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Luzides Träumen: Wenn wir selbst bestimmen, was im Schlaf passiert

Kommentar schreiben Aktualisiert am 09. Oktober 2019

Träume, die im Schlaf zu uns kommen, folgen scheinbar ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten – ohne dass wir diese beeinflussen können. Wir können nicht bestimmen, was sich in ihnen abspielt, und manchmal versetzen uns Alpträume noch am folgenden Tag in Angst und Schrecken. Was aber, wenn wir selbst die Regie in unseren Träumen übernehmen? Beim sogenannten luziden Träumen, auch Klarträumen genannt, ist das möglich. Luzide Träume sind Filme, in denen wir Regisseur und Hauptdarsteller zugleich sein können. Luzide Träumer können fliegen, böse Mächte besiegen, mit ihrem Lieblings-Promi dinieren. Sie können Ängste überwinden und sogar sportliche Höchstleistungen trainieren – alles im Schlaf, und alles ganz bewusst. Dabei ist das Klarträumen nicht nur ganz besonderen Menschen vorbehalten – nein, luzides Träumen kann jeder lernen.

 

Was ist luzides Träumen?

 

Was aber ist luzides Träumen eigentlich genau? Beim luziden Träumen weiß der Träumende in jedem Moment des Traumes, dass er träumt – und kann jederzeit ins Traumgeschehen eingreifen. Klarträumern können also bewusst die Kontrolle über ihre Träume übernehmen, sie steuern, verändern und ihren Ausgang beeinflussen. Dabei erscheint selbst das Absurdeste völlig real: Da kann man sich im Himmel befinden, mit Jesus oder einem längst verstorbenen Verwandten unterhalten, mit Angela Merkel oder Donald Trump auf einem fliegenden Teppich unterwegs sein oder im Flug dreifache Saltos schlagen. Luzide Träumer sind Alleskönner.

 

Sie glauben, so etwas erleben nur die Wenigsten? Stimmt nicht. Nach derzeitigen Schätzungen hat etwa jeder zweite Erwachsene wenigstens einmal in seinem Leben klargeträumt, und etwa 25 Prozent aller befragten Menschen geben an, mindestens einmal pro Monat einen luziden Traum zu erleben1.

 

Klarträume im Fokus der Wissenschaft

 

Manche mögen dennoch bezweifeln, dass es so etwas wie Klarträume überhaupt gibt. Doch wissenschaftlich erwiesen ist ihre Existenz längst, das haben Schlaflabor-Experimente aus den 1970er-Jahren gezeigt. Dabei wurde mit den Probanden, bevor sie einschliefen, eine bestimmte Abfolge von Augenbewegungen vereinbart, die sie ausführen sollten, sobald sie einen Klartraum erlebten. Das ist möglich, da die Augenmuskeln die einzigen Muskeln sind, die man bewusst bewegen kann, während man schläft. Alle Probanden folgten der Vereinbarung2. Wie Alfred Wiater, der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärt, ist seitdem die Erforschung der Klarträumens wissenschaftlich anerkannt3.

 

Jedoch sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Klarträumen nach wie vor noch lückenhaft. Hilfreich sind natürlich die Grundlagen, die Schlaf- und Traumforscher seit dem 19. Jahrhundert bis heute erarbeitet haben. Denn um den Ablauf von Klarträumen zu verstehen, muss man natürlich wissen, was an sich beim Schlafen und Träumen passiert.

 

Was im Schlaf geschieht...

 

Bekannt ist heute, dass der Schlaf grob in drei Phasen unterteilt ist. Es gibt den leichten Schlaf, den Tiefschlaf und den sogenannten REM-Schlaf, wobei REM für „Rapid Eye Movement“ (schnelle Augenbewegung) steht. Während der Tiefschlaf-Phase nimmt die elektrische Aktivität an der Hirnrinde immer mehr ab, der Schlafende hat noch eine gewisse Spannung in den Muskeln, bewegt jedoch die Augen überhaupt nicht. Wer nach der Tiefschlafphase aufwacht, ist häufig erst einmal desorientiert und erinnert sich an keinen Traum. Ganz anders verhält es sich während der REM-Phase: die Atmung beschleunigt sich, ebenso die Pulsfrequenz, der Körper verbraucht jetzt viel Energie. Und, wie der Name dieser Schlafphase verrät: die Augen bewegen sich sehr schnell. Das Hirn ist fast ebenso aktiv wie während unserer Wachphasen, doch die Muskeln sind während der REM-Phase vollkommen entspannt. Jeder Schlafende durchläuft mehrere REM-Phasen, wobei sie zum Morgen hin häufiger werden. Das ist der Grund dafür, dass wir uns morgens oft gut an den letzten Traum erinnern können, denn wer aus einer REM-Phase erwacht, hat grundsätzlich eine gute Traumerinnerung. 2,4

