Mutismus bei Kindern: Was steckt dahinter?
Unter dem Begriff „Mutismus“, welcher aus dem Lateinischen „mutitas“, übersetzt Stummheit stammt, versteht man eine seltene und oft unbekannte Kommunikationsstörung, bei der zwar keinerlei Defekte der Sprechorgane und des Gehörs vorliegen, man sich aber trotz allem in Schweigen hüllt und „verstummt“. Wie häufig kommt Mutismus im Kindesalter vor? Wie lässt sich bloße Schüchternheit von Mutismus unterscheiden? Weshalb spricht man nicht, obwohl man sprechen kann? Wissenswertes zum Thema Mutismus im folgenden Beitrag.
Definition Mutismus
Die allgemeine Definition von Mutismus lautet: „Stummheit bei intakter Wahrnehmung, erhaltenem Sprachvermögen und intakten Sprechorganen; oft einhergehend mit Stupor (= Sperrung des Antriebs). Ist das Sprechen gesperrt, spricht man von Mutismus.“ Das wichtigste, weltweit anerkannte Diagnoseklassifikationssystem der Medizin (ICD, International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) ordnet Mutismus in die Gruppe der Verhaltens- und emotionalen Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend ein. Der Mutismus lässt sich in Formen einteilen. Im Folgenden werden der (s)elektive sowie totale Mutismus näher erläutert. Die Erläuterung dient keiner individuellen Beratung oder Selbstdiagnose und kann auch keine ärztliche Beurteilung ersetzen, sondern liefert lediglich allgemeine Informationen.
Die Unterteilung des Mutismus
(S)elektive Mutismus Die Bezeichnung elektiver Mutismus ist von dem Schweizer Kinder- und Jugendpsychiater Moritz Tramer (1934) vorgestellt worden und hat seither internationale Gültigkeit, ergänzend durch den aktuellen Begriff „selektiver Mutismus“, der in ICD-10 der WHO (Weltgesundheitsorganisation) beschrieben wird und ein und dasselbe Störungsbild darstellt. Man versteht unter dieser Bezeichnung eine komplexe Verhaltensstörung, welche durch eine emotional bedingte Selektivität des Sprechens beschrieben wird und vorwiegend im Kindes- und Jugendalter in Erscheinung treten kann. Es gibt bestimmte Situationen, in denen das Kind spricht und in anderen, genau definierten Situationen, wiederum nicht. In vertrauter Umgebung liegt keinerlei Unfähigkeit zur Artikulation vor, sodass Eltern in vielen Fällen gar nicht auffällt, dass ihr Kind nicht spricht, sondern sich sogar überdurchschnittlich viel mitteilt, um möglicherweise den versäumten Gesprächsstoff nachzuholen. Darüber hinaus können unter anderem auch folgende Persönlichkeitsmerkmale beobachtet werden:
- Sozialangst
- Rückzug
- besondere Empfindsamkeit
- Widerstand
Zu den Leitsymptomen der ICD gehören:
- Selektivität des Sprechens: in einigen sozialen Situationen spricht das Kind fließend, in anderen sozialen Situationen schweigt es
- Einsetzen von non-verbaler Kommunikation durch Mimik und Gestik
- Vorhersagbarkeit, in welchen sozialen Situationen das Kind verstummt
- Dauer der Störung: mindestens ein Monat
- beim Kind vorhanden ist: altersentsprechende Kompetenz im Sprachausdruck, Sprachverständnis und der Sprechfähigkeit
Totaler Mutismus Im Vergleich zum (s)elektiven Mutismus ist der totale Mutismus leichter zu identifizieren und definieren: Die betroffene Person ist in keiner Situation fähig - trotz einer vollständigen Sprachentwicklung - mit anderen Personen, seien diese bekannt oder unbekannt, zu kommunizieren. Ein totaler Mutismus kann aus einem (s)elektiven Mutismus resultieren oder durch traumatische Erfahrungen und Schockerlebnisse entstanden sein. Auch kann zuvor eine psychiatrische Grunderkrankung vorgelegen haben, wie beispielsweise einer Depression oder Psychose, aus welcher nachgeschaltet der totale Mutismus resultiert ist. Häufig fehlt neben der Artikulation auch jegliche Art von Lautäußerung wie Husten, Niesen, Räuspern usw. Während der (s)elektive Mutismus häufig im Kinder-und Jugendalter auftritt, kann ein totaler Mutismus häufiger bei erwachsenen Personen in Erscheinung treten.
