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Im Rhythmus des Lebens: so tickt die chinesische Organuhr

Kommentar schreiben Aktualisiert am 21. April 2018

Wer schon einmal mit der traditionellen chinesischen Medizin, kurz TCM, in Kontakt gekommen ist, kennt vielleicht auch den Begriff der Organuhr. Vielen Menschen in Deutschland dürfte er jedoch fremd sein. Dabei ist die Organuhr alles andere als etwas ganz Exotisches: Diese „innere Uhr“ verbindet den 24-stündigen Rhythmus, dem der Mensch Tag für Tag unterliegt, mit den einzelnen Organbereichen des Körpers. Ob es der Herzschlag ist, der Atem, der Schlaf oder die Verdauung – wie alle Lebewesen ist auch der Mensch sein ganzes Leben lang einem stetigen biologischen Rhythmus „unterworfen“. Die traditionelle chinesische Medizin kennt und beachtet diese verschiedenen, sich ablösenden menschlichen Zyklen des „Werdens und Vergehens“ bereits seit Tausenden von Jahren. In der Organuhr drückt sich die Erkenntnis der chinesischen Heilkunst aus, dass bestimmte Beschwerden und Krankheiten auch ganz bestimmten Tageszeiten zugeordnet werden können. Das bedeutet konkret: Je nach Zeitpunkt des Auftretens ordnet der Mediziner bestimmte Symptome einem bestimmten Organsystem zu; ist das entsprechende „gestörte“ Organ identifiziert, kann es gezielt behandelt werden – wobei übrigens nicht nur die körperlichen, sondern auch die seelischen Auswirkungen beachtet werden! In der Zeit, in der ein Organ das Höchstmaß an Energie erhält und damit seine maximale Aktivität besitzt, kann die Therapie bzw. das Arzneimittel für dieses Organ am besten wirken.

Jahrtausende altes Wissen: was der Organuhr zugrunde liegt 

Grundlage der TCM ist die Lehre vom „Qi“ (gesprochen „Tschi“), dem unaufhörlichen Energiefluss, der den menschlichen Körper durchströmt. In der Organuhr ist dieser zyklische Energieverlauf beschrieben. Dabei spielen die sogenannten Meridiane, also die zwölf Hauptleitbahnen, die jeweils einem Organbereich zugeordnet sind, eine wesentliche Rolle. Durch sie zirkuliert das Qi durch den Körper und versorgt auf diese Weise die inneren Organe nacheinander, jeweils zu festgelegten Uhrzeiten, mit der Lebensenergie. So kommt es zustande, dass jeder der zwölf Organbereiche, die die TCM kennt, Tag für Tag jeweils zwei Stunden lang den maximalen Energiezeitpunkt, sprich: die Zeit der maximalen Aktivität, erreicht. Wieder zwölf Stunden später hat dieses Organ dann seinen Aktivitäts-Tiefpunkt. Ist der Energiefluss in einem bestimmten Meridian gestört, kommt dies auch genau zu der Zeit zum Tragen, in der das zugeordnete Organ eigentlich sein Energie-Hoch haben müsste – also dann, wenn das Qi durch den betreffenden Meridian durchfließt. Deshalb sind Beschwerden, die verstärkt zu einer bestimmten Stunde auftreten, für den TCM-Kundigen ein Hinweis auf Störungen in dem dieser Stunde entsprechenden Meridian.

