Wie lange können wir leben? Das Geheimnis der 100-Jährigen
Sie sind über 100 – und meist total fit und gesund. In einigen Gebieten der Welt gibt es ganz besonders viele davon. Zufall? Wohl kaum! Denn unterdessen belegen diverse Studien, warum die Menschen hier so alt werden können.
Inhaltsverzeichnis
Wie hoch ist die normale Lebenserwartung?
Wo leben die ältesten Menschen?
Welche Rolle spielt die Ernährung?
Was macht die positive Grundeinstellung mit ihnen?
Natur und Licht – wie wichtig sind sie?
Wie hoch ist die normale Lebenserwartung?
Die Lebenserwartung hat sich in den letzten 150 Jahren Jahren fast verdoppelt. Lag sie um das Jahr 1880 lag noch bei 37 Jahren, wird man heute durchschnittlich 78,3 Jahre alt (Männer) beziehungsweise 83.2 Jahre (Frauen). Fast 25000 Menschen werden derzeit in Deutschland sogar 100 Jahre alt. 2050 könnten es bis zu unglaublichen 115000 sein. Doch in anderen Regionen der Erde sind das noch mehr. Welche Geheimnisse haben sie? Das schlüsseln diverse Studien auf, gerade die um die „Blaue Zone“ der Erde, in der die meisten ältesten Menschen leben. Ob wir allerdings je das Alter des sagenhaften Methusalem, er soll 969 Jahre alt gewesen sein, erreichen, bleibt fraglich. Der amerikanische Genetiker Richard Cawthon allerdings hält es sogar für möglich, dass wir eines Tages tausend Jahre alt werden können – wenn es gelingt, die natürlichen Prozesse des Alterns auszutricksen.
Wo leben die ältesten Menschen?
Die Insel Okinawa, 1600 Kilometer von Tokio entfernt, ist eine von fünf Destinationen der sogenannten „Blauen Zone“. Dort leben die Menschen das längste und glücklichste Leben. Neben Okinawa sind das auch Sardinien, Nico in Costa Rica, Ikaria in Griechenland und Loma Linda in Kalifornien. Viele der etwa 3000 Dorfbewohner Okinawas sind 100 oder sogar älter und dabei auch noch fit und glücklich. Was also steckt hinter diesen außergewöhnlichen Senioren? Das Dorf Ogimi in der Präfektur Okinawa ist seit Jahren als „Dorf der Langlebigen“ bekannt. Es liegt im ländlichen Norden der Hauptinsel der Okinawa Inselgruppe, abseits der üblichen Touristenströme. Auf einer Steinmarkierung steht hier: „Mit 80 Jahren bist du nur ein Jugendlicher. Wenn dich deine Vorfahren mit 90 Jahren in den Himmel rufen, bitte sie, zu warten, bis du 100 Jahre alt bist. Dann kannst du darüber nachdenken.“ Und auf der griechischen Insel Ikaria sagt man zur Begrüßung: „Ich sehe dich, wenn du 100 bist“. Zwei Drittel der über Hundertjährigen leben auch noch mit Ende 90 ohne Hilfeleistungen und völlig unabhängig.
Wer aber dachte, die Regionen der „Blauen Zone“ waren von schrecklichen Geschehnissen unbeeinflusst, der irrt sich gewaltig. Auch sie erlebten Krieg, Hungersnöte und leiden an dem alltäglichen Stress. Aber sie leben einfach anders. „Etwa zwei Drittel der Langlebigkeit hängen mit der Ernährung und Lebensweise zusammen, der Rest ist genetisch bedingt“, sagt Professor Craig Willcox, Hauptforscher der „Okinawa Centenarian Study“, die seit 1975 die Langlebigkeit auf Okinawa untersucht. Was allen gemeinsam ist? Familie ist wichtiger als andere Anliegen, nur wenige rauchen, sie sind körperlich aktiv, engagieren sich sozial und leben hauptsächlich von vegetarischer Kost und Hülsenfrüchten.
