Wenn Kinder lügen - Wann ist Vorsicht geboten?
Wenn Kinder lügen, kann das Eltern und Pädagogen durchaus verunsichern. Wie geht man damit um? Sind kindliche Flunkereien vielleicht gar ein Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmt? Entwicklungspsychologen geben Entwarnung! In den meisten Fällen kann man sich entspannt zurücklehnen, denn Lügen gehören ebenso zu einer normalen Entwicklung wie in unseren Alltag. Hand aufs Herz: Wer greift nicht von Zeit zu Zeit zu kleinen Notlügen, um andere nicht vor den Kopf zu stoßen?
Inhaltsverzeichnis
Lügen im Kleinkindalter? Ein Ding der Unmöglichkeit!
Lügen als Zeichen von Entwicklung
Hilfe, mein Kind lügt – Wann ist Vorsicht geboten?
Dieser Artikel beschäftigt sich ausführlich mit der Thematik Lügen. Was lässt sich zum kindlichen Umgang mit Wahrheit sagen, vor allem im Hinblick auf unterschiedliche Entwicklungsstufen? Warum lügen Kinder überhaupt und bis zu welchem Grad sind Flunkereien tolerierbar? Wann sollten Eltern aufmerken und Konsequenzen aufzeigen? Zudem haben wir auch einige Tipps parat, die den Umgang mit kleinen Schwindlern erleichtern sollen.
Wer einmal lügt …
Ertappen Eltern den Sprössling beim Schwindeln, kochen nicht selten Emotionen hoch. In unserer Vorstellung vom wohlerzogenen und perfekten Kind haben handfeste Lügen keinen Platz. Das ist vor allem vor dem Hintergrund, dass kleine Notlügen auch in der Erwachsenenwelt gang und gäbe sind, spannend. Schwindeleien gehören jedenfalls zur kindlichen Entwicklung und sind oftmals harmlos. Demnach kann man es in den meisten Fällen entspannt sehen, wenn Kinder flunkern. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass kindliches Flunkern wohlwollend akzeptiert werden muss. Gespräche und Konsequenzen können durchaus angezeigt sein. Und manchmal sind Lügen auch ein Zeichen für tiefgreifender Probleme.
Lügen im Kleinkindalter? Ein Ding der Unmöglichkeit!
Wenn Kleinkinder unglaubliche Geschichten erfinden und Grenzen zwischen Realität und Fiktion mitunter fließend gestalten, ist das kein Grund zur Sorge. Um Lügen im landläufigen Sinne handelt es sich dabei nämlich nicht. Dafür ist nämlich ein Repertoire an kognitiven Fähigkeiten notwendig, über die ein Kind in dem Alter noch gar nicht verfügt.
Entwicklungspsychologische Forschung zeigt recht deutlich auf: Lügen im engeren Sinne ist erst ab einem Alter von etwa vier bis fünf Jahren möglich. Davor befindet sich das Kind in der Phase des magischen Denkens. Was vorgestellt werden kann, wird im Handumdrehen auch real. Aus dieser magischen Phase sind uns zum Beispiel imaginäre Freunde bekannt.
Eine Unterscheidung zwischen Realität und Phantasie ist zwar vorhanden, aber noch nicht sehr konkret. Moralisches Denken im Sinne dessen, was richtig und falsch ist, ist noch kaum ausgeprägt. Viel mehr geben Kindern ihren Impulsen nach. Regeln können schwer eingehalten werden, vor allem dann, wenn ihnen ein dringender Wunsch entgegensteht.1
Das Spiel mit der Wahrheit ist im Kleinkindalter also vielmehr ein Verhaftetsein in magischen Welten und hat mit klassischem „Lügen“ nichts gemein. Erfindet das Kind abenteuerliche Dinge, bezichtigt andere der eigenen Verfehlungen oder erschummelt sich Vorteile, dürfen sich Eltern und Erzieher entspannt zurücklehnen – alles völlig unbedenklich und zudem ein Zeichen für einen wachen Geist und eine rege Fantasie!
