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Wenn Kälte gefährlich wird - Kälteallergie

Kommentar schreiben Aktualisiert am 24. März 2020

Wer unter Heuschnupfen oder einer Nahrungsmittelallergie leidet, weiß wie lästig und lebensgefährlich diese bisweilen sein kann. Die Betroffenen wissen meist auf welche Substanz sie so heftig reagieren. Einer Allergie liegen immer ein oder mehrere Allergene als auslösender Faktor zugrunde. Erst wenn das eigene Immunsystem über das normale Maß hinausschießt, machen sich allergietypische Symptome bemerkbar. Eine maßgebende Rolle spielt dabei der Botenstoff Histamin.

Unser Temperaturempfinden hingegen wird durch Rezeptoren auf der Haut geregelt. Diese Messfühler leiten die Wahrnehmung über die Nerven zum Gehirn weiter.

Es existiert somit kein stofflicher Auslöser (Allergen) auf welchen unser Immunsystem mit der Bildung von IgE-Antikörpern und damit der Ausschüttung von Histamin reagieren könnte.

Der Begriff Kälteallergie ist zwar weit verbreitet, aus medizinischer Sicht indes nicht richtig.

Inhaltsverzeichnis

 

Alle Zeichen sprechen für eine Allergie

Warum wird diese irreführende Bezeichnung dennoch verwendet?

Wie bei der klassischen Allergie vom Typ I (IgE vermittelte Allergien), wird bei Patienten mit einer Kälteallergie Histamin freigesetzt. Histamin erhöht die Durchlässigkeit kleiner Blutgefäße (Kapillaren), was auf der Haut zu brennendem Juckreiz, Rötungen und Quaddeln führen kann. Die Rötung und der entstehende Ausschlag beim Berühren von Nesselgewächsen (Urticaceae) gab der Symptomatik schließlich den Namen Nesselsucht, oder lateinisch Urtikaria.

Die Nesselsucht ist der Ausdruck einer ganzen Reihe von Krankheiten unterschiedlicher Ursachen, jedoch sehr ähnlicher Symptome. Werden die Beschwerden durch Kälte ausgelöst, spricht man von einer Kugeln Eis in zwei WaffelnKälteurtikaria.

Auslöser dieser physikalischen Form einer Nesselsucht sind Kältereize, welche über die Haut oder die Schleimhäute wahrgenommen werden. Das Spektrum möglicher Verursacher reicht von kaltem Wasser beim Duschen bis hin zu Speiseeis oder gekühlten Nahrungsmitteln. Manche Patienten reagieren bereits bei einer Temperaturänderung im Bereich von 20° C, andere berichten erst bei Minusgraden von entsprechenden Symptomen. Die Schwellenwerte, bei welchen die Mastzellen mit der Ausschüttung von Histamin reagieren sind individuell sehr unterschiedlich.1

Selbst die Verdunstungskälte, welche durch Schweiß beim Sport hervorgerufen wird, ist als Auslöser beschrieben worden.  Gefährlich wird es, wenn eine große Körperoberfläche innerhalb kürzester Zeit einer entsprechenden Temperaturänderung ausgesetzt wird. Die akut überschießende Ausschüttung von Histamin kann einen lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock auslösen.

Was ist die Ursache für meinen Juckreiz?

Doch die Frage nach dem Warum ist damit noch nicht geklärt.

Auf Kälte reagiert unser Körper auf vielfältige Weise, um uns vor einer Unterkühlung zu schützen. Kommt ein Kältereiz im Gehirn an, beginnt dort der Hypothalamus mit der Produktion des Thyreotropin-Releasing-Hormons (TRH). Äußerlich erkennen wir das an einer Gänsehaut oder wenn wir vor Kälte zittern. Ebenso ziehen sich die kleinen Blutgefäße an der Peripherie unseres Körpers (Finger, Zehen, Haut) zusammen. Bei der Kälteurtikaria indes kommt es statt dieses hormonell gesteuerten Mechanismus unvermittelt zur Ausschüttung von Histamin. Über die Hintergründe dieser Fehlsteuerung gibt es noch keine verlässlichen Angaben.

Klar scheint jedoch, dass die Kälteurtikaria häufig mit anderen Krankheiten vergesellschaftet ist. Insbesondere andere Formen einer Nesselsucht lassen sich bei einer Kälteallergie nachweisen.2,3

Nahrungsmittelallergiker ebenso wie Asthmatiker (belastungsabhängiges Asthma) leiden nicht selten gleichzeitig an den Symptomen der Kälteurtikaria.

