Mikroplastik: Schädlich für Gewässer und ihre Bewohner – und auch für den Menschen?
Plastik, wo wir hinschauen: Wir leben sozusagen in einer Kunststoffwelt. Verpackungen, Tüten, Hygieneartikel, Kinderspielzeug, Möbel, Kosmetika und unzählige andere Dinge des alltäglichen oder speziellen Bedarfs – überall ist Plastik zumindest zum Teil enthalten. Kein Wunder, denn Plastik hat zahlreiche Vorteile: es ist stabil, leicht, form- und haltbar – und vor allem kostengünstig für die Hersteller. Doch richtet der Kunststoff nachhaltigen Schaden an. Die Plastiktüten und anderer Plastikmüll der Wohlstands- und Wegwerfgesellschaft, die sich inzwischen massenhaft in den Weltmeeren befinden und die dort lebenden Organismen bedrohen und töten, brauchen Hunderte von Jahren, bis sie verschwunden sind. Wenn sie überhaupt verschwinden – denn kleinste Reste dieses Plastikmülls werden inzwischen als sogenanntes Mikroplastik in den Mägen von Fischen, in Muscheln und in zahlreichen anderen Nahrungsmitteln ebenso wie in Seen und Flüssen gefunden. Mikroplastik steckt quasi überall drin – und ist seit einiger Zeit als Angstmacher-Thema in aller Munde. Doch wie gefährlich die Miniteilchen tatsächlich für die menschliche Gesundheit sind, ist noch längst nicht geklärt.
Was ist Mikroplastik, und wo steckt es drin?
Mikroplastik, das sind mikroskopisch kleine Teilchen, genauer gesagt nicht lösliche synthetische Polymere (Kunststoffe), die – so die offizielle Definition – kleiner als fünf Millimeter sind. Mikroplastik stellt ein handfestes und schwer zu bewältigendes Öko-Problem dar, weil es sich weltweit ausbreitet, in die Nahrungskette und damit auch – mit ungewissen Folgen – auf unser aller Teller und in unsere Körper gelangt und weil es zudem auch noch andere Schadstoffe an sich bindet. Mikroplastik entsteht durch den Abrieb von Autoreifen, löst sich von Parkbänken und Kinderschaukeln, gelangt über Kläranlagen, Mülldeponien und Abfallentsorgung in die Umwelt, verteilt sich durch Wind und Regen und dringt tief in Acker- Wald- und alle anderen Böden. Mikroplastik ist praktisch allgegenwärtig.
Unterschieden wird dabei zwischen dem primären und dem sekundären Mikroplastik. Primäres Mikroplastik wird von der Industrie in Form von Pellets, Granulat oder Flüssigkeiten gezielt hergestellt, um daraus beispielsweise Plastikflaschen zu produzieren oder Pflegeprodukten bestimmte günstige Eigenschaften zu verleihen. So wird etwa flüssiges Plastik als Binde- und Schmiermittel oder winzige Plastikperlen in Seifen und Duschgel, in Shampoos, Peelings, Cremes und Lotions eingesetzt. Wozu das gut ist? Für vielerlei – beispielsweise verbessert das Mikroplastik im Peeling die „Schmirgelwirkung“, in Shampoos legt es einen geschmeidigen Film um die Haare, die Creme macht es besonders zart und gut verteilbar. In vielen Weichspülern und Flüssigwaschmitteln sorgt flüssiges Mikroplastik für die gelartige Konsistenz. Damit noch längst nicht genug – alle Produkte aufzuzählen, in denen Mikroplastik steckt, ist an dieser Stelle unmöglich. Nur noch ein Beispiel: Wer Kaugummi mag, kaut buchstäblich auf Polymeren, also Kunststoffen auf Erdölbasis, herum. Und auf einem Produkt, an dem auch die Umwelt lang, sehr lang zu kauen hat. Denn die allermeisten Kaugummis sind nicht biologisch abbaubar.
Sekundäres Mikroplastik wird dagegen nicht gezielt hergestellt, sondern entsteht dann, wenn größere Plastikteile sich auflösen. Unter dem Einfluss von Wind, Wasser und Sonne, durch Abnutzung mit der Zeit oder durch Waschen zerfallen die Plastiktüten im Meer, Autoreifen, Putzlappen und -schwämme aus Kunststoff, aber auch – für viele überraschend – Kleidungsstücke aus Synthetikfasern. Dazu gehören auch die wegen ihrer Flauschigkeit und guten Waschbarkeit so beliebten Fleece-Klamotten. Diese sind offenbar echte Mikroplastik-„Bomben“: Untersuchungen ergaben, dass Fleece, eine Form des Polyester, bei jedem Waschgang rund 2000 winzigste Kunststofffasern verliert. Diese schlüpfen mühelos durch alle Waschmaschinensiebe und Kläranlagenfilter und gelangen am Ende in die Meere.