Was zeichnet ihr Leben aus?
Frau Kajigu ist 104 Jahre alt. Ihr ganzes Leben lang stand sie morgens um fünf Uhr auf. Jetzt gönnt sie es sich auch mal, auszuschlafen. Aber zweimal in der Woche muss der Wecker ran. Dann muss sie den Bus erreichen, der die Mitglieder des Seniorenclubs einsammelt, in dem sie aktiv ist. „Wenn ich mich mit Freunden treffe, singe ich Karaoke, obwohl meine Stimme nicht mehr das ist, was sie mal war,“ erklärt sie lachend. Haru Miyagi hat auch ihre gesunden Gewohnheiten. Jeden Morgen isst sie ihre selbstgekochte Misosuppe, dazu liest sie die Zeitung und trinkt grünen Tee. Ihr Zuhause ist immer frisch geputzt und die 102-Jährige ist dankbar, dass sie das noch alleine schafft. Ihr Geheimnis: „Einfach leben, immer weitermachen – und gar nicht viel darüber nachdenken.“ Die über Hundertjährigen haben grundsätzlich einige Dinge gemeinsam. So sind das ein überaus hohes Engagement, Verantwortungsbewusstsein, Ehrlichkeit und Durchhaltevermögen. Privat als auch beruflich waren sie immer sehr angesehen. Wichtig war für sie vor allem, bis ins hohe Alter selbstbestimmt zu leben. Auch Bildung spielt eine ganz große Rolle, obwohl viele keinen hohen Schulanschluss haben, sondern eher Autodidakten sind. Aber sie haben trotzdem ihr Leben lang viel und oft gelernt und gelesen. Außerdem sind sie immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen. „Ich habe angefangen mit einer Freundin zu reisen, als mein Mann gestorben ist“, sagt eine Hundertjährige aus Okinawa. „Damals war ich fast 80 Jahre alt und wir sind jedes Jahr an einen anderen Ort gefahren.“
Welche Rolle spielt die Ernährung?
„Iss dich nicht satt“, ist eines der wichtigsten Motti der Hundertjährigen. Wer sehr alt werden möchte, richtet sich nach dem 80-Prozent-Gesetzt und isst weniger, als das Hungergefühl das verlangt. Studien zeigen, dass ein anhaltendes Energiedefizit einen Selbstreinigungsprozess im Körper und einen Selbsterhaltungsmodus anwirft. Dazu wird die Zellregeneration gesteigert und Autoimmunerkrankungen sowie Infektionen können leichter bekämpft werden. Die typische Ernährung auf Okinawa enthält mehr als fünf Portionen Obst und Gemüse pro Tag und mehr herzgesunden Fisch als Fleisch. Diese alles gilt auch als Prävention von Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die traditionelle Ernährung hier ist reich an Nährstoffen aber auch kalorienarm. Auf dem Speisezettel stehen meist Süßkartoffeln, Bittermelone, carotinoidreiche Meeresfrüchte wie Meeresalgen, grünes Blattgemüse und Obst. Dazu trinken sie Jasmin-Tee. All das ist auch ein perfektes Anti-Aging-Mittel und wirkt Entzündungen im Körper und Stress entgegen. Diese Dinge in der Nahrung können zu mehr nutzbarerer Energie umgewandelt werden und Enzyme bilden, die die Langlebigkeit fördern. Was den Ländern der Blauen Zone gemeinsam ist, sie machen aus den erschwinglichen Lebensmitteln abwechslungsreiche Gerichte. Also aus Bohnen, Getreide, Wurzeln, Salaten und Hülsenfrüchten.
