Fleischliche Fakten: Wahrheiten über "ein Stück Lebenskraft"
Sojawurst, Veggie-Burger, vegetarische und vegane Restaurants und Imbissbuden, die wie Pilze aus dem Boden schießen – man könnte meinen, dass ein Großteil der Menschen das fleischlose Glück entdeckt hat. Stimmt aber nicht: Auch wenn der Verzicht auf Fleisch oder jegliche tierische Nahrungsmittel tatsächlich einen Trend darstellt, ist dennoch für die meisten Deutschen immer noch nur Fleisch „ein Stück Lebenskraft“: Neuesten Erkenntnissen zufolge kommt bei rund 90 Prozent der Deutschen tatsächlich jeden Tag Fleisch oder Wurst auf den Teller. Weltweit ist der Fleischkonsum seit dem Jahr 1961 in nur 50 Jahren von 70 Millionen Tonnen auf rund 283 Millionen Tonnen jährlich angestiegen. Das heißt: Jeder von uns isst rund 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr. Auf ganze Tiere umgerechnet, bedeutet das: Jeder Mensch verputzt im Laufe seines Lebens sieben Rinder, 22 Schweine und 600 Hühner. Dieser hohe Fleischkonsum liegt Ernährungs- und Umweltexperten, Medizinern und Tierschützern schwer im Magen – und auch die Verbraucher selbst müssten es eigentlich längst besser wissen. Denn so viel Fleisch zu essen schadet bekanntlich der Gesundheit. Und davon mal abgesehen, dürften wir alle inzwischen davon gehört haben, dass die Massentierhaltung weltweit zu Umweltzerstörung und massenhaftem Tierleid führt. Doch vor allem Liebhabern von billigem und täglichem Fleisch scheinen diese Folgen wurst zu sein.
Wie gesund ist Fleisch wirklich?
Grundlegend besteht jedenfalls heute kein Zweifel mehr daran, dass Fleisch allenfalls in Maßen gegessen werden sollte. Im Hinblick auf die Gesundheit empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), dass ein Erwachsener pro Woche 300 bis maximal 600 Gramm Fleisch und Wurst essen sollte, also höchstens die Hälfte dessen, was tatsächlich in den menschlichen Bäuchen verschwindet. Fleisch – zumindest Qualitätsfleisch guter Herkunft – liefert viele Nährstoffe, die vom Körper gut aufgenommen und verwertet werden können. In jeder Fleischsorte stecken viel hochwertiges Eiweiß und reichlich blutbildendes Eisen, dazu wichtige B-Vitamine für Zellwachstum, Gehirntätigkeit und Energiespeicherung sowie für eine gesunde Funktion des Nervensystems. Auch ist Fleisch insgesamt viel fettärmer als früher. Das liegt daran, dass heute von vornherein mehr Fett weggeschnitten wird. Dazu werden auch immer jüngere Tiere geschlachtet, und nicht zuletzt sorgen auch die neuen Futtermittel dafür, dass das Fleisch generell magerer ist als in früheren Zeiten. Die Kehrseite der Medaille: Wer täglich mehr als 100 g fettes Fleisch und Wurst isst, nimmt zu viel herzschädigendes Cholesterin und gesättigte Fettsäuren sowie zu viele Purine auf. Purine sind Eiweißbegleitstoffe, die im Körper zu Harnsäure abgebaut und normalerweise über den Urin ausgeschieden werden. Bei Personen aber, die einen gestörten Harnsäure-Stoffwechsel haben, kann eine purinreiche Ernährung zu einem erhöhten Harnsäurespiegel und damit zu Gichtanfällen führen.
