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Heilpraktiker: ein Berufsstand, der polarisiert

Kommentar schreiben Aktualisiert am 08. September 2021

Für die einen sind sie die „Heilsbringer“ schlechthin und die einzigen, die wirklich helfen. Für andere wiederum sind sie nichts weniger als gefährliche Scharlatane: Heilpraktiker. So sehr sie auch polarisieren, so umstritten sie auch sind – in Deutschland erfahren diese alternativen Therapeuten regen Zulauf. Nach Angaben des Bundes deutscher Heilpraktiker (BDH), einem von mehreren Berufsverbänden, praktizieren in Deutschland derzeit etwa 47.000 Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker1. Wie eine Umfrage des BDH von 2017 ergab, behandeln diese jährlich rund 46 Millionen Patienten, also mehr als 128.000 Personen pro Tag2. Schauen wir uns also diesen viel beschäftigten Berufsstand einmal genauer an. Wie arbeiten Heilpraktiker, was unterscheidet sie von Ärzten – und warum sind sie eigentlich so umstritten?

 

 

Was ist das eigentlich, ein Heilpraktiker?

Ein Heilpraktiker ist kein Arzt, sondern ein Therapeut, der die Prüfung zum Heilpraktiker abgelegt hat und alternative Heilmethoden anwendet. Er steht er in der Tradition unzähliger nicht-ärztlicher Heilkundiger, die es schon zu Anbeginn der Menschheit und über alle Zeiten hinweg gegeben hat.

Früher waren das vor allem Frauen und Männer mit ungewöhnlichen Fähigkeiten und einem tiefen Wissen um die Heilkraft der Natur; sie konnten oft Menschen heilen, die bei „normalen“ Ärzten keine Hilfe bekamen. Auch heute noch gibt es sicherlich solche besonderen Menschen, und gerade unter Heilpraktikern dürften sich einige von ihnen befinden.

 

Warum gehen so viele Menschen lieber zum Heilpraktiker als zum Schulmediziner?

Heilpraktiker arbeiten mit unterschiedlichen naturheilkundlichen Methoden und wenden alternative medizinische Therapien an. Damit liegen sie offenbar im Trend der modernen Zeit: Vielen Menschen mit behandlungsbedürftigen Erkrankungen reicht die Schulmedizin nicht mehr aus; sie wünschen sich eine sanfte und nebenwirkungsarme, am Menschen und der Natur orientierte Medizin – sei es als Alternative zu oder als Ergänzung der schulmedizinischen Methoden.

Patienten geben vielfach an, sie fühlten sich beim Heilpraktiker besser aufgehoben und verstanden als beim „normalen“ Arzt – das liegt sicher vor allem daran, dass der alternative Therapeut sich meist deutlich länger Zeit für die Patienten nimmt, viel fragt und immer den ganzen Menschen sieht und nicht nur das isolierte Symptom. Nicht wenige Menschen haben negative Erfahrungen mit Schulmedizinern und ihren Methoden gemacht, sie fühlen sich dort nicht ausreichend wahr- und ernstgenommen. Vielleicht hat auch die Behandlung beim approbierten Arzt keine Besserung der Beschwerden erwirkt.

 

Die meisten Heilpraktiker arbeiten selbstständig

Die Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“ ist in Deutschland geschützt. Nur Menschen, die eine entsprechende Prüfung beim zuständigen Gesundheitsamt absolviert und bestanden haben, dürfen sich als Heilpraktiker bezeichnen.

Manche suchen sich nach bestandener Prüfung eine Anstellung, z. B. in einer Gemeinschaftspraxis, die meisten jedoch machen sich selbstständig und eröffnen eine eigene Praxis. Wer eine „Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung“ in der Tasche hat, darf als Heilpraktiker sofort und in eigener Verantwortung Patienten behandeln. Diese benötigen für den Besuch des Heilpraktikers auch keine Überweisung vom Hausarzt.

