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Wenn der Schulbesuch zur Qual wird: Schulangst bewältigen

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Es ist Sonntagabend, die zwölfjährige Jenny sitzt bedrückt in ihrem Zimmer. Ihr graut schon jetzt vor dem kommenden Tag, wenn sie wieder in die Schule muss. Bestimmt wird sie heute Nacht wieder nicht schlafen können. Sie hat solche Angst, dass sie die Mathe-Klausur nicht schafft, dabei hat sie doch wochenlang darauf gelernt! – Finn, acht Jahre alt, hat sich in der Schultoilette eingeschlossen und weint. Wieder mal haben ihn die fiesen Jungs aus der siebten Klasse in der Pause beleidigt, verfolgt und attackiert. Der eine hat ihn sogar mit einem Messer bedroht. Was soll er bloß tun? Wenn er den Lehrern oder seinen Eltern davon erzählt, werden die Jungs ihn noch mehr auf dem Kieker haben, oder? Vor lauter Angst kann er in letzter Zeit gar nichts mehr essen, hat ständig Kopfweh. Und auf die Schularbeiten kann er sich auch nicht mehr konzentrieren. Jenny und Finn leiden unter Schulangst. Und teilen ihr Problem mit sehr vielen anderen Jungen und Mädchen in Deutschland – genaue Zahlen zu benennen, ist schwierig, da sich bei weitem nicht alle Betroffenen mit ihrem Problem „outen“. Jenny, Finn und ihre Leidensgenossen kommen mit Lehrern, Mitschülern oder den von ihnen geforderten Leistungen überhaupt nicht klar – und werden sogar krank davon. Bei sensiblen Gemütern genügt oft schon eine Kleinigkeit, um eine handfeste Schulangst auszulösen – vielleicht haben sich Lehrer oder Mitschüler beim Abfragen an der Tafel oder im Sportunterricht auf eine gemeine Art über einen Fehler lustig gemacht. Wird so etwas als sehr schlimm empfunden, merkt sich das Angstzentrum im Gehirn sofort diese unangenehme Situation und signalisiert Gefahr, wenn das betroffene Kind beim nächsten Mal aufgerufen wird oder eine an sich einfache Turnübung vormachen soll. Bekommt die Schülerin oder der Schüler dann nicht beizeiten Unterstützung, um aus dieser Angst wieder herauszufinden, kann sich die Schulangst schnell festsetzen.

Schuleschwänzen als Vermeidungsproblem

Kinder, die unter schlimmer Schulangst leiden, wollen den Schulbesuch irgendwann nur noch vermeiden. Laut Experten schwänzen etwa fünf bis zehn Prozent der deutschen Schüler regelmäßig die Schule. Ganz klar, dass das natürlich alles andere als weiterhilft: Die Noten werden (noch) schlechter, die Versetzung wird nicht geschafft, im schlimmsten Fall reicht es nicht mehr für einen ordentlichen Schulabschluss. Deshalb sollten Eltern auch keinesfalls immer wieder Entschuldigungen schreiben, etwa weil sie glauben, ihrem Kind damit gegen seine Schulangst zu helfen: So hat das Kind keine Chance, irgendwann die Erfahrung zu machen, dass es seine Angst überwinden kann.

Was den Schulbesuch zur Hölle machen kann

Natürlich tauchen bei jedem Schüler und jeder Schülerin im Laufe ihres Schullebens irgendwann angstbesetzte Situationen auf. Gerade Schulanfängern ist es während der ersten Wochen oft mulmig, schließlich ist alles neu: die Mitschüler, die Lehrer, und vielleicht haben die Eltern auch ein wenig zu oft vom berühmt-berüchtigten „Ernst des Lebens“ gesprochen, der jetzt beginne. Im Regelfall legen sich solche Ängste jedoch relativ schnell von selbst wieder – es werden positive Erfahrungen gemacht, die den Befürchtungen des Kindes, es könne etwas nicht schaffen, die Grundlage nehmen. Wenn solche Erfahrungen jedoch ausbleiben, wenn sich das Kind zudem völlig allein mit seiner Angst fühlt oder diese so groß wird, dass sie das Kind krank macht, müssen Eltern und Lehrer helfen. Dabei kann es um Angst vor Klassenarbeiten, Zensuren oder dem Sportunterricht oder auch um Angst vor fiesen Schulkameraden gehen.

