Küss mich! Alles über das gesündeste Lippenbekenntnis der Welt
Seit Stunden schon schlagen zwei Herzen einen Trommelwirbel. Den ganzen Abend lang haben die beiden in der Kneipe miteinander geredet, gelacht, geflirtet und sich tief in die Augen geschaut. Jetzt begleitet er sie nach Hause – und vor ihrer Haustür passiert es endlich: der erste Kuss. Sehnsuchtsvoll begegnen sich ihre Lippen. Was jetzt passiert, gleicht dem Feuerwerk an Silvester – nur, dass dieses in den Körpern der Küssenden stattfindet. Nicht nur, dass eine ganze Schmetterlings-Armee den Bauch zum Flattern bringt, die Knie weich werden und die Wangen sich röten. Mit all den biochemischen und neurophysiologischen Vorgängen, die sich beim lustvollen Knutschen im gesamten Körper abspielen, verschafft man sich mal eben so, ganz ohne Krankenschein, Arzt oder Masseur, ein kostenloses Rundum-Wellness- und Gesundheitsprogramm! Kaum haben sich die Lippen berührt und beginnen ihr erotisches Spiel, kommen mehr als 100 Milliarden Nervenzellen auf Touren, Botenstoffe werden ins Gehirn geleitet, ein körpereigener, sehr gesunder „Drogen-Cocktail“ wird gemixt. Das Herz trommelt fröhliche Rhythmen, der Puls kommt ordentlich in Fahrt, sodass Blutdruck und Körpertemperatur steigen – extremer, aber ausschließlich positiver und damit gesunder Stress für den ganzen Körper. Kein Wunder, dass die meisten Menschen verliebtes Küssen zu einer der schönsten Nebensachen der Welt erklären!
Bis zu 100.000 Küsse …
… hat ein 70-jähriger Mensch in seinem Leben geteilt – und damit etwa 77 Tage seines Daseins verbracht. Sehr gut verbrachte Zeit! Denn nicht nur Kusserfahrene, sondern auch Wissenschaftler sind sich einig: Küssen ist sehr gesund. Zwar können Küsse auch gesundheitsschädliche Bakterien, Viren und auch Allergien übertragen – aber das sei hier nur am Rande erwähnt. Alles in allem fördert hingebungsvolles Küssen die Gesundheit. Auf den Punkt bringt es die Kulturanthropologin Ingelore Ebberfeld, die sich auch rein beruflich viel mit dem Thema befasst: „Alles, wobei wir uns wohlfühlen, hat auch einen gesundheitlichen Aspekt – ein schöner Nebeneffekt des Küssens!“ Ebberfeld und viele ihrer Forscherkollegen auf der ganzen Welt haben unzählige Fakten rund um das liebevolle Lippen- und Zungenspiel herausgefunden. Zusammengefasst ist regelmäßiges und reichliches Küssen gut für Haut, Zähne, Blutdruck und das Herz-Kreislauf-System, es entspannt und lockert die Muskulatur, kann Schmerzen lindern und soll sogar – das behaupten einige Statistiken – zu mehr beruflichem Erfolg verhelfen und das Risiko vermindern, Unfälle zu erleiden. Wissenschaftler aus den USA schließen sogar aus einer Studie, dass Vielküsser bis zu fünf Jahre länger leben als Kussmuffel. Eine ziemlich steile These, hält der Berliner Biopsychologe Peter Walschburger dagegen, jedoch räumt auch er ein, das Küssen zumindest länger jung hält. Wenn man von Vielküssern annehme, dass sie in gelingenden Sozialbeziehungen lebten und damit weitgehend glückliche Menschen seien, so Walschburger, dann liege der Schluss nahe, dass sie länger leben als andere.
Was beim Küssen im Körper passiert...
