Zart besaitet – Hochsensibilität bei Kindern erkennen
Im Alltag sind sie rasch überfordert und gelten gemeinhin als ängstlich, übersensibel oder schüchtern – die Rede ist von hochsensiblen Kindern. Vor allem in den letzten Jahren erfährt Hochsensibilität verstärkt Aufmerksamkeit. Dennoch bedarf es noch einiges an Auseinandersetzung mit diesem ganz besonderen Persönlichkeitsmerkmal.
Im Folgenden möchten wir uns ausführlich mit Hochsensibilität bei Kindern auseinandersetzen. Was versteht man unter Hochsensibilität und wie lässt sie sich erkennen? Womit haben betroffene Kinder besonders zu kämpfen? Abschließend möchten wir näher beleuchten, welche Unterstützung hochsensible Kinder in ihrem Alltag benötigen.
Hochsensibilität ist keine Erkrankung
Sprechen wir von Hochsensibilität bei Kindern, muss vorausgeschickt werden, dass es sich dabei um keine Krankheit, sondern um ein Persönlichkeitsmerkmal handelt. Das erscheint wichtig, denn der Irrglaube, dass man an Hochsensibilität erkrankt, hält sich mitunter hartnäckig.
Die amerikanische Psychologin Elaine N. Aron prägte den Begriff der Hochsensibilität im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Auseinandersetzung bereits 1996. Aron zufolge ist Hochsensibilität angeboren, eine erbliche Komponente haftet dem Persönlichkeitsmerkmal an. Mitunter machen sich bereits im Säuglingsalter Anzeichen einer hochsensiblen Persönlichkeit (HSP) bemerkbar. Aron geht davon aus, dass in etwa ein Fünftel aller Menschen davon betroffen ist, wobei hier auch Grenzbereiche inbegriffen sind. Jene Personen nämlich, die leicht hypersensibel sind, im Alltag dadurch jedoch wenig Einschränkung erfahren.1
Was ist Hochsensibilität eigentlich genau?
Doch was versteht man unter Hochsensibilität denn nun genau? Unter diesem Persönlichkeitsmerkmal, das schon Säuglingen und Kindern das Leben schwer machen kann? Hochsensible Persönlichkeiten reagieren sehr empfindlich auf innere und äußere Reize. Eindrücke, die auf sie einprasseln, werden wenig gefiltert und demnach sehr intensiv empfunden und bearbeitet. Nicht selten ist eine Reizüberflutung die unangenehme Folge. Hochsensibilität macht sich in ganz unterschiedlicher Weise bemerkbar und kann sämtliche menschlichen Sinne betreffen – Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten.2
Während im englischsprachigen Raum die Auseinandersetzung mit HSP schon länger stattfindet, erhält Hochsensibilität im deutschsprachigen Raum erst seit 2006 verstärkt Beachtung. Vor allem in den letzten Jahren schreitet auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung voran. Man geht davon aus, dass etwa jede fünfte Person Anzeichen einer hypersensiblen Persönlichkeit zeigt. Diagnostiziert wird eine HSP freilich nicht, handelt es sich doch um ein Persönlichkeitsmerkmal und keine Erkrankung.
Dennoch wurden einige Testinstrumente (Selbsttests) ausgearbeitet, die Aufschluss darüber geben können, ob eine Hochsensibilität vorliegt. Zu wissen, was mit einem selbst oder dem Nachwuchs los ist, kann dabei helfen, Verhaltensweisen abzuschätzen und einzuordnen. Gerade im Hinblick auf die Vermeidung reizüberflutender Situationen kann Wissen über Hochsensibilität hilfreich sein.3
Hochsensibilität bei Kindern erkennen
Gemeinhin fällt es auf, wenn Kinder sich von ihren Altersgenossen abheben. Hochsensible Kinder werden häufig als „irgendwie anders“ wahrgenommen und empfinden sich nicht selten auch selbst so. Sie gelten als schüchtern und sensibel. Schnell wird ihnen alles zu viel und sie reagieren mit Weinerlichkeit, Aggression oder Rückzug. Gemeinhin passen solche Kinder wenig in unsere gesellschaftliche Leistungsgesellschaft, weshalb sich Probleme oftmals mit Beginn einer institutionellen Betreuung verstärken.
