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Antibiotikagabe: Viel hilft nicht viel!

Kommentar schreiben Dienstag, 20. August 2019

Deutschlands Experten schlagen Alarm. Sie werden nicht müde zu betonen, dass die Bedrohung durch Problemkeime zunimmt. Das nimmt nicht Wunder, sagen sie, schließlich würden Antibiotika von vielen Ärzten selbst bei einfachen Infektionen bedenkenlos verschrieben. Der beinahe flächendeckende Einsatz von Antibiotika in deutschen Mastbetrieben verstärkt die Resistenzlage in Deutschland noch. Wie und warum der Umgang mit Antibiotika verbessert werden soll im folgenden Beitrag.

 

Auf Symposien für Ärzte und Arzneimittelexperten wird seit Jahren gefordert, die Antibiotikatherapie zu rationieren und zu rationalisieren. Das geschieht aus wichtigen Gründen: Immer mehr Bakterien zeigen im Antibiogramm nach einer Resistenzbestimmung Mehrfachresistenzen gegen mehrere der getesteten Antibiotika. Außerdem zeigt sich auf dem weltweiten Arzneimittelmarkt eine zahlenmäßig eingeschränkte Auswahl an Antibiotika und Reserveantibiotika. Das müsste im Prinzip zu einem zurückhaltenderen Einsatz von Antibiotika in Ambulanzen und Kliniken führen.

 

Tiermast und Ärzte fördern Resistenzbildung

 

Vor zunehmenden Resistenzen von gramnegativen Baktieren wie E-Coli, Klebsiellen und betalaktamasebildenden Bakterien warnte der Infektiologe Prof. Dr. med. Winfried Kern bereits im Jahr 2014 auf dem Symposium der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Sie seien zunehmend gegen Cephalosporine, Penicilline und Monobactame resistent. Dafür sei nicht nur die Tiermast, sondern auch das Verordnungsverhalten der Ärzte verantwortlich: „Wir tragen durch unsere Verschreibungspraxis von Antibiotika zur Verbreitung der ESBL-bildenden Bakterien bei. Wir als Humanmediziner selektionieren weiter“, sagte Prof. Kern einem Bericht des Deutschen Ärzteblatts nach auf der AkdÄ-Tagung. 

 

Antibiotikagabe: Zu unspezifisch, zu lang, zu unwissenschaftlich

 

Dem Experten nach sollte das Hauptaugenmerkt zukünftig auf der ambulanten Therapie liegen. Ambulante Haus- und Fachärzte würden einfach zu häufig resistenzen-fördernde Antibiotika  anstelle von Penicillinen verordnen: „Mittlerweile kann man nicht mehr sagen, dass Deutschland ein Penicillin-Land ist, obwohl diese Antibiotikagruppe bei 90 Prozent der Atemwegsinfektionen wirken würde. Wir sind ein Makrolid-, Cephalosporin- und Chinolon-Land geworden“, sagte Kern laut Ärzteblatt. Besonders häufig verordneten Ärzte vor rund 10 Jahren Cephalosporine wie Cefuroxim. Diese würden allerdings die Gefahr von Multiresistenzen und komplizierten Keimen erhöhen, etwa von MRSA, multiresistenten Pneumokokken, ESBL-Bakterien und Clostridium difficile. Die Lösung sah Kern dem Ärzteblatt zufolge in Infektiologie-Fortbildungen von Medizinern, besseren Diagnosen mit vorherigem Erregernachweis und kürzeren Behandlungen.

 

Händewaschen präventiv einsetzen!

 

Auch Prof. Dr. med. Ulrich Höffler plädierte demnach auf dem Forum der Bundesärztekammer dafür, Antibiotika vorsichtiger einzusetzen – schließlich würden sich in Krankenhäusern immer mehr multiresistenter Keime finden: von Viren über gram-positive und negative Bakterien bis zu multiresistenten, giftigen Pilzen (Candida, Aspergillus). Dem Experten Höffler gemäß sind die wichtigsten Maßnahmen gegen Infektionen noch immer das Händewaschen mit Alkoholen und anschließende Eincremen mit rückfettenden Cremes.