Von der Shampoo-Flasche in die Weltmeere
Nach Schätzungen des deutschen Umweltbundesamtes (UBA) werden allein in Deutschland in Kosmetika jedes Jahr um die 500 Tonnen primäres Mikroplastik verwendet. Was damit geschieht, ist leicht nachvollziehbar: Es wird mit der alltäglichen Körperpflege in die Abflüsse von Waschbecken und Badewannen gespült und landet in der Kanalisation. In so gigantischen Mengen, dass die Klärwerke es längst nicht mehr schaffen, die Miniteilchen aus dem Abwasser herauszufiltern. Und so gelangt unser aller Mikroplastik in Umwelt und Gewässer. Vor allem die Meere sind davon betroffen; zahlreiche Untersuchungen bringen seit Jahren schockierende Zahlen und Fakten hervor.
Hier nur einige davon: Geschätzt wird, dass derzeit etwa 100 Millionen Tonnen Plastik in den Weltmeeren treiben. Das Umweltbundesamt gibt an, dass inzwischen durchschnittlich 13.000 Plastikmüll-Partikel auf jedem Quadratkilometer Meeresoberfläche schwimmen. Und auch weit unter der Meeresoberfläche treibt der unverwüstliche Stoff sein Unwesen: selbst in den Tiefseegräben der Erde wurde er inzwischen gefunden. Was Kläranlagen angeht, so ergab eine im Oktober 2014 veröffentlichte Untersuchung, die im Auftrag des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) und des Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverbands (OOWV) in 12 Kläranlagen durchgeführt wurde, dass – je nach Anlagengröße – jährlich bis zu über acht Milliarden, mindestens aber 93 Millionen Partikel, über die Anlagen in die Flüsse gelangen. Auch im Klärschlamm, der auf die Felder ausgebracht wird und darüber in die Umwelt bzw. bis in die weltweiten Gewässer gelangt, wurden allein bei dieser Untersuchung Milliarden Partikel Mikroplastik gefunden.
Die Gesundheitsgefahr für den Menschen ist bisher ungeklärt
Das alles klingt bedrohlich, auch für die menschliche Gesundheit. Denn warum sollte das, was erwiesenermaßen der Umwelt und ihren Ökosystemen sowie großen Teilen der Tierwelt schadet, nicht auch für den Menschen gefährlich sein? Mal ganz abgesehen von den traurigen, ja schockierenden Zahlen, die Forscher und Experten immer wieder veröffentlichen und nach denen möglicherweise 100.000 Meerestiere wie Wale oder Delfine und bis zu eine Million Seevögel jedes Jahr durch Plastik im Meer sterben müssen – wir wissen doch auch, dass das Meer irgendwann alles wieder ans Land freigibt, und somit auch an uns zweibeinige Erdenbewohner. Man denke nur an einen leckeren Fisch aus der Nordsee, der Mikroplastik bekanntlich seit Jahren schon im Magen hat. Mikroplastik ist uns ständig ganz nah. Wir trinken Wasser und Limo aus Plastikflaschen, holen uns den hippen Coffee to go im Plastikbecher und entsorgen nach jedem Supermarkteinkauf zig Plastikfolien, in denen unsere Lebensmittel eingeschweißt oder verpackt waren. Doch was wasserdichte Erkenntnisse über die Schädlichkeit von Mikroplastik für den Menschen angeht, fischen die Forscher noch weitgehend im Trüben. Wer sich gerne auf offizielle Stellen verlässt, dürfte sich durch das Bundesamt für Risikobewertung und das Umweltministerium beruhigt fühlen: Beide gehen derzeit davon aus, dass Mikroplastik keine große Gefahr für die menschliche Gesundheit bedeutet. Doch letztlich kann niemand auch nur mit annähernder Bestimmtheit sagen, wie gefährlich Mikroplastik für unsere Gesundheit ist bzw. noch werden könnte.
