Nachtaktiv und höchst effizient: Was Körper und Geist im Schlaf alles schaffen
Rund ein Drittel unseres Lebens bekommen wir nicht bewusst mit, da wir es „verschlafen“ – in etwa sieben Stunden Schlaf, die sich jeder Deutsche Nacht für Nacht im Durchschnitt gönnt. Doch „verschlafen“ trifft es absolut nicht. Vielmehr „erschlafen“ wir uns das Leben, denn während wir schlummern, passieren zahllose Dinge, die unseren Körper und Geist gesund und lebensfähig erhalten. Unser ermüdeter Organismus regeneriert sich und sorgt gleichzeitig dafür, dass alle wichtigen Funktionen am Leben erhalten werden, das Gehirn speichert Erlebnisse und Gelerntes und sortiert Unwichtiges von Wichtigem, sogar Krankheiten werden bekämpft. Es ist wirklich fantastisch, was wir alles buchstäblich „im Schlaf“ schaffen!
Wie in den Schlafmodus kommen?
Um überhaupt müde zu werden und in den Schlafmodus zu kommen, ist zunächst einmal ein körpereigener Botenstoff elementar wichtig: das Hormon Melatonin, das in der Zirbeldrüse des Gehirns ausgeschüttet wird und den Tag-Nacht-Rhythmus des Körpers reguliert. Zur Ausschüttung dieses „Schlafhormons“ kommt es nur dann, wenn die Lichteinwirkung des Tages nachlässt und die zunehmende Dunkelheit uns signalisiert: Zeit, zur Ruhe zu kommen. Wir bereiten uns also auf den Schlaf vor; unsere Körpertemperatur sinkt leicht ab, wir atmen langsamer und der Blutdruck sinkt. Gute Nacht!
Von der Tiefschlaf- zur Traumschlafphase und zurück
Was dann passiert, nachdem wir uns in die Nachtruhe verabschiedet haben, das lag über viele Jahrhunderte im Dunklen – bis der deutsche Neurologe Hans Berger in den 1920er-Jahren den Elektroenzephalografen (kurz EEG) erfand. Damit stand erstmals ein Gerät zur Verfügung, das in der Lage war, die Hirnströme, also die elektrische Aktivität des Gehirns, zu messen und damit auch festzuhalten, was bei Schlafenden im Hirn passiert.
Dank Bergers bahnbrechender Erfindung wissen Schlafforscher heute, dass die Nachtruhe in mehrere Stadien unterteilt wird: die relativ kurze Einschlaf- und die Leichtschlaf-Phase, zwei Tiefschlafstadien und die sogenannte REM-Phase, auch Traumschlaf genannt. REM steht für „Rapid Eye Movement“, also „schnelle Augenbewegungen“, denn in dieser Schlafphase bewegen sich die Augäpfel sehr schnell hinter den geschlossenen Lidern. Gegen Ende der Nacht bereitet sich der Körper in einer erneuten Leichtschlafphase wieder aufs Aufwachen vor, indem er größere Mengen des „Stresshormons“ Cortisol ausschüttet, dessen Spiegel während der Nacht besonders niedrig ist. Im besten Fall wachen wir danach ausgeruht und erfrischt auf und nehmen den neuen Tag in Angriff.
Das EEG bringt Verborgenes ans Licht
Tiefschlaf- und Traumphasen wechseln sich ungefähr alle 90 Minuten ab, und das insgesamt vier bis sechs Mal pro Nacht. Dabei kommt es auch immer wieder zu einem kurzen Aufwachen, was wir aber nur bemerken, wenn wir länger als einige Minuten lang wach bleiben.
Da die Hirnströme in jeder Schlafphase deutlich unterschiedlich verlaufen, kann das EEG genau zeigen, wo sich der Schläfer gerade befindet. In Schlaflaboren wird dies regelmäßig praktiziert. Dem Probanden werden Elektroden am Kopf befestigt, die die Hirnströme genau messen und in Linienverläufen abbilden. Während der Einschlafphase zeigen sich ruhige, flache Linien: das Gehirn ist wie ein Computer „heruntergefahren“. Wenn nach ca. einer halben Stunde die Tiefschlafphase einsetzt, verläuft die Linie in einem ruhigen, beständigen Auf und Ab, wobei sich Aufwärtswellen mit tiefen „Tälern“ abwechseln. In der REM-Phase dagegen zeigt das EEG einen ähnlich aktiven Zustand wie bei wachen Menschen, das heißt: im Kopf herrscht gesteigerte Aktivität.