 

Königsweg: „So kurz wie möglich, aber so lange wie nötig!“

 

Auch der Leiter der Infektiologie an der Universitätsklinik Köln, Prof. Dr. med. Gerd Fätkenheuer, warnte anlässlich der WHO World Antibiotic Awareness Week 2017: „Heute wissen wir: Je länger die Bakterien dem Selektionsdruck eines antimikrobiellen Wirkstoffs ausgesetzt sind, desto wahrscheinlicher überleben überwiegend resistente, also gegen das Mittel unempfindliche Erreger.“ Deshalb wird die Verordnungspraxis, Antibiotika noch Tage über das Verschwinden der Symptome hinaus einzunehmen, heute vielfach Frage gestellt. Erst 2016 publizierte das Fachmagazin JAMA eine Studie, wonach eine 5-tägige Therapie bei schweren ambulanten Lungenentzündungen gleichwertig zur 10-Tage-Therapie war. In klinischen Studien zeigten sich Kurzzeittherapien den Langzeittherapien bereits vor 20 Jahren ebenbürtig bis überlegen. 

 

Der Arzt bestimmt die Therapie

 

Doch warnt Prof. Dr. Kern als DGI-Vorstandsmitglied dem Ärzteblatt gemäß, eigenmächtig das Antibiotikum abzusetzen: „Dennoch bedeutet dies nicht, dass Patienten ein Antibiotikum eigenhändig absetzen sollten, sobald ihre Symptome verschwunden sind“. Dafür sei die moderne Antibiotikatherapie zu komplex. Die notwendige Antibiotikadauer würde stets davon abhängen, wie gravierend die (Vor)Erkrankung und Keimsituation sei. Stattdessen sollten Patienten den Arzt kontaktieren, wenn die Symptome frühzeitig ausgeheilt sind oder das Medikament nicht anschlägt. Dies würde dazu beitragen, dass die Einnahme so kurz wie möglich, aber so lange wie nötig erfolge.

 

Fazit: Die aktuelle Lage

 

Seit Beginn der Antibiotika-Ära stehen dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) zufolge über 80 wirksame Antibiotika zur Auswahl. Davon wurden und werden zwischen 2011 bis schätzungsweise 2020 nur 18 neuartige Antibiotika entwickelt. Das ist bei weitem nicht genug, gemessen an der besorgniserregenden Struktur und Gewebefiltrationsrate zunehmender Keime.

Die Experten des Symposiums bemängelten dem Ärzteblatt zufolge die kleine Zahl neuartiger Antibiotika auf dem Markt: „Die großen Pharmafirmen ziehen sich zurück und konzentrieren sich auf Substanzen, die längerfristig verordnet werden können, und den kleineren Firmen fehlt das Geld für die klinischen Studien“, fasste Kern die Situation zusammen. Wirtschaftliche Beweggründe scheinen das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bewogen zu haben, dem neuen Antibiotikum Fidaxomicin den Zusatznutzen für den Patienten abzusprechen.

 

Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), plädierte in einer kürzlichen Pressemitteilung dafür, dass die Industrieländer mehr in Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika und Testverfahren investieren. Auch müsse der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast weiter gesenkt werden. Fraglich bleibt jedoch, warum nicht der nahelegende Schluss gezogen wird, auf Antibiotika in der Tiermast gänzlich zu verzichten.

Nach wie vor sind Spezialisten für Infektionskrankheiten im deutschen Gesundheitssystem nicht regelhaft vorgesehen: In den meisten Kliniken hierzulande sind keine Stellen für Infektiologen eingeplant, an kleinen Krankenhäusern stehen keine infektiologischen Konsiliardienste zur Verfügung.

 

 

 

Quellenangabe (Stand: 20.08.2019):

Deutsches Ärzteblatt: https://www.aerzteblatt.de/archiv/153473/Antibiotikatherapie-Haeufig-zu-viel-zu-lang-und-zu-breit

JAMA-Studie 2016: Brad Spellberg. The New Antibiotic Mantra - “Shorter Is Better”, JAMA Intern Med. 2016 Sept, 176 (9): 1254-1255.

doi: 10.1001/jamainternmed.2016.3646https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5233409/

Kurzzeitstudien teilweise Langzeitstudien überlegen: 

https://jamanetwork.com/journals/jamainternalmedicine/article-abstract/2536180

Pressemitteilung Bundesärztekammer Montgomery zum gemeinsamen Kampf gg Antibiotikaresistenzen:

https://www.bundesaerztekammer.de/ueber-uns/landesaerztekammern/aktuelle-pressemitteilungen/news-detail/montgomery-fordert-gemeinsamen-kampf-gegen-antibiotika-resistenzen/

Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) über derzeitige Antibiotikasituation: https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/woran-wir-forschen/neue-antibiotika-den-vorsprung-wahren.html

Infothek Antibiotic Stewardship zu Infektionen und Multiresistenzen: https://www.antibiotic-stewardship.de/infothek/publikationen/id/infektionen-und-multiresistenzen/

 

 

 

 

Maria Köpf
Autor: Maria Köpf

Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.

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