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Apothekenstärkungsgesetz - der Status quo

Kommentar schreiben Dienstag, 28. Juli 2020

Es lässt sich sicherlich darüber streiten, ob sich das aus zwei Schriftzeichen bestehende chinesische Wort für „Krise“ tatsächlich mit „“Gefahr“ und „Chance“ übersetzen lässt.1

Fakt ist jedoch: die deutschen Vor-Ort-Apotheken konnten die Coronakrise durchaus als Chance für sich nutzen. Sie bauten ihre Bedeutung und ihr Ansehen, wie etwa durch die Herstellung von Desinfektionsmitteln, deutlich aus. Einen wirtschaftlichen Zugewinn konnten sie aus der Krise hingegen nicht ziehen. Umso wichtiger ist es daher, dass Bundesgesundheitsminister Spahns Bemühungen zu deren Stärkung nun wieder Fahrt aufnehmen. Nach der Sommerpause wird sich endlich der Gesundheitsausschuss des Bundestages mit dem Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) befassen.

 

Deutschlands Apotheken übten sich in den letzten Wochen und Monaten in Geduld, die Ereignisse und Umstände hatten den Fokus ohnehin auf das verschoben, was wirklich wichtig war: die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln vor Ort. Doch nun, da sich die Lage etwas entspannt hat, wird die Frage wieder lauter: wie steht es um den im Koalitionsvertrag verankerten Schutzschirm für deutsche Vor-Ort-Apotheken? Zwar wurden in der Zwischenzeit einige dort vorgesehene Maßnahmen in andere Gesetzgebungsverfahren ausgegliedert und verabschiedet, die Kernstücke des VOASG-Entwurfs liegen allerdings nach wie vor auf Eis: die Rx-Preisbindung und die vergüteten pharmazeutischen Dienstleistungen.

 

Das Kabinett hatte Spahns Apothekenstärkungsgesetz bereits im Sommer 2019 verabschiedet, in den Bundestag schaffte es der Entwurf aber bis heute nicht. Die ursprünglich für den 16. und 17. Oktober 2019 geplante erste Lesung im Bundestag wurde gestrichen. Man wolle zunächst das Urteil der EU-Kommission bezüglich der geplanten Rx-Preisbindung abwarten, bevor man sich inhaltlich mit dem Gesetz auseinandersetze.

 

Europarechtlich ein wackeliges Unterfangen

 

Dass die Bedenken bezüglich der Europarechtskonformität von Spahns Unterfangen durchaus berechtigt sind, zeigt die Tatsache, dass bereits im Vorfeld gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren bei der EU-Kommission wegen der Handhabe mit europäischen Versandapotheken eingeleitet wurde. Das Gremium vertritt die Auffassung, dass die in Deutschland geltenden Vorschriften nicht dem Grundsatz eines freien Warenverkehrs entsprechen.

 

Deutschland wurde eine zweimonatige Frist eingeräumt, die Änderung des Arzneimittelgesetzes hinsichtlich der Aufhebung der Preisbindung für EU-Versender in die Wege zu leiten.2 Spahn hatte daher dem Bundesjustizministerium zugesichert, den Sachverhalt bezüglich des geplanten Rx-Boni-Verbots für den GKV-Bereich mit den Experten der EU-Kommission zu besprechen, um rechtliche Fallstricke auszuschließen. Sein Plan ist es, die Preisbindung aus dem Paragraf 78 Absatz 1 Satz 4 des Arzneimittelgesetzes zu streichen und stattdessen im Sozialgesetzbuch zu verankern.3

 

„Gute und konstruktive“ Gespräche mit EU-Binnenmarktkommissar Breton

 

Nach Monaten des Stillstandes berichtete das Handelsblatt nun Anfang Juni, dass der Bundesgesundheitsminister ein persönliches Gespräch mit EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton plane. Zuvor habe Spahn mehrfach seinen Staatssekretär Thomas Steffen nach Brüssel gesandt. Dieser konnte nach Informationen aus Koalitionskreisen bei ständig wechselnden Ansprechpartnern im Stab Bretons allerdings keine Ergebnisse erzielen.4 Gesundheitsstaatssekretärin Sabine Weiss (CDU) bestätigte, dass das Gespräch zwischen Spahn und Breton am 11. Juni 2020 als Videokonferenz stattgefunden habe. Inhalte seien „die bevorstehende EU-Ratspräsidentschaft und die in diesem Rahmen anstehenden Themen und Projekte sowie das laufende Vertragsverletzungsverfahren zur Regelung in § 78 Absatz 1 Satz 4 Arzneimittelgesetz und der Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken“ gewesen.5

Auf Nachfrage von DAZ.online beschrieb Spahn bei einer Pressekonferenz in Berlin die aufgenommene Debatte als „gut und konstruktiv“.6

 

Klar dürfte sein, dass Deutschland mit einem Verbot von Rx-Rabatten eine spürbar sanftere Strategie fährt als manch anderes Mitgliedsland. In einem Großteil der EU-Mitgliedsstaaten ist der Versand verschreibungspflichtiger Arzneimittel nicht zugelassen. Nur ein Viertel erlaubt den Rx-Versand. Hierzu gehören neben Deutschland auch Dänemark, Estland, Finnland, die Niederlanden, Schweden und Großbritannien.7 Zu befürchten bleibt allerdings, dass selbst wenn die EU-Kommission den Gesetzesentwurf Deutschlands befürworten sollte, die Niederlande oder die dort ansässigen Versandapotheken den Fall wieder vor den Europäischen Gerichtshof bringen könnten.