Damit sich das so bald wie möglich ändert, wird weltweit zu Mikroplastik geforscht; zahlreiche Vermutungen und interessante Hinweise gibt es bereits. So vermuten Wissenschaftler, dass sich Mikroplastik im Fettgewebe anreichern könnte, da bestimmte Substanzen darin fettlöslich sind. Einiges deutet auch darauf hin, dass sich zahlreiche Schadstoffe, z.B. krankmachende Bakterien, besonders leicht über Mikroplastik verbreiten können. Sie würden abgegeben, sobald man kontaminierte Lebensmittel zu sich nimmt – je mehr davon, desto schädlicher wirken sie sich möglicherweise aus. Auch die Annahme, dass die verschwindend kleinen Mikroplastik-Partikel die Zellbarrieren im Körper überwinden und so Entzündungen auslösen könnten, etwa in der Lunge oder im Darm, steht im Raum.
Mikroplastik im menschlichen Kot
Große Wellen schlug eine Meldung, die im Oktober 2018 durch sämtliche Medien ging: „Erstmals Mikroplastik in menschlichen Stuhlproben gefunden“. Bei all der Aufregung ob dieser Funde geriet gänzlich in Vergessenheit, dass hinter der Schlagzeile lediglich eine Pilotuntersuchung, nicht aber eine breit angelegte wissenschaftliche Studie steckte, und dass dabei gerade mal acht Stuhlproben untersucht wurden. Fragt man nach, erfährt man schnell, dass die Hintergründe und Umstände dieser Befunde gänzlich unklar sind und niemand eine Ahnung hat, warum sich Mikroplastik in den Stuhlproben befand. Die an der Untersuchung beteiligten Experten wollen – mit der Pilotuntersuchung als Startimpuls, sozusagen – nun erst einmal damit beginnen, eine wirklich aussagekräftige, breit angelegte Studie vorzubereiten.
Außerdem könnte es ja auch ein gutes Zeichen sein, wenn sich Mikroplastik im menschlichen Kot befindet – heißt das doch nichts anderes, als dass der Körper offenbar in der Lage ist, die Plastikpartikel auf natürlichem Weg aus dem Organismus hinauszubefördern. Eine Annahme, die auch das Bundesumweltministerium seit Jahren vertritt.
Viele Experten sagen: Manche Stoffe schaden zwar bestimmten Teilen des Ökosystems, jedoch damit nicht automatisch auch dem Menschen. In einem Artikel aus ZEIT online vom Oktober 2018 wird dies anhand eines anschaulichen Beispiels verdeutlicht. Demnach schafften es die Kläranlagen in Deutschland ja auch nicht, alle Chemikalien, darunter Medikamentenrückstände, aus dem Abwasser zu filtern. So hat man nahe der Zuflüsse von Kläranlagen immer wieder „verweiblichte“ Fische gefunden, wohl weil sich reichlich weibliche Geschlechtshormone aus der Antibabypille in deren Lebensraum tummelten. Für den Menschen bedeutet dies jedoch weniger Gefahr, da dessen Trinkwasser auf seinem Weg ins Grundwasser von den Gesteinsschichten des Bodens noch einmal gründlich gefiltert und dann auch noch behördlich streng getestet würde. Spuren von Medikamenten, die hin und wieder im Leitungswasser gefunden würden, seien derart gering, dass man von einer Gesundheitsgefahr für den Menschen nicht ausgehen könne.
(ZEIT online 23.10.2018, „Das Plastik in uns“, aufzurufen unter https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2018-10/mikroplastik-kunststoff-meer-gesundheit-ernaehrung-tiere-gefahren)
In jedem Fall gilt: Plastik vermeiden ist besser
Bis wir genau wissen, ob Mikroplastik unserer Gesundheit schadet, dürfte noch viel Zeit vergehen und reichlich Forschungsarbeit nötig sein. Es bräuchte wahrscheinlich breit angelegte Versuche an Tieren wie an Menschen – unter letzteren Probanden zu finden, dürfte nicht einfach sein, ebenso wenig wie Vergleichsgruppen aus Menschen zusammenzustellen, die in keinerlei Kontakt mit Mikroplastikteilchen sind. Immerhin hat das Bundesforschungsministerium Ende 2017 für verschiedene Forschungsprojekte zum Thema Plastik stolze 35 Millionen Euro bewilligt.
