Freie Menstruation – die natürliche Art der Monatshygiene
Menstruation ganz ohne Tampons, Binden und Slip-Einlagen? Wie soll das denn gehen? Was für sehr viele Frauen geradezu unvorstellbar ist und für nicht wenige sogar eine ziemlich eklige Vorstellung sein dürfte, kommt jetzt als neuer Weiblichkeitstrend aus den USA zu uns über den großen Teich geschwappt: Das sogenannte „freie Menstruieren“, amerikanisch auch „free bleeding“ genannt. Dabei geht es mitnichten darum, das Regelblut „einfach laufen zu lassen“, sich womöglich blutverschmiert in der Öffentlichkeit zu bewegen oder Stunden auf der Toilette verbringen zu müssen. Vielmehr ist die freie Menstruation eine Methode, ohne Binden, Tampons und Co. frisch und sauber durch die Menstruation zu kommen. Denn die Regelblutung läuft nicht pausenlos. Frauen können mit ein wenig Übung ihren Körper so genau kennen lernen, dass sie schließlich spüren, wann sich im Inneren des Körpers wieder so viel Blut angesammelt hat, dass es in Kürze aus dem Körper herauslaufen wird. So können sie dann rechtzeitig die Toilette aufsuchen und das Blut herauslaufen lassen. Die Befürworterinnen sind überzeugt, dass das freie Menstruieren letztlich die natürlichste und auch die sauberste, hygienischste und gesündeste Lösung für Menstruierende Frauen ist.
Was steckt hinter diesem "Trend"?
In die Öffentlichkeit gebracht hat das Thema die aktuelle amerikanische Frauenbewegung. Die US-Feministinnen wollen vor allem, dass die weibliche Menstruation kein Tabu mehr darstellt, sondern öffentlich diskutiert wird. Und sie wehren sich dagegen, dass Frauen, wie sie finden, jahrzehntelang mehr oder weniger abhängig von der Hygieneartikel-Industrie gehalten werden, nur um die Monatsblutung so „diskret“ wie möglich zu handhaben – so, wie es in der Öffentlichkeit propagiert wird. Nicht zuletzt machen die Feministinnen darauf aufmerksam, dass der jahrzehntelange Gebrauch von Tampons und Binden auch schädliche Folgen für die Gesundheit haben kann. Mittlerweile wird der „Trend“ in Frauenforen und Blogs im Internet und auch in Frauenzeitschriften beschrieben und heiß diskutiert. Regelrecht Furore machte die amerikanische Langstreckenläuferin Kiran Gandhi, die den gesamten London Marathon während ihrer Menstruation zurücklegte. Das Blut lief ihr dabei die ganze Zeit unübersehbar an den Beinen herab. Sie setzte damit ein überdeutliches Zeichen gegen die Gesellschaft, der sie vorwirft, die Menstruation der Frau immer noch als „eklig“ und „unrein“ zu stigmatisieren. Frauen würden dazu angehalten, ihre Blutung zu verstecken und zu verleugnen. „Ich lief mit Blut an meinen Beinen für die Schwestern, die keinen Zugang zu Tampons haben, und für die Schwestern, die ihre Periode trotz Krämpfen und Schmerzen verstecken und so tun, als gäbe es sie nicht. Ich lief, um zu sagen: Sie existiert und wir leben jeden Tag damit“, schrieb die kämpferische Kiran Gandhi auf ihrer Webseite. Und sorgte damit für reichlich Diskussionsstoff. „Ist die Frau irre?“, fragten die einen. „Eine echte Feministin!“, schwärmten die anderen. Ganz klar: „Free bleeding“ polarisiert.