 

... und was Klarträumer erleben

 

Das selbst die absurdesten Geschehnisse und Bilder in unseren Träumen selbstverständlich möglich und realistisch erscheinen, das liegt daran, dass wir während „normaler“ Traumphasen weder logisch noch begrifflich denken. Bei Klarträumen passiert jedoch etwas ganz Besonderes. Der Wissenschaftsjournalist Stefan Klein beschreibt das sehr gut in einem Artikel des „Tagesspiegel“5. Während eines Klartraums, so Klein, seien bestimmte Bereiche am seitlichen Hinterkopf, die für die bewusste Wahrnehmung von Bildern zuständig sind, extrem aktiv, sodass die Träumenden auch extrem klar sehen könnten. Die elektrischen Hirnströme erreichten während eines luziden Traums eine Frequenz, die der des Wachzustands entspreche. Das heißt: Das Wachbewusstsein hält Einzug in den Traum. Die Folge: Das Stirnhirn (präfrontaler Kortex), das normalerweise nachts „heruntergefahren“ ist, wird wach und lässt den Träumenden klar denken und aufmerksam sein. Was nicht zuletzt dazu führt, dass man im luziden Traum erkennt, dass man träumt.

 

Luzides Träumen lernen – ganz einfach?

 

Klingt spannend und ist es auch. Kein Wunder also, dass sehr viele Menschen brennend daran interessiert sind, luzides Träumen zu lernen. Die gute Nachricht: Das ist möglich. Die schlechte: Es geht nicht so schnell und einfach, wie es manche eher unseriöse Internet-„Experten“ versprechen. Denn schaut man sich im Worldwide Web um, findet man eine Unzahl von Foren, Portalen, Videos und eben auch Anleitungen zum luziden Träumen. Bei genauerem Hinsehen stammt vieles davon aus der Erfindungskiste von selbsternannten, esoterisch angehauchten Klartraum-„Spezialisten“, deren „Wissen“ man nicht unbedingt Glauben schenken sollte.    

 

Zum Glück lässt sich aber auch viel seriöses Material zum Thema finden. Es gibt Tipps und Trainingsmethoden von Wissenschaftlern und fundierten Kennern der Materie, unter ihnen der anerkannte Neurowissenschaftler und Klartraum-Forscher Martin Dresler. Er kommt u.a. in der „FAZ“3 zu Wort, wo er betont, dass von Anleitungen wie „In 10 Schritten zum luziden Träumen“ nichts zu halten. Doch könne man das Klarträumen durchaus mit Erfolg trainieren – Geduld und Disziplin vorausgesetzt. Anfangen solle man mit einem regelmäßig geführten Traumtagebuch. Wenn man dabei entdecke, dass immer wieder dieselben Dinge in den Träumen auftauchten, solle man sich diese regelmäßig vor dem Einschlafen als Bild vor Augen führen sich dabei laut vorsagen: „Ich träume jetzt.“ Dadurch könne man sich darauf trainieren, dass man, sobald sich dieses Bild in einem Traum wieder zeigt, automatisch denkt: „Ich träume jetzt“ – eine gute Grundlage, um das Klarträumen zu lernen.

 

Regelmäßiges Trainieren muss sein

 

Eine weitere Empfehlung Dreslers ist, sich auch während des Tages, also im Wachzustand, immer wieder zu fragen, ob man gerade träume. Das könne dazu führen, dass man sich irgendwann diese Frage auch im Traum stelle. Auch so genannte „Reality Checks“, kleine Tests, die zeigen, ob man gerade wach ist oder träumt, hält Dresler für eine probate Trainingsmethode. Zum Beispiel: sich die Nase zuhalten und dabei versuchen, einzuatmen – also etwas, das allenfalls im Traum funktionieren kann. Diese Checks werden für das Unterbewusstsein irgendwann zur Gewohnheit, sodass man sie nach regelmäßiger Durchführung auch im Traum machen kann. Dann wird man im Traum klar feststellen: „Aha, ich atme mit zugehaltener Nase, also träume ich!“

 

