Ödeme – Wenn der Lymph-Abtransport gestört ist
„Wassereinlagerungen“ (Lymphödeme) entstehen durch zu schwache Lymphgefäße, an denen schätzungsweise 5 Prozent der Bevölkerung leidet. Kann unser Körper die Gewebsflüssigkeit der „Lymphgefäße“ nicht mehr abtransportieren, kommt es zu möglicherweise zu chronischen Schwellungen beziehungsweise Dellungen in unserer Haut und Unterhaut. Wenn sich ein solches Beschwerdebild nicht „von selbst“ innerhalb weniger Tage bis Wochen zurückbildet, ist ärztlicher Rat gefragt. Doch die gute Nachricht bei solchen Ödemen vorab: Es gibt eine große Anzahl bewährter Heilmethoden, die bei rasch und umfassend Abhilfe schaffen können. Mehr zu dem Thema im folgenden Beitrag.
Was genau ist eigentlich die Lymphflüssigkeit?
Das Lymphsystem unseres Körpers zeichnet sich durch eiweißreiche Gewebsflüssigkeit aus, die sich bei körperlichen Störungen beispielsweise am Fuß, Arm oder im gesamten Unter-/Oberkörper ansammelt. Die Flüssigkeit der Lymphe besteht zu einem großen Teil aus Eiweiss, Stoffwechselprodukten, Wasser und Fett und verschiedenen Partikeln (z.B. Bakterien, Fremdkörper).¹ Normalerweise werden die Lymphflüssigkeit und darin enthaltene Proteine oder Gewebstrümmer in den Lymphgefäßen gesammelt, dem Blutkreislauf zugeführt und vom Körper „entsorgt“.
Gestörter Lymph-Abtransport = Ödem unter der Haut
Bei einem krankhaften Lymphödem ist das Lymphdrainagesystem (Lymphtransport-/abbausystem) gestört. Dann kommt es zur krankhafte Schwellung, weil sich lymphatische Flüssigkeit in Zellzwischenräumen (=Interstitien) anhäuft. Oft kam es in solchen Fällen im Vorfeld eines Lymphödems zur „mechanischen Schwächung“ der Lymphgefäße, etwa bedingt durch häufiges und langes Stehen, eine lange Bahnfahrt oder auch durch eine Operation, bei der Lymphgefäße beschädigt wurden.
Das kann wiederum viele Ursachen haben: sei es, dass ganze Lymphknoten oder vereinzelte Lymphkapillaren, Lymphstämme oder Lymphkollektoren (Lymphsammelgefäße) zerstört wurden.² Das Lymphödem unterscheidet sich darum von einfachen Ödemen, die viele Ursachen haben können und oft bereits kurze Zeit später folgenlos abklingen.
Um die Entstehung von Krankheiten durch ein gestörtes Lymphsystem noch besser zu verstehen ist es wichtig, zunächst die Aufgaben der Lymphgefäße zu erfahren.
Welche Aufgaben haben die Lymphgefäße?
Zu den vier essentiellen Aufgaben unserer Lymphgefäße zählen:
1.Lymphozyten („Gesundheitspolizeizellen“) zum Ort des Eindringens eines Fremdkörpers in unserem Körper zu transportieren, um unser Immunsystem zu schützen
2. Flüssigkeit aus den Zellzwischenräumen herbeizuleiten und sie in die Blutgefäße zum Blutkreislauf zu überführen
3. Proteinen und Gewebstrümmer anzuhäufen, die aufgrund ihrer Molekülgröße nicht in die feinen Blutkapillaren gelangen und diese „Großmoleküle“ in den Blutkreislauf zu schleusen
4. Nahrungsfette in den Blutkreislauf zu transportieren durch sogenannte Proteinpartikel (Chylomikrone, z.B. Cholesterine, Phospholipide und Triglyceride) in den Lymphgefäßen
Was passiert bei anhaltenden Lymphödemen?
Bleibt ein krankhaft geartetes Lymphödem unbehandelt, führt es längerfristig zur Verschlechterung unseres Gesundheitszustandes mit akuter Schwellung, Gewebeveränderungen, Akkumulation von Binde- und Fettgewebe oder sogar Strukturveränderungen der Haut (Matrix).
