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Klischeefreiheit im Kinderzimmer - Wenn mein Sohn mit Puppen spielt!

Kommentar schreiben Aktualisiert am 04. Juli 2019

Ein Junge, der seine Puppe liebevoll umsorgt – für so manchen stellt das leider immer noch ein befremdliches Bild dar. Stereotype Rollenzuschreibungen – ob bewusst oder unbewusst – sind allgegenwärtig. Das führt dazu, dass ein Junge, der mit „Mädchenspielzeug“ spielt (oder auch umgekehrt) für Erstaunen beziehungsweise Verunsicherung sorgt oder gar dumme Blicke und Kommentare erntet. Das ist überaus schade, ist das kindliche Spiel doch wesentlich für die kognitive und soziale Entwicklung. Und das bedeutet in der Praxis: Je differenzierter das Spielzeugangebot, das zur Verfügung gestellt wird, desto besser! Nicht nur profitieren Kinder in Bezug auf ihre Entwicklungsmöglichkeiten, auch tradierte Rollenbilder können auf diese Weise aufgeweicht und langfristig verändert werden.

 

Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Bedeutung des Spielens für Kinder sowie Unterschiede im Spielverhalten zwischen Jungen und Mädchen. Inwiefern sind Spielzeugvorlieben biologisch bedingt und welchen Einfluss nimmt die Gesellschaft? Warum beschneiden stereotype Rollenzuschreibungen Kinder in ihren Entwicklungsmöglichkeiten und welchen Beitrag kann eine geschlechtssensible Pädagogik leisten, um dem entgegenzuwirken? Nicht zuletzt finden sich auch praxisnahe Tipps, die dabei helfen können, geschlechtsspezifische Stereotype zu vermeiden.

 

Warum Spielen für Kinder so wichtig ist

 

Wenn Spielen als die „Arbeit des Kindes“ bezeichnet wird, ist das keinesfalls an den Haaren herbeigezogen. Wissenschaftlich betrachtet steht außer Frage, dass Spielen für die kindliche Entwicklung wesentlich ist. Im Spiel probieren sich Kinder aus, sie entdecken, erfahren und wachsen.

 

Spielen nimmt Einfluss auf die Hirnreifung von Kindern. Nicht nur werden Koordination, Sprach- und Rechenfertigkeiten trainiert, auch soziales Lernen gelangt in den Fokus. Im Spiel experimentieren Kinder. Sie testen Grenzen aus, gehen Risiken ein und schulen Problemlösungsfähigkeiten. 1

 

Das kindliche Spiel bietet zudem einen geschützten Rahmen, um allerlei Gefühle empfinden und bearbeiten zu können. Freude, Wut, Trauer, Enttäuschung – um nur einige zu nennen. Soziale Interaktion, Miteinander und Konkurrenz, Ausloten eigener Stärken und Schwächen sowie Erfolgserlebnisse – all das erfahren Kinder im Spiel zwangsläufig. Nicht zuletzt geht es auch darum, sich frei zu fühlen und eigene Bedürfnisse wahrzunehmen. Autonomie und Selbständigkeit sind hier wichtige Schlagworte. 2

 

Klischee im Kinderzimmer

 

In der Gesellschaft verankerte Rollenmuster spiegeln sich in Spielzughandel und Kinderzimmern wider. Erschreckend deutlich verläuft dort eine klare Trennlinie – zwischen  Pink und Blau, zwischen Jungs und Mädchen. Während stereotypes Mädchenspielzeug deutlich auf Fantasie, Rollenspiel, Versorgen und Kreativität ausgelegt ist, wird bei den Jungen gebaut, konstruiert und gekämpft. Spielzeugautos für kleine Jungen, Puppen für kleine Mädchen – nicht nur spuken solche Klischees in vielen Köpfen herum, sie zeigen sich auch in der gesellschaftlichen Realität. Da erntet ein Junge, der sich eine Puppenküche zu Weihnachten wünscht, schon einmal schiefe Blicke, an einem Lego bauenden und Fußball spielenden Mädchen wiederum ist sprichwörtlich „ein echter Junge verloren gegangen“.

