Apothekentiefstand auf dem Prüfstand
Ende Januar gab die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) einen neuen Tiefstand der Apothekenzahlen in Deutschland bekannt: Ende 2019 waren demnach in der Bundesrepublik nur noch 19.075 Apotheken gemeldet.1 Gegenüber dem Vorjahr sank die Zahl um weitere 348 Apotheken, ein Trend, der sich seit 10 Jahren in dieser Größenordnung jährlich fortschreibt. Kein Grund, den deutschen Apothekenmarkt in einer bis dato nie dagewesenen Krise zu wähnen – sagen die einen. Die Tendenz gehe seit Jahren hin zur Konsolidierung bestehender Betriebe und prosperierender Marktmodelle. Dennoch ein Grund, der Entwicklung gegenzusteuern, – sagen die anderen.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Woran misst sich der gegenwärtige Tiefstand?
- 2. Das sagt die ABDA zum Apothekentiefstand
- 3. Diese Rahmenbedingungen fordert die ABDA, um den Trend zu stoppen
- 4. „Rerum cognoscere causas“: Die Gründe der Zahlen kennen
- 5. Arzneimittelausgaben in Deutschland zeigen Hochkonjunktur
- 6. Ausländische Versender profitieren von deutschen Kunden
1. Woran misst sich der gegenwärtige Tiefstand?
Hoch- und Tiefstand der Apothekenzahlen werden von Seiten der ABDA an statistischen Daten der Apothekendichte seit Mitte der 80er Jahre gemessen. Deren höchsten Stand erreichten ansässige Apotheken den Angaben der Apothekenvereinigung zufolge im Jahr 2008 mit insgesamt 21.602 Betrieben.2 Im Gegensatz dazu lag der Tiefstand Mitte der 80er Jahre bei knapp 19.500 Apotheken, ein ähnlicher Tiefstand wurde mit 19.075 Apotheken im Dezember 2019 bekannt gegeben. Das entspricht einem Apothekenrückgang um knapp 2000 Apotheken innerhalb von rund 10 Jahren (2008 – 2019) beziehungsweise innerhalb von rund 35 Jahren (1985 – 2019).3
2. Das sagt die ABDA zum Apothekentiefstand
Auf der anderen Seite wird der Ball in einer aktuellen Pressemitteilung der ABDA bezüglich des Tiefstands von knapp 19.000 Apotheken betont flach gehalten. „Noch können sich die Patienten in Deutschland auf eine flächendeckende Arzneimittelversorgung verlassen“, sagte ABDA-Präsident Friedemann Schmidt in der Mitteilung vom 28. Januar, ergänzte jedoch mit spürbarem Stirnrunzeln: „Aber das wird bald vorbei sein, wenn nichts passiert. Seit zwölf Jahren geht die Zahl der Betriebe zurück. Wir werden die Situation nur stabilisieren können, wenn die Apotheken mehr Planungssicherheit und einen vernünftigen ordnungspolitischen Korridor bekommen“5, so Schmidt.
Ähnlich hatte auch ABDA-Pressereferent Christian Splett den Tiefstand im August 2019 als durchaus beunruhigendes, aber keinesfalls versorgungstechnisches Geschehen eingeordnet. Im Gespräch mit apomio hatte Splett eingeräumt, dass oft von einem „sogenannten Apothekensterben“ zu lesen sei, jedoch ganz sachlich „von einem ein- bis zweiprozentigen Rückgang pro Jahr“ gesprochen werden müsse. Festgehalten hatte Splett in dem Gespräch aber auch, dass die Versorgung in Deutschland zwar noch flächendeckend gegeben wäre, aber positive Impulse und klare Rahmenbedingungen brauche, „damit dies in 10 oder 15 Jahren auch noch der Fall ist“6.
3. Diese Rahmenbedingungen fordert die ABDA, um den Trend zu stoppen
Zuvordererst forderte die ABDA am 28.01.2020 erneut zwei gesetzgeberische Maßnahmen, um die Zahl deutscher Apotheken weitgehend stabil zu halten: Die Gleichpreisigkeit für rezeptpflichtige Arzneimittel müsse im grenzüberschreitenden Arzneimittelversand „zumindest in der GKV-Versorgung“ wiederhergestellt werden und ein „Makelverbot“ solle die Einführung des E-Rezepts flankieren.1 Beides sei bereits im geplanten Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (VOASG) vorgesehen. Neben diesem „ordnungspolitischen Rahmen“, wie die ABDA die Bemühung um Gleichpreisigkeit bei RX-Arzneimitteln und um Makelverbot beim E-Rezept geläufig nennt, forderte der Dachverband deutscher Apotheker seit 2019 mehr „pharmazeutische Perspektiven“ und „wirtschaftliche Anreize“, um für einen fairen Wettbewerb zwischen in- und ausländischen (Versand-)Apotheken zu sorgen6. Dazu würden laut Splett beispielsweise erweiterte pharmazeutische Dienstleistungen wie die Apothekenimpfpraxis und staatliche Zuschüsse in Form höherer Apothekenhonorare für Dokumentationen, Notdienste oder Medikationskontrollen zählen.