Es können schließlich sogar Ablagerungen der nicht mehr weitertransportierten Proteine und Gewebstrümmer im Haut- und Unterhautgewebe entstehen. In der Folge kommt es zu Bindegewebsneubildung durch das unnatürliche Einwachsen von Bindegewebszellen. Dies wird medizinisch auch als Eiweißfibrose durch Fibrozyten (Bindegewebszellen) bezeichnet. Spätfolgen einer solchen Eiweißfibrose können wiederkehrende bakterielle Gewebeinfektionen, Entzündungsprozesse oder sogar Bewegungseinschränkungen, chronische Schmerzen oder Gewebenekrosen (Absterben von Gewebe) sein.
Wie kommt es zu Lymphödemen?
Es gibt zwei sehr unterschiedliche Ursachen für Lymphödeme. Entweder sind sie anlagebedingt (primäre Lymphödeme) oder können durch äußere Faktoren aufgetreten (sekundäre Lymphödeme).³
Anlagebedingte primäre Lymphödeme - Verschlechterungen treten häufig bereits früh während der Kindheit oder Jugend auf!
Sind Menschen genetisch zu Lymphödemen veranlagt, waren ihre Gefäße, Knoten oder Kapillaren des Lymphsystems von Geburt an ganz oder teilweise fehlgebildet.³ Die Erblichkeit für das primäre Ödem bedeutet, dass Verschlechterungen häufig bereits früh während der Kindheit oder Jugend auftreten können. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen sich anlagebedingte Ödeme erst in höherem Lebensalter bemerkbar machen.
Beim gesunden Lymphsystem ist das Lymphgefäßsystem normal groß und die Lymphklappen einwandfrei funktionstüchig. Der Schließeffekt der Klappen ist funktional gegeben und die Lymphlast, die zu transportierende Flüssigkeitsmenge, nicht erhöht. Bei angeborenen Lymphgefäßstörungen sind Organe bzw. Gefäße jedoch zu klein und eng (Hypoplasie) oder aber zu groß und weit gebaut (Hyperplasie), sodass die Klappen noch schließen, jedoch weniger Lymphflüssigkeit hindurchtransportieren (Hypoplasie) nicht mehr in der Lage sind, sich komplett zu schließen (Hyperplasie). So kommt es zum Flüssigkeitsrückstau.
Auch gibt es genetisch veranlagte Lymphknotenfibrosierung.³ Dadurch kann der Lymphknoten inmitten eines Lymphgefäßes den Weitertransport der Lymphe blockieren. Dies geschieht durch Fibrosierung innerhalb des Lymphknotens, wodurch sich Bindegewebszellen krankhaft vermehren können. Das dadurch angesammelte Eiweiß eines Lymphödems ist zusätzlich verstärkter Nährboden für Zellen, die Bindegewebe hervorrufen.
Somit kann es auf längere Sicht zur Gewebeumbildung bis hin zur Lymphgefäßnekrose (Absterben der Lymphgefäße) oder Elephantiasis (Elephantenbeine) kommen. Als letzte Form angeborener Lymphgefäßstörungen kam es beim Embryo zur Nichtausbildung von kleineren oder größeren Teilen des Lymphsystems. Als direkte Konsequenz entsteht hieraus ein Lymphödem.
Sekundäre Lymphödeme - Wenn äußere Einflüsse eine Rolle spielen!
Sekundäre Lymphödeme sind nicht angeboren, sondern treten durch äußere Einflüsse auf. Sie treten beispielsweise im Zuge eines Unfalls oder aufgrund einer Operation auf, wenn Lymphgefäße oder Lymphknoten verletzt wurden. Übrigens: In 50 Prozent aller Fälle kommt es zu Lymphödemen, nachdem Lymphknoten zur Prophylaxe einer Krebsmetastase entfernt wurden. Auch können sie Folgeerscheinungen von Primärerkrankungen sein, etwa von einer Diabetes, Rheuma, bakteriellen Erkrankung, Venenschwäche (chronisch-venöse Insuffizienz) oder Lymphangitiden. Prozentual am häufigsten treten Lymphödeme als Folge einer Operation oder als Folge einer Primärerkrankung auf.³
Wie sieht die Therapie von Lymphödemen aus?