 

Union mahnt wegen Einführung des E-Rezepts zur Eile

 

Eine repräsentative Umfrage im März 2020 im Auftrag von BD Rowa™ unter mehr als 1.000 Deutschen ab 14 Jahren zeigt, dass die Apotheke vor Ort aktuell immer noch eine zentrale Rolle im Leben der Menschen einnimmt. So schätzt der Großteil der Befragten vor allem die schnelle Möglichkeit der Medikamentenbeschaffung, die Beratung und die fachliche Kompetenz der Apotheke, aber auch den persönlichen Kontakt.8

 

Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung des Gesundheitssystems könnte dies allerdings zugunsten günstigerer Preise für viele Kunden schnell zur Nebensächlichkeit werden. Die Union mahnt daher wegen der bevorstehenden Einführung des E-Rezepts zur Eile. Die digitale Verordnung ebne den Weg für die Patienten, noch einfacher verschriebene Arzneimittel online bei den bekannten, großen Versandapotheken zu bestellen.9 Dass diese Bedenken nicht ganz unbegründet sind, zeigt eine Online-Umfrage des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken (BVDVA). In dessen Auftrag hatte das Meinungsforschungsinstitut Ears and Eyes im April letzten Jahres 1.000 in Deutschland lebende Erwachsene befragt. Dabei befürworten 68 Prozent der befragten Deutschen den Versandhandel, rund 80 Prozent denken, dass er die pharmazeutische Versorgung außerhalb der Ballungszentren erleichtert.10

 

ABDA erhöht den Druck auf die Politik

 

Von Seiten der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) erhöht man seit Anfang Juli den Druck auf die Politik: In einem einstimmig verabschiedeten Entschließungsantrag wird diese dazu angehalten, das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz noch im Jahr 2020 zur Verabschiedung in den Bundestag zu bringen.11

 Zusätzlich wandte man sich mit Hilfe von Flyern direkt an die Abgeordneten. Mit den roten Handzetteln in Form einer übergroßen Postkarte wurde primär die Intention verfolgt, dass Abgeordnete die Zuleitung des VOASG durch die Bundesregierung an das Parlament einfordern, damit der parlamentarische Prozess endlich beginnen kann: „Die Apotheken erbringen ihre Leistungen überall in Deutschland und rund um die Uhr. Sie versorgen jeden Patienten entsprechend seines individuellen Bedarfs. Die Vorzüge dieses dezentralen, flächendeckenden Arzneimittelversorgungssystems sind in der Corona-Pandemie besonders sichtbar geworden.

 

Um seinen Fortbestand in Zukunft gewährleisten zu können, brauchen die Apotheken aber verlässliche ordnungspolitische Rahmenbedingungen.“ Einer der wichtigsten Eckpfeiler der Arzneimittelversorgung seien bundesweit einheitliche Abgabepreise für ärztlich verordnete Medikamente. Sie verhinderten, dass Patienten ungleich behandelt beziehungsweise durch überhöhte Preise „abgezockt“ werden. Und sie wendeten ab, dass Apotheken vor Ort „durch unwirtschaftliche Tiefstpreise ruiniert“ werden und das Versorgungsnetz ausgedünnt wird.12

 

Auf Nachfrage von apomio konnte von Seiten der ABDA nun bestätigt werden, dass am 11. September die erste Lesung im Bundestag stattfinden wird.13 Für den 16. September ist eine entsprechende Anhörung im Gesundheitsausschuss geplant.14 Im parlamentarischen Verfahren wird die ABDA die positiven Regelungen im Entwurf gegen Kritik Dritter verteidigen müssen und zugleich weitere Verbesserungen zu erreichen suchen.

Auch wenn über den Inhalt des Gesprächs zwischen Binnenmarktkommissar Breton und Gesundheitsminister Spahn bislang nichts bekannt wurde: Nach knapp einem Jahr der Stagnation kommt nun endlich wieder Bewegung in den Gesetzentwurf zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheke. 

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Linda Künzig
Autor: Linda Künzig

Linda Künzig, Apothekerin mit Weiterbildungen im Bereich Homöopathie und Naturheilverfahren. Neben ihrer Tätigkeit in einer öffentlichen Apotheke unterstützt sie seit Mai 2019 die Apomio-Redaktion als freie Autorin.

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