Die Beteiligung von Infektionen als Auslöser einer Kälteallergie ist unumstritten.4

Infektionskrankheiten der oberen Atemwege kommen ebenso in Betracht wie virale Erreger (Masern, Pfeiffer'sches Drüsenfieber, Syphilis oder Windpocken). Gleichfalls könnte die Besiedelung des Darms mit Helicobacter pylori oder Candida die Ausschüttung von Histamin bei einer Kälteurtikaria begünstigen.5

Die Erforschung der Ursachen und ihrer Mechanismen wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. So kann eine Liste möglicher Verursacher bei weitem nicht als vollständig angesehen werden.

Ist die Kälteurtikaria angeboren?

Bei der klassischen Form der Kälteurtikaria geht man davon aus, dass diese im Laufe des Lebens erworben wird und vielfach nach einer gewissen Zeit wieder verschwindet. Eine Sonderform bildet dagegen die im englischen Sprachraum „Familial cold autoinflammatory syndrome“ genannte familiäre Kälteurtikaria (CAPS).

Dabei handelt es sich um unterschiedliche Krankheitsbilder, deren Hauptsymptom dem der Kälteurtikaria gleicht. Daneben können je nach Ausprägung Fieber, Gelenkschmerzen und Schwerhörigkeit auftreten. Diese erblich bedingten CAPS können jedoch anhand genetischer Tests von einer Kälteallergie unterschieden werden.6

Sind alle Körperregionen betroffen?

Der überwiegende Anteil des menschlichen Vorrates an Histamin befindet sich in sogenannten Mastzellen. Diese Mastzellen sind insbesondere in der Haut und Schleimhaut anzutreffen, da dort im Wesentlichen der Kontakt mit Erregern und Umwelteinflüssen stattfindet.7

Tiefe Körperschichten sind indes kaum betroffen, da sie aufgrund der hohen Kerntemperatur des Körpers (37° C) und verschiedener Fettpolster (Unterhautfett, Viszeralfett um die Organe) gut vor Temperaturschwankungen geschützt sind.

Die Symptome einer Kälteurtikaria beschränken sich im Wesentlichen auf die dem Temperaturreiz ausgesetzten Körperregionen.8

Gibt es typische Anzeichen?

Das Leitsymptom einer Kälteurtikaria sind juckende mit Flüssigkeit gefüllte Erhebungen, welche als Quaddeln bezeichnet werden. Die Hauterscheinungen treten meist rasch, innerhalb weniger Minuten nach dem Kältereiz auf. Sind die Quaddeln anfangs noch örtlich begrenzt, können sie sich bald innerhalb der exponierten Körperregion großflächig ausbreiten. Die Dauer der Beschwerden richtet sich nach der Zeit, in welcher die betroffene Stelle dem Reiz ausgesetzt war. Mit einem Abklingen der Beschwerden kann erst gerechnet werden, wenn die in den Quaddeln befindliche Körperflüssigkeit wieder verschwunden ist.9

Was macht die Kälte so gefährlich?

Von den Symptomen ist kein Körperteil ausgenommen. Je größer die betroffene Körperfläche, desto mehr Histamin wird freigesetzt. Ein Sprung ins Wasser kann zu einer systemübergreifenden Reaktion, einem sogenannten anaphylaktischen Schock führen. Aufgrund der Gefährlichkeit dieser Symptomatik sei hier auf die wesentlichen Anzeichen hingewiesen.

Neben den benannten Hautreizungen treten vor allem Atembeschwerden und Herz-Kreislaufproblematiken zutage. Der systolische Blutdruck kann bedrohlich sinken (kleiner 90mmHg), außerdem kann es zu kolikartigen Bauchschmerzen und Erbrechen kommen.10

Ähnlich dem oralen Allergiesyndrom (Typ-I-Allergie) können auch bei der Kälteurtikaria Juckreiz und Schwellungen auf der Mund- und Rachenschleimhaut sowie den Lippen auftreten. Auslöser sind kalte Speisen oder Getränke. Die Symptomatik hält meist nur eine kurze Zeit an. Selten werden schwere Verlaufsformen beobachtet. Breiten sich die Schwellungen im gesamten Mund und Rachenbereich aus, spricht man von einem Angioödem. Dieses kann beim Betroffenen zu massiven und lebensbedrohlichen Atemproblemen führen.11

Nicht verwechselt werden darf die Kälteurtikaria mit der Kälteagglutinin-Krankheit. Bei dieser handelt es sich um eine Autoimmunkrankheit, deren oft schwerer Verlauf sich durch Blässe, heftigen Rücken- und Kopfschmerzen sowie Erbrechen oder auch dunklen Urin bemerkbar macht.20

Merke: Die Symptome einer Kälteallergie können vielfältig und auch gefährlich sein.