Rot oder weiß: Die Farbe des Fleisches macht den Unterschied
Wer figurbewusst is(s)t und es am liebsten mager mag, der wird eher zu weißem Fleisch, also zu Geflügel greifen – von der fetten Gans oder Ente mal abgesehen. Rotes Fleisch, das von Schwein, Rind bzw. Kalb, Kaninchen, Lamm, Ziege und Pferd stammt, enthält in aller Regel mehr Fett und gilt insgesamt als ungesünder. Tatsächlich kommen mehrere internationale, große und seriöse Studien zu dem Schluss, dass rotes Fleisch und Fleischwaren mit hoher Wahrscheinlichkeit eine bedeutende Rolle bei der Entstehung von Krebs und von Herz-Kreislauf-Erkrankungen spielen. Die aktuelle Krebsforschung berichtet, dass mehr als 800 medizinische Großstudien Zusammenhänge zwischen dem Verzehr von rotem Fleisch und Krebsarten wie Darm-, Bauchspeicheldrüsen- und Prostatakrebs aufgedeckt hätten. Natürlich spielt dabei die Menge des Verzehrs eine große Rolle: Hochwertiges rotes Fleisch, in Maßen genossen, wirkt sich sicherlich nicht derart dramatisch auf die Gesundheit aus. Doch der schlechtere Ruf des roten gegenüber des weißen Fleisches bleibt, zumal entsprechende Untersuchungen bislang ergeben, dass helles Fleisch das Risiko für Dickdarmkrebs und Herz- und Gefäßkrankheiten offenbar nicht erhöht. In der Einschätzung von Ernährungsexperten und in der Gesundheitsforschung gilt Geflügelfleisch als fettärmer und bekömmlicher – aber nur unter der Bedingung, dass Herkunft und Qualität in Ordnung sind. Supermarkt-Hähnchen aus der Kühltruhe oder Grillhendl von der Imbissbude bringen´s sicherlich nicht. Und auch wer am liebsten Salat mit Puten- oder Hähnchenbruststreifen isst, sollte es nicht übertreiben: Der Expertenrat, generell nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche/pro Person zu essen, gilt auch fürs helle Fleisch. Derzeit liegt der Pro-Kopf-Verbrauch an Geflügelfleisch schon bei etwa 20 Kilogramm pro Jahr – Tendenz steigend. Vor allem wenn es aus artgerechter Bio-Haltung stammt, keine Medikamenten-Rückstände enthält und – ein Muss aus hygienischen Gründen – vollkommen durchgegart wurde, ist helles Fleisch auf jeden Fall ein gesundes Nahrungsmittel. Es enthält nur wenig Fett, dafür aber reichlich Proteine. Deshalb soll das Fleisch vom Federvieh auch sehr gut beim Abnehmen helfen und die Figur formen, denn durch seinen hohen Eiweiß-Gehalt von rund 24 Gramm Eiweiß pro 100 Gramm kann es einen guten Beitrag dazu leisten, unerwünschtes Fett in Muskeln umzuwandeln.
Billig und gut: beim Fleisch praktisch ausgeschlossen
So billig Fleisch bei uns auch zu haben ist – Qualitätsfleisch kann man für kleines Geld nicht erwarten. Die vielen Fleischskandale der vergangenen Jahrzehnte sprechen für sich. Auch billige Ware soll Profit bringen – da werden gerne mal Schlachtabfälle zu „Qualitätsfleisch“ verwurstet und die Tiere meist unter besonders qualvollen Bedingungen gehalten. Andere schwarze Schafe der Fleischindustrie spritzen minderwertiges Fleisch mit Wasser auf, um ihm mehr Gewicht zu geben. Und auch davor, gammelige Produkte noch einmal in den Verkauf zu geben, schrecken viele nicht zurück. Von einem enthält billiges Fleisch besonders viel: Tierleid. Und das wiederum lässt nicht nur das Gewissen vieler Fleischesser leiden, sondern mindert auch die Fleischqualität. Denn wenn Tiere vor und während ihrer Schlachtung Angst haben und unnötige Qualen durchstehen müssen, wirkt sich das natürlich auch auf ihr Fleisch aus.
Stresshormone auf dem Teller
Schon beim Transport zum Schlachthof stehen die Tiere oft tage- und nächtelang dicht aneinandergepresst im LKW – ohne Wasser und Futter. Mit elektronischen Treibestöcken werden sie aus dem Transporter ins Schlachthaus gejagt. Kurz vor der endgültigen Tötung betäubt man die Tiere meist mit Kohlendioxid, das allerdings erst nach ca. 15 Sekunden wirkt. Bis dahin geraten die Tiere in Panik und Atemnot; entsprechend hohe Konzentrationen der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin finden sich anschließend in den Tierkadavern. Ein weiteres Problem: Kohlendioxid betäubt nur dann zuverlässig, wenn die Konzentration hoch genug und die Verweildauer lang genug ist. Das ist aber gerade in der Massentierhaltung nicht immer der Fall: Zwar wird vor der Tötung kontrolliert, ob die Tiere tatsächlich betäubt sind, allerdings oft nur in Stichproben. Die Folge: Nicht wenige Tiere kommen bei Bewusstsein unters Schlachtermesser und leiden Höllenqualen, bis ihr Tod eintritt. Aktuelle Hochrechnungen besagen, dass knapp ein Prozent der Schweine bei der Schlachtung nicht ausreichend betäubt sein dürfte – das wären bei knapp 60 Millionen geschlachteten Schweinen in Deutschland mehr als eine halbe Million im Jahr. Und damit immer noch nicht genug: Für das Töten durch Ausbluten muss eine der großen Schlagadern angestochen werden. Weil buchstäblich am Fließband, und zwar an einem sehr schnellen, getötet wird, bleiben dem Schlachter pro Tier nur zwei Sekunden für den tödlichen Stich. Da kommt es immer wieder vor, dass er den Stich nicht gezielt genug ausführt, die Tiere den Stich überleben und innerlich verbluten. Auch hierbei schütten die gequälten Kreaturen wieder jede Menge Angst- und Stresshormone aus. Inwieweit diese tierischen Stresshormone tatsächlich im menschlichen Körper Unheil anrichten, darüber streiten die Experten noch. Mitgegessen werden sie in jedem Fall, und manch einem dürfte allein bei dieser Vorstellung schon ein wenig übel werden. Ganz klar festzuhalten und auch nachgewiesen ist: Hormonversetztes Fleisch schmeckt nicht gut und ist qualitativ minderwertig, was letztlich kaum gesund sein dürfte. Bezeichnend ist, dass es sogar fachliche Kürzel für Qualitätsmängel im Fleisch gibt: DFD und PSE. PSE steht für pale-soft-exsudative, das heißt, ein blasses, weiches Stück Fleisch, das bei der Zubereitung zusammenschrumpft und viel Saft verliert. Entsprechend trocken und wenig wohlschmeckend ist es dann. Das englische Kürzel DFD steht für dark-firm-dry, also dunkel, fest und trocken. Dieses Fleisch fühlt sich schmierig an, schmeckt fade und hat eine deutlich herabgesetzte Haltbarkeit. DFD-Fleisch wird übrigens verbreitet eingesetzt, vorzugsweise bei der Herstellung von billigen Wurstwaren wie Leberkäse oder Brühwurst. Wohl bekomm´s!
