Wenn der Tag zur Nacht wird – Die Visionen der Tagträumer!
Tagträume fördern die Intelligenz und Kreativität. Sie schaffen Raum für neue Ideen und Problemlösungen, die durch angestrengtes Denken nie aufgetaucht wären. Wer die Gedanken einfach so schweifen lässt, verschwendet keine Zeit, sondern aktiviert Regionen im Gehirn, die Intuition und Selbstreflexion ermöglichen: Visionen können sich entwickeln, die Idee für das Geburtstagsgeschenk des Partners kommt wie aus dem Nichts in den Kopf und die lang ersehnte Geschäftsidee taucht plötzlich vor dem inneren Auge auf. Nicht umsonst sagt man: Die besten Ideen kommen beim Putzen oder Kartoffelschälen. In seltenen Fällen können Tagträume auch Ausdruck seelischer Störungen sein. Was ist ein Tagtraum? Welche beiden Netzwerke bestimmen unser Denken? Was sagt die Wissenschaft zu den Vorteilen von Tagträumen? Kann man Tagträumen lernen?
Wenn die Gedanken fließen – Tagträumen
Tagträume 1 sind innere Bilder und Vorstellungen. Sie geschehen, wenn wir uns auf nichts Bestimmtes konzentrieren. Wird das Gehirn in der Außenwelt nicht gebraucht, zieht es sich in sich selbst zurück und blickt nach innen. Tagträume werden bewusst wahrgenommen und können jederzeit zugelassen, eingeladen und auch wieder unterbrochen werden. Sie entstehen von alleine in Konzentrationslücken oder werden bewusst herbeigeführt durch Fragen, die den Tagträumer gerade intensiv beschäftigen und die er mit seinem rationalen Geist nicht lösen kann.
Was passiert beim Tagträumen?
So wie in Nachtträumen die Tagesereignisse verarbeitet, in Wichtig und Unwichtig sortiert und nur die wesentlichen Erfahrungen im Gedächtnis abgelegt werden, poppen bei Tagträumen Fragen, Unklarheiten und Wünsche des Alltags auf, die nach Lösungen rufen. Die zuständigen Gehirnbereiche nutzen die Auszeit, um sich mit der Innenwelt zu befassen und intuitive Lösungsvorschläge zu machen. Sie finden Möglichkeiten, die dem analytisch denkenden Gehirn zu einfach oder zu komplex wären, um darauf zu kommen.
Harry Potter – berühmtes Ergebnis eines Tagtraums
Im Sommer 1990 sitzt Joanne K. Rowling im Zug von Manchester nach London. Die Strecke kennt sie schon in- und auswendig und sie ist entsprechend gelangweilt. Seit ihrer Kindheit will sie schon Schriftstellerin werden, arbeitet auch gerade an zwei Büchern, die sie nie veröffentlichen wird, und lebt von Sozialhilfe, um sich und ihre Tochter durchzubringen. Gedankenverloren schaut sie aus dem Fenster. Plötzlich schießt ihr die Figur eines 11-jährigen Jungen mit zerzaustem, schwarzem Haar in den Kopf. Die Bilder überschlagen sich, ein Schloss taucht auf und mit ihm die grobe Struktur der 7 Bände, die sie in den nächsten Jahren schreiben sollte, heißt es2. Ein tolles und äußerst erfolgreiches Beispiel für die „Arbeitsweise“ des Tagträumens. In einem Interview soll sie gesagt haben, dass die Idee zu der Geschichte durch den Zug schwebte mit der Suche nach jemandem, dessen Geist gerade frei war, um sich dort zu entfalten.
Default Mode Network - Das Standardmodus-Netzwerk des Gehirns für Tagträumereien
Nachweislich3 existieren verschiedene, miteinander verbundene Regionen im Gehirn, die Default Mode Network (DMN) bzw. Standardmodus-Netzwerk genannt wurden. Sie werden dann aktiv, wenn das Gehirn im Leerlauf ist und nichts zu tun hat, wenn es tagträumt und Gedanken und Gefühlen nachhängt, die Vergangenheit nochmal abspulen lässt oder von der Zukunft träumt.
Zwei Netzwerke – zwei Lösungsstrategien des Gehirns
Neben dem Leerlaufmodus als kreativen Ruhepol gibt es als Gegenspieler Regionen mit dem Namen Dorsal Attention Network (DAN) im Gehirn. Sie sind für die kniffeligen Denkaufgaben, die Konzentration auf die Außenwelt zuständig. So wie uns eine Work-Life-Balance gut tut, wäre auch ein Ausgleich zwischen anstrengendem Denksport und entspannender, kreativer Pause im Gehirn sicher ideal für Wohlbefinden und intelligente Lösungen.
