Selbstheilungskräfte: Wie Körper und Seele beim Gesundwerden helfen können
„Denk positiv!“ Wer hat diesen Tipp in Zeiten von Krisen und Krankheiten nicht schon gehört. Manchmal winkt man dann einfach nur ab – wie sollen allein positive Gedanken oder gute Gefühle einer schweren Krankheit entgegenwirken oder schlimmen Kummer lindern können? Dass dies tatsächlich funktioniert, ist jedoch schon vielfach bewiesen worden – und selbst viele Schulmediziner und Wissenschaftler sind mittlerweile von der heilsamen Kraft guter Gedanken und Gefühle überzeugt – nicht allein dank des bekannten Placebo-Effekts, bei dem selbst völlig wirkungsfreie Medikamente eine deutliche Besserung der Krankheitssymptome hervorrufen. Positives Denken, eine optimistische Einstellung und eine liebevolle Haltung dem eigenen Körper gegenüber können genauso gut wie ein Arzneimittel auf den Organismus einwirken – und ihr heilender Effekt kann sogar gezielt als Therapie eingesetzt werden.
Ohne Selbstheilungskräfte nützt die beste Therapie nur wenig
Jeder Arzt, aber auch jeder medizinische Laie, der es schon einmal mit einer Krankheit zu tun hatte, weiß es: Die Therapie kann noch so gut, der Arzt noch so heilkundig sein – wenn der Patient nicht selbst an seiner Heilung mitwirkt, sich vielleicht sogar aufgegeben hat, verläuft die Heilung wahrscheinlich eher stockend. Im Idealfall ist der Patient dagegen optimistisch und glaubt, dass seine Krankheit geheilt werden kann. Er tut alles, um die medizinische Therapie zu unterstützen – auch mit positiven Gedanken und Einstellungen. Am besten geht das, wenn der Patient seine eigenen inneren „Kraftquellen“ kennt und sie auszuschöpfen versteht. Das kann für einige der Glaube an Gott sein, für andere Spaziergänge in der Natur, für wieder andere Gespräche mit Freunden oder dem Partner. Auch der Kontakt mit geliebten Haustieren hat sich schon vielfach als unterstützend auf den Heilungsprozess erwiesen. Egal, was es ist – Hauptsache, es gibt Kraft, nährt das Vertrauen in die Weisheit und das Wissen des eigenen Körpers und stärkt somit auch die Selbstheilungskräfte, die grundsätzlich in jedem Menschen vorhanden sind.
„Einfach gesund denken“ kann sich niemand …
Natürlich gibt es zahlreiche schwere oder sogar lebensbedrohliche Erkrankungen, die nicht allein mit einer positiven Einstellung geheilt werden können. Ohne medizinische Behandlung geht es oft nicht. Doch klar ist: Die Seele ist stark an jedem körperlichen Leiden beteiligt, sowohl was die Ursachen als auch die Behandlung einer Krankheit betrifft. So können etwa Entspannungstechniken wie autogenes Training, Yoga oder Meditation Krebspatienten helfen, ihre belastende Krebstherapie besser zu überstehen. Und sehr viele Vertreter der modernen Medizin wissen inzwischen, wie stark psychische Aspekte in die gesamte Therapie mit einbezogen werden müssen – und wie hilfreich psychologische Betreuung bei der Bewältigung von Phasen ist, in denen die Gesundheit nicht mehr mitspielt.
… doch der „innere Arzt“ ist ein mächtiger Heiler
Selbstheilungskräfte sind nicht erst seit gestern bekannt. Schon vor Tausenden von Jahren soll der berühmte Arzt Hippokrates gesagt haben: „Die wirksamste Medizin ist die natürliche Heilkraft, die im Inneren eines jeden von uns liegt.“ Manche nennen diese auch den „inneren Arzt“. Selbstheilung ist etwas, das nicht nur selten und in wundersamer Weise geschieht, sondern ständig. Schließlich ist der Körper immer wieder neu damit beschäftigt, seine eigenen inneren Systeme zu regulieren und sich selbst zu regenerieren – denken wir nur an die hocheffektive körpereigene Immunabwehr oder die Fähigkeiten des Organismus, fehlerhaftes Erbgut zu reparieren, Knochenbrüche und Infekte zu heilen und Wunden zu schließen. Auch gegen Krebs geht der Körper eigenständig vor, denn oft zerstört das Immunsystem bösartige Zellen schon bevor ein Krebsgeschwür wachsen kann und verhindert damit die Entstehung eines Tumors. Und selbst scheinbar hoffnungslose Fälle, die Ärzte bereits als „austherapiert“ und nicht mehr zu heilen erklärt hatten, wurden wie durch ein Wunder doch noch gesund. Zwar kommen solche „Spontanremissionen“ nur sehr selten vor, doch zeigen sie, wozu die körpereigenen Selbstheilungskräfte in der Lage sind.
