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Sexuellen Missbrauch von Kindern erkennen - Was tun?

Kommentar schreiben Aktualisiert am 15. November 2019

Tag für Tag erfahren Kinder weltweit sexuelle Gewalt. Der Täter – nicht selten eine enge Bezugsperson! Sexueller Missbrauch geht häufig mit einer schweren Traumatisierung einher, die Einfluss auf die gesamte Entwicklung des Kindes nimmt. Oftmals haben Betroffene mit körperlichen und seelischen Folgen zu kämpfen, die den weiteren Lebensweg deutlich prägen. Prävention ist daher von großer Wichtigkeit, um das Risiko von Kindesmissbrauch zu minimieren.

 

Im Folgenden möchten wir uns ausführlich mit der Thematik beschäftigen. Was versteht man unter sexueller Gewalt und wie lässt sich sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen erkennen? Auch die Folgen sexueller Gewalterfahrung in der Kindheit sollen beleuchtet werden. Abschließend beschäftigen wir uns mit der Frage, wie sinnvolle Prävention funktionieren kann.   

 

Was versteht man unter sexuellem Missbrauch?

 

Gerade bei sexuellem Missbrauch von Kindern ist die Bandbreite sehr groß. Grundsätzlich sind damit sämtliche verbale und körperliche Übergriffe gemeint, bei denen die sexuelle Integrität des Kindes verletzt wird. Diese reichen von sexualisierten verbalen Anspielungen über voyeuristisches Fehlverhalten bis hin zu (erzwungenen) sexuellen Handlungen am eigenen Körper oder jenem des Kindes. Entgegen mancher Annahme passiert sexueller Missbrauch von Kindern nicht unabsichtlich. Ganz im Gegenteil wird die eigene mächtigere Position bewusst ausgenützt, um ein Bedürfnis nach Macht, Kontrolle, Nähe und/oder Sexualität zu stillen.1

 

In unserem alltäglichen Sprachgebrauch ist „sexueller Missbrauch“ ein häufig verwendeter Terminus. Begrifflichkeiten können jedoch mitunter für Verwirrung sorgen, denn das Strafgesetzbuch versteht unter sexuellem Missbrauch nur tatsächlich strafbare Formen sexueller Gewalt. Vor allem im wissenschaftlichen Kontext ist daher – gerade in jüngerer Zeit – vermehrt von „sexueller Gewalt“ oder „sexualisierter Gewalt“ die Rede. Diese Begriffe werden der oben beschriebenen Bandbreite auch eher gerecht und machen deutlich, dass es in nahezu allen Fällen darum geht, dass mit Hilfe von Sexualität Gewalt an Kindern ausgeübt wird.2 In diesem Artikel werden die Begriffe „sexueller Missbrauch“, „sexuelle Gewalt“ und „sexualisierte Gewalt“ synonym gebraucht und schließen alle sexuell motivierten Grenzüberschreitungen ein, die die körperliche, geistige und seelische Integrität des Kindes verletzen können!

 

Sexualisierte Gewalt ist dann gegeben, wenn entsprechende Handlungen gegen den Willen des Betroffenen vorgenommen werden beziehungsweise dieser aufgrund körperlicher, geistiger, seelischer oder sprachlicher Unterlegenheit sein Einverständnis nicht geben kann. Bei unter 14jährigen muss in jedem Fall angenommen werden, dass entsprechende Handlungen nicht abschätzt werden können, auch bei zustimmendem Verhalten. Daher handelt es sich bei sexuellen Handlungen, bei denen Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren involviert sind, stets um sexuelle Gewalt und in weiterer Folge um eine strafbare Handlung.3

 

Sexueller Missbrauch: Jedes Kind reagiert anders

 

Anzeichen, die auf einen Kindesmissbrauch hinweisen können, sind mannigfaltig und durchaus auch unspezifisch. Kinder, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, sprechen selten in deutlichen Worten. In vielen Fällen werden sie zudem eingeschüchtert oder erpresst, vor allem wenn sie in einem Naheverhältnis zum Täter stehen. Umso wichtiger ist es, im Umgang mit Kindern offen und aufmerksam zu bleiben. Kinder zeigen anhand ihres Verhaltens meist recht deutlich, wenn etwas nicht stimmt. Auffällige Verhaltensweisen sind daher stets als Hilferuf zu werten.