Häufigkeit und Verbreitung
Mutismus zählt zu einer sehr seltenen und eher unbekannten Kommunikationsstörung – von 10.000 Vorschul-oder Schulkindern sind zwei bis fünf Kinder betroffen. Bei dem selektiven Mutismus sind mehr Mädchen als Jungen betroffen.
Bloße Schüchternheit oder (s)elektiver Mutismus?
Häufig ist es schwierig, als Elternteile überhaupt Verdacht zu schöpfen, dass es sich bei der verbalen Zurückhaltung des eigenes Kindes nicht nur um bloße Schüchternheit, sondern um eine seltene und oft unbekannte Kommunikationsstörung handelt. Ein rechtzeitiges Erkennen des Störungsbildes wird daher erschwert, da nämlich die Eltern erst von anderen Eltern, Lehrern oder Schulfreunden des Kindes aufmerksam gemacht werden. Aber auch wenn den Eltern schon früh bewusst wird, dass das Kind mit anderen nicht bekannten Personen nicht spricht, können Bemerkungen wie „Ihr Kind ist nur schüchtern“ oder „Da wächst es schon noch raus“ die Situation verharmlosen und möglicherweise noch verschlimmern. Denn Studien zeigen deutlich, dass je früher eine Behandlung einsetzt, desto besser scheint die Gesamtprognose zu sein. Ein Schweigen über Jahre kann das mutistische Verhalten nämlich verfestigen. Zur Diagnostik von Mutismus werden herangezogen:
- Soziogramm
- Psychopathologischer Befund
- Befragung des Kindes und der Eltern
- Familienanamnese
- Verhaltensbeobachtung
Da in der Regel keine Sprachdiagnostik möglich ist, können Videoaufnahmen innerhalb der Familie Hilfestellung zur weiteren Analyse bieten.
Wie können Kinder mit Mutismus behandelt werden?
Das wesentliche Ziel der Therapie besteht darin, das Kind wieder zum Kommunizieren zu führen, nicht nur in den psychotherapeutischen Sitzungen, sondern auch in den alltäglichen Situationen. Da die gesamte Entwicklung (sprachlich, kognitiv, sozial, emotional) vom mutistischen Verhalten betroffen sein kann, sind Folgen in der Persönlichkeitsentwicklung möglich sowie Schwierigkeiten / Beeinträchtigungen in der Schule, der Ausbildung oder im Beruf, weswegen eine rechtzeitige Behandlung wichtig ist. Sollten Therapien in einem Zeitraum von sechs Monaten keinen Erfolg bringen, sollten diese beendet werden und ein Therapiewechsel angestrebt werden. Eine rein sprachlichtherapeutische Therapie ist in jedem Fall eher kontraindiziert. Ebenfalls ist es absolut kontraproduktiv, das Kind zum Sprechen zu zwingen. Eine mutismusspezifische Behandlungskonzeption ist die Systemische Mutismus-Therapie (SYMUT) von Hartmann, die sprachtherapeutische und verhaltenstherapeutische Maßnahmen miteinander kombiniert. Ein Behandlungsplan muss für jedes Kind individuell zugeschnitten werden. Auch Eltern benötigen Hilfe und Unterstützung sowie Durchhaltevermögen in der Phase der Therapie ihres an Mutismus leidenden Kindes, da dieses eine große Herausforderung für die gesamte Familie darstellen kann. Wichtig ist, vor allem ruhig und geduldig zu sein.
Die ausgebildete Operations-Technische Assistentin hat nach ihrer dreijährigen Ausbildung eine Weiterbildung zur Chirurgisch-Technischen Assistentin in der Allgemein- und Visceralchirurgie in Köln absolviert. Inzwischen blickt sie auf eine mehrjährige Erfahrung in der OP-Assistenz in diesem Fachgebiet zurück. Neben ihrer Tätigkeit im OP studiert Frau Ehresmann Humanmedizin in einem Modellstudiengang in Aachen.