Die Therapie des Lymphödems wird üblicherweise in konservative (=nicht-operative Maßnahmen) und in operative Verfahren unterschieden. Sie hängen stark vom individuellen Krankheitsbild ab. Ziel einer Lymphödemtherapie ist die langfristige Verbesserung des Lymphtransports dar. Häufig sollen zunächst Risikofaktoren wie Bewegungsmangel und erhöhtes Körpergewicht beseitig und Lymphtransportübungen (Gymnastikübungen, Bewegung) eingebaut werden.²
Die komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE)
Die „Komplexe physikalische Entschauungstherapie“ (KPE) gilt als Basistherapie bei Lmyphödemen und besteht aus 4 Komponenten.³ Die vier Komponenten der KPE beinhalten:
1. die „Manuellen Lymphdrainage“ (MLD),
2. die Kompression mit Kompressionsbandagen oder Kompressionsstrümpfen,
3. Bewegungs- und Atemübungen, die entstauen und die natürliche Lymphdrainage unterstützen und
4. die spezielle Hauthygiene und Hautpflege
Anfänglich wird die ein- bis dreimal tägliche Manuelle Lymphdrainage zur Enstauung und Mobilisation empfohlen. Dazu wird die gestaute Lymphflüssigkeit abwechselnd durch Manuelle Lymphdrainage, Kompressionsbandagen und Bewegung mobilisiert und komprimiert. In der zweiten Phase wird die Intensität der Behandlung auf ein- bis dreimal wöchentlich gedrosselt. Zuletzt reicht eine ein- bis zweimal wöchentliche Therapie aus. Gleichzeitig werden die Kompressionsbandagen oder -strümpfe von anfänglich sehr stark und häufig zu später weniger stark und regelmäßig reduziert.
Die Manuelle Lymphdrainage
Die Manuelle Lymphdrainage ist eine spezielle Grifftechnik des Physiotherapeuten, um die Lymphbildung zu erhöhen. Dabei wird die Lymphe in das Gefäß hineingepresst und durch den äußeren Impuls die Lymphangiomotorik angeregt. So wird das Lymphzeitvolumen erhöht. Dies bewirkt das erwünschte Umverteilen von lymphreichen in lympharme Bereiche. Als Nebeneffekt der MLD wird auch verhärtetes Bindegewebe gelockert und das ungewollt verhärtet Bindegewebe umstrukturiert. Wichtig ist hierbei, dass der Physiotherapeut durchtrennte Lymphgefäße nach einer Operation umgeht.4
Kompressionsbandagen
Die Kompressionsbandage verhindert den Rückfluss der Lmyphe nach der Lmyphdränage in die Extremitäten. Sie komprimiert den Durchmessers der Gefäße und bietet der Muskulatur Widerstand, sodass durch die verengten Lymphgefäße, die Muskelpumpe und das gestützte Hautgewebe mehr Lymphe transportiert wird.3 Die Kompressionsbandage wird in 2 gegenläufigen Bahnen angelegt. Finger- und Fußkuppen bleiben ausgespart. Kompressionsbandagen müssen von in der Wickeltechnik versiertem Personal angelegt werden.5
Kompressionsstrümpfe
Die Kompressionsstrümpfe werden eingesetzt, wenn die Manuelle Lymphdrainage abgeschlossen ist. Sie soll den Effekt der Therapie möglichst erhalten. Kompressionsstrümpfe müssen beim Lymphödem genau nach Maß angepasst werden. In schweren Fällen werden zum Teil die Strümpfe übereinander gezogen.3
Bewegungsübungen und Gymnastik
Bewegungsübungen in der Kompressionsbandage runden den Effekt der Kompressionstherapie ab. Vor der Gymnastik ist eine Aufwärmphase angebracht. Die Übungen werden bewusst und langsam ausgeübt, da die Muskeln in der festen Bandagierung bereits verstärktem Druck ausgesetzt sind. Zum Abschluss der Übungen sollen Atemübungen den Fluss der Lymphe zum Herzen hin verstärken.3 Insbesondere bei Armlymphödem nach einer brustkrebsassoziierten OP stellte eine Studie von Schmitz den guten Effekt von gezielter Armgymnastik und Armgewichtheben heraus.5
Hygienemaßnahmen
Eine gründliche Hauthygiene und das Verwenden von Pflege- und Reinigungsprodukten mit hautneutralem pH-Wert sind bei Lymphödemen sehr wichtig.6 Kleine Hautverletzungen oder Fußpilz müssen unbedingt verhindert werden.
Medikamentöse Therapie
Als Medikationen kommen in Einzelfällen Diuretika, Antibiotika, Antimykotika, Benzopyrone und entzündungshemmende und immunstimulierende Arzneimittel in Frage. Sie kommen nur bei Lymphödemen zum Einsatz, die durch viele Beschwerdebilder entstehen.
Diuretika
Entwässerungsmedikamente werden in der Anfangsphase einer KPE kurzzeitig unterstützend eingesetzt.6 Von einem längerfristigen Gebrauch ist dringend abzuraten, da Diuretika zu Flüssigkeits- und Elektrolytschwankungen führen.