Heilpraktiker wenden keine schulmedizinischen, sondern meist natürliche Methoden an, die – richtig angewendet – den Organismus in der Regel weniger belasten als Methoden und Medikamente von Schulmedizinern. Viele Behandlungen, die approbierte Ärzte durchführen dürfen, sind Heilpraktikern von vornherein verboten.

Seriöse Vertreter der Heilpraktiker-Zunft erkennen, wenn die Grenzen ihrer eigenen Heilkunst erreicht sind und ein Patient schulmedizinische Hilfe benötigt. Schwerer erkrankte Patienten, die auf alternative Medizin nicht verzichten mögen, erhalten vielfach eine kombinierte Therapie aus schulmedizinischen Methoden und der ergänzenden Behandlung eines Heilpraktikers.

 

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Alternative Medizin, ganzheitlicher Ansatz

Oft wenden Heilpraktiker traditionelle naturheilkundliche Therapien nach heutigem Wissensstand an, z. B. Akupunktur, TCM (traditionelle chinesische Medizin) oder Homöopathie, ggf. auch in Kombination miteinander. Ihre Grundüberzeugung ist dabei, dass jeder Mensch über eigene Selbstheilungskräfte verfügt, die mittels der Therapie angeregt und unterstützt werden.

Dabei sehen sie den Patienten immer als Einheit von Körper, Geist und Seele, die in Wechselwirkung zueinander stehen. Demnach zeigen sich Erkrankungen als Störungen im gesamten System; so wird ein Heilpraktiker in der Regel auch nach seelischen Konflikten fragen, wenn ein Patient mit scheinbar rein körperlichen Symptomen zu ihm kommt. 

Das Gespräch mit dem Patienten nimmt bei Heilpraktikern viel Raum ein. Vor allem im ausführlichen Erstgespräch, der Anamnese, machen sie sich ein möglichst genaues Bild über die gesamten Lebensverhältnisse des Patienten. Sie erkundigen sich nach Vor- und aktuellen Erkrankungen des Patienten und auch seiner Familienmitglieder, nach der beruflichen und familiären Situation, nach bestehenden Konflikten und dem allgemeinen körperlichen und seelischen Befinden.

Darauf aufbauend, entwickelt der Heilpraktiker gemeinsam mit dem Patienten ein ganzheitliches Behandlungskonzept. Wichtig dabei ist, dass die Patienten nach der Aufklärung über die Art der geplanten Therapie ihr Einverständnis dazu geben – wird dieses nicht festgehalten, gelten invasive Tätigkeiten wie z. B. Injektionen als Körperverletzung und sind dem Heilpraktiker verboten.

In der Behandlung kommen – je nach Angebot der Praxis – die unterschiedlichsten Therapieverfahren der Naturheilkunde zum Einsatz. Zu den verbreitetsten gehören neben Homöopathie und Akupunktur insbesondere Kinesiologie, Chiropraktik, Hypnose oder Schröpfen. Viele Heilpraktiker können spezifische Fortbildungen in mehreren Therapieformen vorweisen und verfügen über ein großes Behandlungsspektrum.

 

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Die rechtlichen Grundlagen

Die Berufsausübung von Heilpraktikern ist in zahlreichen einzelnen Gesetzen, Verordnungen und Gerichtsurteilen geregelt. Die wesentliche Grundlage für die Zulassung des Heilpraktikers als „nichtärztlicher Heilberuf“ ist das „Heilpraktikergesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung“ mit den eingeschlossenen Durchführungsverordnungen. Dieses Heilpraktikergesetz, kurz als HeilprG bezeichnet, wurde im Jahr 1939 erlassen und gilt weitgehend unverändert bis heute.

Als „Ausüben der Heilkunde“ wird darin „jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird“ definiert. Auch Einschränkungen und Verbote sind in diesem Gesetz geregelt. Die Durchführungsverordnungen legen weitere Bedingungen fest.