Mängelfreies Bio-Fleisch?
Kein Wunder, dass viele Menschen, wenn sie sich diese ekelhaften Fakten erst einmal bewusst gemacht haben, gerne auf teureres Bio-Fleisch ausweichen. Die höhere Qualität hat zwangsläufig ihren Preis, denn Bio-Schweine werden ganze acht Monate aufgezogen (fünf sind es beim konventionellen Schwein), und auch sonst ist Fleisch aus artgerechter Tierhaltung, bei der Aufzucht, Ernährung und auch am Ende die Schlachtung streng kontrolliert werden, nur mit großem Aufwand herzustellen. Ganz klar: Tiere aus Bio-Haltung haben in der Regel vor ihrem Tod ein weit besseres Leben als konventionelles Schlachtvieh. Doch was die Schlachtung angeht, lässt sich die Tierquälerei auch beim Biofleisch nicht immer ausschließen. Sofern das Fleisch nicht von einem selbst schlachtenden (Klein-)Betrieb kommt, enden auch Bio-Tiere in einem normalen Schlachthof. Damit dieser Bio-Tiere schlachten darf, braucht er gemäß der einfachen EU-Bio-Verordnung eine entsprechende Zertifizierung, die allerdings nur festlegt, dass Bio-Tiere in einem eigenen Arbeitsgang, getrennt von den Tieren aus konventioneller Haltung geschlachtet und verarbeitet werden müssen. Die ziemlich schwammige Vorschrift aus der EU-Bio-Verordnung, „ein Leiden der Tiere so gering wie möglich zu halten“, ist auch für konventionelles Schlachten festgeschrieben. Zumal sind die Kontrollen lückenhaft. Die Folge: Genau wie beim konventionellen kommt es auch beim Bio-Schlachten zu Missständen bei allen Schritten des Schlachtprozesses. Anders läuft die Tötung von Bio-Tieren nur bei kleinen Bio-Schlachtbetrieben oder selbst schlachtenden Landwirten, die ihr Fleisch meist nicht an Supermärkte und Großhändler, sondern eher an Bio-Läden liefern oder in den eigenen Hofläden verkaufen. Sie versuchen in jedem Stadium des Schlachtens, ggf. schon ab dem Transport, den Tieren Stress zu ersparen. Besonders streng wird darauf geachtet, dass kein Tier ohne Betäubung getötet wird. Wird ein Tier direkt dort, wo es gelebt hat, betäubt und getötet, also etwa direkt auf der Weide, empfindet es in der Regel im Vorfeld so gut wie keinen Stress. Fleisch, das unter solchen „sanften“ Bedingungen produziert wird, kostet zum Teil ein Vielfaches als günstiges Fleisch aus dem Supermarkt. Doch macht es einem den Genuss sicherlich leichter und das Gewissen reiner – sofern man sich nicht angesichts des Wissens um das Leiden zigtausender Tiere dann doch entscheidet, fortan vegetarisch zu leben.
Fleischlos gesund: geht auch!
Längst gilt es als ernährungswissenschaftlich erwiesen: Vegetarier müssen nicht befürchten, durch ihren Verzicht auf Fleisch einen Mangel an wichtigen Nährstoffen wie z.B. Eiweiß oder Eisen zu erleiden. Bei einer ausgewogenen vegetarischen Ernährung mit viel frischem Obst und Gemüse bekommt ein gesunder menschlicher Körper alles, was er braucht. Nach jetzigem Kenntnisstand ist abschließend zu sagen: Wer wenig rotes, dafür aber ausschließlich hochwertiges Fleisch und dazu reichlich Gemüse, Obst und Vollkornprodukte verzehrt, den wird sein Fleischkonsum sicher nicht reuen. Guten Appetit!
Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.