Wie äußert sich Hypersensibilität bei Kindern?
Hypersensible Kinder zeigen sich in Alltagssituationen schnell überfordert und belastet. Sie gelten häufig als recht kompliziert und kleine Sensibelchen, lassen sich leicht ablenken und haben mitunter Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Stimmungen nehmen sie meist sehr deutlich wahr. Empathie, Kreativität, Einfallsreichtum, Sozialkompetenz und Reflexion sind außerdem Eigenschaften, die man Kindern mit einer hochsensiblen Persönlichkeit zuschreibt.
Hochsensibilität bei Kindern: Anzeichen
Anzeichen, die bei Kindern auf Hochsensibilität schließen lassen, sich äußerst vielfältig. Eine Auswahl der gängigsten Charakteristika haben wir Ihnen zusammengestellt:
- Gefühle werden sehr intensiv empfunden und ausgelebt, auch aus scheinbar nichtigen Anlässen.
- Hochsensible Kinder sind ausgesprochen lärmempfindlich und reagiert stark auf Hintergrundgeräusche.
- Dem Kind fällt es sehr schwer, Entscheidungen zu treffen.
- Hochsensible Kinder können sich gut in andere hineinversetzen, sind mitfühlend, spüren Stimmungen intuitiv, sind aber mitunter mit Emotionen anderer auch deutlich überfordert.
- Kinder mit hochsensibler Persönlichkeit sind sehr perfektionistisch veranlagt, suchen die Schuld rasch bei sich und machen sich häufig Selbstvorwürfe.4
- Das Kind mag schnelle Bewegungen eher weniger und ist bei Bewegungsspielen oder am Spielplatz vermehrt zurückhaltend.
- Hochsensible Kinder lehnen intensive Gerüche oder Geschmäcker tendenziell eher ab.
- Betroffene sind häufig heikle Esser, Ungewohntes wird abgelehnt.
- Kinder mit Hochsensibilität ziehen sich in Gruppen eher zurück, wirken schüchtern oder ängstlich. Neuem gegenüber sind sie wenig aufgeschlossen, Veränderungen können sie mitunter schwer aushalten.5
- Hochsensible Kinder machen sich häufig Sorgen und grübeln lange über unterschiedliche Begebenheiten und philosophische Themen.
- Dem Kind fallen schon kleine Veränderungen auf und es hat ein gutes Gefühl für Details.
- Hochsensible Kinder sind häufig überaus empathisch und sozial veranlagt.6
- Berührungen empfinden Betroffene mitunter als sehr unangenehm.
- Das Essen mit den Fingern wird abgelehnt, ebenso wie etwa Matschen oder Malen mit Fingerfarben. Tendenziell halten es hochsensible Kinder schwer aus, wenn Gesicht oder Hände schmutzig sind.
- Das Kind reagiert bei Kleidung sehr empfindlich auf unterschiedliche Materialien, Nähte oder Etiketten, neue Kleidung wird vermehrt abgelehnt.
- Frisieren, Zähneputzen, Duschen oder Haarewaschen können zum Problem werden.
- Das Kind reagiert stark auf Temperaturschwankungen.7
Anzeichen, die auf eine Hochsensibilität schließen lassen, kann man mitunter schon bei Babys beobachten. So sind diese häufig sehr geräuschempfindlich und reagieren auch auf visuelle Reize stark. Beim Trinken lassen sie sich leicht ablenken. Positionswechsel werden vermehrt mit Steifmachen oder Schreien quittiert, Robben und Krabbeln wird häufig abgelehnt.8
Wie wirkt sich Hochsensibilität im Alltag aus?