 

Sexuellen Missbrauch bei Kindern erkennen

 

Wie ein Kind auf sexuellen Missbrauch reagiert, ist individuell verschieden und zudem von unterschiedlichen Faktoren abhängig. Wesentliche Faktoren sind, neben Dauer und Intensität des Missbrauchs, vor allem die Beziehung zum Täter sowie die Qualität bestehender sozialer Beziehungen. Auch das Geschlecht des Kindes spielt eine Rolle.4 Nachdem sexueller Missbrauch von Kindern in verschiedener Ausprägung stattfindet, sind körperliche Spuren nicht zwingend vorhanden. Bei nahezu allen Betroffenen zeigt sich allerdings ein in irgendeiner Form auffälliges Verhalten. Dass Kinder sich über den Missbrauch, den sie erfahren beziehungsweise erfahren haben, konkret äußern, kommt hingegen eher seltener vor. Vor allem sehr junge Kinder können oftmals gar nicht einordnen, was da mit ihnen passiert (ist). Auch älteren Kindern fehlen häufig die passenden Worte, vor allem wenn sie noch nicht aufgeklärt sind. Nicht zuletzt wird sexualisierte Gewalt auch aus Scham oder Angst verschwiegen, vor allem dann, wenn der Täter kein Fremder ist und entsprechend auf das Kind einwirkt.5

 

Mögliche Anzeichen für sexuellen Missbrauch bei Kindern

 

Das Spektrum von möglichen Anzeichen für einen sexuellen Missbrauch ist breit und umfasst mehrere Ebenen. Symptome können sich körperlich und psychisch gleichermaßen bemerkbar machen. Auch Veränderungen im Sozialverhalten des Kindes können ein Indiz sein und sind stets ernstzunehmen. Dass ein Kind in keiner Weise auf sexuellen Missbrauch reagiert, ist eher die Ausnahme.

 

Körperliche Anzeichen

 

  • Verletzungen an unüblichen Stellen (Gesäß, Rückenbereich, Genitalbereich, Oberschenkel)6
  • Störungen im Schlafverhalten (Albträume, Schlaflosigkeit,…)
  • Essstörungen; Gewichtszunahme oder -abnahme
  • Einnässen/Einkoten7
  • Magen-Darm-Beschwerden
  • Konzentrationsprobleme (damit häufig verbunden: schulischer Leistungsabfall)
  • Kopfschmerzen/Migräne8

 

Psychische Anzeichen

 

  • übermäßige Ängstlichkeit
  • Aggressivität
  • zwanghaftes Verhalten (vor allem Waschzwänge)9
  • Depression/depressive Verstimmung
  • selbstverletzendes Verhalten
  • Suchtverhalten (Alkohol, Drogen)10

 

Veränderungen im Sozialverhalten

 

  • aggressives, unkontrolliertes Verhalten
  • gehemmtes, ängstliches, kontrollierendes Verhalten11
  • Körperkontakt und Zärtlichkeit werden abgelehnt
  • nicht altersentsprechender Umgang mit Sexualität/sexualisiertes Verhalten
  • Rückzug (bis hin zur Verweigerung von Schulbesuch oder Freizeitaktivitäten)12

 

Sexuelle Gewalterfahrung im Kindesalter hat weitreichende Folgen

 

Sexueller Missbrauch ist eine traumatisierende Erfahrung, die Einfluss auf die gesamte weitere Entwicklung eines Kindes nehmen kann. Die Folgen von sexueller Gewalt mögen nicht immer absehbar sein, tendenziell fallen sie aber besonders schwer aus, wenn folgende Aspekte zutreffen: 

 

  • Der Missbrauch fand wiederholt statt.
  • Die Handlungen erstreckten sich über einen längeren Zeitraum.
  • Der Missbrauch ist durch eine enge Bezugsperson erfolgt.
  • Es wurde zusätzlich körperliche Gewalt angewendet.
  • Es sind schwere Formen des Missbrauchs (etwa Penetration) erfolgt.13

 

Sexuelle Gewalt bestimmt den weiteren Lebensweg des Kindes mitunter deutlich. Bindungsunfähigkeit, Verwechslung von Sexualität und Liebe im Jugend- und Erwachsenenalter oder sexualisiertes Verhalten sind keine Seltenheit. Zudem haben Betroffene vermehrt Schwierigkeiten, die eigenen Grenzen zu wahren. Auch Suchtverhalten, Essstörungen, Störungen der Identität (Borderline) oder selbstverletzendes Verhalten treten bei Opfern sexueller Gewalt vermehrt auf.14

 

Sexualisierte Gewalt sorgt beim Kind für kognitive und emotionale Verwirrung gleichermaßen. Gerade wenn der Täter dem Opfer gut bekannt ist, steht das Kind vor der Schwierigkeit, die Rolle des Täters mit jener der geliebten Bezugsperson zu vereinen. Sexueller Missbrauch ist stets mit einer tiefen Erschütterung des Grundvertrauens verbunden, was entsprechend traumatisierend wirkt. Das Gefühl von Einsamkeit und Hilflosigkeit macht sich breit, vor allem, wenn sich das Kind niemandem anvertrauen kann, weil es unter Druck gesetzt wird. Solche Gefühle verstärken sich zusätzlich, wenn sich das Kind öffnet, ihm aber kein Glaube geschenkt wird. Nicht zuletzt führt sexueller Missbrauch zur Verletzung der körperlichen Integrität. Opfer erfahren in wahrsten Sinne des Wortes Beschädigung und fühlen sich ausgeliefert. Die Folgen für das (kindliche) Selbstvertrauen sind mitunter massiv, da Scham, Schuld und Wertlosigkeit ins eigene Selbst integriert werden.15

 

Bei sexuellem Missbrauch wirkt der Vertrauensverlust, den das Kind erfährt, besonders schwer. Das Vertrauen in sich selbst sowie in die Umwelt ist stark erschüttert. Das führt mitunter zu massiven Ängsten. In manchen Fällen ist die psychische Belastung durch die Missbrauchserfahrung so groß, dass sich eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln kann. Auch ein Relativieren oder Verdrängen des Missbrauchs – sei es zum eigenen Schutz oder jenem des Täters – kommen vor.16

 

Wie kann man sexuellem Missbrauch von Kindern vorbeugen?