Die Fakten sind ganz unromantisch und messbar: Ein intensiver Kuss mit einem Menschen, auf den man so richtig abfährt, verursacht massive biochemische Reaktionen. Wie schon erwähnt, steigen Puls und Körpertemperatur deutlich an, damit wird der gesamte Kreislauf wie auch der Stoffwechsel ordentlich angekurbelt. Der Atem beschleunigt sich – aus den normalerweise 20 Atemzügen pro Minute werden beim und nach dem Küssen rund 60. Das pumpt mehr Sauerstoff in den Körper, die Atemwege werden gestärkt. Neurotransmitter und Glückshormone sorgen dafür, dass der Ärger mit der Steuererklärung, der Stress im Büro und die Schmerzen im Nacken wie weggeblasen sind und wir auf Wolke sieben schweben. Das Immunsystem gibt alles und schützt selbst im regenkühlen Herbststurm vor der drohenden Erkältung. Und: Wir werden scharf, denn die vielen sensiblen Nervenenden von Lippen und Zunge sind schon für zarteste Stimulationen besonders empfänglich. So kann selbst eine kleine Schmuserei die Stimmung explodieren lassen, denn die empfangenen Reize leiten die Nervenenden über das zentrale Nervensystem direkt in die Geschlechtsorgane weiter.
… und wie sich das auf die Gesundheit auswirkt
Aus all diesen wunderbaren Vorgängen im Körper lassen sich nun ebenso wunderbare Rückschlüsse ziehen. Das Wichtigste vorab: Küssen macht glücklich, und wer glücklich ist, ist in der Regel auch gesünder. Dass Küssen entspannt und hilft, Stress abzubauen, liegt daran, dass beim Küssen vermehrt Neurotransmitter im Gehirn gebildet werden, die für die Weiterleitung positiver Reize zuständig sind. Gleichzeitig wird die Bildung von Stresshormonen blockiert, auf diese Weise gehen Bluthochdruck und zu hohe Cholesterinwerte zurück. So können nicht zuletzt auch unangenehme, schmerzhafte Verspannungen in der Muskulatur gelöst werden. Weil schöne Küsse zweifellos die Stimmung heben und uns dadurch beleben, können sie auch die Abwehrkräfte des Körpers stärken. Etwas trocken veranlagte Wissenschaftler nennen einen Kuss auch „gegenseitige Verabreichung einer Schluckimpfung“. Die im Speichel enthaltenen verschiedenen Bakterien – rund 4000 an der Zahl! – werden beim Küssen ausgetauscht und geben starke Impulse zur Bildung von Abwehrkräften durch körpereigene Botenstoffe (sogenannte Neuropeptide) im Körper. Sie finden so viele Bakterien abschreckend? Kein Grund, dem Küssen aus Hygienegründen abzuschwören! Denn wer aus Furcht vor Ansteckung die Lippen verschlossen hält, wird bestimmt nicht glücklich – und damit leichter krank.
Strahlendes Lächeln, rosiger Teint, gute Figur
Glückliche Küsser strahlen – ebenso ihr Lächeln. Denn Küssen macht sogar die Zähne schöner. Im Speichel, den wir bei Zungenküssen reichlich austauschen, sind antimikrobielle Enzyme, Kalzium und Phosphor enthalten – alles Stoffe, die Zähne und Zahnfleisch vor Krankheiten schützen. Auch die Gesichtshaut und die zarte Haut am Hals profitieren vom Mund-zu-Mund-Ritual, denn mehr als 30 Gesichtsmuskeln und die Halsmuskulatur verrichten bei einem intensiven Kuss harte Arbeit. Das bedeutet nicht nur ein Nebenbei-Muskeltraining, sondern auch Anti-Aging: Die Haut wird in Folge dieser Bewegungen besonders gut durchblutet und damit gestrafft. Und – Figurbewusste aufgepasst: Küssen hält bzw. macht schlank. Wer viele Hormone ausschüttet, verbraucht mehr Energie. So kann ein leidenschaftlicher Kuss bis zu zwölf Kalorien verbrauchen. Das bedeutet z.B., dass man nur etwa 20 Mal knutschen muss, um ein Stück Kuchen wegzu“trainieren“.
Warum küssen wir eigentlich?
Ausgerechnet diese wichtige Frage haben Forscher bisher nicht eindeutig beantwortet. Eine Theorie lautet, das Küssen habe sich aus dem Füttern bei der Brutpflege entwickelt, wobei die Eltern vorgekaute Nahrung an den Nachwuchs weitergeben. Andere Erklärung basieren auf der natürlichen Sexualität: Vierbeiner begrüßen sich ja dadurch, dass sie sich am Hinterteil beschnüffeln und belecken. Vertreter dieser Theorie meinen, der Kuss sei im Prinzip nichts anderes – nur dass sich das Ritual beim Aufrichten des Menschen von unten nach oben verlagert habe. Dass Küssen eine „angeborene“ Gewohnheit ist, darauf weisen Beobachtungen der Bonobos hin. Diese Schimpansenart tauscht offenbar leidenschaftlich gerne und regelmäßig Zungenküsse aus, und das ganz unabhängig von der Fortpflanzung.
