadtspaziergängern unterschiedliche Effekte festgestellt: Bei den Waldspaziergängern sanken – im Gegensatz zu den Stadtspaziergängern – deutlich sowohl Blutdruck und Puls als auch die Konzentration des Stresshormons Cortisol.11

 

Ähnliches konnten zwei ­Studien des Tokyo Medical Center belegen: Untersuchungen an Probanden ergaben, dass der Wald bei Frauen und Männern Anspannung, Verwirrung, Niedergeschlagenheit und Müdigkeit senken und somit psychischen Erkrankungen vorbeugen kann. Das liegt wohl, fanden die Japaner heraus, zumindest zum Teil an Terpenen, also an chemischen Verbindungen, die Bäume, Kräuter, Pilze, Sträucher und Moose im Wald abgeben und die wir dort einatmen. Laut dem Tokioter Professor Qing Li, dem führenden asiatischen Wissenschaftler auf dem Gebiet des Waldbadens, stärken diese Terpene unsere Abwehrkräfte. Das wiederum hat zur Folge, dass mehr weiße Blutkörperchen gebildet werden. Diese sogenannten Killerzellen sind in der Lage, Krankheitserreger zu bekämpfen, aber auch körpereigene Krebszellen anzugreifen – was den Verdacht nahelegt, dass Waldbaden sogar gegen Krebs wirksam sein könnte.

 

Die Ergebnisse dieser und weiterer Studien Qing Lis lassen nach dessen eigenen Worten darauf schließen, dass der Wald die körpereigene ­Abwehr stärkt und Waldbaden sich daher durchaus positiv auf verschiedene Krankheitsverläufe auswirken könne. Wie es in der Apotheken Umschau dazu weiter heißt, räumt der Forscher ein, dass dies natürlich nicht bedeute, regelmäßige Waldspaziergänge könnten Krebs heilen. Doch könne man, so Qing Li, davon ausgehen, dass der Wald Krebspatienten helfen könne, mit ihrer Krankheit und deren Therapie besser fer­tigzuwerden.

 

Wald tut wohl!

 

Doch mal ganz ehrlich – ist es für uns so wichtig, exakt die wissenschaftlich belegten medizinischen Wirkungen eines Waldaufenthalts zu kennen, wenn wir doch alle spüren können, wie wohltuend schon ein, zwei stille Stunden im Wald sind? Wie herrlich ist es zum Beispiel, an einem heißen Sommertag in einen schattigen Waldweg einzubiegen! Das besondere, kühle Klima des Waldes, das sogenannte Waldinnenklima, heißt es in dem Internetportal www.waldhilfe.de zum Thema Waldbaden, wirke sich gerade bei Hitze positiv auf den menschlichen Organismus aus, weil das Kronendach der Bäume vor starker Sonneneinstrahlung schütze, die Verdunstung der Bäume für Kühlung und eine hohe Luftfeuchtigkeit sorgten.12 So verdunsteten allein die Blätter einer großen Eiche pro Sommertag etwa 40 Liter Wasser.

 

Die Apotheken Umschau bestätigt, dass sich Wälder durch ihr besonderes Mikroklima auch zur therapeutischen Nutzung eigneten, vor allem bei Atemwegs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch bei Fettleibigkeit oder Diabetes.11 Und auch psychosomatische und psychische Beschwerden könnten gelindert werden. Das gelte besonders für Europas ersten ausgewiesenen, 250 Hektar großen Heilwald im Ostseebad Heringsdorf auf Usedom, über den auch das Magazin „Focus“13 und der „Deutschlandfunk“14 berichteten. Dort könnten insbesondere die Kiefern und Buchen des Ostseewaldes zusammen mit dem milden Meeresklima eine große Heilwirkung entfalten; ein eigens gekennzeichnetes Wegenetz leite die Besucher zum therapeutischen Waldgang an, Therapiestationen, Kletterparcours, aber auch Orte der Stille inklusive. In dem Heilwald, dem weitere folgen sollen, wollen Wissenschaftler auch mögliche therapeutische Effekte auf weitere Krankheitsbilder, z.B. aus dem Bereich der Orthopädie, erforschen.

 

Zweimal pro Woche, mindestens 30 Minuten

 

In der Apotheken Umschau wird auch Professor Peter Falkai, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität München zitiert.11 Für ihn hat ein Aufenthalt in der Natur ganz klar einen „vorbeugenden Effekt“, ein Spaziergang durch den Wald habe zudem auch eine therapeutische Wirkung, wenn etwa ein psychisches Leiden vorliege, etwa eine Angsterkrankung oder eine Depression. Wie oft und wie lange man sich dafür im Wald aufhalten müsse, weiß Falkai zwar auch nicht genau, eindeutige Studienergebnisse dazu gebe es bislang nicht. Für die Minimaldosis hält der Experte, sich „zweimal pro Woche für 30 Minuten in der Natur aufzuhalten, damit Sie genug Licht und Luft haben.“

 

Was, Sie haben die Minimaldosis für diese Woche noch nicht erreicht? Dann nichts wie ab in den Wald! Wetten, Sie fühlen sich danach wie neugeboren?

 

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Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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