Körper und Gehirn in der „Nachtschicht“
Was aber passiert nun genau in den unterschiedlichen Schlafphasen? Schauen wir uns zunächst die Tiefschlafphase an. Hier schüttet der Körper große Mengen von Wachstumshormonen aus und sorgt hierdurch für eine Rundum-Regeneration. Denn durch Wachstumshormone können sich die Zellen erneuern; so entstehen z.B. neue Hautzellen, wodurch unter anderem Wunden im Schlaf besonders gut heilen oder sich der strapazierte Teint erholt – der Grund, dass wir nach einer erholsamen Nachtruhe im Gesicht frischer aussehen als am Abend zuvor. Auch das Immunsystem ist hellwach, während wir tief schlafen, es bekämpft mit seinen Abwehrzellen Krankheitserreger, weshalb wir auch eine heranziehende Erkältung oft durch eine ausgiebige Nachtruhe buchstäblich „wegschlafen“ können. Die körperliche Erholung während der Tiefschlafphase zeigt sich darin, dass die gesamte Muskulatur erschlafft und entspannt, der Blutdruck gesunken und der Anteil des Stresshormons Cortisol besonders niedrig ist.
Wie unter anderem das Magazin „Stern“ berichtete, haben Forscher vor einigen Jahren herausgefunden, dass sich im Tiefschlaf zwar der Körper ausruht, bestimmte Teile des Gehirns jedoch aktiv für uns arbeiten. So hat sich gezeigt, dass das Hirn bestimmte Inhalte im so genannten deklarativen Gedächtnis (dem bewussten Gedächtnis) abspeichert, das sich erwiesenermaßen im Tiefschlaf verfestigt. Dazu gehören Inhalte wie z.B. das Lernen von Fremdsprachen, andere logische Denkleistungen oder auch wichtige, uns bewegende Erinnerungen.1
Lernen, erinnern und „Hirn aufräumen“ – alles im Schlaf
Wenn wir nach der Tiefschlafphase in die REM-Phase, den Traumschlaf, hinübergleiten, wird der Körper wieder stark aktiv. Hinsichtlich Blutdruck, Energieverbrauch und Pulsfrequenz ist es fast so, als seien wir wach, doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zum Wachzustand: unsere Muskeln sind sozusagen „gelähmt“. Und das ist auch gut so, denn könnten wir sie während der teils heftigen Träume bewegen und die Inhalte unserer Träume aktiv ausagieren, dann liefen wir Gefahr, uns selbst zu verletzten – ein kluger Schachzug unseres Stammhirns, das die Muskulatur in der REM-Phase ausschaltet!
Wer die teils wirren und geradezu surrealen Träume kennt, die vor allem während der REM-Phasen der späteren Nacht auftauchen, wird gut nachvollziehen können, dass gerade in diesen Phasen die menschliche Fantasie zu ihrem Recht kommt. Forscher sind der Meinung, dass sie sich hier endlich einmal austoben darf, während die Fantasie im Wachzustand ja oft allzu sehr vernachlässigt wird.
Vor allem aber hilft die Traumschlafphase unserem Geist, die Eindrücke des vergangenen Tages zu verarbeiten, Wichtiges im Langzeitgedächtnis zu verankern und Unwichtiges ins Kurzzeitgedächtnis zu räumen bzw. aus der Erinnerung zu löschen. Zum Beispiel vergessen wir über Nacht wahrscheinlich, dass unser Kollege gestern gelbe Socken getragen hat. Dagegen speichern wir mit Sicherheit die Erinnerung ab, dass eben dieser Kollege gestern gekündigt hat und sich auf einen beruflichen Neustart vorbereitet. Durch diese Auslese können die allzu vollen Gehirnspeicher „entrümpelt“ werden, das Gehirn kann neue Kraft tanken.