Die biologische Uhr unseres Körpers: wann unsere Organe am aktivsten sind

Dickdarm: 5 bis 7 Uhr Zwischen 5 und 7 Uhr morgens fließt das Qi durch den Dickdarm, der Körper schüttet das Hormon Kortisol aus. Wir wachen langsam auf, der Dickdarm (das Organ, das immerzu zwischen Festhalten und Loslassen abwechselt) ist jetzt am aktivsten. Diese Tageszeit gilt als beste Zeit für die Ausleitung und Reinigung; es ist also gut, jetzt den Darm zu entleeren. Unterstützen kann man das Verdauungsorgan dabei, indem man ein Glas lauwarmes Wasser trinkt. Ist der Dickdarm aus der Balance geraten (z.B. durch unregelmäßige Tagesabläufe), kann sich unser Körper nur noch unzureichend von innerem Ballast befreien. Deshalb sind Symptome wie Durchfall und andere Verdauungsprobleme, Allergien, schlechte Haut sowie emotionale Probleme wie Geiz, Schwierigkeiten loszulassen und Anspannung für einen TCM-Therapeuten Anzeichen eines blockierten Energieflusses im Dickdarm-Meridian. Er wird dann gezielte Maßnahmen einleiten, um das Organ und seine ihm zugeordneten Bereiche zu entlasten, etwa durch mehr Regelmäßigkeit im Tagesablauf, Entgiftungsarbeit und Ernährungsumstellungen oder auch gezielte psychotherapeutische Unterstützung. Magen: 7 bis 9 Uhr Die Zeit, in der das Verdauungssystem topfit ist und der Organismus Nahrung (auch geistige Nahrung!) besonders gut verarbeiten kann, sollte gemäß der TCM für das Frühstück genutzt werden – am besten mit warmer und leicht bekömmlicher Nahrung und idealerweise ganz konzentriert auf die Mahlzeit, ohne Grübeln oder TV- und Radioberieselung. Bei Problemen wie Übelkeit, Blähungen, übermäßigem Durst, morgendlicher Appetitlosigkeit, Mundgeruch und Sodbrennen sowie Erschöpfung, Melancholie und Grübeln denkt der TCM-Kundige sofort an einen gestörten Magen-Meridian. Milz: 9 bis 11 Uhr Zu dieser Zeit läuft unser Stoffwechsel auf Hochtouren, wir können hervorragend denken und beste körperlich-geistige Leistungen bringen. Die Milz – für die TCM das „Kraftwerk“ des Körpers und immer dann zur Stelle, wenn das Immunsystem Unterstützung braucht – ist jetzt hochaktiv und damit beschäftigt, besonders viele weiße Blutkörperchen zu produzieren – das macht den Körper sehr widerstandsfähig und fördert die Wundheilung. Wer zu dieser Tageszeit eine Prüfung bestehen muss, hat gute Voraussetzungen. Ein gestörter Stoffwechsel der Milz bzw. ein blockierter Energiefluss im Milz-Meridian kann zahlreiche Beschwerden auslösen, darunter kalte Hände und Füße, trockene Haut, Verdauungs- und Schlafstörungen, Schuppenflechte, aber auch Depressionen, In-sich-Gekehrtsein und Melancholie sowie Konzentrationsstörungen. Herz: 11 bis 13 Uhr Gemäß der chinesischen Organuhr ist die „Herzenszeit“ die Zeit für Lebensfreude und Kommunikation, zum Energietanken und Lachen. Nicht nur in der TCM steht das Herz auch für Leidenschaft und den Kontakt mit anderen, für Offenheit gegenüber der Welt. Deshalb sollte man in dieser Tageszeit am besten ein nicht zu schweres Mittagessen, möglichst in angenehmer Gesellschaft, einnehmen. Ignoriert man dagegen laufend die Bedürfnisse der „Herz-Zeit“ (z.B. indem man mittags ständig durcharbeitet), kann es zu Symptomen eines gestörten Herzmeridians kommen: u.a. Müdigkeit, kalte Gliedmaße, Herzflimmern und Lippenherpes und/oder depressive Verstimmungen, Kontaktschwierigkeiten und Konzentrationsprobleme. Dünndarm: 13 bis 15 Uhr