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Resilienz: die innere Kraft, Krisen gut zu bewältigen

Kommentar schreiben Aktualisiert am 15. Juli 2020

Fast jeder von uns kennt einen Menschen, den – wie man so schön sagt – „nichts umwirft“. Während mancher in einer Krise oder nach einer schlimmen Erfahrung schwere Ängste, Depressionen und andere Belastungssymptome entwickelt oder gar daran zerbricht, verliert ein anderer selbst durch schwerste Schicksalsschläge nicht den Mut. Er mag, gleich einem Stehaufmännchen, zwar auf und nieder schwanken, doch kommt er nie wirklich zu Fall und richtet sich am Ende immer wieder auf. Vielfach geht er am Ende sogar noch kraftvoller aus einer schweren Zeit hervor. Wer mit solch innerer Stärke ausgerüstet ist, der kann aus einer wunderbaren inneren Kraftquelle schöpfen: der sogenannten „Resilienz“. Von diesem Begriff ist jetzt, mitten in der Corona-Krise, wieder besonders häufig die Rede. Was aber ist das eigentlich genau? Warum ist der eine resilient, die andere jedoch nicht? Und kann man Resilienz eigentlich lernen?

 

Der Begriff stammt ursprünglich aus dem technischen Bereich. Als „resilient“ werden Materialien bezeichnet, die, egal wie man sie stößt, drückt, knetet oder anderweitig traktiert, immer wieder ihre ursprüngliche Form annehmen – wie es zum Beispiel bei einem Ball aus Gummi der Fall ist. Bei vielen Menschen funktioniert das genauso. Sie mögen stärksten äußeren Kräften ausgesetzt sein, die an ihnen reißen, ihnen Schläge versetzen, Erschütterungen zufügen usw., doch sie sind am Ende nicht „verformt“, sondern bleiben in ihrer ursprünglichen Kraft. 

 

Beispiele für resiliente Menschen finden sich in der Promiwelt ebenso wie in jahrhundertealten Märchen oder neueren Büchern. So ist z.B. von Arnold Schwarzenegger, dem berühmten Bodybuilder, Schauspieler und Politiker, bekannt, dass er als Kind regelmäßig von seinem Vater verprügelt wurde. Oder denken wir an Natascha Kampusch, die nach jahrelangem Eingesperrtsein in einem Keller ihrem Peiniger entkam und heute ein selbstbestimmtes, erfolgreiches Leben führt. Typisch resilient sind auch erfundene Helden wie Harry Potter, Oliver Twist oder die bärenstarke Pippi Langstrumpf. Ihnen allen ist gemein, dass ihr Start ins Leben schwer war, dass sie – teils ganz auf sich allein gestellt – Schlimmes, manchmal schlimmste Traumata, durchleiden mussten. Und dass sie trotzdem zu starken, selbstbewussten, psychisch gesunden Menschen wurden.

 

Inhaltsverzeichnis

 

Das „innere Werkzeug“

 

Auch Christian Peter Dogs ist ein resilienter Mann. Der Psychiater, Psychotherapeut und Buchautor blickt auf eine überaus traumatische Kindheit zurück. Seine Eltern, beide Alkoholiker, quälten, misshandelten, entwerteten ihn. Nach Heimaufenthalt, Drogensucht und dem drohenden totalen Absturz wendete sich für ihn das Blatt – durch eine glückliche Fügung traf er auf wohlmeinende Menschen, die ihn unterstützten. Die Schrecken seiner Kindheit und Jugend haben ihn erst zu einer resilienten Persönlichkeit gemacht, sagt Dogs in der WDR-Magazinsendung „Planet Wissen“1. Er ist überzeugt, dass man auch an schlimmsten Erfahrungen wachsen kann – und selbst, wenn man ganz allein „da durch“ muss, Stärke aufbauen und Traumata bewältigen kann.

 

Um resilient zu sein, braucht man also eine Art „innere Werkzeugsammlung“, die einen dazu befähigt, wehrhaft gegenüber Stress jeglicher Art zu sein. Woraus sind diese „Werkzeuge“ aber gemacht? Experten sind sich heute weitgehend einig, dass viele verschiedene Faktoren zusammen Resilienz ausmachen. Elementar wichtig sind sichere Bindungen mit liebevollen, wertschätzenden Erwachsenen in der Kindheit und ein gutes soziales Netz, erklären der Therapeut Christian Peter Dogs und die Gießener Psychologin Jana Strahler in der „Planet Wissen“-Sendung zum Thema Resilienz1. Strahler rät Eltern, die Resilienz ihrer Kinder von vornherein zu fördern. Dies geschehe vor allem, indem sie ihre Söhne und Töchter dabei unterstützten, unangenehme Gefühle zu regulieren, Konflikte auszuhalten und sie eigenständig zu lösen – anstatt jegliche Schwierigkeiten von ihnen fernzuhalten. „Durch ‚Helikopter-Eltern‘ wird das Hirn der Kinder ganz auf Harmonie verschaltet, sodass man nicht mit Konflikten umgehen kann“, ergänzt Christian Peter Dogs und empfiehlt: „Lasst eure Kinder Fehler machen und daraus lernen!“