Versagensängste: schon bei Kindern weit verbreitet

Erschreckend viele Schülerinnen und Schülern leben in ständiger Angst, geforderte Leistungen nicht erbringen zu können und zu versagen – und dabei vielleicht auch noch vor der ganzen Klasse bloßgestellt zu werden. Das liegt übrigens nicht selten auch daran, dass das Kind oder der/die Jugendliche im Unterricht ganz einfach nicht mitkommt. Das Kinderhilfswerk UNICEF hat bereits Alarm geschlagen: Neuen Untersuchungen zufolge haben in Deutschland rund 17 Prozent der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler Probleme, Texte zu lesen oder einfache Rechenaufgaben zu lösen. Dazu kommen immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund, die noch nicht gut Deutsch können. Hilfreiche Maßnahmen wie z.B. in Finnland, wo es für schwache Schüler kostenlose Nachhilfe gibt, haben sich hierzulande noch nicht durchgesetzt. Dabei scheinen diese sich auszuzahlen: Landete Deutschland bei einem Lesetest unter Schülern aus 31 Ländern vor drei Jahren gerade mal auf Platz 21, erreichte Finnland den ersten Platz.

Gewalt und Mobbing: an Schulen inzwischen alltäglich

Körperliche und seelische Gewalt ist an vielen Schulen inzwischen zu einem dauerhaften, ernsten Problem geworden. Eine aktuelle Untersuchung bringt Schockierendes zutage: Fast ein Drittel aller Jungen gab auf Nachfrage zu, allein innerhalb der letzten sechs Monate andere Schüler verprügelt zu haben. Weitere 13 Prozent erklärten, sie hätten in diesem Zeitraum Mitschüler erpresst oder „abgezogen“, ihnen also gewaltsam oder unter Androhung von Gewalt Handys, Kleidungsstücke oder Geld abgenommen. Auch Mädchen sind unter den Tätern, wenn auch nicht in so starker Anzahl wie Jungs. Kinder, die andere Schülerinnen und Schüler zum Feind haben, trauen sich meist kaum noch in die Schule. Sie werden verbal angegriffen, bedroht, geschlagen oder auch ausgegrenzt und gemobbt. Stehen sie erst einmal in ihrer Klassengemeinschaft als „Opfer“ da, werden sie erstrecht zum Außenseiter – nicht umsonst ist „Du Opfer!“ auf vielen Schulhöfen ein oft gehörtes Schimpfwort. Die betroffenen jungen Menschen verlieren oft jegliches Selbstwertgefühl. Bleiben sie mit ihrem Problem allein, verzweifeln sie immer mehr. Nicht wenige Selbstmorde hat es unter schulischen Mobbing-Opfern schon gegeben.

Woran merken Eltern, dass ihr Kind unter Schulangst leidet?

Manchmal ist es für die Eltern gar nicht so einfach, echte Schulangst bei ihrem Kind zu erkennen. Denn die meisten Kinder sprechen nicht von sich aus über ihre Probleme. Viele verstecken auch ihre Schwierigkeiten hinter einem aggressiven oder auch betont lässigen Verhalten. Körperliche Alarmsignale lassen sich da noch am besten erkennen. Von Schulangst betroffene Kinder leiden sehr häufig unter Bauch- oder Kopfweh, Durchfall oder Übelkeit, manche nässen nachts auch wieder ein. Weitere typische Symptome sind Schwindel und Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Alpträume, morgendliches Weinen bis hin zu regelrechten Panikattacken. Das Kind kann aber auch vor allem Auffälligkeiten im Verhalten zeigen, etwa Grübeln, überzogene Ängstlichkeit, Aggressivität bis hin zu absoluter Lustlosigkeit und vermeintlicher Gleichgültigkeit. Manchmal zeigt sich auch beim Erledigen der Hausaufgaben, dass das Mädchen oder der Junge bestimmte Fächer nicht bearbeiten will oder dabei auffällig unkonzentriert und zappelig ist. Klassischerweise nehmen die genannten Symptome ab oder verschwinden ganz, wenn das Wochenende beginnt oder Schulferien sind.

Was können Eltern tun?

Bei jeder Form von Schulangst braucht das Kind Hilfe – selbst wenn es sich bemüht, sich seine Probleme nicht anmerken zu lassen. Der erste Schritt der Eltern sollte immer darin bestehen, das Gespräch zu suchen. Am besten fragen Vater und/oder Mutter ganz konkret, wovor genau das Kind Angst hat. Aus den Antworten geht wahrscheinlich schnell hervor, ob es sich bei der Schulangst um Versagensängste und zu hohen Leistungsdruck handelt oder vielmehr um Probleme mit den anderen, z.B. um Mobbing.

