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Es gilt das unausgesprochene Wort: Verständigung mit der Gebärdensprache

Kommentar schreiben Aktualisiert am 22. April 2020

Es sind Sprachen, die ganz ohne gesprochene Worte auskommen – und dennoch der Lautsprache an Ausdrucksmöglichkeiten und Reichtum in nichts nachstehen: die Gebärdensprachen. Man spricht sie auf der ganzen Welt: Mehr als 130 Gebärdensprachen soll es laut offiziellen Quellen auf dem Globus geben. Jedes Land hat seine eigenen Gebärden, ja sogar Dialekte kennt die Gebärdensprache, die auch „Zeichensprache“ genannt wird. Und Millionen Menschen „sprechen“ diese stumme Sprache: allein in Deutschland sind es bis zu 300.000 Menschen, die sie ständig oder gelegentlich anwenden, darunter die meisten der ca. 80.000 Gehörlosen und ca. 140.000 hochgradig Schwerhörigen, die laut dem Deutschen Gehörlosen-Bund e.V. unter uns leben. Anlass genug, mehr über diese faszinierende Sprache ganz ohne Worte zu erfahren!

 

Inhaltsverzeichnis: 

 

Entstehung der Gebärdensprache

 

Der deutsche Gehörlosen-Bund e.V. definiert Gebärdensprachen als „visuell-manuelle“ Sprachen. Es sind Sprachen, mit denen sich Menschen, die das gesprochene Wort nicht hören können, mittels Mimik, Körperhaltung und Gestik (Handzeichen) verständigen. Für Gehörlose und stark schwerhörige Menschen ist sie die Grundlage zur gesellschaftlichen Teilhabe – die ideale Kommunikation untereinander oder auch zwischen hörgeschädigten und hörenden Personen, die die Gebärdensprache erlernt haben. Diese Möglichkeit gab es für hörgeschädigte Menschen nicht immer: Vor ein paar hundert Jahren wurden sie noch gezwungen, zu sprechen und anderen von den Lippen abzulesen – vielen wurden sogar die Hände zusammengebunden, damit sie sich nicht mit den Händen verständigen konnten. Erst mit dem steigenden Bewusstsein für Gleichstellung und dank zunehmender Erforschung und Verbreitung konnten die lautlosen Sprachen ihren Platz im Alltag tausender Menschen einnehmen.

 

In Deutschland erklärte die Sprachwissenschaft sie bereits in den 1960er-Jahren zur eigenständigen, vollwertigen Sprache. Die Politik brauchte noch rund 40 Jahre länger, erst mit Inkrafttreten des Gleichstellungsgesetzes für Behinderte im Jahr 2002 wurde die DGS (Kürzel für die Deutsche Gebärdensprache) offiziell anerkannt. Damit wurde gehörlosen und schwerhörigen Menschen auch ihr Alltagsleben deutlich erleichtert, so muss ihnen seitdem z.B. vor Gericht ein Gebärdensprachdolmetscher zur Verfügung gestellt werden.

 

Die Brücke von der gehörlosen zur hörenden Welt 

 

Gehörlose können heute auf vielerlei Hilfsmittel zurückgreifen, um ihren Alltag besser zu bewältigen und besser in die Allgemeingesellschaft integriert zu werden, etwa Haustürklingeln und Wecker, die über Lichtsignale funktionieren, Schreib- und Bildtelefone. Doch wahrscheinlich ist nichts so wichtig im Leben von Gehörlosen und stark Schwerhörigen wie die Gebärdensprache. Mit ihrer Hilfe sind zwischenmenschliche Kommunikation, aber auch Dinge wie Bildtelefonie (z.B. Skype) oder auch Fernsehen ohne Weiteres möglich.

 

Vermittelt bzw. gelernt wird die Gebärdensprache in der Regel schon im Rahmen der Frühförderung hörgeschädigter Kinder (sofern die Hörschädigung angeboren ist) oder, wenn die Hörschädigung erst später im Leben auftritt, mittels spezieller Bildungsangebote. Menschen mit erworbener Gehörlosigkeit haben oft sehr gute lautsprachliche Fähigkeiten (je nachdem, wie lange ihre Hörfähigkeit bestand), die ihnen das Lernen der Gebärdensprache oft erleichtert. Ansonsten besteht im Prozess des Erlernens kein nennenswerter Unterschied zwischen Menschen mit angeborener und Menschen mit erworbener Gehörlosigkeit. Anlaufstellen zur Vermittlung der Gebärdensprache finden sich bei Vereinigungen wie dem Deutschen Gehörlosen-Bund e.V.