Lügen als Zeichen von Entwicklung
Ab einem Alter von vier bis fünf Jahren beginnen Kinder bewusst zu lügen. Auch das ist aus entwicklungspsychologischer Sicht nicht nur völlig normal, sondern gleichsam ein Zeichen, dass kognitive Entwicklung vonstatten geht.2 Lügen im engeren Sinne bezeichnet eine bewusst falsche Aussage, die dem Zweck dient, bestimmte Ziele zu erreichen. „Bewusst“ und „absichtlich“ sind hier die Stichworte. Um überhaupt lügen zu können, muss es Kindern möglich sein, vorausschauend zu denken.3
Verändern Kinder die Wahrheit bewusst, verfolgen sie in der Regel bestimmte Absichten. Lügen stellt eine kognitive Meisterleistung dar. Nicht nur müssen sich Kinder in andere Menschen hineinversetzen, deren Informationsstand erahnen und für eigene Zwecke nutzen können, ebenso müssen sie vorausschauend planen, die eigene Mimik, Gestik und Sprache adaptieren und im Zweifelsfall verräterische Spuren verwischen.4 In dieser Phase der kindlichen Entwicklung hat das konkrete Denken das magische Verhaftetsein abgelöst. Kinder können Fantasie und Realität kompetent unterscheiden und auch Regeln werden nun immer wichtiger.5
Warum lügen Kinder?
Ertappen Eltern den Sprössling beim Lügen, steht die Frage nach den Gründen oftmals im Vordergrund. Warum hat es das Kind notwendig zu lügen? Welchen Zweck verfolgt es mit den Schummeleien? Wie auch Erwachsene selbst, lügen Kinder meist mit einer bestimmten Absicht.
Die gängigsten Gründe, aus denen Kinder lügen:
- Anerkennung: Je jünger Kinder sind, desto häufiger lügen sie, um sich interessant zu machen und bewundert zu werden. Da ist der Papa als Kapitän in den Weltmeeren unterwegs oder die Oma eine Millionärin mit einem Vergnügungspark im Garten. Nicht selten sind diese Lügen recht unglaubwürdig und können nicht sehr lange aufrechterhalten werden. Unter Umständen stehen solche Flunkereien im Zusammenhang mit einem wenig ausgeprägten Selbstbewusstsein. Treten entsprechende Flunkereien häufiger auf, ist es also sinnvoll, genauer hinzuschauen.
- Angst: Vor allem bei etwas älteren Kindern sind Lügen aus Furcht vor unangenehmen Reaktionen oder gar Strafen nicht ungewöhnlich. Beispielsweise werden schlechte Noten verheimlicht oder dass man etwas kaputt gemacht hat, um der Konsequenzen zu entgehen.
- Höflichkeit/Rücksichtnahme: Höflichkeits- oder Notlügen kommen bei Kindern ab etwa sechs bis acht Jahren vor. Wie Erwachsenen auch, greifen Kinder auf Notlügen zurück, um niemandem zu nahe zu treten oder zu verletzen.6
- Bequemlichkeit: Gerade ältere Kinder lügen ganz gerne aus Bequemlichkeit, etwa um unangenehmen Auseinandersetzungen oder Aufgaben zu entgehen.
- Nachahmung: Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Kinder im Hinblick auf Lügen an ihren Eltern orientieren und diese nachahmen. Oftmals sind sich Eltern gar nicht bewusst, dass sie zu Übertreibungen oder Notlügen neigen und welchen Einfluss das auf ihre Kinder nimmt. 7
Hilfe, mein Kind lügt – Wann ist Vorsicht geboten?
