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Liebessucht: Wenn die Liebe zur Droge wird

Kommentar schreiben Aktualisiert am 16. April 2020

Die Liebe – ein Rausch, ein wunderbarer Ausnahmezustand, eine „Himmelsmacht“! Wer schon einmal wirklich verliebt war, weiß genau: Die Liebe verändert alles, macht die ganze Welt schön, lässt alles andere vergessen. Und selbst nüchterne Wissenschaftler bestätigen: Das Gehirn von Verliebten befindet sich in einem ähnlichen Zustand wie beispielsweise das von Drogenabhängigen, das haben Bilder von Kernspintomographie gezeigt. Was aber, wenn die Liebe tatsächlich zur Droge wird, wenn der oder die Verliebte dieser Droge völlig verfällt? Wenn der „Ausnahmezustand“ obsessive Züge annimmt, wenn der geliebte Mensch zum absoluten Ein und Alles wird, um das alle Gedanken und Gefühle ausschließlich kreisen? In einem solchen Fall spricht man von Liebessucht, auch „obsessive Liebe“ genannt. 

 

Schon eine Stunde ist es her, seit sie ihm die letzte SMS geschickt hat, und er hat immer noch nicht geantwortet! Inzwischen ruft sie alle fünf Minuten bei ihm an, aber er geht einfach nicht ran. Ihr Puls rast, die Gedanken fahren Karussell, sie malt sich die schlimmsten Fantasien aus, kann an nichts anderes mehr denken als an die Frage, wo er bloß steckt und warum er sich nicht meldet. Wie kann er ihr das nur antun – er ist doch im Leben das Allerwichtigste für sie!

 

Die spinnt ja, die Frau, mag mancher denken, wenn er von solchen Verhaltensweisen hört oder liest. Soll sie sich mal locker machen, soll sie doch den Typen einfach selbst mal warten lassen, wenn er so achtlos mit ihr umgeht! Das mögen gut gemeinte Ratschläge sein – helfen werden sie der Betroffenen allerdings kaum. Denn wer so denkt, fühlt und handelt wie die soeben beschriebene Frau, ist mit großer Wahrscheinlichkeit liebessüchtig – also buchstäblich suchtkrank.

 

Inhaltsverzeichnis:

 

„Total verknallt“ – oder liebessüchtig?

 

Liebessucht ist, auf den Punkt gebracht, die überzogene, ja krankhafte Abhängigkeit vom Liebesobjekt und der Liebesbeziehung – mit fatalen Folgen. Wer süchtig liebt, ist bereit, eigene Ansprüche, ja eigentlich sein ganzes Leben den Bedürfnissen des Partners komplett zu unterwerfen. Der Partner weist den Weg, der Liebessüchtige folgt – ob es um Freizeitgestaltung, Termine, Einladungen oder Urlaub, Meinungen oder (politische) Haltungen geht. Ein Liebessüchtiger ist keine eigenständige Persönlichkeit.

 

Unternehmungen mit Freunden, Hobbys oder allein verbrachte Zeit – für Liebessüchtige undenkbar. Schließlich ist „ER“ oder „SIE“ ungern allein, könnte anrufen oder zu einem Treffen bereit sein. Oft kommt es auch zu Kontaktabbrüchen mit Freunden, wenn diese sich besorgt zeigen oder kritisch zur Beziehung äußern. Die Folge: zunehmende Isolation und Fixierung auf den Partner.

 

Im Grunde gibt nur die Beziehung dem Leben einen Sinn. Die Folge ist logisch: Der Gedanke an eine Trennung löst massive Ängste aus. Entsprechend stark wird der Liebessüchtige klammern, überzogene Eifersucht bis hin zum Kontrollwahn zeigen. „Ohne dich kann ich nicht leben“ – eine typische Aussage obsessiv Liebender. Fühlt sich der Partner davon erdrückt und zieht sich zurück, wird das Klammern noch verstärkt. Das hat oft zur Folge, dass das Liebesobjekt sich früher oder später trennt – und dem Liebessüchtigen damit vollends den Boden unter den Füßen wegzieht.

