© Eric Eric - 123rf.com

Roboter im Gesundheitswesen: die besseren Fachkräfte?

Kommentar schreiben Aktualisiert am 07. Mai 2020

Eine alternde Gesellschaft mit einem immer stärkeren Anstieg von Krankheits- und Pflegefällen, gleichzeitig Personalmangel und unzureichende medizinische Versorgung vor allem in ländlichen Gebieten – die Gesundheits- und Pflegebranche steht vor gewaltigen Herausforderungen. Gleichzeitig schreitet der technologische Fortschritt immer weiter voran. Da liegt es nahe, dass Roboter und künstliche Intelligenz (KI) auch zunehmend Einzug in Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime sowie in die häusliche Pflege halten.

 

Die Befürworter dieser Entwicklung betonen, der Einsatz solcher Technologien in diesen Bereichen helfe, eine hohe Qualität in Medizin und Pflege auch weiterhin sicherzustellen. Er könne Alten ein längeres selbstbestimmtes Leben ermöglichen und zudem das vielfach überlastete Personal bei seiner Arbeit unterstützen. Kritiker befürchten dagegen, dass Kranke und Pflegebedürftige mit Robotern und KI zunehmend seelenlosen Gesundheitssystemen ausgeliefert seien, die die menschliche Zuwendung niemals ersetzen könnten – und zudem Arbeitsplätze gefährdeten. Wieviel und welches Potenzial hat Robotik im Gesundheitswesen wirklich, und in welchem Maß wird sie dort zurzeit schon genutzt?

 

Roboter und künstliche Intelligenz werden – in unterschiedlichem Maße und verschiedenen Formen – in der medizinischen Versorgung, Rehabilitation und Pflege eingesetzt. Sie helfen bei Operationen, in der Forschung und Diagnostik, unterstützen bei Pflege- und logistischen Tätigkeiten und dienen – etwa in Form von künstlichen Kuscheltieren – dementen Menschen als emotionale Türöffner.

 

Im Operationssaal nutzt man neueste Technologien vielfach bei der so genannten „Schlüsselloch-Chirurgie“, wo der ausführende Chirurg das Gerät am Pult steuert, über einen 3D-Bildschirm das Vorgehen im Inneren des Patienten kontrolliert und so Eingriffe ohne große Schnitte („minimal-invasiv“) durchführen kann. Dies belastet den Patienten weniger, verkürzt die OP-Dauer und verspricht eine höhere Präzision und Sicherheit bei der Operation. In der Zahnmedizin nutzt man High-Tech z.B. beim Einsatz von Zahnimplantaten, in der Rehabilitationsmedizin gibt es u.a. KI-gestützte, interaktive Systeme zur Unterstützung von Beweglichkeitsübungen).

 

In der Krankenpflege können Roboter dem Pflegepersonal schwere körperliche Arbeiten abnehmen, etwa beim Umlagern von Patienten, oder logistische Dienste leisten wie z.B. bei der Essensausgabe und -verteilung. So bleibt ggf. den Pflegenden mehr Zeit für die persönliche Zuwendung im Kontakt mit Patienten und Heimbewohnern.1, 2

 

Inhaltsverzeichnis:

 

Rosie, Ole, Robbie und Co. – die „sozialen Roboter“

 

Es ist gerade der Pflegebereich, in dem sogenannte „soziale Roboter“ inzwischen viel Beachtung finden. Wie ein Bericht im „Deutschlandfunk“ beleuchtet, werden diese Maschinen, die mit Menschen kommunizieren und interagieren können, in der Seniorenbetreuung bereits seit längerem mit beachtlichen Erfolgen eingesetzt. Soziale Roboter sehen nett aus, z.B. wie freundliche Kuscheltiere, sie verhalten sich so, wie man es in der zwischenmenschlichen Kommunikation erwartet und gewohnt ist, und sie sind darüber hinaus lernfähig, indem sie Verhaltensmuster ihres Gegenübers übernehmen und nach einiger Zeit Stimmen erkennen. In dem Radiobericht wird „Rosie“ vorgestellt, ein Roboter in Gestalt einer kuscheligen, ca. 50 cm großen Robbe, die in einer Kölner Senioreneinrichtung zur besonders beliebten „Mitarbeiterin“ geworden ist.

 

Sowohl demente wie auch nicht demente Bewohner, weibliche wie männliche, reagierten sehr stark auf Rosie, sagt die Leiterin des Seniorenzentrums: „Insgesamt würde ich sagen, Rosie hat eine Erfolgsgeschichte.“3

 

Ebenso positiv sieht die Bilanz in einer Einrichtung in Bremen aus, in der Rosie „Ole“ heißt. Das „Ärzteblatt“ berichtete bereits vor einigen Jahren, wie sehr der tierische Roboter dort das Verhalten etlicher Heimbewohner verändern, sie aus Lethargie und Teilnahmslosigkeit herausholen, Ängste lindern und zurück in die Aktivität bringen konnte. Wie der Leiter des Seniorenheims berichtete, fingen viele beim körperlichen Kontakt mit Ole erstmals wieder an zu sprechen, von früher zu erzählen, von eigenen Tieren aus ihrer Vergangenheit zu berichten. Eine alte Dame konnte dem Bericht zufolge nur mithilfe von Ole dazu bewegt werden, einen Zahnarzt aufzusuchen. Zitat der Einrichtungsleiterin. „Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass auf einen Roboter solche Reaktionen erfolgen können.“4