Eines ist jedoch jetzt schon klar: Einen Gefallen tun wir Menschen uns nicht, wenn wir weiterhin massenhaft Plastik in die Umwelt und ins Meer entlassen, denn letztlich landet das Plastik unweigerlich wieder bei uns – und hat zuvor schon unsere Böden und Meere verunreinigt und Millionen Lebewesen womöglich das Leben erschwert oder gekostet. Ganz nach der Devise „Der Mensch ist so gesund wie die Umwelt, in der er lebt“ könnte die Lehre, die wir aus unseren diffusen Mikroplastik-Ängsten ziehen, lauten: Wir brauchen nicht in Panik zu verfallen – aber wir müssen etwas tun.
Was das ist, liegt auf der Hand: Plastik vermeiden. Das allerdings nur den Verbrauchern zu überantworten, greift sicherlich zu kurz. Viele Umweltexperten, aber durchaus auch etliche Politiker sind sich einig: Die Hersteller müssen künftig weniger Kunststoff verwenden und produzieren, und wenn sie das nicht freiwillig tun, muss die Politik entsprechende Gesetze schaffen. Es kann als – wenn auch sehr kleiner – Schritt in die richtige Richtung betrachtet werden, dass die EU künftig wenigstens Einweg-Strohhalme und -Wattestäbchen verbieten will. Leider gibt sich die Politik der Industrie gegenüber nach wie vor mehr als großzügig. So setzt das Umweltbundesamt, obwohl es erklärtermaßen Umweltbelastungen durch in Kosmetikprodukten verwendetes Mikroplastik „nicht ausschließt“, weiterhin auf Freiwilligkeit. Viele Kosmetikhersteller geben sich auch einsichtig und behaupten, künftig auf Mikroplastik verzichten zu wollen. Doch Umweltverbände wie BUND und Greenpeace warnen vor Augenwischerei: Die meisten Hersteller konventioneller Produkte, so die Umweltschützer, verstehen unter dem Mikroplastik, auf das sie angeblich verzichten werden, ausschließlich feste Plastikpartikel wie z.B. Polyethylen (PE), nicht aber wasserlösliche, flüssige, gel- oder wachsförmige Kunststoffe und auch nicht Nano-Partikel. Sie alle werden wohl weiterhin verwendet, solange das erlaubt ist.
Tipps für ein plastikarmes Leben
Somit ist es also zunächst vor allem an uns Verbrauchern, uns dem Mikroplastik-Wahn so gut es geht entgegenzustemmen. Und das kann allein dadurch geschehen, dass wir ein weitgehend plastikfreies Leben anstreben. Hier einige wirksame Tipps für den Alltag:
- Vielfach verwendbare Tragetaschen aus Baumwolle, Körbe oder Rucksäcke verwenden statt Plastiktüten.
- Zertifizierte Bio-Kosmetik kaufen statt Kosmetika mit Kunststoff. Mitunter ist es gar nicht so einfach herauszufinden, wo was drin ist. Einkaufshilfe bieten Umweltschutzorganisationen wie BUND und Greenpeace auf ihren Internetseiten. Sie listen Bezeichnungen auf, mit denen Kunststoffe benannt werden, etwa Polyethylen (PE), Polypropylen (PP) oder auch Nylon.
- Auch Kleidung bewusst einkaufen und dabei möglichst Naturfasern wählen, also Baumwolle, Wolle, Seide usw. statt z.B. Polyester und Nylon.
- Bei jedem Griff zum Plastik überlegen, ob es wirklich nötig ist. Sagen Sie Einwegflaschen, Plastikbechern und jeglichem Billig-Plastikkram Adieu! Vieles, das praktisch ist oder einfach Spaß macht, gibt es auch aus langlebigen Materialien wie Holz, Stoff oder Glas.
- Möglichst unverpackte Lebensmittel kaufen oder allenfalls größere Mengen, die in einer Folie verpackt sind. Oder auf dem Wochenmarkt lose Produkte kaufen oder Bio-Kisten vom Öko-Bauern ordern.
- Müll trennen: Nur wenn Plastik konsequent von den anderen Materialien getrennt wird, lässt es sich wiederverwerten. Das ist umso wichtiger, als Deutschland in der EU beim Plastikverbrauch traurige einsame Spitze ist!
- Nicht immer alles gleich in die Tonne hauen: Viele Plastikgegenstände lassen sich reparieren – oder anderweitig verwenden. Ganz Kreative schaffen aus ollen Kunststoffteilen sogar nützliche, schöne und absolut individuelle Dinge wie Schmuckstücke oder Pflanztöpfe. Wer´s ausprobieren will: einfach mal ins Internet unter dem Stichwort „Plastikmüll-Upcycling“ stöbern.
Wetten, dass es auch mit viel weniger Plastik geht?
Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.