Eine hochsensible Persönlichkeit bringt Vor- und Nachteile gleichermaßen mit sich. Gerade die Schnelllebigkeit, die unser aller Alltag prägt, gepaart mit gesellschaftlichem Leistungsdruck kann zum Problem werden. Hochsensible Kinder mit ihrem feinen Gespür, ihrer Kreativität, Fantasie, Hilfsbereitschaft und Empathie gehen in unserer Ellbogengesellschaft leicht unter. Das kann sich negativ auf Selbstwert und Selbstbewusstsein auswirken.9
Leider findet sich in unserer schnelllebigen Zeit wenig Raum für Erholung und eigenes Tempo. Dieses Mithaltenmüssen kann Kinder in dauerhaften Stress versetzen – mit weitreichenden Folgen. Auch das Gefühl, gänzlich anders – irgendwie „falsch“ – zu sein, ist hochsensiblen Kindern nicht fremd.10
Überreizung und Überforderung im Alltag kann bei HSP-Kindern im schlimmsten Fall zu Aggressivität, Rückzug oder Unruhe führen.11 Auch depressive Verstimmungen, Depressionen oder psychosomatische Beschwerden wie Magen-Darm-Probleme, Kopfschmerzen oder Migräne sind möglich.
Dabei haben hochsensible Kinder – bedingt durch ihre positiven Eigenschaften – wahnsinnig viel Potential, das es im Alltag zu fördern gilt. Empathie, Kreativität, eine feine Sinneswahrnehmung, Gewissenhaftigkeit, Genauigkeit, Reflexionsfähigkeit sowie das Vermögen zu analytischem Denken – um nur einige zu nennen.12 Umso wichtiger ist es auch, Kinder mit hochsensibler Persönlichkeit in ihrem Alltag gut zu begleiten und zu unterstützen.
Wie kann man hochsensible Kinder unterstützen?
Einige Tipps, wie hochsensible Kinder im Alltag gut begleitet und unterstützt werden können, möchten wir nachfolgend mit Ihnen teilen.
Auf Erholungspausen achten
Für hochsensible Kinder ist es besonders wichtig, dass ihr Alltag nicht zu sehr von Aktivität bestimmt ist. Die Verarbeitung vielfältiger Eindrücke benötigt Zeit, Raum und Ruhe und die sollte man dem Kind auch gönnen. Achten Sie im Alltag daher auf ausreichend Erholungspausen und Ruhezeiten.13
Stärken bewusst machen
Hochsensible Kinder haben eine Menge positiver Eigenschaften, auf die es zu fokussieren gilt. Es ist wichtig, dem Kind seine Stärken bewusst zu machen, diese deutlich zu benennen und auch nutzen zu lassen. Solch eine ressourcenorientierte Sichtweise trägt dazu bei, dass sich das Kind so nehmen kann, wie es ist. Das wirkt sich effektiv auf den kindlichen Selbstwert aus.
Auf Rituale setzen
Kinder brauchen Rituale – Kinder mit Hochsensibilität noch viel mehr! Setzen Sie im Alltag also auf Rituale, die in angenehmer Atmosphäre Raum für Entspannung schaffen. Eine beruhigende Massage, ein entspannendes Bad oder gemütliches Vorlesen helfen dem Kind, zur Ruhe zu kommen.
Entspannung forcieren
Hochsensible Kinder profitieren von Aktivitäten, die für nachhaltige Entspannung sorgen. Solche sind etwa Meditation, Kinderyoga, Gedankenreisen oder Aufenthalte in der Natur. Auch auf ausreichend Schlaf sowie eine ausgewogene und gesunde Ernährung sollte geachtet werden.
Fazit:
Hochsensibilität ist keine Erkrankung, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal. Hochsensible Kinder benötigen demnach weder Diagnose noch Therapie, vielmehr sind sie darauf angewiesen, dass ihre Persönlichkeit akzeptiert wird. Sie brauchen Erwachsene, die sie so annehmen, wie sie sind, ihre Eigenheiten akzeptieren, ihre Stärken fördern und dabei Rahmenbedingungen schaffen, die Platz für Ruhe und Entspannung lassen.
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Daniela Jarosz ist Sonder- und Heilpädagogin. Während des Studiums hat sie sich intensiv mit Inhalten aus Medizin und Psychologie auseinandergesetzt. Sie arbeitet seit vielen Jahren im psychosozialen Feld und fühlt sich außerdem in der freiberuflichen Tätigkeit als Autorin zuhause. Im redaktionellen Bereich hat sie sich auf die Fachrichtungen Medizin, Gesundheit, Nachhaltigkeit, Work-Life-Balance sowie Kinder und Familie spezialisiert.