 

„Ohne dich bin ich nichts!“

 

Das Selbstwertgefühl, ja das gesamte Ich eines Liebessüchtigen hängt komplett von der Anerkennung des Partners ab. Bleibt diese aus, wird der Betroffene sich dennoch keinesfalls trennen. Denn was wäre er ohne den Partner? Nichts! Lieber wird er immer obsessiver um die Liebe und Zustimmung des anderen kämpfen, und sei dies auch noch so aussichts- und würdelos. Selbst wenn man deutlich spürt, dass einem die Beziehung schadet, selbst wenn Symptome wie Schlafstörungen, Appetitlosigkeit oder Depressionen überdeutlich zeigen, dass etwas ganz und gar nicht stimmt.

 

Eine gesunde, reife Liebe zweier unabhängiger Menschen in Freiheit, gegenseitigem Vertrauen und auf Augenhöhe, eine Beziehung, in der beide ihre Konflikte eigenverantwortlich bearbeiten und gemeinsam daran wachsen – damit hat süchtige Liebe natürlich gar nichts zu tun. Im Grunde ist die obsessive Liebe überhaupt keine Liebe, sondern nichts anderes als eine Abhängigkeit.

 

Übrigens: Liebessucht kommt nicht nur in Zweierbeziehungen vor, sondern auch bei Singles, die sich zum Beispiel in unerfüllter Liebe zu jemandem völlig verzehren, sich immer wieder in unerreichbare oder gebundene Menschen verlieben oder sich zwanghaft in immer wieder neue „Liebesbeziehungen“ oder Affären stürzen (auch Sexsucht kann ein Teil der obsessiven Liebe sein).

 

Warum werden Menschen liebessüchtig?

 

Ausgelöst wird Liebessucht meist durch neurotische Muster, die sich nach und nach in der Persönlichkeit ausgeprägt haben, oft aufgrund negativer Erfahrungen in der Kindheit. Gerade hier wird ja sehr häufig die Grundlage für ein schwaches Selbstwertgefühl und die Ablehnung der eigenen Person gelegt, sodass später ein anderer den eigenen Wert bestätigen „muss“. Wie die Psychologin Dr. Doris Wolf auf ihrer Webseite1 erläutert, haben Liebessüchtige oft ungesunde Beziehungserfahrungen mit den Eltern oder anderen Verwandten gemacht. Vielleicht haben Vater und/oder Mutter ein gestörtes Beziehungsverhalten vorgelebt, im Erwachsenenalter wiederholt dann die Tochter/der Sohn dieses Verhalten. Als häufige Faktoren, die Liebessucht auslösen können, nennt Doris Wolf u.a. unerfüllte emotionale Bedürfnisse, mangelnde Geborgenheit oder auch eine Suchtkrankheit bei den Eltern.

 

Mein Partner ist liebessüchtig – was kann ich tun?

 

Die „Objekte“ von Liebessüchtigen geraten oft in ein Dilemma. Einerseits lieben sie ihren Partner oder ihre Partnerin, andererseits fühlen sie sich aber oft geradezu erstickt von der obsessiven Zuwendung und der Belastung, für das ganze Wohl und Wehe des anderen verantwortlich zu sein. Wer sich dem nicht durch Trennung entziehen, sondern gemeinsam mit dem Partner oder der Partnerin eine Verbesserung erreichen will, sollte zunächst offen über das eigene Unbehagen sprechen und dem anderen darlegen, wie erdrückend dessen Verhalten wirkt. Gleichzeitig ist es ratsam, dem liebessüchtigen Partner zu versichern: „Ich liebe dich und will an deiner Seite bleiben – allerdings in einer reifen, eigenständigen Beziehung auf Augenhöhe.“ Hilfreich kann es auch sein, den anderen ausdrücklich zu einer eigenen Meinung und Initiativen, zu eigenen Unternehmungen und Treffen mit eigenen Freunden zu ermuntern. Ist die Liebessucht beim Partner nicht allzu stark ausgeprägt, können solche Schritte nach und nach zu einer ausgewogeneren, gesunden Beziehung führen. Gelingt das nicht, kommt auch eine Paartherapie in Frage, sofern beide dazu bereit sind.