 

So weit, so schade! Denn solche Stereotype bewirken, dass Kinder in ihrem Spiel um wertvolle Erfahrungen gebracht werden. Die Möglichkeit, Spielzeug nach eigenen Interessen und Vorlieben zu wählen, sollte keinesfalls durch tradierte Rollenzuschreibungen beschnitten werden. Im Gegenteil: Nicht nur profitieren Kinder davon, wenn ihnen Spielzeug zur Verfügung gestellt wird, das sich vorrangig an Alter und Entwicklungsstand orientiert und nicht am Geschlecht, auch vorherrschende Rollenbilder können auf diese Weise aufgebrochen werden.

Mädchen sind anders – Jungs auch

 

Das Spielverhalten von Mädchen und Jungen unterscheidet sich voneinander. Das kann gemeinhin als Fakt angenommen werden. Die Gründe dafür werden wissenschaftlich kontrovers diskutiert. Biologische Faktoren spielen aber wohl ebenso eine Rolle wie soziale Faktoren (Zuschreibung von Geschlechterrollen).

 

Schon bevor sich Mädchen und Jungen einem Geschlecht zugehörig fühlen, können unterschiedliche Spielvorlieben beobachtet werden. Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen das. Während sich Jungen eher an Mechanik und Geschwindigkeit orientieren, bevorzugen Mädchen Gesichter und umsorgen gerne. Es werden hormonelle Gründe dafür angenommen, dass Jungen vermehrt zum Ball oder Spielzeugauto greifen und Mädchen lieber zu Puppen. So untersuchte die Psychologin Catherine Leveroni aus Chicago Spielvorlieben von Mädchen, die mit einer kongenitalen adrenalen Hyperplasie (Überschuss männlicher Sexualhormone) geboren wurden und konnte belegen, dass diese vorwiegend „jungenhaftes“ Spielverhalten zeigten. 3

 

Dass es biologische Gründe für unterschiedliche Spielzeugvorlieben von Jungen und Mädchen gibt, ist grundsätzlich neutral zu betrachten. Was allerdings ebenso zum Tragen kommt, ist der gesellschaftliche Einfluss von außen. Eltern, Pädagogen, Werbung, Handel – stereotype Rollenzuschreibungen sind omnipräsent. Genau hier gilt es anzusetzen! Einerseits, um starre Rollenbilder aufzuweichen und Veränderung bewirken zu können, andererseits um Kindern ein möglichst breites Spektrum an (Entwicklungs-)Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen.

 

Geschlechtssensible Pädagogik ist in aller Munde

 

Wissenschaftler sind sich einig, dass das kindliche Spiel Einfluss auf die kognitive und soziale Entwicklung nimmt. Mit starren Geschlechterrollen und einem gesellschaftlich konstruierten „Normbereich“ schränkt man Kinder dabei völlig unnötig ein. Man bringt sie um Wahl- und Entwicklungsmöglichkeiten, beeinflusst subtil ihre Interessen. 4 

 

Geschlechterstereotype wirken sich außerdem negativ auf die Persönlichkeitsentwicklung aus, für die ein vorurteilsfreies Umfeld notwendig ist. 5

 

In diesem Zusammenhang ist geschlechtssensible Pädagogik ein wichtiges Stichwort. Hier geht es darum, Kindern zu ermöglichen, Interessen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen zu entwickeln, ohne dass es dabei zu Begrenzungen aufgrund geschlechtsspezifischer Einschränkungen kommt.6 

 

Im Sinne der pädagogischen Grundhaltung ist Geschlechtersensibilität wesentlich. Kindern muss unvoreingenommen begegnet werden. Den Fokus auf Individualität zu richten sowie ein differenziertes (Spielzeug-)Angebot helfen dabei, sich frei zu entwickeln und Potentiale auszuschöpfen. Nicht zuletzt wirkt sich das positiv auf den Selbstwert aus. 