Keine Modeerscheinung: „Free bleeding“ ist alles andere als neu
Auch wenn es schon seit der Antike Hilfsmittel zum Auffangen des Regelblutes gibt, war dennoch das freie Ablassen des Menstruationsblutes vor Jahrhunderten noch gängig und weit verbreitet. Zudem galt dies als gesundheitsfördernd. Aus dem Mittelalter ist bekannt, dass es generell nicht üblich war, Unterwäsche zu tragen, somit wurde auch das Menstruationsblut ungehindert abgelassen. Auch die Frauen, die in früheren Zeiten Feldarbeit verrichteten, verfuhren in aller Regel so. In Vergessenheit geriet diese Praxis erst ab dem Beginn der Industrialisierung, als die Frauen begannen, in den Fabriken zu arbeiten und sich mehr und mehr den Arbeitsbedingungen anpassen mussten. Mit der Verbreitung der Binden und später dann der Tampons war das freie Menstruieren nicht nur aus dem Alltag weitgehend verschwunden, sondern den meisten Frauen auch als Möglichkeit gar nicht mehr präsent. Nur ursprüngliche, indigene Völker praktizieren diese Methode bis heute – und verstehen und zelebrieren die Menstruation der Frau als regelmäßige heilsame Reinigung des Körpers.
Und wie funktioniert es?
Viele Frauen wissen gar nicht, dass das Blut während der Menstruation nicht ständig, sondern in Intervallen fließt – und somit kontrollierbar ist. In einem kleinen Hohlraum über dem Muttermund sammelt sich immer wieder Menstruationsblut an. Ist eine gewisse Menge erreicht, spürt die Frau das für die Menstruation typische, krampfartige Ziehen im Bauch, weil der Druck durch das angestaute Blut stärker wird. Damit ist der richtige Moment gekommen, eine Toilette aufzusuchen, um das Blut ablaufen zu lassen. Bis frau das Ganze im Griff hat, braucht es natürlich Übung und einige „Testmonate“ Zeit, bis die Vorgänge während der Menstruation sicher erkannt und eingeschätzt werden. Die meisten „Anfängerinnen“ sind besonders am Arbeitsplatz zunächst noch unsicher und wollen gerade hier kein „Auslaufen“ riskieren. In diesem Fällen kann es sinnvoll sein, die ersten Versuche in die Urlaubszeit zu verlegen. Am besten ist es, während der Testphase zur Sicherheit noch eine Binde zu verwenden und regelmäßig – möglichst stündlich – zur Toilette zu gehen, um sehen zu können, wie oft das Blut aus dem Körper herausläuft. Auf der Toilette sitzend, sollte die Frau dann versuchen, bewusst in ihren Bauch hinein zu spüren. Kennerinnen empfehlen, wie beim Wasserlassen abwechselnd eine An- und Entspannung des Unterleibes herbeizuführen. Frauen, die mit Beckenbodengymnastik vertraut sind, sind hier im Vorteil. Durch leichtes Schieben oder Pressen kann das Abfließen des Blutes zusätzlich unterstützt werden. Für den ganzen Vorgang sollte man sich einige Minuten Zeit nehmen, denn nur so kann sichergestellt werden, dass die gesamte Flüssigkeit ablaufen kann. Anschließend kommt dann meist eine ganze Weile kein Blut mehr. Durch das regelmäßige Üben auf der Toilette bekommen Frauen dann nach und nach ein immer besseres Gefühl für den Rhythmus des eigenen Körpers. Viele Frauen entwickeln ein ganz intuitives Gespür dafür, wann der nächste „Schwall“ kommt und wie er sich äußert: manchmal durch ein langsames, fließendes Gefühl, manchmal durch ein mehr oder weniger starkes Drücken oder Krampfen. Irgendwann wissen sie dann jedes Mal ganz genau, wann es wieder Zeit ist, zur Toilette zu gehen. Sehr geübte Frauen können einen Blutabfluss auch einige Zeit bewusst zurückhalten und damit den Zeitpunkt des nächsten Toilettengangs selbst bestimmen. Das kann ein großer Vorteil sein, z.B. im Job, etwa wenn ein längeres wichtiges Meeting ansteht. Auch nachts ist es übrigens nicht zwingend notwendig, Binden oder Tampons zu verwenden. Für die meisten Frauen reicht es aus, vor dem Schlafengehen noch einmal zur Toilette zu gehen. Im Liegen fließt ohnehin viel weniger Blut als während der aktiven Zeit tagsüber. Das Blut sammelt sich während des Schlafes vor dem Muttermund und fließt dann beim ersten Toilettengang nach dem Aufstehen ganz natürlich ab. Egal, ob eine Frau sich letztlich für oder gegen diese Methode entscheidet: Ein Selbstversuch im freien Menstruieren ist schon deshalb empfehlenswert, weil sie die Achtsamkeit für den eigenen Körper deutlich steigert. Und das trägt bekanntermaßen viel zum Wohlbefinden bei - und ist wichtig, um gesundheitliche Störungen gut erspüren zu können.