 

Faktoren, die uns resilient machen

 

Doch selbst ohne günstige Startbedingungen und auch ohne ein funktionierendes soziales Netzwerk kann Resilienz entstehen und wachsen, versichert Dogs. Ganz wichtig: Herausforderungen anzunehmen und immer wieder zu erfahren: „Ich schaffe es!“ So entstehe eine gute Beziehung zu sich selbst – eine der Basisfaktoren für Resilienz. Eine weitere wichtige Resilienz-„Zutat“ ist die so genannte Kohärenz. Diesen Begriff hat in den 1970er-Jahren der Stressforscher Aaron Antonovsky geprägt. Er wollte herausfinden, welche Grundbedingungen ein Mensch für seine seelische Gesundheit braucht, und entdeckte dabei das Gefühl der Kohärenz. Dieses besteht darin, das Leben als sinnvoll und verstehbar zu empfinden. Gleichzeitig bedeutet Kohärenz auch, sich selbst als handlungsfähig zu erleben, also zu wissen: „Ich kann durch mein Handeln etwas verändern.“2

 

Ein Mädchen umarmt seinen Vater.Warum Menschen so unterschiedliche Kraftressourcen haben, was dem einen Resilienz verleiht und dem anderen nicht, diese Fragen treiben seit Jahrzehnten die Resilienzforschung an. Den Grundstein für diesen modernen Forschungszweig legte die US-amerikanische Psychologin Emmy Werner mit einer über Jahrzehnte durchgeführten Langzeitstudie. Ab den 1950er-Jahren begleitete Werner auf der hawaiianischen Insel Kauai fast 700 Kinder bis ins Erwachsenenalter. Ihre Studien ergaben, dass es rund einem Drittel der sehr armen und vielfach verlassenen Kinder trotz schwerster Lebensbedingungen gelang, in ein gutes und erfülltes Leben hineinzuwachsen. Einen zentralen Grund dafür sah die Forscherin in der Tatsache, dass es zumindest eine enge Bezugsperson gegeben hatte oder gab, die sich kümmerte und Orientierungshilfen bot.

 

Die sogenannte Kauai-Studie hat nach wie vor Gültigkeit und führte zu der bis heute geltenden Annahme, dass rund 30 Prozent aller Menschen resilient sind. Emmy Werners Untersuchung ist auch die Basis für die Kohärenz-Theorie von Aaron Antonovsky; durch sie und zahlreiche nachfolgende Studien gilt heute als gesichert, was Resilienz begründet: Neben der Sinnhaftigkeit und Handlungsfähigkeit das gute soziale Netz, gepaart mit einem realistischen Selbstbild, das dazu beiträgt, Lebensziele und deren Erreichbarkeit besser einzuschätzen und zu verfolgen. Daneben sind auch ein guter Zugang zu den eigenen Gefühlen sowie eine grundlegende Zuversicht („Es wird wieder besser“) elementare Voraussetzungen.

 

Das „Resilienz-Gen“

 

Ob Resilienz „angeboren“ sein könnte, ob also Gene eine wichtige Rolle dabei spielen, das will die Wissenschaft noch herausfinden. Entdeckt wurde bereits in den 1990er-Jahren ein Baustein, der als „Resilienz-Gen“ Furore machte. 5-HTTLPR heißt das Gen, das es in zwei Ausführungen gibt: eine längere und effektivere sowie eine kürzere und weniger wirkungsvolle. 5-HTTLPR ist für den An- und Abtransport des Glückshormons Serotonin im Gehirn zuständig, außerdem steuert es ein Enzym, das das Stresshormon Noradrenalin abbaut. Untersuchungen haben ergeben, dass Menschen, die die längere 5-HTTLPR-Variante aufweisen, offenbar stressresistenter, glücklicher und damit auch grundsätzlich Resilienz-fähiger sind. Wer nun aber glaubt, dass Träger der kürzeren Variante zwangsläufig zu einem eher unglücklichen Leben mit erhöhter Stressanfälligkeit verurteilt sind, wird durch nachfolgende Forschungen mit der Beteiligung von insgesamt ca. 40.000 Probanden eines Besseren belehrt. Ihnen zufolge sind offenbar viele weitere, äußere wie innere Faktoren für die Entstehung oder Nichtentstehung von Resilienz verantwortlich.3