Empathie der Eltern: die beste Hilfe für das Kind

Kinder und Jugendliche spüren genau, wie gut sich die Eltern in sie hineinversetzen und wie stark deren Mitgefühl und Anteilnahme sind. Ganz wichtig ist es daher, dass die Eltern in dieser Situation wirklich zu ihrem Kind stehen. Sie sollten es in den Arm nehmen und ihm versichern, dass sie es lieben, so wie es ist – und dass es im Leben immer wieder angstbesetzte und schwierige Situationen gibt, die bewältigt werden können. Dann gilt es, das spezielle Problem von allen Seiten zu betrachten und zu überlegen: Was könnte helfen? Experten raten Eltern hierbei, ihrem Kind zuzutrauen, selbst Lösungen zu finden. Möglichst konkrete Fragen wie „Was bräuchtest du, um dich richtig gut gegen die fiesen Jungs wehren zu können?“ oder „Was könnte dir helfen, dich vorne an der Tafel beim Vorrechnen sicherer zu fühlen?“ helfen dem Kind, sich schrittweise einer Lösung zu nähern und gemeinsam mit den Eltern Wege aus der Zwickmühle zu finden. Hat das Kind vor allem Angst zu versagen und/oder den Eltern nicht zu genügen, sollten diese die eigenen Ansprüche selbstkritisch hinterfragen. Gibt es z.B. ein Geschwisterkind, das regelmäßig als „Vorbild“ herausgestellt wird? Betont etwa der Vater sehr oft, wie hervorragend die eigenen Zensuren waren, und erweckt er den Anschein, dass er vom Kind ebenso gute Bewertungen erwartet?

Im Zweifelsfall: Ehrgeiz runterfahren!

Wenn die Eltern akzeptieren, dass eine schlechte Note ab und zu nicht den Weltuntergang bedeutet, wird auch das Kind stressfreier in der Schule arbeiten können. Hagelt es allerdings ständig Fünfer und Sechser, könnte das Kind auch ganz einfach auf der falschen Schule sein. Eltern sollten sich dann fragen: Muss unser Kind wirklich aufs Gymnasium gehen? Eine Beratung mit den Schullehrern kann bei solchen Fragen sehr hilfreich sein. Bei Mobbing oder anderen Konflikten mit den Mitschülern ist es sinnvoll, zunächst die Lehrer, unter Umständen aber auch externe Experten hinzuzuziehen. Mobbing und andere Formen von psychischer und physischer Gewalt in der Schule sind meist bei Fachpersonal in den besten Händen. Spezielle Förderprogramme für alle möglichen spezifischen Problemstellungen können betroffene Kinder stärken und ihnen nachhaltig helfen. Die Schule kennt die entsprechenden Beratungs- und Anlaufstellen und wird sich in aller Regel kooperativ zeigen, wenn die Eltern um Hilfe bitten.

Experten wissen weiter

Lässt sich das Problem nicht allein mit Gesprächen und auch nicht durch das Hinzuziehen von Lehrern lösen und geht es dem Kind weiterhin schlecht, sollten Eltern nicht zögern, einen Kinder- und Jugendtherapeuten aufzusuchen. Dieser kann ggf. auch zu Grunde liegende familiäre Probleme erkennen und gemeinsam mit Eltern und Kind Lösungswege aufzeigen und entwickeln. Manchmal steckt hinter der Schulangst eines Kindes allerdings auch etwas ganz Überraschendes. So können etwa eine Leseschwäche oder Einschränkungen des Seh- oder Hörvermögens dafür verantwortlich sein, dass ein Junge oder Mädchen in der Schule nicht mitkommt und immer stärker unter Druck gerät. Geschulte Mitarbeiter  entsprechender Anlaufstellen können solche Einschränkungen mithilfe spezieller Testdiagnostik leicht erkennen und schnelle Abhilfe ermöglichen. Generell gilt: Probleme in der Schule und daraus folgende Ängste sind keine Schande – weder für die betroffenen Kinder noch für die Eltern. Leider haben Leistungsdruck und Konkurrenzdenken auch in den Schulen längst Einzug gehalten, sodass heutzutage niemand mit Schulangst alleine dasteht. Umso wichtiger ist es jedoch, Kinder bei den Herausforderungen des Schulalltags zu stärken und ihnen zur Seite zu stehen. Fraglos liegt das Gute unserer heutigen Zeit darin, dass Eltern, die ja heute ebenfalls vielfach unter Druck stehen, bei den Problemen ihrer Kinder nicht mehr alleine gelassen werden, sondern dass ihnen fachkundige Hilfe für Schulprobleme aller Art zur Verfügung steht!

Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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