 

Wie wird die Kälteurtikaria diagnostiziert?

Eine Ärztin schreibt etwas für eine ältere Patientin auf

In vielen Fällen wird der Patient selbst rasch die Gründe für die plötzlich auftretenden Symptome beschreiben können. Eine exakte ärztliche Diagnostik ist neben einer sofortigen Vermeidung der Reize dennoch von großer Bedeutung.

Die Bestimmung des Schwellenwertes, also der Temperatur, bei welcher die Beschwerden auftreten ist ein wesentlicher Bestandteil einer ausführlichen Diagnose. Dabei wird mit einem speziell entwickelten Gerät die Temperatur ermittelt, bei welcher sich die ersten Anzeichen einer Kälteurtikaria zeigen.12

Andere Methoden, wie das Provozieren der Symptome durch kaltes Wasser oder Eiswürfel dienen heute kaum mehr einer guten ärztlichen Diagnose. Ein Bluttest, wie er bei einer Allergie leicht zur Diagnosesicherung herangezogen wird, existiert bei der Kälteurtikaria nicht. Liegt der Verdacht nahe, dass eine Allergie die Kälteurtikaria triggert, kann die Bestimmung spezifischer IgE-Antikörper einen guten Hinweis liefern. Ebenso kann der Nachweis zusätzlicher auslösender Faktoren, wie Bakterien, Viren oder Medikamente für eine Therapie von Nutzen sein.

Welche Behandlungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung?

Bei Allergien denken viele zuerst an die Behandlung mit Antihistaminika. Tatsächlich zielt die Therapie in erster Linie darauf ab die Effekte, welche durch die Ausschüttung von Histamin aus den Mastzellen verursacht werden hiermit zu behandeln.13

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die Verabreichung von Cromoglicinsäure, welches die Mastzellen stabilisieren soll. Seit 2014 ist der im Labor hergestellte Antikörper Omailzumab zusätzlich für die Behandlung der Chronische spontane Urticaria zugelassen.14

In Studien konnte nachgewiesen werden, dass eine dreiwöchige Gabe von Antibiotika, selbst ohne einen offensichtlichen Infekt, bei einem Drittel der Patienten anspricht.15

Die sogenannte Hardening-Therapie führt die Patienten, ähnlich einer Desensibilisierung bei Allergien, allmählich an das Tolerieren niedriger Temperaturen heran.16

Erfolgversprechend scheint auch die Herangehensweise, die Kälteallergie mit einer eine UV-Therapie zu bekämpfen.17

Möglicherweise ist eine Substanz, welche in der Paprika gebildet wird, in der Lage die Beschwerden zu lindern. Dieses Capsaicin ist in der Lage die, am Juckreiz und der Quaddelbildung beteiligten Neurotransmitter an den Nervenendigungen auszuschalten.18,19

Gute Aussichten

Die beste Therapie ist das konsequente Vermeiden des bekannten Auslösers. Dabei ist es sinnvoll die oben beschriebene Schwellentemperatur zu kennen, bei der die Beschwerden auftreten.  Doch gerade in der kalten Jahreszeit lässt sich eine effektive Prophylaxe bisweilen nur schwer durchführen. Warme Kleidung, insbesondere an den, der Kälte ausgesetzten Körperteilen (Finger, Zehen, Gesicht) gehören für die Patienten zur Pflicht.  Aber auch in den Sommermonaten droht Gefahr. Kalte Getränke oder ein Sprung ins kühle Nass sollten unbedingt vermieden werden. Ein Notfallstet mit einem Adrenalin-Autoinjektor, Cortison und einem Antihistaminikum sollten bei entsprechenden Risiken zur Grundausstattung gehören.

Ein Lichtblick: Für die meisten Patienten ist die Kälteurtikaria, so plötzlich sie entstanden ist, auch wieder verschwunden.

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Jürgen Kressel
Autor: Jürgen Kressel

Sein beruflicher Werdegang hat sich in letzter Zeit mit persönlichen Vorlieben verbunden. Als Medizinisch technischer Assistent haben sich die Erfahrung und Ehrgeiz zu einem ganz ordentlichen Wissen auf einigen Gebieten entwickeln können. Fachlich ist er vor allem im Bereich der Allergologie (insbesondere Nahrungsmittelallergien), Endokrinologie (allgemein und Kinderwunsch) und Gastrologie versiert. Seine letzten Berufsjahre als MTA hat er in einem Notfalllabor eines großen Krankenhauses eingebracht.

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