Ärzte sollten auch auf die Selbstheilungskräfte ihrer Patienten setzen
Auch wenn klar ist, dass die körpereigenen Kräfte meist eine medizinische Therapie nicht ersetzen können, scheinen viele Menschen – auch nach Überzeugung von ganzheitlich orientierten Medizinern – ihre Selbstheilungskräfte zu unterschätzen. Bei den kleinsten Wehwehchen greifen sie schon zur Tablette, Virusinfektionen werden fälschlicherweise mit Antibiotika „beschossen“, und Fieber, das eigentlich eine natürliche Abwehrreaktion des Körpers darstellt und nur sanft behandelt werden sollte, wird schon bei noch harmlosen Temperaturwerten mit Aspirin und Co. bekämpft. Hier sollten Patienten darauf achten, wie sich ihr Arzt verhält: Macht er sie ggf. auf die eigenen Selbstheilungskräfte aufmerksam, schickt er sie statt mit einem Rezept lieber mit einem guten Ratschlag oder einem Naturheilmittel nach Hause? Hört er zu, nimmt Anteil und schenkt positiven Zuspruch? Ein solcher Arzt verdient Vertrauen – und wird sicherlich die Selbstheilungskräfte seiner Patienten als „kompetenten Kollegen“ zu schätzen wissen!
Der Placebo-Effekt
Der wohl bekannteste Beweis sowohl für den Zusammenhang zwischen Körper und Seele als auch für die Fähigkeit des Körpers zur Selbstheilung ist der sogenannte Placebo-Effekt. Damit wird eine heilende Wirkung bezeichnet, die weder durch die Einnahme eines wirkstoffhaltigen Arzneimittels noch durch eine andere Behandlung verursacht wird. Ein Placebo-Medikament wird zum Beispiel in Studien verabreicht, in denen eine Gruppe ein wirksames Medikament, die Vergleichs- oder Kontrollgruppe dagegen ein Placebo erhält, sprich eine Pille, die keinen Wirkstoff enthält. Oft hat sich auch in medizinischen Behandlungen mit Placebos ein erstaunlicher Effekt dieser „Zuckerpillen“ gezeigt: Allein dadurch, dass die Patienten glaubten und erwarteten, das Medikament werde ihnen helfen, trat eine Besserung der Symptome ein, die sich körperlich nachweisen ließ. Einen besonders deutlichen Beleg für den Placebo-Effekt lieferte eine Untersuchung, in der man einer Gruppe von Personen sagte, sie würden ein Beruhigungsmittel bekommen, einer anderen Gruppe wurde die Verabreichung eines Aufputschmittels in Aussicht gestellt. Jedoch verfuhr man genau umgekehrt: Derjenigen Gruppe, der man das Beruhigungsmittel angekündigt hatte, gab man das aufputschende Mittel und umgekehrt. Im Ergebnis waren über 50 Prozent derjenigen, die meinten, ein Beruhigungsmittel erhalten zu haben, tatsächlich aber ein Aufputschmittel geschluckt hatten, ruhig und entspannt. All diejenigen, die glaubten, sie hätten das Aufputschmittel genommen, jedoch das Beruhigungsmittel erhalten hatten, waren aufgedreht und hellwach. Ein Placebo-Effekt zeigt sich oft schon in dem Moment, in dem ein Arzt aufgesucht wird. Besteht ein Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt, nimmt sich der Mediziner ausreichend Zeit und geht auf die Schilderungen des Patienten einfühlsam ein, wird sich sehr wahrscheinlich nach dem Arztbesuch eine Besserung einstellen. Vor allem bei Heilpraktikern und Homöopathen tritt dieser Effekt häufig auf, denn diese Therapeuten nehmen sich meist viel Zeit für ihre Patienten und bauen damit häufiger eine Vertrauensbasis auf – eine wichtige Grundlage dafür, dass der Arzt zur Aktivierung der Selbstheilungskräfte des Patienten beitragen kann. Selbst bei der Einnahme von stark wirksamen Arzneimitteln spielt der Placebo-Effekt eine Rolle: Nachgewiesenermaßen wirken zum Beispiel Schmerzmittel zu etwa 40 Prozent allein dadurch, dass die Patienten glauben, dass ihnen das Mittel die Schmerzen nehmen wird. Das gilt vor allem für Personen, die schon früher gut auf Schmerzmittel reagiert haben und damit eine positive Erwartungshaltung dem Mittel gegenüber zeigen. Schon das Herunterschlucken des Medikaments wird dann mit dem schmerzlindernden Prozess gleichgesetzt, sodass dieser tatsächlich eintritt und die Beschwerden abklingen. Analog dazu sprechen Patienten, die weniger oder gar nicht glauben, dass ihnen das Mittel helfen wird, auf Placebos nicht gut an.