Tagträumen fördert die Kreativität: Eine Studie
Die Psychologen Benjamin Baird und Jonathan Schooler führten an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara eine Studie4 zur Kreativitätsforschung durch: Teilnehmer bekamen die Aufgabe, innerhalb von 2 Minuten ungewöhnliche Nutzungsmöglichkeiten für Alltagsgegenstände wie Zahnstocher oder Ziegelsteine zu finden. Dann wurden sie in 4 Gruppen aufgeteilt: Eine Gruppe machte 12 Minuten lang gar nichts. Die zweite Gruppe hatte dieselbe Zeit, um eine schwierige Aufgabe zu lösen. Gruppe 3 erledigte eine einfache Sortieraufgabe, während dass Tagträumen gut möglich war. Die vierte Gruppe kam direkt zum 2. Teil der Studie: In diesem sollten die 4 Gruppen wieder ungewöhnliche Verwendungen für Alltagsgegenstände finden, u.a. für die vom Anfang des Tests. Ergebnis: Bei den Gruppen 1,2 und 4 gab es keine Veränderung. Die Gruppe 3 mit der einfachen Sortieraufgabe hatte 41 % mehr Ideen für ungewöhnliche Anwendungen der anfangs schon vorgestellten Gegenstände. Wenn der Kopf Zeit und Freiraum hat und durch eine einfache Tätigkeit wach gehalten wird, findet er neue kreative Lösungen.
Tagträumen entwickelt Intelligenz
Auch andere Studien, z.B. von den Psychologinnen Godwin5 und McMillian6 zeigen, dass Tagträumer kreativer und intelligenter sind: Ein gut ausgebautes „Leerlauf-Netzwerk“ erhöht die Fähigkeit, zu lernen, abstrakt zu denken und Probleme zu lösen. Tagträumen stabilisiert die Verbindungen im Gehirn und erhöht die Erkenntniskraft. Wer vermehrt seine Gedanken schweifen lässt, soll ein effizienter arbeitendes Gehirn mit mehr Reserven für neue Erkenntnisse durch Tagträumerei haben. Neurowissenschaftler7 sind zu dem Schluss gekommen, dass Tagträumen dieselben Vorgänge im Gehirn aktiviert wie Kreativität und Vorstellungsvermögen.
Wie schon sprichwörtlich - Die besten Ideen kommen beim Putzen
Natürlich brauchen wir klare Analysen, konzentriertes geistiges Arbeiten und exakte Wissenschaft. Wenn aber originelle, nie da gewesene, erstaunliche, kreative Antworten gesucht werden, dann ist das Tagtraum-Gehirn der Ansprechpartner, am besten gekoppelt mit einfachen Tätigkeiten. Wer weiß, welche „Harry Potters“ brach liegen, weil zu angestrengt und krampfhaft nachgedacht wird. Auch der Neugierforscher Dr. Carl Naughton8 rät ganz klar: „Wenn Sie neue Ideen brauchen, machen Sie einfach nichts. Gehen Sie in die Natur oder unter die Dusche!“
Kann man Tagträumen lernen?
Tagträumen hat mit Loslassen zu tun. Man kann es nicht erzwingen, aber den Raum dafür schaffen. Manche Tipps wie „Einfaches zu tun“ wurden schon gegeben. Eine weitere, sehr schnell wirksame Methode ist es, Ihren Blick auf einen Punkt zu konzentrieren. Entspannt, aber konzentriert. Das stoppt das bisherige Denken und schafft Platz für das „Leerlaufgehirn“.
Tagträume als Zeichen einer seelischen Störung?
Auch das ist möglich. Dann bestehen aber entweder Schwierigkeiten, zwischen dem Tagträumen und der Realität zu unterscheiden, wie es in der Schizophrenie und in anderer Weise beim Borderline-Syndrom der Fall ist, oder es fehlt stark an Konzentrationskraft wie beim ADHS-Syndrom. Depressionen, Alzheimer und Autismus können ebenso Ursache für pathologische Veränderungen im „Leerlaufgehirn“ und der Art der Tagträume sein. Weitere Infos dazu finden Sie hier9.
Quellen:
1 https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/tagtraum/15277
2 https://www.tagesspiegel.de/wissen/psychologie-wir-tagtraeumer/7220226.html
3 https://www.medicoconsult.de/default-mode-network/
4 https://www.zukunftsinstitut-workshop.de/2016/09/worktool-die-gedanken-wandern-lassen/
5 https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/83319/Tagtraeumer-sind-intelligenter-und-kreativer
6 https://www.huffpost.com/entry/mind-wandering_n_4024852
8 https://www.zukunftsinstitut.de/menschen/dr-carl-naughton/
9 http://traeumen.org/tagtraeume/tagtraeume-und-psychische-stoerungen
Beate Helm, Heilpraktikerin, freie Redakteurin und Autorin für Gesundheitsthemen und Persönlichkeitsentwicklung. Selfpublisherin. Weiterbildungen in Ernährungswissenschaft, Homöopathie, Pflanzenheilkunde, Ayurveda, psychologischer Beratung und systemischer Therapie. Langjährige Erfahrung in Yoga und Meditation. Bei apomio seit 04/2015.