 

Darum sollte man Jungen eine Puppe schenken

 

Jungen und Mädchen explizit jenes Spielzeug zur Verfügung zu stellen, das gängigen Klischees zufolge dem jeweils anderen Geschlecht vorbehalten ist, ist gleich in mehrfacher Hinsicht sinnvoll. So erfüllt beispielsweise „Mädchenspielzeug“ Funktionen, von denen Jungen ebenso profitieren. Das Spielen mit Puppen etwa wirkt positiv auf die Realitätsbewältigung. Angenehme und unangenehme Gefühle können ausgedrückt und eingeordnet werden. In solchen Rollenspielen verarbeiten Kinder all jene Inhalte, die sie beschäftigen. Außerdem sind sie eine Möglichkeit zur Selbstdarstellung und wirken sich entsprechend auf die Identitätsentwicklung aus. Darüber hinaus werden sozial-emotionale Kompetenzen geschult und vorherrschende Rollenmuster aufgebrochen und verändert. 7

Vorsicht vor unbewussten Rollenzuschreibungen

 

Die Psychologin Margaret Snow wies in einer ihrer Studien nach, dass Väter ihren Kleinkindern in einer konstruierten Wartesituation vorrangig geschlechtsspezifisches Spielzeug reichen. Während Töchter mit Puppen unterhalten werden, bietet man Jungen demgegenüber eher Autos und Spielzeugwerkzeug an. 8

 

Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass Rollenzuschreibungen gesellschaftliche Realität sind. Sie geschehen mitunter unbewusst, niemand ist davor gefeit. Wichtig ist es, sich dessen bewusst zu sein und das eigene Verhalten und Handeln stetig zu reflektieren. Nur auf diese Weise ist Veränderung langfristig möglich.   

 

Klischeefreiheit im Kinderzimmer: Tipps für den Alltag

 

Spielzeug gemäß dem Interesse des Kindes aussuchen

 

Zugegeben, es ist oftmals gar nicht so einfach, Spielzeug eben NICHT nach dem Geschlecht auszuwählen. So findet der Konsument im Spielwarenhandel meist eine strikte Aufteilung in „Jungenspielzeug“ und „Mädchenspielzeug“ vor. Auch die Werbung trägt maßgeblich dazu bei, dass Spielzeug geschlechtsspezifisch gewählt wird. Sinnvoll ist es, sich nicht daran zu orientieren, welchem Geschlecht das Kind angehört, sondern schlicht darauf zu besinnen, welches Spielzeug dem Kind Freude bereiten könnte. Was entspricht am ehesten seinen Interessen, seinem Entwicklungsstand und seinem Alter?

 

Wahlmöglichkeiten bieten

 

Dem Kind ganz unabhängig vom Geschlecht Wahlmöglichkeiten zu bieten, erweitert Möglichkeiten und Horizont gleichermaßen. Das wiederum wirkt sich positiv auf die Entwicklung aus! Eine entsprechende Auswahl aus Bau- und Konstruktionsspielzeug, Fahrzeugen, Spielzeug für Rollenspiele (Puppen, Stofftiere, Puppenhäuser, Kaufmannsladen,…), Gesellschaftsspielen, Sportgeräten, Spielzeuginstrumenten und Bastel- sowie Malutensilien bietet Möglichkeit für individuelles Spiel – ganz unabhängig vom Geschlecht.

 

Auch bei Sport- und Freizeitkursen sollten Kinder aus einem Gesamtangebot wählen dürfen. Ob Reiten, Ballett, Musical, Fußball, Basketball oder Turnen – das Interesse ist wesentlich, nicht das Geschlecht! Und ganz wichtig: Die Entscheidung des Kindes sollte akzeptiert und unterstützt werden, auch wenn sie nicht gesellschaftlichen Konventionen entspricht.