Längerer Schlaf, besserer Impfschutz?
Ziemlich genial – doch damit nicht genug: Was die Traumphase im Gehirn durchführt, schafft die Tiefschlafphase offenbar bei wichtigen körperlichen Funktionen. Das ARD-Infoportal „Planet Wissen“ berichtet, dass vor einigen Jahren amerikanische Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen der Dauer des Schlafes und der Effektivität des Immunsystems erkannten.2 Im Rahmen der entsprechenden Studie hatten sich die Teilnehmer gegen Hepatitis B impfen lassen. Bei einem Teil von ihnen zeigte die Impfung jedoch keine Wirkung. Nach umfangreicher Suche stellte sich heraus, dass dieser Teil der Probanden nachts im Durchschnitt weniger als sechs Stunden schlief. Detailgenau festgehalten, lag bei den „Wenigschläfern“ im Vergleich zu den Studienteilnehmern, die pro Nacht mindestens sieben Stunden schliefen, das Risiko, trotz Impfung nicht gegen Hepatitis B geschützt zu sein, 11,5 Mal höher.
Auf diesen Erkenntnissen baute dann einige Jahre später eine deutsch-niederländische Forschergruppe auf. Sie fand zum einen weitere Hinweise darauf, dass die Schlafdauer nach einer Impfung bedeutend für deren Erfolg ist. Zudem erschloss dieses Wissenschaftler-Team aber auch weitere Anhaltspunkte dafür, dass sich während des Tiefschlafs in unserem Immunsystem entscheidende Dinge abspielen. Sobald ein Krankheitserreger in den Körper eindringt, versuchen die Abwehrzellen des Immunsystems, diesen „Feind“ unschädlich zu machen. Dies tun sie u.a. dadurch, dass sie den anderen Zellen des Immunsystems den Krankheitserreger zeigen, sodass einige von ihnen spezifische Antikörper gegen den Erreger bilden können. Die Forschergruppe führte aufwändige Studien durch und erkannte schließlich, dass die Abwehrzellen, die den anderen Zellen den Erreger zeigten, ihre Informationen während des Tiefschlafes weitergaben.
Im Traumschlaf „übt“ das Gehirn
Der „Stern“ führte wiederum noch mehr interessante Studien zu den Geschehnissen in den traumintensiven REM-Phasen auf.1 In ihnen scheint sich das sogenannte prozedurale Gedächtnis zu verbessern. Damit sind Abteile der Erinnerung gemeint, die unbewusste Fähigkeiten organisieren, also erlernte Dinge, die wir „einfach so“ können, etwa Tanzen, Schnürsenkel binden oder Fahrrad fahren. Forscher wiesen nach, dass wir in unseren Traumschlafphasen Trainiertes weiter verfestigen.
Bei einem Versuch hatten die Probanden tagsüber Fingerübungen auf einer Computertastatur durchgeführt. Nach einer durchschlafenen Nacht hatten sich die Übungen besser ins Gehirn eingebrannt als nach einer ebenso langen Pause während des Tages. Und diejenigen Testpersonen, die während des Nachtschlafs mehr Traumschlafphasen durchlaufen hatten als die anderen, beherrschten die Übungen besonders gut. Dass das Gehirn Gelerntes im REM-Schlaf offenbar noch einmal durchexerziert und das Erlernte in Erinnerungen festhält, darüber gaben vor allem Bilder vom Gehirn Aufschluss. Ein sogenannter Positronen-Emissions-Tomograph (PET) zeichnete die Bilder während der REM-Phase auf und zeigte: Im Traumschlaf arbeiten dieselben Nervenzellen im Gehirn, die auch während des Tages bei den Fingerübungen aktiv waren.
Fazit: Dass Schlaf also ungeheuer wichtig ist für die geistige und körperliche Gesundheit und dass sich dabei die Geschehnisse in den unterschiedlichen Schlafphasen hervorragend ergänzen, zeigen die beschriebenen Erkenntnisse nur allzu deutlich. In diesem Sinne: Schlafen Sie gut!
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Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.