Unter anderem finden sich hier bestimmte Voraussetzungen zur Zulassung als Heilpraktiker, etwa dass die „sittliche Zuverlässigkeit“ (heute bedeutet das in der Regel „einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis“) sowie die ausreichende körperliche und geistige Gesundheit gegeben sind, mindestens ein Hauptschulabschluss vorhanden ist und das 25. Lebensjahr vollendet wurde.

 

Was darf ein Heilpraktiker, was darf er nicht?

Davon – und von weiteren rechtlichen Grundlagen wie z. B. dem Arzneimittelgesetz oder dem Infektionsschutzgesetz – abgesehen, ist ein Heilpraktiker grundsätzlich vollkommen frei in der Gestaltung seiner Therapie. „Therapiefreiheit“ bedeutet, dass er alles anwenden kann, was nicht per Gesetz oder Richtlinie bzw. Verordnung ausdrücklich verboten ist.

Neben den typischen naturheilkundlichen Verfahren sind ihnen auch Eingriffe in den Körper der Patienten erlaubt. So dürfen sie Injektionen und Infusionen geben, zur Ader lassen, offene Wunden behandeln, Eigenblutbehandlungen durchführen und sogar Krebs behandeln.

Ausdrücklich verboten ist Heilpraktikern u. a.

 

  • das Ausstellen von Rezepten für verschreibungspflichtige Medikamente und Betäubungsmittel,
  • das Ausstellen von Krankschreibungen und Verordnungen für Reha-Behandlungen,
  • die zahnmedizinische Behandlung,
  • Röntgen,
  • Geburtshilfe und Schwangerschaftsabbrüche,
  • die Behandlung von meldepflichtigen Infektionskrankheiten,
  • das Arbeiten mit und die Untersuchung auf Krankheitserreger,
  • die Durchführung von Bluttransfusionen,
  • das Ausstellen von Totenscheinen und anderer amtlicher Bescheinigungen.

 

Auch dürfen Heilpraktiker keine sogenannten „Heilungsversprechen“ geben oder mit einer nicht belegbaren therapeutischen Wirksamkeit werben.

 

Die Kosten der Behandlung

Was die Behandlungskosten angeht, ist absolute Transparenz angesagt. Da viele Behandlungen vom Patienten selbst gezahlt werden müssen, ist es umso wichtiger, dass der Heilpraktiker vorab über die Kosten Auskunft gibt. Grundlage für Gebühren ist – anders als bei Ärzten – ein rechtlich nicht bindendes Gebührenverzeichnis.

Eher selten werden die Kosten von gesetzlichen Krankenkassen erstattet. Auf Wunsch können gesetzlich Versicherte Zusatztarife abschließen, die sich allerdings nur lohnen, wenn der Heilpraktiker regelmäßig und häufig aufgesucht wird. Private Krankenkassen und Beihilfe sind insgesamt kulanter, sie zahlen jedoch auch nicht für alle Therapien. Im Zweifel sollte man die Kostenfrage vorab mit der Krankenkasse klären.

 

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Wie man einen guten Heilpraktiker findet

Aus der Fülle des Angebots den genau richtigen Heilpraktiker zu finden ist nicht einfach. Die erste Anlaufstelle ist vielfach einer der Fach- und Berufsverbände der Heilpraktiker, z. B. der „Verband deutscher Heilpraktiker“ (VDH) oder der „Bund deutscher Heilpraktiker“ (BDH). Hier lässt sich online gezielt nach Behandlern in der Nähe und deren Methoden suchen, auch telefonisch wird man dort beraten.

Ansonsten kann man sich auf den Internetseiten der in Frage kommenden Heilpraktiker umsehen und, den eigenen Beschwerden entsprechend, nach passenden Behandlungsschwerpunkten und Therapieformen suchen. Schon der Internetauftritt kann einen ersten menschlichen Eindruck vermitteln, der zu einem Besuch dieser Praxis führen kann. Daneben können auch Empfehlungen von nahestehenden Personen oder auch Apothekern hilfreich sein.

