Bonpflicht ab 2020: ist das letzte Wort schon gesprochen?
Anfang November dieses Jahres wurde das Bürokratieentlastungsgesetz III (BEG III) verabschiedet1. Papierkrieg und Zettelwirtschaft sollten minimiert und besonders die mittelständische Wirtschaft entlastet werden. Eine begrüßenswerte Entwicklung, hinkt Deutschland doch in Sachen Digitalisierung im internationalen Vergleich mehr schlecht als recht hinterher. Umso widersprüchlicher mag es erscheinen, dass ab Januar 2020 mit dem „Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen“ (Kassengesetz 2020) und der dazugehörigen Kassensicherheitsverordnung die Belegausgabepflicht in Kraft tritt. Die Proteste des Einzelhandels sind groß und haben mittlerweile in der Politik Gehör gefunden: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) setzt sich für eine Lockerung der Bonpflicht ein2.
Nach Schätzungen des Verbandes der Registrierkassenhersteller (DFKA) verliert der Bund alljährlich 50 bis 70 Milliarden Euro an Sozialabgaben, Umsatz -und Lohnsteuer3. Eine Untersuchung der EU-Kommission ergab, dass im Jahr 2017 die Mehrwertsteuerlücke in Deutschland 25 Milliarden Euro betrug4.
Besonders in Branchen mit einem hohen Anteil an Bargeld werden Umsätze durch von Kassenmanipulation, Einsatz von Mogelsoftware oder durch das Ausstellen fingierter Rechnungen am Fiskus vorbeigeschleust.
Um die Schäden durch Steuerbetrug zu minimieren, soll ab Januar 2020 die Bonpflicht für alle Händler in Kraft treten, die Waren verkaufen oder endgeldliche Dienstleistungen anbieten. Ob der Kunde diesen verlangt oder nicht: von da an muss der Verkäufer bei jedem Vorgang einen Kassenbon erzeugen. Dies muss allerdings nicht zwangsweise auf dem Papierweg erfolgen, ein digitaler Beleg per Email oder App erfüllt diesen Zweck ebenfalls5.
Die Vorteile der Kassenbonpflicht
Betroffen sind alle Steuerpflichtigen, die rechnerunterstützte Kassensysteme oder Registrierkassen nutzen – also auch Apotheken. Allerdings gibt es in Deutschland keine Pflicht zur Nutzung von Registrierkassen. Da die neue Kassensicherheitsverordnung ausdrücklich eine Möglichkeit zur Befreiung von der Bonpflicht vorsieht, sehen Befürworter einen Vorteil im erhöhten Handlungsspielraum der Finanzämter. Denn die Finanzämter entscheiden, welche Unternehmen sie von der Belegausgabepflicht befreien. Umgekehrt können sie aber auch festlegen, welche Händler sie im Zweifel zum Ausstellen von Kassenbelegen zwingen, sollte keine Registrierkasse vorhanden sein.
Ein weiterer Pluspunkt mag in der verstärkten Transparenz für den Endverbraucher liegen. Thomas Eigenthaler, Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft (DSTG) formulierte kürzlich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: „Es geht doch darum, dass man ehrlich und fair Steuern bezahlt. Und das Gesetz sagt, der Kunde soll in diesen Vorgang ein Stück weit miteinbezogen werden. Er soll sehen, hab ich’s denn mit einem ehrlichen Unternehmen zu tun, das verbucht, oder muss man da ein Fragezeichen machen.“6
Die Nachteile für die Umwelt
Auf die Umwelt könnte das Kassengesetz 2020 und die damit einhergehende Bonpflicht jedoch erhebliche Auswirkungen haben. Nach Berichten der „Welt" wäre man in der Lage, mit der Menge der jährlich ausgedruckten Kassenzettel 43 Fußballfelder zu bedecken. Hintereinander gelegt ergäben sie eine Länge von 2,2 Millionen Kilometern. Genug, um den Äquator 50 Mal mit Kassenbons zu umwickeln7.
Doch nicht nur die Menge an größtenteils völlig überflüssigem Papier macht Umweltschützern, Verbrauchern und Händlern zu schaffen. Aktuell ist das Thermopapier der Kassenrollen noch mit Bisphenol A (BPA) oder mit der chemisch verwandten Chemikalie Bisphenol S (BPS) beschichtet. Nach Angaben der europäischen Lebensmittelbehörde (EFSA) wird der menschliche Organismus in erster Linie über die Nahrung mit BPA belastet. An zweiter Stelle folgt Thermopapier, denn BPA gelangt auch bei Hautkontakt in den Körper. Die Chemikalie gilt durch ihre hormonähnliche Wirkung als Mitauslöser für Hoden-, Prostata- oder Brustkrebs, für Diabetes Typ 2, Übergewicht, Immunschwächen und Lebensmittelallergien8. Ab 2020 ist die Verwendung von BPA auf Thermopapier verboten. Das alternativ verwendete BPS steht allerdings ebenfalls in Verdacht, ähnlich „schädliche Wirkungen auf die Gesundheit zu haben wie BPA“, schreibt die Europäische Chemikalienagentur ECHA9.