 

Jedes Land hat seine eigene Gebärdensprache

 

Man geht heute davon aus, dass – ebenso wie die gesprochenen Sprachen – Gebärdensprachen auf natürlichem Weg bereits vor Jahrhunderten entstanden sind und sich anhand ihrer Verwendung durch gehörlose Menschen immer weiter entwickelt haben. Die Christoffel-Blindenmission (CBM), die auch die Gebärdensprachen weltweit fördert, vermutet, dass sie sich aus einfachen Zeige- oder Hinweisgebärden und pantomimischen Nachbildungen von Gegenständen und Handlungen entwickelt hat und dass mit der Zeit auch eine dazugehörige Grammatik entstanden ist. Laut CBM wurde die erste Schule, in der Gebärdensprache unterrichtet wurde, 1771 in Paris eröffnet, acht Jahre später entstand erstmals eine Schule für gehörlose Menschen in Leipzig. Nach und nach nutzten und erforschten dann Gelehrte in mehreren Ländern die Sprache der Gebärden und des lautlosen Ausdrucks.

 

Inzwischen hat jede Nation ihre eigene Gebärdensprache – und das ist gut so. Besonders spannend ist, dass diese jeweils nicht im ganzen Land dieselbe ist, sondern auch über regionale Dialekte und Sprachfärbungen verfügt. In Deutschland wird die Gebärdensprache in Nord-, Ost-, Mitte- und Süddialekt unterteilt. So wird ein gehörloser Bayer Vokabeln und Ausdrücke verwenden, die man im hohen Norden weder kennt noch versteht. Ebenso muss natürlich jeder Gehörlose, der die Gebärdensprache eines anderen Landes verstehen und anwenden will, diese als „Fremdsprache“ lernen.

 

Wie funktioniert´s?

 

Gebärdensprachen sind genauso komplex, haben ein ebenso vielfältiges Vokabular und eine Grammatik wie Laut- und Schriftsprachen auch, die grammatischen Regeln und der Aufbau sind aber ganz anders als die der gesprochenen Sprachen.

 

Grundsätzlich werden in der Gebärdensprache Worte mit den Händen – in der Regel mit einer, der dominanten Hand – dargestellt, doch bilden auch die Bewegungen des Mundes (zum „Ablesen von den Lippen“) sowie der gesamte Gesichtsausdruck, bestimmte Geräusche und die Körperstelle, an der die jeweilige Gebärde gemacht  wird, die Grundlage dieser Sprache. Gerade die Mimik, die Art der Blicke und die Körpersprache sind in der Gebärdensprache wichtig – wie in der Lautsprache auch, wo ja die sogenannten „nonverbalen“ Botschaften eine ganz wichtige Komponente der Verständigung darstellen.

 

Ganz schön verwirrend auf den ersten Blick – so bedeutet eine an die Stirn gelegte Faust „dumm“, lege ich jedoch die Faust auf das Kinn, sage ich „Bauer“. Streckt man den Zeigefinger aus und legt ihn auf die Stirn, bedeutet das „Polizei“.

 

Was die Grammatik angeht, so gibt es in der Deutschen Gebärdensprache bedeutende Unterschiede zur deutschen Lautsprache. Beispielsweise gibt es einen eigenen Satzaufbau. Dieser erfolgt immer nach diesem Schema: Am Satzanfang stehen die Zeit- und Ortsangaben wie „Heute“, „Gestern“ und „Stadt“ oder „Schule“, gefolgt von Subjekt, Objekt und Verb. So wird in der Gebärdensprache z.B. nicht gesagt: „Ich gehe heute zum Einkaufen“, sondern „Heute zum Einkaufen ich gehe.“ Fragewörter stehen immer am Ende, wobei das Fragezeichen durch die Mimik (z.B. Stellung der Augenbrauen, Kopfhaltung) ausgedrückt wird.