Noch mehr Fakten aus der Philematologie …
… wie sich die Wissenschaft vom Küssen offiziell nennt. Vielen war bisher sicher nicht bekannt, dass die meisten Menschen instinktiv den Kopf nach rechts neigen, wenn sie sich dem Kusspartner nähern. So kommt es, dass sich beim Knutschen die Nasen meistens nicht in die Quere kommen. Weniger überraschend wird dagegen sein, dass die meisten Küsse im Wonnemonat Mai ausgetauscht werden. Ein „Aha“-Ergebnis aus der Kussforschung ist wiederum, dass Zungenküsse dazu geeignet sind, lästigen, hartnäckigen Schluckauf loszuwerden. Ebenfalls aufschlussreich: Männer stehen im Verdacht, schlechtere Küsser zu sein als Frauen. Laut mehreren Umfragen zeigen sich die meisten Männer überwiegend zufrieden mit den Kuss-Künsten ihrer Partnerin. Dagegen haben die meisten Frauen wenigstens ein bisschen was an ihrem küssenden Gegenstück auszusetzen – meist die fehlende Leidenschaft. Darauf weist auch das Studienergebnis hin, dass nur 30 Prozent der Männer, jedoch 97 Prozent der Frauen mit geschlossenen Augen knutschen und schmusen. Ermutigend allerdings eine weitere Erkenntnis: Männer wie Frauen glauben in gleichermaßen überwiegender Zahl, dass man gut Küssen lernen kann! Sie haben nach all diesen aufregenden Fakten Lust, nicht nur mehr zu küssen, sondern gar zum Rekord-Küsser zu werden? Dann sollten Sie gleich mit dem Training anfangen: Der längste Kuss der Welt wurde von einem – wahrscheinlich frisch verliebten – Hamburger Paar ausgetauscht und dauerte bislang genau 32 Stunden, 7 Minuten und 14 Sekunden. Das will erstmal getoppt werden!
Erst Küssen, dann Sex – ein wahrer Jungbrunnen!
Noch gesünder sind Männer und Frauen unterwegs, wenn sie es nicht beim Küssen belassen, sondern das Lippenspiel auch noch durch ein heißes Liebesspiel abrunden. Denn wissenschaftlich belegt – und allen, die schon mal Sex hatten, aus eigener Erfahrung bekannt – ist, dass beim Sex der Körper noch mehr auf Touren kommt als beim Küssen. Beim Mann wird das Sexualhormon Testosteron ausgeschüttet – gut für Knochen, Herz und Kreislauf. Zudem soll die beim Sex verstärkte Durchblutung der Geschlechtsorgane Prostataerkrankungen vorbeugen. Frauen produzieren beim Liebesakt vermehrt das weibliche Hormon Östrogen, das sie nicht nur jung und frisch aussehen lässt, sondern auch die Regeneration der Hautzellen fördert und vor den zellschädigenden „freien Radikalen“ schützt. Außerdem ist bekannt, dass regelmäßiger Sex den weiblichen Hormonhaushalt in Balance hält und somit auch Menstruationsprobleme sowie Kopf-, Rücken- und Gelenkschmerzen lindern kann. Bei sexuell aktiven Frauen kommt es zudem erwiesenermaßen seltener zu Osteoporose, zudem ist das Bindegewebe bei diesen Frauen kräftiger. Viele Gründe also, die für regelmäßiges Küssen und ein aktives Liebesleben sprechen. Und bitte nicht traurig sein, wenn diese schönen Dinge in Ihrem Leben gerade mal Pause haben. Denn – hier noch ein letzter Fakt – angeblich kann der Mensch noch Monate nach intensiven Kusserlebnissen von deren positiven Effekten zehren. Also: Schließen Sie einfach die Augen und denken Sie genüsslich daran zurück. Aber lassen Sie sich dann beizeiten wieder wachküssen – Ihre Gesundheit wird es Ihnen danken!
Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.