Unverständnis auch unter der Apothekerschaft
Auf Unverständnis stößt unter Apothekern die Tatsache, dass die Belegausgabepflicht nur für rechnerunterstützte Kassensysteme oder Registrierkassen gilt10. Aber auch allgemeine Kritikpunkte wie Umweltbelastung, Mehrkosten und der anfallende Bürokratieaufwand sind ihnen ein Dorn im Auge. Die Einhaltung des Datenschutzes stellt Apotheken außerdem vor eine besondere Herausforderung. Da die Belege oft zusätzlich sensible Daten wie Name und Anschrift des Kunden enthalten, empfiehlt die ABDA daher nicht entgegengenommene Kassenzettel zu schreddern oder auf eine andere adäquate Weise zu vernichten11.
Ein Sprecher des DAV bestätigte auf Nachfrage von DAZ.online, dass aktuell geprüft werde, ob auf politischem Wege Erleichterungen für die Praxis erzielt werden können. Um welche Maßnahmen es sich handeln und in welchem zeitlichen Rahmen sich dies abspielen könnte, wurde hierbei nicht konkretisiert10.
Dass die Proteste des Einzelhandels mittlerweile politisches Gehör gefunden haben, bestätigt ein Schreiben des Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier (CDU). In diesem fordert er den dafür zuständigen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) auf, die Bonpflicht aus dem Gesetz zu streichen2.
Softwarehersteller passen ihre Angebote an
Auf die neuen Herausforderungen ab 2020 haben bereits einige Softwarehersteller reagiert. Pharmatechnik will zukünftig auf Papier verzichten und führt ab Januar 2020 den digitalen Kassenzettel ein. Dieser funktioniert in Verbindung mit der App „Meine Apotheke“ und dem Warenwirtschaftssystem IXOS. Apotheken können so ihren Kunden die Kassenzettel auf digitalem Wege in die App zukommen lassen12.
Noch ein Stück weiter in Richtung Massentauglichkeit geht „Admin“, die Software für papierloses Quittieren des Bremer IT- Unternehmens A&G. Mit der zughörigen App „Admin“ auf dem Handy des Kunden und dem integrierten neuen System auf Seiten des Händlers erfolgt die Übermittlung des digitalen Kaufbelegs mittels Nahfeldkommunikation über ein NFC-Lesegerät. Der Kunde hält sein mobiles Endgerät kurz an das Gerät und die Daten werden auch ohne mobiles Internet weitergeleitet13.
Sowohl Pharmatechnik als auch A&G setzen auf die Nachhaltigkeit und dauerhafte Verfügbarkeit des papierlosen Bons. Ressourcen würden geschont, da die Kaufbelege nicht mehr ausgedruckt werden müssten. Außerdem hätten die Kunden den in der App gespeicherten Kassenbon auf dem Handy immer griffbereit. Eine zukunftsweisende Entwicklung, wie eine Untersuchung des Marktforschungsinstituts You Gov zeigt. Diese ergab, dass ein Großteil der Kunden einen digitalen Kassenzettel per Email oder App anstelle eines ausgedruckten Belegs bevorzugen würde14.
Apotheken und Pharmabranche müssen in die digitale Zukunft investieren
Es ist also für Apotheken und die Pharmabranche an der Zeit, digitale Lösungen zu verstehen und nutzen zu lernen. Laut einer Recherche des Aliud Apothekenreports überwiegen derzeit noch die konventionellen Kontaktpunkte in der Offizin. Darüberhinausgehende digitale Möglichkeiten werden oftmals noch nicht herangezogen15. Doch die Digitalisierung beeinflusst maßgeblich das Einkaufsverhalten der Konsumenten und kann zu einer verstärkten Kundenbindung beitragen. Die Konkurrenz unter Apotheken ist besonders in den Städten groß, Drogerieketten und Supermärkte drängen auf den Markt.
So ist es vor allem bei vergleichbaren Produkten und Dienstleistungen wichtig, sich aus der Masse abzuheben. Internetauftritt, Soziale Netzwerke, Apotheken-App, digitale Frei- und Sichtwahl, virtuelle Schaufenster und tragbare Beratungs-Tablets sind zukunftsträchtige Werkzeuge die der Vorort-Apotheke helfen können, sich als innovativen und fortschrittlichen Dienstleister aufzustellen. Oder wie Dr. Tu-Lam Pham, Experte für digitale Geschäftsmodelle, E-Commerce und Social Media auf der Digitalkonferenz Vision A formulierte: „Die lokale Apothekerin vom Dorf muss zum Influencer werden.“16
Quellen anzeigen
Linda Künzig, Apothekerin mit Weiterbildungen im Bereich Homöopathie und Naturheilverfahren. Neben ihrer Tätigkeit in einer öffentlichen Apotheke unterstützt sie seit Mai 2019 die Apomio-Redaktion als freie Autorin.