Free Bleeding: Die Vorteile sind nicht zu unterschätzen
Die meisten konventionellen Tampons und Binden enthalten schädliche Stoffe wie Bleichmittel, Dioxine, Pestizide und andere bedenkliche Stoffe. Diese gelangen über den unmittelbaren Kontakt mit den Schleimhäuten ins Körperinnere der Frau – mit zum Teil noch nicht einschätzbaren Folgen. Zudem bieten Tampons im Inneren des Körpers grundsätzlich auch einen Nährboden für Keime. Und Binden können, wenn man sie nicht häufig genug wechselt, eine ziemlich unappetitliche Angelegenheit sein. Tampons und auch Binden können außerdem Schmerzen verursachen, weil bei ihrer Verwendung den Schleimhäuten ein großer Teil der natürlichen Feuchtigkeit entzogen wird. So entsteht eine zu große Trockenheit im Scheidenmilieu, die schmerzhafte Folgen haben kann. Was Tampons angeht, so erzeugen diese außerdem eine Stauung des Blutes, bei der ein freies Abfließen verhindert wird und ebenfalls zu Schmerzen führen kann. Natürlich spart der – zumindest weitgehende – Verzicht auf die Artikel zur Monatshygiene auch jede Menge Geld, schont entschieden die Umwelt durch weniger Müll und ist zudem praktischer, da die Frau während ihrer Periode nicht mehr ständig daran denken muss, genügend Tampons und/oder Binden mitzunehmen. Viele Frauen berichten, dass sie durch das gezielte und natürliche Ablassen des Blutes insgesamt weniger Menstruationsschmerzen haben. Das liegt wahrscheinlich daran, dass meist kein größerer Blutstau entsteht, der immer mehr auf den Muttermund drückt und damit normalerweise die schmerzhaften Unterleibskrämpfe herbeiführt. Wird dieser Stau regelmäßig abgelassen, entsteht folglich auch kein Druck, der zu Krämpfen führen kann.
Welche Probleme können beim freien Menstruieren auftreten?
Im Grunde gibt es bei dieser natürlichen Praktik keine ernsthaften Probleme. Doch ist jede Frau verschieden – für manche wird das freie Menstruieren kaum in Frage kommen, z.B. weil sie ihre Unsicherheit auch nach längerem Üben nicht verlieren oder weil es ihnen trotz allem zu kompliziert erscheint. Auch Frauen, die sehr stark bluten, entscheiden sich vielleicht eher gegen diese Methode. Zudem wird es immer Tage oder ganze Zyklen geben, wo es mit der freien Methode einfach nicht klappt, etwa weil die Frau zu viel zu tun hat oder die Blutung ungewöhnlich stark ist.
Ja oder nein zum freien Menstruieren?
Wie so oft, ist auch diese Entscheidung eine ganz individuelle. Jede Frau muss für sich herausfinden, ob diese Methode für sie in Frage kommt, ob sie zur allgemeinen Haltung dem eigenen Körper gegenüber und zur Lebenssituation passt. Man muss ja nicht gleich ohne Tampon den Londoner Marathon laufen wie Kiran Gandhi im August 2015. Und allzu dogmatisch sollte keine Frau an diese Methode der Monatshygiene herangehen. Schließlich bedeutet sie nicht, dass strikt auf Binden, Tampons und andere Hilfsmittel verzichtet werden muss. Viele kombinieren das freie Menstruieren mit der Anwendung von Stoffbinden, Naturschwämmchen oder Menstruationstassen, manche sichern sich ganz einfach mit herkömmlichen Binden und Tampons zusätzlich ab. Doch eines steht wohl fest: Jede Frau, die sich während ihrer Tage ohne Hygieneartikel besser fühlt, sollte frei menstruieren können, ohne sich dafür zu schämen. Und dass die öffentliche Diskussion um die freie Menstruation dafür sorgt, dass ein weiteres Tabu rund um den weiblichen Körper fällt, ist zweifellos ein weiterer Vorteil!
Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.