4. „Rerum cognoscere causas“: Die Gründe der Zahlen kennen
Dass noch nicht von einem versorgungstechnischen Flächenbrand ausgegangen werden muss, belegen die Fakten, die sich um das sogenannte Apothekensterben ranken.2 Von den insgesamt 19.423 Apotheken im Jahr 2018, waren 14.882 Haupt- beziehungsweise Einzelapotheken und 4.541 Filialapotheken. Das heißt: Die Zahl der Filialapotheken nahm in den letzten Jahren deutlich zu, und zeigen aktuell mit 4.541 Filialapotheken einen bislang nicht dagewesenen Höchststand. Diese Tendenz ist seit Beginn des GKV-Modernisierungsgesetzes 2004 erkennbar, seit das Mehrbesitzverbot gelockert wurde und eine Entwicklung einsetzte in Richtung zunehmender Konsolidierung mehrerer Apothekenfilialen desselben Inhabers oder derselben Apotheker-OHG (Offenen Handelsgesellschaft).
Zum Vergleich: Im Jahr 2017 betrug die Zahl der Apotheken noch insgesamt 19.748, davon 15.236 Haupt- bzw. Einzel- und 4.512 Filialapotheken.7 Dennoch sinkt die Zahl öffentlicher Apotheken in Deutschland stetig. Demgegenüber steigerte sich jedoch der Umsatz bei bundesweiten Apotheken auf derzeit rund 50,8 Milliarden Euro, das heißt weniger Apotheken erwirtschaften im Schnitt mehr Umsätze. Das unterstreicht auch eine stichprobenartige Analyse der Deutschen Ärzte- und Apothekerbank (apoBank) im Juli 2019. Diese wertete die Daten von rund 330 Apothekengründungen aus und stellte fest, dass der Trend im Jahr 2019 hin zur Übernahme bereits konsolidierter, gut gehender Apotheken (gute Lage, stabile Stammkundschaft und Herstellerkontakte) geht, die vorzugsweise in städtischen Ballungsgebieten mit über 20.000 Einwohnern liegen.8
5. Arzneimittelausgaben in Deutschland zeigen Hochkonjunktur
Der deutsche Arzneimittelmarkt steht demnach derzeit noch unter einem sehr guten Himmel. Das umsatzstärkste Segment auf dem deutschen Arzneimittelmarkt bleiben vorerst rezeptpflichtige Arzneimittel. Diese machten laut ABDA im Jahr 2018 stolze 99 Prozent des umsatzbezogenen Marktanteils bundesweiter Präsenzapotheken aus. Das Segment OTC- und Nichtarzneimittel betrug beachtliche 82,3 Prozent. Im Gegensatz dazu verzeichnete der in- und ausländische Versand im rezeptpflichtigen Bereich nur 1 Prozent.2
Immense Wachstumschancen zeigte in den letzten Jahren der OTC-Bereich für in- und ausländische Versender – ihr Marktanteil betrug im Jahr 2018 bereits 17,7 Prozent.2 Mit der guten Umsatzentwicklung von +5,5 Prozent wurde der Versandhandel spätestens in diesem Jahr zum „bedeutenden Treiber“9 auf dem deutschen Apothekenmarkt, wie es das Portal Statista passenderweise ausdrückte. Die Entwicklungen auf dem Pharmamarkt lassen mit dem kommenden E-Rezept, dem Wiederholungsrezept und der GKV-Ausgabenpolitik erwarten, dass sich diese Entwicklung in 2020 fortschreibt. Nach Angaben der ABDA stiegen die GKV-Ausgaben für den ausländischen Versandhandel seit dem Wegfall der deutschen Preisbindung im Jahr 2016 deutlich an: von 367 Millionen Euro (2016) auf 432 Millionen Euro (2018).10
6. Ausländische Versender profitieren von deutschen Kunden
Allerdings konnten sich deutsche Versandapotheken zuletzt laut Handelsblatt-Angaben nur über einen kleinen Anteil an den Umsatzzuwächsen bei Versandarzneimitteln freuen: „Die beiden größten unabhängigen Versandapotheken in Deutschland – Medikamente per Klick und Apotal – kommen nach Berechnungen von Dr. Kaske auf Jahresumsätze zwischen 90 und 100 Millionen Euro“11, so das Fazit eines Berichts von Gregor Waschinski und Maike Telgheder im Januar 2019, der auch 12 Monate danach wenig an Scharfsicht eingebüßt hat.
Darin nahmen die Autoren Umsatzzuwächse im Jahr 2018 auf dem deutschen Versandmarkt genauer unter die Lupe: Demnach erwirtschaftete die Shop Apotheke Europe, ehemalige Europa Apotheek Venlo, im Jahr 2018 annähernd 540 Millionen Umsatz. Und die größte europäische Versandapotheke, das Doc-Morris-Mutterunternehmen Zur Rose, erwirtschaftete im selben Jahr sogar knapp1,1 Milliarden Euro Umsatz. Dabei legte Zur Rose 2019 sogar noch einen Zahn zu: Während das Schweizer Unternehmen auf dem deutschen Markt vor 2 Jahren noch ein Wachstum von 22 Prozent zeigte, schloss es das Geschäftsjahr 2019 sogar mit Umsatzzuwächsen von 45 Prozent auf 976 Millionen CHF - eingerechnet Verkäufe der übernommenen deutschen Versandapotheke Medpex.
Quellen anzeigen
Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.