 

Gut vorbereitet zum ersten Besuch

Weiter entscheidend ist natürlich auch der Erstbesuch; hier sollten Patienten genau auf ihr Bauchgefühl achten. Daneben ist wichtig, dass folgende Fragen beantwortet werden:

 

  • Wie ist der Heilpraktiker ausgebildet und wie viel Berufserfahrung hat er bereits?
  • Nimmt er sich viel Zeit für Sie und beantwortet gerne alle Ihre Fragen?
  • Fragt er in der Anamnese nach der gesamten Lebenssituation, nach Ihren Erkrankungen und denen Ihrer Familienmitglieder, Ihrer emotionalen und körperlichen Verfassung, psychischen Konflikten usw.?
  • Beachtet er ausreichend Ihre bisherigen Befunde/Diagnosen, die Sie evtl. von Schulmedizinern mitgebracht haben?
  • Bezieht er Sie in seine Diagnose mit ein und erklärt Ihnen alles genau?
  • Klärt er Sie umfassend und verständlich über die geplante Therapie auf?
  • Akzeptiert er es ohne weiteres, wenn Sie eine vorgeschlagene Behandlung ablehnen und sucht mit Ihnen nach Alternativen?
  • Informiert er Sie über sämtliche zu erwartenden Kosten?
  • Lässt er auch Grenzen seiner Behandlung und die Schulmedizin gelten?
  • Wirkt er insgesamt vertrauenswürdig und offen auf Sie?

 

Im Idealfall können Sie nach dem ersten Besuch alle diese Fragen mit „Ja“ beantworten – dann ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie „den Richtigen“ gefunden haben, dem Sie sich öffnen und sich und Ihre Gesundheit anvertrauen können.

 

Kritik vor allem an der Ausbildung

Der gesamte Berufsstand der Heilpraktiker steht immer wieder unter teils massivem Beschuss, vor allem seitens der Schulmedizin. Das liegt unter anderem daran, dass es – wie in vielen anderen Berufen auch – viele schwarze Schafe unter den Heilpraktikern gibt, die natürlich auch dem Ansehen von seriös und erfolgreich arbeitenden Kollegen massiv schaden. Vor allem im Internet, aber auch im Kontakt mit Patienten werden vielfach Therapieangebote gemacht, die hochgradig unseriös und zum Teil lebensgefährlich sind.

Schwer erkrankte Menschen fallen auf unrealistische Heilsversprechen und dubiose Methoden herein. Wie gefährlich das werden kann, hat zuletzt vor einigen Jahren ein tragischer Fall gezeigt, der sich in Nordrhein-Westfalen ereignete. Ein Heilpraktiker hatte drei Krebspatienten mit alternativen Methoden und offenbar auch mit einem nicht zugelassenen Medikament behandelt, die Patienten waren danach gestorben.

Wegen fahrlässiger Tötung wurde der Behandler zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Zwar konnte nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass es tatsächlich die angewendete Therapie war, die zum Tod der Patienten führte. Doch der anschließende Sturm der Kritik – nicht nur am verurteilten Heilpraktiker, sondern am gesamten Berufsstand – zeigte deutlich, wie sehr Teile der Bevölkerung und der Schulärzteschaft der Heilpraktiker-Zunft misstrauen.

 

Heilpraktiker abschaffen?

Manche Schulmediziner sprechen Heilpraktikerpraxen sogar jegliche Berechtigung ab. Entsprechend äußerte sich der Vizepräsi¬dent der Bayerischen Landesärztekammer, Andreas Botzlar, im Jahr 2020 gegenüber dem „Ärzteblatt“3. „Wenn man es genau nimmt, gibt es für Heilpraktiker keine wirkliche Existenzberechtigung“, so Botzlar. Es sei „nicht zeitgemäß“, dass Heilpraktiker Patienten auf vielerlei Weise behandeln könnten, ohne dass sie eine geregelte Ausbildung absolvieren müssten.