Antibiotika
Der Einsatz von antibiotischen Medikamenten wird bei akuten Entzündungen wie bei Lymphangitis oder Erysipeln angewendet. Beispielsweise das bakteriell bedingte Erysipel stellt eine häufige Begleitdiagnose des Lymphödemens dar. Solche Erysipeln im Zusammenhang mit einer Ödemtherapie werden oft mit Penicillin behandelt.6
Antimykotika
Antimykotika (Antipilzmittel) werden bei fungiziden Hautveränderungen in extremen Fällen des Lymphödems eingesetzt. Als antimykotische Wirkstoffe kommen häufig Fluconazol und Terbinafin als Cremes zum Einsatz.6
Entzündunghemmende Medikamente
Bei Stauungsdermatosen oder allergischen Hautreaktionen werden vor allem Antihistaminika oder Kortison, Selen und Enzyme eingesetzt.4 Sie sollen das Immunsystem stärken und einen entzündungshemmenden Effekt erzielen
Benzopyrone
Benzopyrone sind natürliche, aromatische Pflanzeninhaltstoffe. Sie werden zusätzlich zur KPE-Therapie eingesetzt. Sie sollen das proteinreiche ödematische Gewebe hydrolysieren und die Aufnahme des proteinreichen Gewebes erleichtern. Zudem sollen sie die Lymphkollektoren stimulieren.2, 6
Welche chirurgischen Therapieformen gibt es um Lymphgefäße wiederherzustellen?
Chirurgische Verfahren sind eine noch nicht weltweit akzeptierte Therapieoption des Lymphödems. Inzwischen wurden zahlreiche erfolgreiche Operationen durchgeführt, die in der Lage waren Lymphgefäße wiederherzustellen. Allerdings fehlen noch Langzeitergebnisse. Sinnvoll sollen solche Operationen jedoch nur in den Frühstadien von Lymphödemen sein.6, 7
Zusammenfassung - Hoffnung auf Besserung
Wenn ein Lymphödem nicht eine „normale“ Erscheinung nach einer Operation bleibt und nach einem kurzen Zeitraum von selbst wieder verschwindet, kann es sich um eine ernstzunehmende Erkrankung handeln. Glücklicherweise gibt es inzwischen effiziente Therapiemöglichkeiten, um mit die Lymphflüssigkeit besser zu entstauen und in den Blutkreislauf zu leiten. Hier heißt es für die Patientinnen und Patienten, einen guten Facharzt für Lymphologie zu finden. Er kann die optimale Therapieform, idealerweise in Absprache mit den Gewohnheiten und Begleiterkrankungen des Patienten, auswählen. Inzwischen sind Spezialkliniken für Lymphologie, speziell ausgebildete Lymphphysiotherapeuten und Mediziner mit Zusatzausbildungen auf das Feld der Lymphologie ausgerichtet. Besonders hier haben sich in den letzten Jahren die operative, mikrochirurgische Lymphgefäßrekonstruktion und die seit vielen Jahren bewährte klassische KEP (Komplexe physikalische Entstauungstherapie) bewährt. Das gibt Grund zur Hoffnung, dass dieses Leiden heutzutage weitaus besser als früher behandelt werden kann.
Quellenangaben (Stand 20.05.2019):
1 Földi, Ethel: Therapie des Lymphödems, Der Hautarzt, 2012; Band 63, S. 627-633.
2 Földi, Michael und Földi, Ethel: Das Lymphödem und verwandte Krankheiten: Vorbeugung und Behandlung, 9. Auflage, 2009.
3 Bringezu, Schreiner. Lehrbuch der Entstauungstherapie. Springer Medizin Verlag.
4 Franz-Josef Schingale. Lymphödeme, Lipödeme: Diagnose und Therapie. Ein Ratgeber für
Betroffene, 2. überarbeitete Auflage.
5 Schmitz KH, Ahmed RL, Troxel A, Cheville A, Smith R, Lewis-Grant L, Bryan CJ, Williams-Smith CT Green QP. Weight Lifting in Women with Breast-Cancer–Related Lymphedema. N Engl J Med 2009;361:664-73.
6 Bernas MJ, Witte CL, Witte MH. The Diagnosis and Treatment of Peripheral Lymphedema.
Revision of the ISL Consensus Document, Lymphology 2001; 34: 84-91.
7 Campisi C, Boccardo F. Microsurgical techniques for lymphedema treatment: derivative
lymphaticvenous microsurgery. World J Surg. 2004; 28: 609 – 613.
Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.