 

Um Kinder vor sexuellen Übergriffen zu schützen, ist es wesentlich auf eine präventive Erziehungshaltung zu setzen. Es geht darum, das Kind in seiner Persönlichkeit ernst zu nehmen und seine Selbstbestimmung nachhaltig zu fördern.17

 

Damit Kinder ihre körperlichen und seelischen Grenzen entsprechend wahren können, müssen sie sich selbst und ihren Körper ausreichend gut kennen. Mit Aufklärung und Körperarbeit sollte daher so früh wie möglich begonnen werden, am besten schon ab dem Zeitpunkt, wenn einzelne Körperteile und Gefühle gut benannt werden können. Je mehr Verständnis ein Kind von seinem Körper und seiner Körperlichkeit hat, desto besser ist es dazu in der Lage, einen eventuellen Missbrauch in Worte zu fassen. Nicht zuletzt geht es darum, dass das Kind lernt, auf seine Intuition zu vertrauen, seine Grenzen zu wahren und zwischen „guten“ und „schlechten“ Geheimnissen zu unterscheiden.18

 

Was Prävention mitunter schwierig macht, sind Relikte aus früheren Zeiten. Unreflektiert ist von „bösen Fremden“ die Rede, von „kranken Menschen“, vor denen sich das Kind in Acht nehmen muss. Dabei gehen Erwachsene aber oftmals nicht näher ins Detail, was die Sache für Kinder sehr abstrakt macht. Was denn nun das Schlimme ist, das passieren kann, das kann sich ein Kind nicht selbst zusammenreimen. Für das kindliche Gefahrenbewusstsein ist das wenig sinnvoll. Auch wenn Sexualität von Kindern ferngehalten wird und keine Aufklärung stattfindet, ist das kontraproduktiv. Kindern fällt es in dem Fall deutlich schwerer, ihre Grenzen zu wahren. Einen eventuellen Missbrauch können sie oftmals gar nicht richtig einordnen. Darüber hinaus kann auch ein zu autoritärer Erziehungsstil zum Problem werden, denn Kindern fällt es dann deutlich schwerer, sich einem Erwachsenen zu widersetzen.19

 

Prävention gegen sexuelle Gewalt ist als Erziehungsmaßnahme zu sehen und sollte stetig passieren, nicht nur punktuell. Hier ist Beziehung ganz wichtig. Es reicht nicht aus, Prävention auf Kindergarten, Schule oder andere Institutionen auszulagern, das Elternhaus ist ebenso gefragt. Wesentliche präventive Maßnahme ist es, Kindern Wissen über Sexualität, ihren eigenen Körper und Intimbereich zu vermitteln. Selbstvertrauen und Selbstsicherheit sollten nachhaltig gefördert werden. Die eigenen Grenzen sowie das Recht auf körperliche, psychische und sexuelle Integrität zu wahren, dabei brauchen Kinder Unterstützung. Für den Fall, dass die Grenzen des Kindes verletzt werden, ist es wichtig, dass im Vorfeld Handlungsstrategien verfestigt wurden (etwa „Nein sagen“, Erwachsene um Hilfe bitten etc.).20

 

Natürlich verhindert Prävention Kindesmissbrauch nicht automatisch, jedoch trägt sie maßgeblich dazu bei, das Risiko zu senken. Wenn Sie die Vermutung haben, dass einem Kind sexuelle Gewalt angetan wird, zögern Sie nicht lange und werden Sie aktiv. Fachberatungsstellen in örtlicher Umgebung sind gute erste Ansprechpartner. Bei begründetem Verdacht ist eine Meldung bei Polizei oder Jugendamt angezeigt.

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Daniela Jarosz
Autor: Daniela Jarosz

Daniela Jarosz ist Sonder- und Heilpädagogin. Während des Studiums hat sie sich intensiv mit Inhalten aus Medizin und Psychologie auseinandergesetzt. Sie arbeitet seit vielen Jahren im psychosozialen Feld und fühlt sich außerdem in der freiberuflichen Tätigkeit als Autorin zuhause. Im redaktionellen Bereich hat sie sich auf die Fachrichtungen Medizin, Gesundheit, Nachhaltigkeit, Work-Life-Balance sowie Kinder und Familie spezialisiert.

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