 

„Medikamentenfreie Alternative“

 

Rosie, Ole oder wie sie auch heißen mögen, stammen aus Japan und heißen dort Paro. Paro (Stückpreis etwa 5.000 Euro) gilt weltweit als Vorreiter aller sozialen Roboter; er arbeitet mit Sensoren und künstlicher Intelligenz und simuliert damit täuschend echt ein lebendiges Robbenbaby. Anders als ein lebendes Tier hat Paro ein antibakterielles Fell und genügt damit allen Hygieneregeln, zudem sabbert er nicht, kann nicht beißen und braucht weder Fressen noch Auslauf. Es klimpert mit den Augen, fiept robbenartig, wackelt mit Kopf und Schwanz und reagiert auf Streicheleinheiten mit offenkundigem Wohlgefallen. Wie es im „Deutschlandfunk“3 heißt, sieht Paros Entwickler Takanori Shibata seine Robot-Robbe als „medikamentenfreie Alternative“, die Einsamkeit, Ängste und Schmerzen verringern und den Schlaf verbessern könne.

 

Dem „DLF“-Bericht zufolge werden derzeit weltweit mehr als 4.000 „Paro“-Robben in Medizin und Pflegeeinrichtungen eingesetzt, davon in Deutschland in ca. 40 Pflegeeinrichtungen, zudem setzt man auf „Paros“ in Krankenhäusern, bei der Betreuung von Autisten, bei der Palliativbetreuung von Todgeweihten und natürlich auch bei der Behandlung von kranken Kindern. 

 

Und dann gibt es noch Pepper, hierzulande „Robbie“ genannt. Anders als Paro, Rosie und Ole ist der etwa 1,20 m kleine „Robbie“ ein menschenähnlicher, also humanoider Roboter. Auch er wird im Bericht des „DLF“3 vorgestellt. Wie Robbie selbst zu berichten imstande ist, kann er nicht nur sprechen, sondern auch sehen und hören, mit seinen menschlichen Freunden singen und tanzen, Gefühle erkennen. Außerdem ist er in der Lage, in der Interaktion mit Menschen dazuzulernen, etwa als Memory-Spieler oder beim Thai-Chi.

 

Robbie ist die europäische Version des ebenfalls japanischen Grundmodells Pepper, der 2015 in Japan auf den Markt kam. Die Software dieses Roboters muss auf seinen Einsatzbereich abgestimmt und entsprechend programmiert werden; in Deutschland haben ihn, berichtet der DLF, Wissenschaftler der Universität Siegen und der Fachhochschule Kiel für den Einsatz in der Seniorenbetreuung fit gemacht. Durchgesetzt hat er sich dort jedoch bislang nicht.


Pro und Kontra – der Einsatz ist umstritten

 

Dass der Einsatz von Robotern im Gesundheitswesen vielfältige positive Ergebnisse hervorbringen kann, haben bereits 2017 zwei deutsche Wissenschaftlerinnen in ihrer Studie „Robotik in der Gesundheitswirtschaft, Einsatzfelder und Potenziale“ gezeigt.

 

Laut der Autorinnen Barbara Klein von der Frankfurt University of Applied Sciences und Birgit Graf vom Fraunhofer IPA, Stuttgart könnten die „technischen Mitarbeiter“ in Gesundheits- und Pflegeinrichtungen nicht nur den zunehmenden Fachkräftemangel abfedern, sondern auch die Mitarbeiter bei ihren körperlich oft extrem anstrengenden Tätigkeiten entlasten. Dadurch sei es auch möglich, die Berufe in diesen Bereichen wieder attraktiver zu machen. Gleichzeitig betonen die Forscherinnen aber auch, dass insbesondere Pflege-Robotik die Pflegekräfte nicht ersetzen solle und könne, sondern ihnen im besten Fall mehr Raum geben könne, um sich den ihnen Anvertrauten menschlich besser zuwenden zu können.5

Doch an diesen Idealzustand glauben nicht alle. Gerade in Deutschland steht man den neuesten Technologien in den sensiblen Bereichen Gesundheit und Pflege sehr kritisch gegenüber.