Dass gerade Eltern häufig emotional sehr stark reagieren, wenn sie ihren Nachwuchs beim Lügen ertappen, ist leicht erklärbar. Denn in einem gewissen Maß lügen wir alle und das eigene Kind hält einem den Spiegel vor. In solchen Momenten werden wir quasi nicht nur unbewusst mit unseren eigenen „moralischen Verfehlungen“ konfrontiert, sondern auch Erziehung und Vorbildfunktion werden kritisch hinterfragt. Nicht zu unterschätzen ist in diesen Situationen außerdem die Konfrontation mit der eigenen Geschichte. Wie die eigenen Eltern auf Flunkereien in der Kindheit reagiert haben und welche Strafen verhängt wurden, spielt hier beispielsweise mit hinein.8
Doch wann ist Lügen – das in normalem Maß als Zeichen für Weiterentwicklung und geistiges Reifen gilt – nicht mehr im Rahmen? Wann ist Vorsicht geboten? Ausmaß, Qualität und auch das Alter sind hier maßgeblich. Eine kleine Flunkerei ist von einer handfesten Lüge, die aufrecht erhalten werden muss und weitere Lügen auf den Plan ruft, zu unterscheiden. Lügt ein Kind übermäßig viel, weil es sich stetig aufwerten muss oder Angst vor Strafe hat, sollte man aufkommende Besorgnis nicht wegwischen, sondern sich mit den Gründen für die kindlichen Lügen auseinandersetzen. Auch macht es einen Unterschied, ob ein Kind im späten Kindergarten-/frühen Grundschulalter vermehrt mit der Wahrheit experimentiert, oder aber ältere Kinder – die Regeln sowie die Unterscheidung zwischen richtig und falsch bereits verinnerlicht haben sollten – häufig bewusst lügen.
Aufmerksam sollten Eltern und Erzieher auch dann werden, wenn ein Kind mit einer Lüge anderen schadet. Hier ist Augenzwinkern fehl am Platz, das Kind muss direkt mit seinem Fehlverhalten konfrontiert werden. Auch eine Entschuldigung ist hier angezeigt. 9
Tipps zum Umgang mit kindlichem Lügen
Lügt das Kind, um Strafen zu entgehen, ist es sinnvoll, wertschätzend und ruhig das Gespräch zu suchen. Man sollte dem Kind deutlich machen, dass es alles sagen darf und keine Strafe befürchten muss. Wichtig ist es auch, das Kind in Fällen, in denen es Fehlverhalten kommuniziert, zu loben und zurückzumelden, dass es großartig ist, dass es zu seinen Fehlern steht.10 Auf Strafen sollte wenn möglich gänzlich verzichtet werden, denn das setzt meist einen Teufelskreis aus noch mehr Lügen in Gang. Vielmehr sollte man dem Kind Konsequenzen aufzuzeigen und ein Stück weit auf dessen Eigenverantwortung setzen.11
Flunkern Kinder, um Regeln zu unterwandern, sollte als Konsequenz stärker kontrolliert werden. Wenn das Vertrauen erneut gewachsen ist, können die Zügeln natürlich wieder etwas lockerer gelassen werden.12
Auch, wenn das Kind lügt, um Anerkennung zu bekommen und sich aufzuwerten, ist es besser, nicht zu schimpfen, sondern vielmehr nach den Gründen zu suchen. Ahmt das Kind lediglich das Verhalten der Eltern nach oder kann ein geringer Selbstwert der Grund sein? Flunkereien aus Höflichkeit und Rücksichtnahme dürfen demgegenüber meist vernachlässigt werden, sofern sie niemandem schaden. Immerhin zeigen sie eine soziale Kompetenz auf und gehören zum Alltag so gut wie aller Erwachsener.13
Das ist wichtig, wenn das Kind lügt:
Eltern und Pädagogen sollten …
… nicht schimpfen, sondern unbedingt wertfrei das Gespräch suchen.
… sich stets ihrer Vorbildwirkung bewusst sein, das gilt auch im Hinblick auf Lügen.
… Kinder niemals vor anderen für das Lügen kritisieren, sondern auf ein Gespräch unter vier Augen setzen.
… von Strafen absehen und stattdessen auf Konsequenzen und Eigenverantwortung fokussieren. 14
Quellen anzeigen
Daniela Jarosz ist Sonder- und Heilpädagogin. Während des Studiums hat sie sich intensiv mit Inhalten aus Medizin und Psychologie auseinandergesetzt. Sie arbeitet seit vielen Jahren im psychosozialen Feld und fühlt sich außerdem in der freiberuflichen Tätigkeit als Autorin zuhause. Im redaktionellen Bereich hat sie sich auf die Fachrichtungen Medizin, Gesundheit, Nachhaltigkeit, Work-Life-Balance sowie Kinder und Familie spezialisiert.