 

Mimik, Gestik, Kopf- und Körperhaltung

 

Neben der eigentlichen Gebärdensprache spielt auch das sogenannte „Gebärdensprachen-Alphabet" – oder einfacher das „Fingeralphabet“ – eine große Rolle. Man wendet es an, wenn man die passende Gebärde für ein bestimmtes Wort nicht kennt oder einen Eigennamen, ein Fremdwort oder einen anderen unbekannten Begriff buchstabieren will. Jeder Buchstabe wird mit einer bestimmten Haltung der Hand dargestellt (s. Abbildung).

 

 

 

Auch Zahlen werden mit bestimmten Handhaltungen dargestellt, hier als Beispiel die Zahlen 1 bis 10.

 

 

Quelle: https://www.geo.de/geolino/mensch/1854-rtkl-gebaerden-wie-gebaerdensprache-funktioniert

 

Wie Gehörlose Musik hören

 

Gebärdensprache ist auch hervorragend dazu geeignet, Kommunikation auf vielfachen Ebenen zu ermöglichen. Das beweist eindrücklich die Gebärdendolmetscherin Laura M. Schwengber, die in ihrem Berufsalltag auf Konferenzen und im Bundestag übersetzt, aber als „Musik-Gebärdendolmetscherin“ zu einer gewissen Berühmtheit gelangt ist. In vielen Medien wurde die junge Frau bereits porträtiert. Unter anderem beschrieb der „Tagesspiegel“*, wie sie auf der Bühne eines Clubs zusammen mit einer Band Livemusik auch für Gehörlose hörbar macht – mit „filigranen Regungen ihrer Hände“, die „zu schweben, aufzusteigen in Richtung Decke“ scheinen. Sie gestikuliert nicht nur im Einklang mit der Musik, sondern bewegt den ganzen Körper, lässt die Füße im Takt stampfen, während sie mit ihrer Gebärdensprache neben der Musik auch den Text der Songs vermittelt. „Sie verkörpert jede Textzeile, unterstreicht jeden Akkord mit Inbrunst“, schreibt der „Tagesspiegel“. Und damit nicht genug: Auch die erste gehörlose Rapperin wird in dem Zeitungsbericht vorgestellt, Kathrin Wolke, die bei Liveauftritten in Gebärdensprache rappt und ihre Texte in Lautsprache übersetzen lässt. So gelingt es ihr, eine Brücke zu bauen von den Gehörlosen zu den Hörenden. „Warum sollen wir in zwei Welten leben, wenn uns die Leidenschaft für die Musik vereint?“, so wird Kathrin Wolke im Zeitungsbericht zitiert.

 

Gebärdensprache lernen

 

Wer die Gebärdensprache erlernen will, dem bieten sich dazu zahlreiche Möglichkeiten, etwa an Volkshochschulen oder speziellen Sprachschulen. Ein Blick ins Internet genügt; so nennt etwa der deutsche Gehörlosen-Bund auf seiner Webseite zahlreiche Anbieter. Auch die Landesdolmetscherzentrale für Gebärdensprache (LDZ) bietet umfassende Informationen an.** Hier gibt es zahlreiche Tipps zum Erlernen der Gebärdensprache und zum Kennenlernen der lautlosen Welt. Sprachkurse mit gehörlosen Dozenten werden hier besonders empfohlen, da dadurch der wichtige direkte Kontakt zwischen Hörenden und Gehörlosen entsteht. Durch ihn lernen die Hörenden nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur der Gehörlosen besser kennen. Auch Besuche von Gehörlosenvereinen oder Gebärdensprachen-Stammtischen sowie spezielle Videos werden allen, die diese Sprache lernen und in diese besondere Welt eintreten wollen, ans Herz gelegt. Natürlich kann man die Gebärdensprache auch online lernen, etwa unter dem Link https://gebaerdenlernen.de/. Sogar als Studienfach gibt es die Gebärdensprache, einige deutsche Universitäten bieten es an. Und eine Ausbildung zum Gebärdensprachen-Dolmetscher kann man ebenfalls in Deutschland absolvieren; Infos hierzu gibt es auf der Webseite der deutschen Gebärdensprachendolmetscher http://dgsd.de/

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Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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