 

Unbewusste Rollenzuschreibungen vermeiden

 

Es sind ganz unterschiedliche Verhaltensweisen, die Rollenklischees festigen. Da werden Jungen am Spielplatz angespornt, sich etwas zu trauen, Mädchen besorgt beäugt. Ein wilder Junge entspricht der Norm, ein ebensolches Mädchen gilt als Wildfang. Während mit Jungen verstärkt gerangelt und geblödelt wird, wird mit Mädchen mehr gesprochen und gekuschelt. Solche unbewussten Rollenzuschreibungen sind gesellschaftliche Realität und passieren zuhauf. Umso wichtiger, dass man sein eigenes Verhalten reflektiert, um sich stereotype Muster bewusst zu machen. Nur auf diese Weise ist Veränderung langfristig möglich.

 

Nicht zu vernachlässigen ist außerdem der Einfluss von Sprache. „Das ist doch für Mädchen/Jungen!“ oder „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“ sind nur zwei Beispiele für Sätze, wie sie tagtäglich fallen. Dabei gehen auch Alternativen leicht von den Lippen. Die Dinge sind dann schlicht und ergreifend für KINDER gemacht und manches, das tut eben einfach weh!

 

 

 

 

Quellenangaben (Stand 04.07.2019):

1 Vgl.: https://www.kinderaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/spielen-ist-wichtig-fuer-die-kindliche-entwicklung/

2 Vgl.:  https://kurier.at/wissen/warum-spielen-fuer-kinder-so-wichtig-ist/297.532.390

3 Vgl.: https://www.welt.de/wissenschaft/article160301276/Warum-Jungs-Ritter-und-Maedchen-Prinzessin-spielen.html

4 Vgl.: https://www.nzz.ch/wissenschaft/bildung/der-ideologische-kampf-ums-spielzeug-1.18449167

5 Vgl.: https://www.focus.de/familie/kind/familie-wie-eltern-rollen-klischees-vermeiden-koennen_id_5007611.html

6 Vgl.: Schneider, Claudia: Leitfaden für geschlechtssensible Pädagogik für Betreuungs- und Bildungseinrichtungen für Kinder im Alter von 0 bis 10 Jahren, MA 57 – Frauenservice Stadt Wien, 2014, S.9.

7 Vgl.: https://kurier.at/leben/warum-puppen-im-kinderzimmer-so-wichtig-sind/302.083.803

8 Vgl.: https://www.welt.de/wissenschaft/article160301276/Warum-Jungs-Ritter-und-Maedchen-Prinzessin-spielen.html

Schneider, Claudia: Leitfaden für geschlechtssensible Pädagogik für Betreuungs- und Bildungseinrichtungen für Kinder im Alter von 0 bis 10 Jahren, MA 57 – Frauenservice Stadt Wien, 2014. (online abrufbar: https://www.wien.gv.at/menschen/frauen/pdf/geschlechtssensible-paed-leitfaden.pdf)

https://kurier.at/leben/warum-puppen-im-kinderzimmer-so-wichtig-sind/302.083.803

https://www.welt.de/wissenschaft/article160301276/Warum-Jungs-Ritter-und-Maedchen-Prinzessin-spielen.html

https://www.nzz.ch/wissenschaft/bildung/der-ideologische-kampf-ums-spielzeug-1.18449167

https://www.kinderaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/spielen-ist-wichtig-fuer-die-kindliche-entwicklung/

https://kurier.at/wissen/warum-spielen-fuer-kinder-so-wichtig-ist/297.532.390

https://www.focus.de/familie/kind/familie-wie-eltern-rollen-klischees-vermeiden-koennen_id_5007611.html

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Daniela Jarosz
Autor: Daniela Jarosz

Daniela Jarosz ist Sonder- und Heilpädagogin. Während des Studiums hat sie sich intensiv mit Inhalten aus Medizin und Psychologie auseinandergesetzt. Sie arbeitet seit vielen Jahren im psychosozialen Feld und fühlt sich außerdem in der freiberuflichen Tätigkeit als Autorin zuhause. Im redaktionellen Bereich hat sie sich auf die Fachrichtungen Medizin, Gesundheit, Nachhaltigkeit, Work-Life-Balance sowie Kinder und Familie spezialisiert.

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