Und genau damit ist der Kern der Kritik am Heilpraktikerberuf getroffen. Denn den meisten Kritikern geht es gar nicht einmal darum, alle Heilpraktiker in Bausch und Bogen zu verurteilen. Sie bemängeln vielmehr, dass die Ausbildung bis heute nicht in zufriedenstellender Weise geregelt ist. Deshalb halten vor allem Ärzte eine Ausbildungsreform und das entsprechende Handeln der Politik für überfällig.

Denn die Voraussetzungen zur Ausübung des Heilpraktikerberufs sind, wie bereits beschrieben, letztlich ziemlich einfach zu erfüllen. Das über 80 Jahre alte, aus der Zeit des Nationalsozialismus stammende Heilpraktikergesetz sehen Kritiker, allen voran Mediziner und Patientenverbände, als längst überholt und völlig unzureichend an.

 

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Die Heilpraktikerprüfung – ein Witz?

Dazu wird bemängelt, dass der angehende Heilpraktiker zwar die Prüfung beim Gesundheitsamt bestehen, vorher aber nicht unbedingt ein (seriöses) Ausbildungsinstitut besuchen müsse. Tatsächlich kann man zur Prüfung auch nach vorhergehendem Selbststudium zugelassen werden.

Die Prüfung selbst ist nach Meinung der Kritiker ebenfalls unzureichend, um die Qualifikation des Prüflings festzustellen. Sie beinhaltet einen schriftlichen Teil mit 60 Multiple-Choice-Fragen, von denen nicht wenige falsch beantwortet werden dürfen – schon bei 45 richtigen Antworten hat man bestanden. Der mündliche Teil wird von einem amtlich bestellten Arzt abgenommen, der lediglich medizinische Fragen stellt, Kenntnisse über Naturheilkunde überprüft er nicht.

Laut derzeit geltenden Leitlinien zielt die Prüfung im Wesentlichen darauf ab, festzustellen, ob von den Prüflingen eine „Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung im Allgemeinen oder der Patientinnen und Patienten im Besonderen ausgehen kann“. Ist die Prüfung bestanden, kann der frischgebackene Heilpraktiker sofort loslegen, z. B. darf er Spritzen verabreichen, ohne dies vorher geübt zu haben.

Zum Vergleich: Personal in der Kranken- und Altenpflege sind verpflichtet, entsprechende Schulungen zu absolvieren, bevor sie Patienten Injektionen geben dürfen.

 

Grundlegende Reformen gefordert

Vor diesem Hintergrund wird seit vielen Jahren eine gesetzlich geregelte, staatlich festgeschriebene Ausbildung gefordert – so wie es beim Medizinstudium der Fall ist. Auch die Berufsordnung für Heilpraktiker wird kritisch gesehen – denn diese lege zwar Einschränkungen und Vorgaben fest, der Heilpraktiker muss sich aber nur daran halten, wenn er Mitglied in einem der Berufsverbände ist.

Ein weiteres Manko sehen die Kritiker auch in der unübersichtlichen Vielfalt der Heilpraktikerschulen. Einige bieten eine nicht einmal einjährige, andere wiederum eine sehr umfassende dreijährige Ausbildung an. Was wieder zu den fehlenden übergeordneten Regelungen führt, denn Lehrpläne oder bestimmte Ausbildungsinhalte, etwa zur Naturheilkunde, sind nicht allgemein vom Gesetzgeber vorgeschrieben, sondern von jeder Schule frei gestaltbar.

In einem Ratgeber des Norddeutschen Rundfunks sagt Tanja Wolf, Gesundheitsreferentin bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen4: „Wenn man Glück hat, dann war es ein gutes Institut, was der Heilpraktiker besucht hat, aber das ist überhaupt nicht geregelt, und da sollte es klare Vorgaben geben.“

 

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„Zwei medizinische Parallelwelten“