 

Der schwere Weg aus der Liebessucht - Wie überwindet man dies?

 

Idealerweise finden die Betroffenen selbst aus der Liebessucht heraus und nehmen die Verantwortung dafür in die eigene Hand. Grundlegend ist es für den Betroffenen, sich die eigene Liebessucht erst einmal einzugestehen, zu verstehen: So, wie ich liebe, ist es nicht gesund und tut mir und dem anderen nicht gut. Oft ist das der schwerste Schritt, denn obsessiv Liebende finden ihr Verhalten „normal“. Sie glauben, dass sie einfach nur besonders intensiv lieben und fühlen sich damit anderen, „normal“ Liebenden sogar überlegen. Häufig wird die Liebessucht erst eingestanden, wenn der eigene Zustand nicht mehr tragbar ist, wenn es zu tiefen Lebenskrisen, Depressionen oder Selbstmordabsichten kommt.

Schwer Liebessüchtige werden wahrscheinlich nur mit Hilfe eines Therapeuten, Coachs oder anderen fachkundigen Beraters aus ihrer Sucht herausfinden. Mit einem Profi wird gezielt das Selbstwertgefühl gestärkt und am Aufbau eines unabhängigen Ichs gearbeitet. Weitere mögliche Anlaufstellen sind kommunale oder kirchliche Beratungsstellen wie Pro Familia oder die Diakonie, auch die Telefonseelsorge hilft Ratsuchenden weiter. Und natürlich können auch Gespräche mit einem guten Freund oder der besten Freundin – soweit noch vorhanden – bei den ersten Schritten aus dem „Liebes-Tal“ unterstützen. Vielfach bewährt haben sich die Selbsthilfegruppen für Liebes- und Sexsüchtige, die nach dem Vorbild der „Anonymen Alkoholiker“ arbeiten. Auf der Webseite der „Anonymen Sex- und Liebessüchtigen“2 kann man bereits viel über diese Form der „nicht-stofflichen Sucht“ erfahren; ein Katalog aus 40 Fragen dient zur Selbstdiagnose. Wer dann eine der Gruppen besuchen möchte, findet auf der Webseite die entsprechenden Informationen.

 

Liebessucht ist heilbar!

 

In eher leichteren Fällen raten Experten dazu, Schritt für Schritt neue Verhaltensmuster einzuüben. Etwa, immer mal wieder alleine eine interessante Veranstaltung zu besuchen oder auch nur shoppen zu gehen, eine neue Sportart oder ein Instrument zu lernen. Auch sollte die Isolation, in die Liebessüchtige sich meist begeben, nach und nach aufgebrochen werden, indem man wieder Kontakt zu Familienmitgliedern und lange vernachlässigten Freunden aufnimmt oder versucht, neue Freundschaften zu knüpfen.

 

Fazit: Liebessucht belastet das eigene Leben ebenso wie das des Partners oder des „Objekts der Begierde“. Zum Glück gibt es ausreichend Hilfe und Unterstützung, um sich aus dieser Falle zu befreien. Heilung geschieht, indem ganz gezielt ein gesundes Selbstwertgefühl aufgebaut und nach und nach ein eigenständiges, unabhängiges Leben gestaltet wird, das auch ohne Partner als erfüllt erlebt wird. Nur so sind auch gesunde Liebesbeziehungen möglich – und nur so entsteht die Basis dafür, obsessive Liebesbeziehungen von vornherein zu vermeiden bzw. nicht wieder rückfällig zu werden.

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Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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