Apotheken in Pandemie-Zeiten: Balanceakt im Ungewissen
Spätestens seit 28. Januar ist das Coronavirus in Deutschland angekommen, als der erste offiziell gemeldete Fall bestätigt wurde. Wie geht es Apotheken hierzulande bislang mit den Entwicklungen?
Inhaltsverzeichnis
- RKI-Chef Wieler: „Ich erwarte, dass die Krankenhäuser vorbereitet sind“
- Bestimmte Produkte in Apotheken „gefragt wie nie“
- BfArM: Sorge um Bevorratung bei einzelnen Pharmaakteuren
- Coronakrise: Lieferengpässe momentan noch unauffällig
- Corona-bedingte Lieferengpässe ab Sommer spürbar?
RKI-Chef Wieler: „Ich erwarte, dass die Krankenhäuser vorbereitet sind“
Aktuell mehren sich Medienberichte, wonach seit letzter Woche die Zahl der Infizierten in Deutschland rasanter wächst als zum Vergleichstag in Italien.1 Bereits am 2. März wurde das Risiko, sich in Europa mit dem Coronavirus zu infizieren, von der EU-Gesundheitsbehörde ECDC von „mittel“ auf „hoch“ gesetzt, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel erklärte. „Das Virus breitet sich weiter aus“, schloss von der Leyen ihre Erklärung.2 RKI-Chef Lothar Wieler sagte in einer Pressekonferenz am 20.3. zur Krise: „Wir sind in einer Krise, die ein Ausmaß hat, das ich mir selber habe nie vorstellen können“ und „Ich erwarte jetzt, dass die Krankenhäuser vorbereitet sind. Jetzt muss es soweit sein.“ Gegenüber dem Vortag hatte es laut Robert Koch-Institut 3.000 weitere Coronainfektionen gegeben.3
Bestimmte Produkte in Apotheken „gefragt wie nie“
Absolute Mangelprodukte in Apotheken sind im Zuge der weltweit spürbaren Epidemiewellen spätestens seit Anfang Februar Desinfektionsmittel, Fieberthermometer und Mundmasken. Apotheken können hierzulande zwar prinzipiell Desinfektionsmittel selbst herstellen, ringen jedoch mit einer ungewissen Preisakzeptanz bei Patienten und passenden Abfüllgefäßen. Letztere sind aktuell schwer zu bekommen. Priorität hat für Apotheken in Hinsicht sicherlich zunächst die Versorgung von Praxen, Alten- bzw. Pflegeheimen und Krankenhäusern. Der pharmazeutische Großhandel versuchte offenbar Mundschutzbestände und Desinfektionsmittel auf alle Apotheken zu kontigentieren.
Eine weitere Produktgruppe, die derzeit Apotheken rar zu werden scheint, ist die der Fieber- und Entzündungssenker. Hier sind sowohl Analgetika mit dem Wirkstoff Paracetamol als auch nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR), etwa mit dem Wirkstoff Ibuprofen, betroffen. Bei der Abgabe an Kunden, stünde in Apotheken derzeit das Handeln aus Verantwortungssinn im Vordergrund. „Wenn ein Kunde zwei Schachteln Paracetamol für sich und seine Lebensgefährtin ordert, kann ich das noch akzeptieren. Doch spätestens ab der dritten Packung sollte der Apotheker sein Veto einlegen“, findet Dr. Hermann Vogel, Inhaber der Winthir-Apotheke in München und Gründer der ApoSync-App.4 Insofern hat sich Dr. Hermann Vogel mit seinen Teams die Prämisse gesetzt, „Hamsterkäufen“ bei gefragten Arzneimitteln aktiv durch gezieltes Nachfragen entgegenzuwirken.
BfArM: Sorge um Bevorratung bei einzelnen Pharmaakteuren
Dies deckt sich mit Vorgaben, die kürzlich allen pharmazeutischen Unternehmen und Großhändlern gemacht wurden, um Lieferengpässen in einzelnen Bundesregionen entgegenzuwirken. Offenbar kam es in den letzten Wochen zu enormer Bevorratung einzelner Krankenhäuser und Apotheken. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte bat in diesem Zusammenhang pharmazeutische Hersteller jüngst in einer bislang nie dagewesenen Weise, öffentliche Apotheken nur noch mit einem 1-Wochen-Bedarf , Krankenhausapotheken nur noch mit einem 4-Wochen-Bedarf (Standardbedarf) oder 8-Wochen-Bedarf (Coronabedarf) und Großhändler nur noch mit einem 2-Wochen-Bedarf auszustatten.5
Coronakrise: Lieferengpässe momentan noch unauffällig
Bislang zeigen sich auf dem deutschen Arzneimittelmarkt noch keine großen Auswirkungen auf kurzfristige Lieferengpässe. Auch das BfArM informiert auf seiner Webseite zum aktuellen Stand: „Aktuell liegen keine belastbaren Hinweise vor, die auf eine kurzfristige Einschränkung der Arzneimittelversorgung aufgrund von Produktionsausfällen in Regionen, die von der Ausbreitung des Coronavirus besonders betroffen sind, schließen lassen.“6 Aus Sicht des Experten Dr. Vogel, dessen App „ApoSync“ Apothekenmitarbeiter per Push-Up Nachricht über neue Lieferverzögerungen informiert, ist hier tatsächlich noch keine Havarie für Arzneimittel erkennbar: „Der Trend, der bereits vor der Pandemie durch das Coronavirus zu bemerken war, hat sich fortgesetzt – nämlich, dass neue Lieferengpässe auftauchen und die alten Lieferengpässe bestehen bleiben, bei denen vereinzelt sporadisch etwas kommt.“7 Insofern bleibe zunächst alles beim Alten. Als neuer Engpass sticht aus seiner Sicht im Apothekenbetrieb aktuell nur der Fall der plötzlich nicht mehr erhältlichen Großpackung `Metformin 1000mg' ins Auge. Das Arzneimittel zählt als einen der am häufigsten verabreichten Antidiabetika bei Typ-2-Diabetes. Andere Produktgruppen bleiben aktuell noch überwiegend verschont.
Corona-bedingte Lieferengpässe ab Sommer spürbar?
„Die angesprochenen Lieferengpässe aufgrund von Produktionsausfällen in Corona-betroffenen Regionen dürften auf dem deutschen Markt erst in zwei bis drei Monaten aufschlagen“, schätzt Dr. Vogel die Situation für Ende kommenden Quartals ein. Grund dafür sei, dass Arzneimittelhersteller erfahrungsgemäß mit einem Vorlauf von 6 bis 8 Monaten produzieren. „Die Lieferengpässe aufgrund der Coronaepidemie in China dürften daher sich nicht so schnell durchschlagen“, sagt Dr. Vogel, „Das dürfte eher Richtung Sommer gehen.“8 Momentan fallen ihm eher prophylaktische Käufe diverser Patienten und Marktakteure ins Gewicht. Hinzu kommen Kontingentüberschreitungen, weil bestimmte Arzneimittel wie die Pneumokokken-Impstoffe wenige Tage nach der offiziellen Impfempfehlung buchstäblich „weggeimpft“ waren. Oder ängstliche, teilweise begründete Vorratskäufe von Patienten, die sich mit ihrer Dauermedikation für mehrere Quartale schon einmal vorab versorgen wollen.
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Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.