 

Die Hauptbefürchtungen: High-Tech bedrohe oder zerstöre Arbeitsplätze, zudem werde der extrem wichtige „Faktor Mensch“ in der Pflege durch Roboter zunehmend vernachlässigt. Das Für und Wider wird sorgfältig abgewogen. So weist etwa der Deutsche Ethikrat seit Jahren darauf hin, dass KI und Robotik ein „erhebliches Potenzial für die Gesellschaft“ darstellten, dass sie „unter Wahrung ethischer Standards beim Treffen von Entscheidungen“ genutzt werden sollten und dass Deutschland ihren Einsatz aktiv und bewusst gestalten solle. Gleichzeitig sei es gerade hier besonders wichtig, juristische und ethische Regeln sowie Sicherheitsstandards festzulegen, sodass ein „frühzeitiger und langfristig angelegter gesellschaftlicher Dialog“ nötig sei, „in dem Chancen und Risiken transparent gemacht und gegeneinander abgewogen werden.“

 

Generell gelte, so der Deutsche Ethikrat in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2017: „Autonome Systeme können die Menschen unterstützen und ihre Fähigkeiten ergänzen, aber nicht ersetzen“, und: „Wir brauchen den Menschen als letzte Kontrollinstanz.“ Auch fehle es bisher noch an Beweisen dafür, dass Maschinen so komplex und flexibel wie qualifiziertes Personal handeln könnten. Es gelte eine einfache Regel, wird ein Mitglied des Ethikrates im „Ärzteblatt“ zitiert: „Die Maschinen sollen das Leben der Menschen unterstützen. Wenn sie das nicht tun, sollten wir (...) diese Maschinen nicht zulassen.“6

 

Die echten Menschen, die mit Robotern in der Pflege arbeiten, sehen zwar gewisse Erfolge, überschätzen möchten sie die Wirkung der „technischen Kollegen“ jedoch absolut nicht. So kommt im „Deutschlandfunk“3 eine Pflegekraft zu Wort, die berichtet, dass ein Roboter der „Pepper“-Reihe absolut versagt habe, als er Patienten davon abhalten sollte, die Einrichtung zu verlassen. Zudem seien Pepper, Paro und Co. teuer in Anschaffung, Wartung und Reparaturen – sie verschlängen also Geld, das man besser in die Einstellung und Bezahlung von Pflegefachkräften stecken solle.

 

Unterstützung, kein Ersatz

 

Was so gut wie alle Akteure in diesem Bereich immer wieder betonen: Roboter und andere intelligente Maschinen können den Menschen im Gesundheitswesen allenfalls unterstützen und entlasten, aber niemals ersetzen. Die wichtige soziale Kommunikation kann ausschließlich von Mensch zu Mensch stattfinden. Die Angst, Roboter würden mehr und mehr Menschen die Arbeit wegnehmen, ist unbegründet. Dennoch hinkt Deutschland bei der Akzeptanz ebenso wie bei der Förderung und beim Einsatz schlauer Maschinen im Gesundheitswesen anderen Ländern wie dem Robotik-Vorreiter Japan, aber auch China und Korea – bislang hinterher.

 

So hätten die menschenähnlichen Roboter, die man vorrangig in Japan herstellt und die dort große Begeisterung auslösen, in Deutschland vor allem aus ethischen Gründen kaum Chancen, meint Daniel Sonntag, KI-Forscher vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken, in einem Fachartikel des „Ärzteblatt“7. Gerade wegen ihrer Menschenähnlichkeit könnten etwa Demenzpatienten zu leicht getäuscht werden. Allerdings gibt es dem Bericht zufolge auch in Deutschland kein Gesetz, das es verbiete, bei der Pflege dementer oder anderer Menschen mit kognitiven Einschränkungen einen humanoiden Roboter einzusetzen.

 

Die Politik ist gefordert

 

Offensichtlich fehlt es in Deutschland am gesellschaftlichen Konsens, aber auch an klaren politischen Weichenstellungen, an Richtlinien, Vorgaben und Rahmenbedingungen. Die Autorinnen der 2017er-Studie „Robotik in der Gesundheitswirtschaft, Einsatzfelder und Potenziale“5 sehen zwar ein grundsätzliches Interesse seitens der Akteure im Gesundheitswesen, bemängeln aber, dass zu wenig getan werde, damit eine gesellschaftliche Mehrheit die neuen Technologien im Gesundheitswesen akzeptiert. Nach japanischem Vorbild solle dies durch gezielte Kommunikation gefördert werden. Ebenso fehle es an ausgereiften Produkten, groß angelegten Studien und klaren Finanzierungswegen.

 

Alles wohl Gründe dafür, dass man hierzulande lediglich im Bereich der Neurologie und im OP eine nennenswerte Anzahl von Robotik-Systemen nutze. Auch wenn die Politik bereits seit Jahren entsprechende Pilotprojekte und Forschungen fördert – die Forderungen der Experten gehen noch weiter. Ganz wichtig aber ist auch, neben der technischen nicht die menschliche Weiterentwicklung zu vergessen. So trommeln Fachleute immer wieder für eine verbesserte Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte, die der wachsenden Technisierung im Gesundheitswesen Rechnung trägt. Denn ohne qualifiziertes Personal – das nicht zuletzt auch angemessen für seine wertvolle Arbeit bezahlt wird – wird es niemals gehen.

 

Beiträge die Sie auch interessieren könnten

Quellen anzeigen

Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

Schreib einen Kommentar

help
help
help

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Zu unseren Datenschutzbestimmungen.