Der Körper befindet sich jetzt in einem Leistungstief, der Blutdruck ist eher niedrig, das zirkulierende Blut, sprich: die Energie wird für die Verdauung gebraucht. Am besten ist es, jetzt eine Pause zu machen, sich auszuruhen und die bisherigen Eindrücke des Tages zu reflektieren. Der Dünndarm ist für die TCM das „Bauchgehirn“, das uns hilft, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und die Eindrücke so zu sortieren. Deshalb spielt er auch eine wichtige Rolle bei Entscheidungen und für die Beachtung der eigenen Bedürfnisse. Entsprechend kommt es häufig zu körperlicher und seelischer Unausgeglichenheit, wenn der  Dünndarm-Meridian aus der Balance geraten ist. Blase: 15 bis 17 Uhr Nach dem mittäglichen Tiefpunkt kommen Blutdruck und Kreislauf jetzt wieder in Schwung - eine gute Tageszeit für Sport, aber auch für Gedächtnisleistungen. Die Harnblase ist eines der wichtigen Entgiftungsorgane und sollte während ihrer Hochaktivphase mit dem Trinken von Wasser und ungesüßtem Tee unterstützt werden, um möglichst viele belastende Stoffe aus dem Körper spülen zu können. Die Blase ist außerdem mit mehreren Organen im Körper verbunden, deshalb ist ihre Gesundheit wichtig für unser gesamtes Allgemeinbefinden. Ein blockierter Blasenmeridian kann dagegen nicht nur typische Blasenbeschwerden auslösen, sondern auch u.a. Kopfschmerzen, Gedächtnisprobleme. Auch hinter starken Eifersuchtsgefühlen kann ein Energiestau im Blasenmeridian stecken. Nieren: 17 bis 19 Uhr Da gegen Abend Puls und Blutdruck absinken und der Körper sich langsam auf die Ruhephase vorbereitet, sollte man in der „Nierenzeit“ die Aktivitäten des Tages nach und nach zurückfahren. Gut ist es auch, jetzt hochwertige Kräutertees zu trinken, da diese die Niere bei ihrer wichtigen Entgiftungsarbeit unterstützen. Auch ein leichtes Abendessen kann der Körper jetzt – und nicht später – gut vertragen, da der Magen in etwa zwei Stunden auf seinem Energietief ankommen wird. Die TCM sieht die Nieren als Lebensenergie-Speicher und als Quelle von Yin und Yang. Wenn die Nieren in der Zeit ihrer höchsten Aktivität wegen eines gestörten Qi-Flusses nicht genügend Energie bekommen, können unterschiedliche Beschwerden die Folge sein, darunter kalte Füße und Erkältungen, Asthma, Rückenschmerzen, Libidoverlust sowie Angst, geringes Selbstbewusstsein und Depressionen. Perikard (Herzbeutel): 19 bis 21 Uhr Der Körper tritt jetzt in die Ruhephase ein. Die TCM ordnet diese Zeit dem Perikard zu, dem Herzbeutel bzw. der Gewebehülle, die das Herz umschließt und, wie die heilkundigen Chinesen glauben, die Herzenergie schützt. Bekommt dieses Organ ausreichend Energie, befinden sich Körper und Seele im Einklang. Daher ist es gut, in diesen Abendstunden ein möglichst harmonisches Zusammensein mit Freunden und der Familie zu pflegen. Probleme des Perikard-Meridians äußern sich besonders im emotionalen Bereich, u.a. durch Unsicherheit, Unruhe, Depressionen und Ängste. Auf körperlicher Ebene machen sie sich oft mit Herz- und Potenzproblemen oder zu hohem Blutdruck bemerkbar. Dreifacher Erwärmer (Sanjiao): 21 bis 23 Uhr Der Dreifache Erwärmer-Meridian (chinesisch: Sanjiao) gehört in der TCM nicht zu einem bestimmten Organ, sondern sorgt eigenständig dafür, Energiekreisläufe zu steuern und zu koordinieren, Kräfte ausgeglichen zu verteilen und die Körpertemperatur zu regulieren. In seiner Hochaktivitätsphase – in der üblichen abendlichen Erholungszeit – ist es am besten, Gedanken und Gefühle fließen zu lassen, zu meditieren und neue Kräfte zu sammeln. Auch für Entspannung sind diese Stunden ideal. Den Dreifacherwärmer spüren wir körperlich, indem unsere Zirbeldrüse zur Sanjiao-Zeit das Schlafhormon Melatonin ausschüttet und wir müde werden. Außerdem ist dieser Meridian für alle anderen Meridiane extrem wichtig, da er die Wärme im gesamten Körper reguliert. Das heißt: Ist der Energiefluss im Dreifacherwärmer-Meridian gestört, kann dies negative Folgen für alle Organe haben. Gallenblase: 23 bis 1 Uhr; Leber: 1 bis 3 Uhr Der Körper tritt nun endgültig in die Entspannungsphase ein, der Stoffwechsel fährt herunter, die Vitalfunktionen Herzfrequenz, Blutdruck und Temperatur sinken ab, die Hautzellen regenerieren sich. Jetzt sollte man am besten schlafen. Was für die TCM wichtig ist: Galle und Leber gehören zusammen, denn die Gallenblase schüttet Stoffe aus, die für die nächtliche Entgiftungsarbeit der Leber – etwa zwei Stunden nach der Hochaktivität der Gallenblase – förderlich sind. Daher wird ein TCM-Therapeut immer Gallen- und Lebermeridian gemeinsam behandeln. Bei Energiefluss-Störungen an diesen Meridianen kommt es häufig u.a. zu Verspannungen und Muskelkrämpfen, Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Schlafproblemen, Allergien und Neurodermitis, es treten aber auch Emotionen wie Wut und Hyperaktivität sowie Depression und Entscheidungs- und Anpassungsschwächen auf. Lunge: 3 bis 5 Uhr Die Lunge ist zwischen 3 und 5 Uhr aktiv mit der Reinigung beschäftigt. Deshalb ist es gut, möglichst bei offenem Fenster zu schlafen oder zumindest vor dem Schlafengehen durchzulüften, um das Organ mit frischer Luft zu unterstützen. Auch für einen Spaziergang in den sehr frühen Morgenstunden ist die Lunge dankbar. Für die TCM ist die Lunge, durch die ständig ein- und ausgeatmet wird, ein typisches Sinnbild für den schon beschriebenen Zyklus des Loslassens und Aufnehmens. Ist der Lungenmeridian gestört, kommt es dementsprechend zu Atemproblemen wie Schnupfen und Asthma, aber auch häufig zu Schlafstörungen, schlechter Haut und Pilzinfektionen, ebenso wie zu  Melancholie oder auch verstärktem „Klammern“ in Beziehungen.

Was können wir mit der Organuhr anfangen?

Die Organuhr kann uns zunächst sensibilisieren. In unserem modernen, oft hektischen und funktional „durchgetakteten“ Leben kommt uns nicht selten das Gespür für unseren Körper und seine natürlichen Abläufe und Bedürfnisse abhanden. Geht die „innere Uhr“ jedoch falsch oder ist schon ganz stehengeblieben, dann fordert das bekanntlich bei immer mehr Menschen seinen körperlich-seelischen Tribut. Die Organuhr kann demnach eine Hilfe sein, wieder Zugang zum eigenen Körper zu finden, ihn aufmerksamer zu beobachten und seine Bedürfnisse besser zu erkennen. Wer sich von dieser Lehre und Philosophie angesprochen fühlt, kann vielleicht sogar mit Hilfe eines TCM-Therapeuten seine gesamte körperlich-seelische Verfassung in einem ganz neuen Licht sehen, Störungen (erstmals) richtig zuordnen und sanft behandeln. So kann die Organuhr nicht zuletzt dazu beitragen, zu einem gesünderen und seelisch ausgeglichenen Leben zu finden.

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Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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