Fleisch und Zucker wird kaum zu sich genommen. Insgesamt haben die Gerichte einen niedrigen Kalorien- aber einen hohlen Kohlenhydratgehalt. Die alten Menschen nehmen sich dabei nicht nur Zeit fürs Kochen, sondern auch für die Mahlzeiten. Wer allerdings in ein typisches Okinawa Restaurant geht, findet auf der Speisekarte sogar Schweinefleisch und den typischen Schnaps Awamori, der feurige 40 Prozent Alkohol enthält. Die Zahl von Herzinfarkten, Schlaganfällen und Krebs sind auf Okinawa sehr gering. Wer die Okinawa-Diät auch einmal zu Hause probieren möchte, sollte Kartoffeln, Pasta und Reis durch Süßkartoffeln ersetzen, in jede Mahlzeit verschiedenes Gemüse integrieren und auf pflanzenbasierte Proteine wie Tofu und Sojabohne setzen. Außerdem verwenden die uralten Menschen schon immer viel Gewürze, dazu Ingwer und Kurkuma. Etwa 1800 Kalorien nehmen sie so täglich zu sich. Übrigens, den Menschen aus der ”Blauen Zone“ ist gemeinsam, dass sie täglich ein bis zwei Gläschen Wein am Tag genießen, ganz gewissenhaft und am besten in Gesellschaft.
Was macht die positive Grundeinstellung mit ihnen?
Menschen, die sehr alt werden, haben grundsätzlich eine positive Einstellung. Sie haben dazu eine besonders hohe Resilienz, auch wenn das Leben es mal nicht so gut mit ihnen meint. Den Widrigkeiten boten sie immer wieder die Stirn, aufgeben gab es für sie nie. „Ich habe immer weitergemacht, so gut ich konnte“, erklärt eine Frau. Natürlich ist es nie zu spät für eine positive Einstellung. Doch wer sie bereits im Jugendalter hat, ist klar im Vorteil. Wichtig ist für alle gleichermaßen, immer die Ruhe zu bewahren. Stress und Hektik lassen einen nicht ans Ziel kommen. Auch Dankbarkeit ist ein enorm wichtiger Faktor. Man sollte sich nicht nur für die schönen Erlebnisse am Tag bedanken, sondern auch bei Eltern, Großeltern, der Natur, dem Licht, dem Regen und der Sonne. Es braucht nur wenige Minuten am Tag. Vergessen Sie auch nie, im Augenblick zu leben. Denn nur den Augenblick können wir auch ändern. Lassen Sie die Vergangenheit ruhen und die Zukunft auf sich zukommen. Hier herrscht auch ein gelassener Umgang mit der Pünktlichkeit, die sogenannte „Okinawa-Zeit“. Die meisten Menschen in der „Blauen Zone“ gehören auch einer Religion an, sie besuchen im Durchschnitt viermal im Jahr den Gottesdienst. Offenbar hilft auch der Glaube, egal welcher Religion, um länger zu leben.
Natur und Licht – wie wichtig sind sie?
Wer regelmäßig in der Natur ist, lebt länger. Vor allem das Waldbaden wird in Asien ausgiebig betrieben. 15 Minuten Spazierengehen im Wald reduziert das Stressempfinden, senkt den Blutdruck, die Herzfrequenz und vermindert Stresshormone im Blut. Waldbaden – also das bewusste Erleben und Genießen des Waldes – stärkt das Immunsystem und führt zu mehr körpereigenen Killerzellen. Forscher um den japanischen Professor Qing Li vermuten, dass Botenstoffe der Bäume, sogenannte Terpene, dafür verantwortlich sind. Tagsüber sind die Bewohner von Okinawa immer draußen, am Licht. Das hilft. Und das Wetter ist dort meist herrlich, welch ein Glück. Denn Okinawa im Speziellen ist von der Sonne geradezu durchflutet, ein Vitamin D Mangel kann bei den Menschen gar nicht entstehen. Bananenstauden und Mangobäume wachsen aufgrund der vielen Sonne hier üppig. Dieses spezielle Licht zieht sogar Fotografen und Maler aus aller Welt an.
Körperlich fit – und hundert Jahre werden
Wasser ist stets in Bewegung, es steht niemals still, sagen die Japaner. Und so soll es auch im Leben sein. Denn nur bei körperlicher Aktivität werden auch Glückshormone freigesetzt. Die Menschen auf Okinawa setzen vor allem auf natürliche Bewegung wie Gartenarbeit, zu Fuß gehen oder sich handwerklich zu betätigen.
