Amazon als Versandapotheke - begründete oder unbegründete Sorge?
Tobias Goerke, Amazon Corporate Communications, dementiert, dass Amazon bislang eine Ankündigung gemacht habe, auf dem deutschen Arzneimittelmarkt aktiv zu werden.1 Dennoch wappnen sich europäische Versandapotheken bereits gegen das mögliche Szenario, dass Amazon demnächst als Konkurrent auf dem Medikamentenmarkt mitwirkt. Die Sorge der Versandapotheken scheint nicht ganz unbegründet. Auch die größte europäische Versandapotheke DocMorris unter deren CEO Walter Oberhänsli des Mutterkonzerns Zur Rose berichtete bereits über eigene Vorkehrungen gegen einen Eintritt Amazons in den E-Commerce mit Arzneimitteln. „Wir geben Gas, wir bauen unseren eigenen Online-Gesundheitsmarkt auf“, sagte CEO Walter Oberhänsli laut einer Mitteilung des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) am 9. September 2020.2
Inhaltsverzeichnis
- Amazon und die Pillpack-Kooperation
- Amazon und die Kooperation mit der Münchner Bienen-Apotheke
- Amazons Distributionszentren kennen kaum noch Limits
- Was bleibt zu tun – Kooperation mit den Versandapotheken...
- …oder politischer Kampf den digitalen Vorläufermodellen?
Amazon und die Pillpack-Kooperation
Seit des Amazon-Deals mit PillPack beunruhigt der weltweit zunehmende E-Commerce im Arzneimittelsektor die deutsche Apothekerschaft. Im Jahr 2018 kaufte Amazon das Unternehmen „Pill Pack“ in den USA für 753 Millionen Dollar.3 Die Idee von PillPack, einem US-amerikanischen Expressrezept und Verblisterunternehmen, erwies sich als überaus verführerisch für Patienten: Medikamente können unproblematisch per Klick bestellt werden, ohne einen Gang zum Arzt zu unternehmen. Das US-Unternehmen kümmert sich um die ärztlichen Folgerezepte. Zusätzlich sortiert die Firma die Medikation fein säuberlich in Medikamentenblistern vor. Der Patient erhält nur die Menge an Tabletten, die er tatsächlich benötigt. Das Pill-Pack-Konzept spart besonders Chronikern Zeit, Kosten und Nerven. Jede Packung wird bedruckt mit dem Einnahmezeitpunkt, etwa „Montag 8 Uhr“ oder „Dienstag 20 Uhr“ und enthält genau die drei unterschiedlichen Tabletten, die zu diesem Zeitpunkt einzunehmen sind.
Amazon und die Kooperation mit der Münchner Bienen-Apotheke
Dieses Prozedere, das in den USA bereits durch den neuen PillPack-Besitzer umgesetzt wird, könnte dem europäischen Medikamentenmarkt gefährlich werden. Doch noch einen Schritt unternahm Amazon, der europäische Versandapotheken und Vor-Ort-Apotheken vorwarnte. Durch eine Apothekenkooperation mit der Bienen-Apotheke wurde der Konzern bereits im OTC-Bereich sichtbar.4 Die Bienen-Apotheke mit dem Logo „Wir schwärmen für Ihre Gesundheit“ bietet seit 2017 in Kooperation mit Amazon gängige OTC-Produkte wie Almased, Folio forte, IbuHexal oder Hansaplast an.5 Durch die Kooperation mit Amazon Prime erhalten Kunden die Produkte häufig binnen 24 Stunden.
Amazons Distributionszentren kennen kaum noch Limits
Amazon kann als Distributionsgigant schon heute oftmals binnen kürzerer Zeit liefern als Versand- und Präsenzapotheken. Zudem beliefert Amazon praktisch jede Region, selbst dünn besiedelte Ortschaften. Wird die Distributionsrobotik mittels Drohnen erst verfeinert, kann Amazon eine Belieferung binnen 1 bis 2 Stunden zum Standard machen. Der Konzern brandete zudem das Pill-Pack-Logo von „Pillpack, an Amazon Company“ erst kürzlich in „Pillpack by Amazon Pharmacy“ um.6 Eine Vorgehensweise, die Experten als programmatischen Willen deuten, Amazon auch auf dem deutschen Arzneimittelmarkt – der über 42 Milliarden Euro schwer ist – zu etablieren.7
Was bleibt zu tun – Kooperation mit den Versandapotheken...
Deutschen Apotheken bleibt der Kampf gegen die Giganten durch diverse Strategien. Der größte europäische Arzneiversender DocMorris und die Zur Rose Gruppe plant, noch in 2020 eine Gesundheitsplattform in Deutschland zu starten.8 Dafür möchte CEO Walter Oberhänsli mit Vor-Ort-Apotheken kooperieren. Mit einer solchen Entwicklung würden sich beide Arzneimittelbranchen, die Amazon als gewaltige Bedrohung wahrnehmen, sich erstmalig großflächig vernetzen. Präsenzapotheken würden ähnlich der Bienen-Apotheke auf dem Amazon-Marketplace die Zur-Rose-Plattform als Händler mitnutzen. Oberhänsli würde gerne eine Gesundheitsplattform schaffen, die perspektivisch neben E-Rezept-Dienstleistung auch den Service stationärer Apotheken angliedert sowie Krankenversicherungs-Service und Gesundheitsapps. „Wir sind zuversichtlich, weil wir glauben, dass es viele Apotheken gibt, die die Zukunft mitgestalten wollen“, sagte Oberhänsli laut RND-Mitteilung.9 Auch eine künftige Fusion mit der Shop-Apotheke hatte der Chef der Zur-Rose-Gruppe nicht ausschließen wollen. Wenngleich sich eine Kooperation mit dem DocMorris-Konkurrent, der Shop Apotheke, sich bislang noch nicht angekündigt habe.10
…oder politischer Kampf den digitalen Vorläufermodellen?
Eine andere Strategie wäre der Ausbau eigener digitaler Apotheken-Plattformen mittels Kooperationen zwischen Großhändlern (Produktdistribuent), Präsenzapotheken (Kundenbindung) und Verlagen (Werbung). Apothekenplattformen hätten den großen Vorteil digitale Vorbestellmodelle und Online-Verfügbarkeitsauskünfte anbieten zu können. Sie können bislang politisch betrachtet noch auf das Fremdbesitzverbot für Apotheken setzen. Würde das Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken tatsächlich, wie von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geplant, demnächst auf den Weg gebracht werden, würde ein Rabattverbot für den Handel mit RX-Arzneimitteln den elektronischen Arzneimittelversand empfindlich treffen. Außerdem kann sich die Apothekerschaft hierzulande dafür stark machen, Liefervorschriften und Warenwirtschaftssysteme noch weiter zu vereinfachen. Kritisch wird es jedoch, wenn sich binnen kurzer Zeit keine einheitliche EU-Gesetzgebung für den Arzneimittelhandel geschaffen wird. Fehlende einheitlichen EU-Regeln dürften es Amazon & Co leichter machen, ein Einfallstor für den Handel mit Medikamenten zu finden.
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Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.