Natalie Grams-Nobmann, Medizinerin und ehemalige Homöopathin, schreibt in ihrer Kolumne im Wissenschaftsportal spektrum.de5, mit den ungeklärten Vorgaben zu Ausbildung und Berufsausübung habe man „eine Schimäre (...), nach der es zwei medizinische Parallelwelten geben könne, in denen die Befugnisse nahe beieinanderliegen, die Anforderungen an die ‚Ausübenden der Heilkunde‘ (lt. Gesetz Ärzte und Heilpraktiker, d. Red.) sich aber grundlegend unterscheiden. (...) Allerdings darf man, finde ich, nicht mehrere Welten mit gleichen Anforderungen etablieren, in denen dann unterschiedliche Regeln gelten.“

Genau das geschehe aber, so Grams-Nobmann: „Die Befugnisse der Heilpraktiker sind gegenüber denen von Ärzten nur in wenigen Bereichen eingeschränkt (...). Ihnen sind auch invasive Eingriffe nicht verboten (...). Sie sind nicht an die ‚Regeln ärztlicher Kunst‘ gebunden, die für Ärzte einen ziemlich klaren Handlungsrahmen darstellen. Institutionen einer wirksamen Selbstverwaltung wie die Ärztekammern kennt das Heilpraktikerwesen nicht, ihre Berufsverbände – es gibt mehrere – können nichts bindend regeln oder vorschreiben, es gibt auch keine verpflichtende Berufsordnung.“

Deshalb appelliert auch die ehemalige Homöopathin dringend an den Gesetzgeber, tätig zu werden – nicht etwa, indem dieser alle Heilpraktiker abschaffe, sondern in dem man Heilpraktiker dazu befähige, „das verantwortlich zu tun, was sie zu tun beabsichtigen, was aber eine solide geregelte medizinische Ausbildung voraussetzt.“ Umgekehrt könne man sie auch „auf das beschränken, was vernünftigerweise von ihnen erwartet werden kann. Dazu sollte man in ihrem Bereich Diagnostik und invasive Maßnahmen ausschließen.“

Und das würden, so die Kritikerin abschließend, „auch die vielen empathischen und wohlmeinenden, oft aus anderen medizinischen Berufen stammenden Heilpraktiker nicht missverstehen.“

 

„Gute Heilpraktiker kennen ihre Grenzen“

Auf den Punkt bringt es Stefan Willich, Direktor des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Berliner Charité und Gründungspräsident der Europäischen Gesellschaft für integrative Medizin, in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“6: „Ich glaube, dass es viele Heilpraktiker gibt, die sehr gute und wichtige Arbeit leisten, basierend auf einer fundierten Ausbildung.

Allerdings bislang nur auf ihre eigene Initiative. Gute Heilpraktiker kennen ihre Grenzen und wissen, wann es an der Zeit ist, ärztliche Spezialisten einzubeziehen. Aber ohne qualitätsgesicherte Ausbildungsprogramme mit einem entsprechenden Zertifikat stehe ich vor dem Praxisschild und kann daraus wenig ablesen.“

 

Fazit:

Pro-Heilpraktiker-Argumente wie „Wer heilt, hat recht“ und „Schwarze Schafe gibt es ja schließlich überall“ mögen berechtigt sein. Ebenso ist es unbestritten, dass es eine große Zahl von verantwortungsvollen, seriös arbeitenden, hervorragend aus- und fortgebildeten Heilpraktikern gibt, die alles dafür tun, ihre Patienten optimal zu behandeln.

Doch um dem gesamten Berufsstand zu mehr Anerkennung zu verhelfen und die vielgeschmähten „schwarzen Schafe“ von vornherein auszuschließen, ist eine Reform und eindeutige Regelung der Heilpraktiker-Ausbildung sicherlich notwendig. Die jetzige Regierung aus Union und SPD hatte zwar in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, „das Spektrum der heilpraktischen Behandlung überprüfen“ zu wollen.

Geschehen ist bisher wenig – wir werden sehen, wie es die künftige Bundesregierung nach der Wahl 2021 halten wird. Bis dahin entscheiden die Patienten, wem sie sich anvertrauen. Ihnen ist zu wünschen, dass sie mit einer guten Intuition, vielen (auch kritischen) Fragen und einer umfassenden Checkliste den richtigen Heilpraktiker für sich wählen.

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Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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