Einsamkeit ist mentales Gift
Die meisten Hundertjährigen lassen das Leben nicht an sich vorbeiziehen, sondern sie nehmen aktiv daran teil. Sie haben sich viele, viele Jahre lang stark am gesellschaftlichen Leben engagiert und das bleibt auch so bis ins hohe Alter. Denn auch ihr Lebenswille ist außerordentlich stark. Eine Studie des „Journal of Hapiness Studies“ hat herausgefunden, dass sie sozial, hilfsbereit, altruistisch sind und besonders herzliche Verbindungen zu Familie und Freunden haben aber auch zu Menschen, die sie im Alter unterstützen, wie beispielsweise Pflegepersonal. Sich mit Freunden zu treffen, alte Geschichten auszutauschen und andere um Rat zu bitten, das Leben zu teilen, macht eine ganze Menge aus. Denn Einsamkeit ist genauso schädlich wie Rauchen, sagt man hier. Deshalb setzt man auch das sogenannte „mori“ um, ein sozialer Mechanismus, der Menschen mit gemeinsamen Interessen zusammenbringt und ihnen so ermöglicht, eine emotionale Bindung aufzubauen. Genau das baut Stress ab und trägt zur Langlebigkeit bei.
Lächle dich durch den Tag
Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit gibt es mit der Geburt umsonst, man sollte sie ein Leben lang pflegen. Nur wer lächelt, findet auch Freundschaften und kann dabei selbst noch entspannen.
Ikigai spielt eine große Rolle
Auf der japanischen Insel Okinawa leben viele der ältesten Menschen der Welt und zufälligerweise wurde dort auch der Begriff „Ikigai“ geprägt. Die Bedeutung von „Ikigai“: Eine ungefähre Übersetzung des japanischen Begriffs könnte „das, wofür es sich zu leben lohnt” lauten. „Ikigai“ beschreibt eine Methode, deren Ziel es ist, sich selbst näher kennenzulernen, um so die Dinge herauszufinden, die elementar für das eigene Glück im Leben sind. Kurz gesagt geht es um den Lebenssinn der Menschen. Berufung, Profession, Mission und Leidenschaft. Diese vier Themen sind laut „Ikigai“ der Schlüssel für ein lebenswertes, sinnreiches und erfülltes Leben. Durch ausgiebige Selbstreflexion finden Menschen ihr „Ikigai“. Fragt man beispielsweise die Menschen in Okinawa, sprechen sie bei ihrem persönlichen „Ikigai“ vor allem von Freunden, Familie, Gartenarbeit, Kunst und Musik. Wichtig ist ihnen auch, mit gleichaltrigen regelmäßig zusammenzukommen und gemeinsam etwas zu unternehmen. Auch weiterhin zu arbeiten ist für eine ganze Menge eine Selbstverständlichkeit. So arbeiten 47,5 Prozent der über 70-Jährigen immer noch. Und das nicht wegen des Geldes, sondern eben wegen des „Ikigais“. Viele der Frauen beherrschen beispielsweise das Weben von Basho-Fu Textilien. Dies erfordert eine zeitintensive Reinigung der Fasern und das Aufspulen des Fadens. Das machen meist ältere Frauen, die so aktiv bleiben, gleichzeitig ihr Einkommen aufbessern und zur Dorfwirtschaft beitragen. Geleitet wird das Basho-Fu-Zentrum übrigens von einer 98-Jährigen.
Andrea Rodat ist seit 30 Jahren als Journalistin mit dem Schwerpunkt Gesundheit und Psychologie tätig. Sie war auch für verschiedene Magazine als Chefredakteurin und Stellvertretende Chefredakteurin verantwortlich. Seit zwei Jahren arbeitet sie als freie Autorin sowie Life und Business Coach. Sie unterstützt seit 2022 auch die Apomio-Redaktion als freie Autorin.