Eine wichtige Erkenntnis zum luziden Träumen kommt aus Übersee. Laut einem Bericht in der Süddeutschen Zeitung6 haben australische Forscher herausgefunden, dass man luzide Träume am besten erzielen kann, wenn man regelmäßig drei bestimmte „Trainingsmethoden“ kombiniert, darunter auch den schon beschriebenen „Reality Check“. In einem im Fachblatt Dreaming erschienenen Artikel7 schildern die Wissenschaftler, wie sie die Methoden mit rund 170 erwachsenen Australiern in einem zweiwöchigen Experiment ausprobierten. Die Probanden wurden in unterschiedliche Gruppen verteilt, die jeweils unterschiedliche Methoden oder auch alle drei zusammen nutzten. Das Ergebnis: Alle drei Methoden zusammen sind offensichtlich am erfolgreichsten. Luzides Träumen lasse sich also trainieren, so die Schlussfolgerung der Forscher.

 

Mehr als „nur Spaß“

 

Wozu aber ist luzides Träumen nun eigentlich gut? Wozu kann es dienen? Da sind sich alle Kenner der Materie einig: Die Möglichkeiten sind äußerst vielfältig! Da gibt es zum einen den nicht unwesentlichen Spaßfaktor. Die eigenen Träume klar zu beobachten und zu steuern, zu sehen, welch absurde Bilder und Geschichten das eigene Gehirn entwickeln kann, das schildern die meisten Klarträumer als extrem aufregend. Besonders faszinierend kann es werden, wenn ein Klarträumer Dinge ausprobiert, die in der wachen Wirklichkeit ganz einfach nicht gehen, etwa Fliegen, oder wenn er sich bewusst an einen wunderschönen Ort „zaubert“.

 

Doch Spaß allein macht das luzide Träumen nicht so wertvoll. Wie das Fachportal traeumen.org erläutert, wird das Potenzial, das im Klarträumen steckt, u.a. auch im Bereich der Psychotherapie genutzt. Hier spielen Träume als Botschaften des Unterbewussten sowieso längst eine große Rolle – und luzide Träume eignen sich besonders gut als aktiv nutzbares therapeutisches Instrument. Zum Beispiel können Patienten mit Angststörungen, die häufig Albträume erleben, lernen, die „bösen“ Träume bewusst zu beeinflussen. Damit können sie trainieren, in angsteinflößenden wachen Situationen autonomer zu reagieren und letztlich Ängste zu überwinden.

 

Auch bieten die bewussten Träume die Möglichkeit, während des Schlafs zu lernen oder zu trainieren. So ist z.B. bekannt, dass Sportler in ihren luziden Träumen trainieren, indem sie die entsprechenden Bewegungen im Traum ständig wiederholen. Die Bewegungen werden vom Gehirn gespeichert. Damit steigen die Chancen, dass der Sportler diese auch im Wachzustand anwendet und seine sportlichen Erfolge damit steigert. Eine Studie des Sportwissenschaftlers Daniel Erlacher hat diesen Effekt bestätigt8.

 

Kann Klarträumen auch gefährlich sein?

 

Bei all den positiven Erfahrungen mit luzidem Träumen sollte natürlich auch die Frage nicht außen vor bleiben, ob das Klarträumen nicht auch schaden kann. Doch klar greifbare negative Folgen des luziden Träumens sind offenbar bisher nicht bekannt. So berichtet etwa das Portal traeumen.org, dass die meisten Klarträumer – weit über 90 Prozent der Befragten – die Erfahrungen und Gefühle, die ihr luzides Träumen mit sich bringt, als rundum positiv bewerten.8

 

„Es ist zwar kein natürlicher Zustand, aber es gibt auch keine negativen Konsequenzen“, sagt die Psychologin und Traumforscherin Ursula Voss in der FAZ. Nach ihrer Erfahrung könnten die meisten Klarträumer, deren Träume von guter Stimmung begleitet würden, diese auch vom Traum in den Wachzustand mitnehmen.3

 

Einzig Brigitte Holzinger, Psychologin und Leiterin des Wiener Instituts für Bewusstseins- und Traumforschung, findet warnende Worte und rät dazu, nicht zu viel auf eigene Faust zu experimentieren und behutsam an eigene luzide Träume heranzugehen. In einem Online-Artikel der ZEIT sagt sie: "Wir wissen nicht genau, was eigentlich psychisch geschieht, wenn wir in unsere Träume eingreifen. Damit sollte man nicht leichtfertig umgehen.“9

 

Fazit also: Nur Mut zum luziden Traum, beim Umgang damit jedoch im Zweifel lieber Rat bei seriösen Experten suchen. Träumen Sie gut!

 

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Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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