 

Was die genetischen Entstehungsfaktoren der Resilienz angeht, so liegt also noch einiges im Dunklen. Sehr sicher sind sich jedoch viele Resilienz-Fachleute, was die Erlernbarkeit von Resilienz angeht. So könnten gezielte Trainings, die vor allem Coaches, Unternehmensberater, Psychologen und Psychotherapeuten anbieten, die Widerstandskraft gegen Stress und die Bewältigung von Krisen erleichtern. Meist handelt es sich dabei um Übungen und Maßnahmen, die vor allem das Selbstwertgefühl, die Problemlöse- und Konfliktfähigkeit stärken und den Blick auf das Positive und weg vom Negativen richten. Allerdings ist einschränkend zu sagen, dass Resilienz vielfach zum Modebegriff geworden ist. Oft sollen „Resilienz-Trainings“, die beispielsweise Unternehmen für ihre Mitarbeiter buchen, letztlich nur dazu dienen, diese zu „optimieren“ und ihre Effizienz im Dienste ihres Unternehmens noch zu erhöhen. Trainings mit Heilsversprechen wie „So werden Sie in kürzester Zeit stärker“ sollte man ebenso misstrauen, denn Resilienz besteht immer aus vielen unterschiedlichen Faktoren, die nicht „auf Knopfdruck“ hervorgeholt und im Inneren verankert werden können.

 

Resilienz – machbar für jeden?

 

In einem Artikel des „Ärzteblatt“ wird vor den Gefahren, die mit einem falsch verstandenen Resilienz-Begriff verbunden sind, gewarnt.4 In den letzten Jahren sei der (falsche) Eindruck entstanden, dass Resilienz „machbar für jeden“ sei, ein „Allheilmittel“, mit dem es möglich sei, alles auszuhalten – „unter Umständen auch Ungerechtigkeit und Missstände“, heißt es in dem Artikel. Diese Sichtweise könne zu Selbstüberschätzung, aber auch zu Selbstüberforderung führen, nach dem Motto: Wenn ich nicht resilient (genug) bin, bin ich selbst schuld an meinen Problemen. Dagegen betonen Wissenschaftler vom Mainzer Leibniz Institut für Resilienzforschung (LIR), dass Resilienz aktuell als „dynamischer und lebenslanger Prozess“ gesehen werde, der im Wechselspiel zwischen Person und Umwelt erfolgt und über verschiedene Lebensbereiche und -phasen variiert.“ Was auch bedeutet: Wer seine innere Kraft für mehr Krisenfestigkeit trainieren will, der sollte auf jeden Fall Zeit, Geduld und die Bereitschaft mitbringen, ernsthaft an sich zu arbeiten.

 

Das mag all jene erschrecken, die sich derzeit in einer persönlichen Corona-Krise befinden und gerne eine Portion „mehr Resilienz“ hätten. Der Neurowissenschaftler und Resilienzforscher Raffael Kalisch, einer der Gründer des LIR, liefert in einem Interview mit der „Apotheken Umschau“5 Tipps zur Krisenbewältigung: Informationen zur Corona-Krise sollten bewusst dosiert werden, ebenso bewusst solle man für ausgleichende Aktivitäten und Kontakte mit wohltuenden Menschen sorgen. Auf sich selbst zu achten, sei jetzt besonders wichtig, etwa indem man Sport, Bewegung und Entspannung in den Alltag fest einbaue. Eine persönliche Empfehlung Kalischs besteht darin, Biographien von Menschen zu lesen, die Schweres durchgemacht und dennoch Mut bewahrt haben. Wer sich sehr hilflos fühle, dem könnten auch psychologische Ratgeber, Beratungsstellen oder sogar Apps fürs Smartphone helfen; auch das LIR biete einen Online-Kurs an6.

 

Resilienz und Corona: eine Studie zur Bewältigung

 

Für die nähere Zukunft interessant sind die Ergebnisse der internationalen Online-Studie zur Bewältigung der Corona-Krise, die Raffael Kalisch derzeit durchführt.7 In 24 Sprachen wurden bisher mehr als 17.000 Menschen zu ihren Strategien in der Krise befragt. Einige Grunderkenntnisse kristallisieren sich laut „Apotheken Umschau“5 schon heraus. So seien offenbar diejenigen am besten gewappnet, die auch in der Krise noch positive Aspekte sehen könnten und Vertrauen in sich selbst und die Zukunft hätten. Kalisch und sein Forscherteam hoffen auf noch viele weitere Probanden, um aus den gewonnenen Erkenntnissen schließlich wertvolle Handlungsempfehlungen zu entwickeln.

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Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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