Die genaue Ursache des Placebo-Effekts ist noch nicht geklärt
Positive Erfahrungen und eine damit verbundene positive Erwartung sowie Vertrauen scheinen also die wesentlichen Faktoren für den Placebo-Effekt zu sein. Studien weisen außerdem darauf hin, dass eine genetische Veranlagung und bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, etwa Extrovertiertheit und eine optimistische Grundeinstellung, ebenfalls zur Entstehung des Effekts beitragen können. Eine ganz exakte wissenschaftliche Ursache dafür haben Forscher allerdings bis heute noch nicht finden können. Gemessen werden konnte jedoch die Wirkweise des Effekts. So kommt es tatsächlich zu einer körperlichen Reaktion im Gehirn, wenn ein Patient ein Placebo einnimmt: Es wird vermehrt das „Glückshormon“ Dopamin ausgeschüttet und damit die Weiterleitung von Schmerzen im Nervensystem unterbunden.
Psyche, Immunabwehr und Nerven: ein starkes Therapeuten-Team
Eine relativ junge, aber bereits sehr anerkannte Wissenschaft ist die Psychoneuroimmunologie. Vertreter dieser Forschungsrichtung sind überzeugt, dass die Psyche bei Krankheit und Heilung eine weit bedeutendere Rolle spielt, als die moderne Schulmedizin lange zu glauben bereit war. Psychoneuroimmunologen suchen nach den Stellen, wo Biologie und Psychologie sich treffen, und konnten bereits mehrere Botenstoffe identifizieren, die offenbar eine Kommunikation zwischen Nerven und dem körpereigenen Immunsystem steuern. So stellten sie unter anderem zweifelsfrei fest, dass Dauerstress die Selbstheilungskräfte des Körpers schwächt, da unter dauerhafter Belastung zu viel Kortisol ins Blut gelangt, das die Immunabwehr hemmt. Ebenso konnten sie in Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die dauerhaft unter Ängsten und Gefühlen der Isolation und Hoffnungslosigkeit litten, offenbar schneller krank wurden als optimistische Menschen.
Wie kann man seine Selbstheilungskräfte gezielt aktivieren?
Experten wissen, dass Gefühle und Gedanken beeinflussbar sind – das heißt, man kann sie gezielt therapieren und letztlich „positiver machen“. Das geht etwa im Rahmen einer Psychotherapie, in der selbst „unverbesserliche“ Optimisten gezielt ihre negativen Haltungen, Gedanken und Gefühle identifizieren und sie nach und nach durch positivere Gedanken und Gefühle ersetzen können. So finden Patienten hier oft heraus, dass ihre negative Haltung dem Leben gegenüber auf sogenannten „Glaubenssätzen“ beruhen, die sie bereits in der Kindheit „gelernt“ haben (z.B. „Ich bin nicht wichtig“ oder „Ich bin selbst schuld, wenn es mir schlecht geht“). Gelingt es ihnen zu verstehen, dass diese Glaubenssätze inzwischen keine Gültigkeit mehr haben und dass sie selbst in der Lage sind, etwas Gutes in ihr Leben zu bringen, können sie auch nach und nach immer mehr positivere neue Glaubenssätze in ihren Gedanken installieren – und damit letztlich auch nachhaltig ihre Selbstheilungskräfte aktivieren.
Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.