Coronavirus: Impfstoffe und Medikamente in Sicht?
Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VfA) hat auf seiner Internetseite mitgeteilt, dass derzeit nicht nur Impfstoffe, sondern auch Medikamente gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 entwickelt werden.
Inhaltsverzeichnis
- Herstellerverband: Medikamente rascher als Impfstoffe
- Darum betrachten Herstellerverbände Impfstoffe als langwieriger
- Hersteller setzen auf bereits zugelassene Arzneistoffe
- Antivirale MERS- und Malariamedikamente gegen COVID-19
- Antivirale Medikamente gegen Grippe, Hepatitis und Organentzündungen
- Immunologisch wirksame Medikamente gegen COVID-19 in Testphase
- Lungenmedikamente gegen COVID-19 ebenfalls auf dem Vormarsch
- Auf welche politische Unterstützung können Entwickler zählen?
- Wie viele Infektionen gibt es bereits in Deutschland?
Herstellerverband: Medikamente rascher als Impfstoffe
Der in Deutschland tätige Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VfA) hält es für unwahrscheinlich, dass bis Ende des Jahres 2020 ein Impfstoff hergestellt werden könne, der dann für „Massenimpfungen“ zur Verfügung stünde. Schneller als ein Impfstoff, vermutet der Verband, kann möglicherweise ein Medikament gefunden werden, dass bei bereits Infizierten die Lungeninfektion COVID-19 (=„Coronavirus-Disease 2019“) rascher abklingen lässt und verhindert, dass die Lungeninfektion COVID-19 einen tödlichen Ausgang nimmt.1
Arzneimittelhersteller in Deutschland sprechen sich dafür aus, den langwierigen Zulassungs- und Studienprozess bei Medikamenten zu umgehen, um im Sinne der Patienten wertvolle Zeit zu sparen. Gemeinhin dauert der Prozess von der Idee bis zur erstmaligen Zulassung eines Medikaments im Schnitt über 13 Jahre.2
Diesen langwierigen Prozess abzukürzen gelingt laut VfA beispielsweise am besten, indem sich Ärzte, Forscher und Arzneimittelhersteller nun auf Medikamente konzentrieren, „die schon gegen eine andere Krankheit zugelassen oder zumindest in Entwicklung sind“,3 so der Vfa. Der Vorteil: Bereits vorhandene und für andere Erkrankungen entwickelte oder zugelassene Arzneistoffe müssten dem Verband zufolge nur „umfunktioniert“ werden.
Darum betrachten Herstellerverbände Impfstoffe als langwieriger
Hingegen muss ein Impfstoff zum jahre- oder lebenslangen Schutz vor dem Coronavirus zunächst einmal entwickelt, in größeren Dosen produziert und über einen Zeitraum von bis zu 17 Jahren präklinisch und klinisch getestet werden. Zwar macht die akut pandemische Situation dieses hochansteckenden Virus bislang nie dagewesenes möglich, sodass binnen weniger Wochen nach ersten Erkrankungsmeldungen erste Impfkandidaten vorlagen und die WHO von einem „frühestmöglichen Einsatz in 18 Monaten“ sprach – doch als erster großflächiger Impfzeitpunkt wäre im Rahmen einer Phase-3-Studie erst Mitte/Ende 2021 denkbar. Derzeit liegen 41 potenzielle Impfstoffe vor (Stand 21.03.2020)4, auch arbeitet das deutsche Unternehmen CureVac bereits zusammen mit dem Paul-Ehrlich-Institut an der Herstellung eines Coronavirus-Impfstoffs, der kürzlich sogar seitens US-Präsident Donald Trump angeblich abgeworben wurde.5 Doch damit Impfstoffe gegen das Coronavirus zugelassen werden, müssen sie in Studien überzeugende Daten zur Sicherheit und zur Wirksamkeit hervorbringen. Und die neuartigen RNA-Impfstoffe, die als großer Hoffnungsschimmer für das derzeitige und für künftige Coronaviren gelten, weil sie lediglich den Virus-Bauplan (mRNA) impfen und potentiell schnell verfügbar sind, kamen bislang nie bis zur Zulassung.
Hersteller setzen auf bereits zugelassene Arzneistoffe
Abseits der Frage, ob es gelingt einen Impfstoff zu finden, der unserem Körper die Oberflächenproteine des Virus bereits vorab präsentiert, müssen zahlreiche Patienten bereits jetzt gegen das krankheitslastige Virus behandelt werden. Daher stehen dem VfA-Herstellerverband zufolge aktuell drei Medikamentengruppen zur Auswahl: Antivirale Medikamente, Immunmodulatoren und spezifische Lungenmedikamente, die sich in unterschiedlichen Testphasen von Firmenauswertungen über Laborstudien bis hin zu bereits erfolgten oder laufenden klinische Studien der Phase-I bis Phase-II befinden.6 Erprobt werden und wurden einige der vom Herstellerverband vorgestellten Medikamente derzeit vielversprechend an mittleren bis schweren COVID-19-Erkrankungsformen.
Antivirale MERS- und Malariamedikamente gegen COVID-19
Die Gruppe der getesteten antiviralen Arzneimittel soll die Vermehrung der Viren eindämmen oder aber verhindern, dass diese in Zellen der Lunge eindringen. Geprüft werden demnach antivirale Medikamente, die bislang gegen Viren bei HIV, Ebola, Malaria, Grippe, Hepatitis C, SARS oder MERS eingesetzt wurden.7
Beispielsweise ist dem VfA zufolge der Wirkstoff „Remdesivir“ (Gilead Sciences) gegen Ebola-Infektionen in Laborergebnissen auch gegen MERS-Viren wirksam gewesen. Mehrere Studien erproben den Wirkstoff nun bei COVID-19. Die beiden antiviralen Malariamittel Chloroquin (Bayer) und Hydroxychloroquin (Novartis) werden derzeit gegen COVID-19 erprobt, das Malariamittel Chloroquin soll einer chinesischen Studie zufolge bereits erfolgreich gegen SARS-CoV-2 eingesetzt worden sein. Die Firma Novartis stellt bei positiver Reaktion der Arzneimittelbehörden kostenfrei 130-Millionen-Dosiseinheiten für die Behandlung von Patienten in Aussicht. Ein drittes Malariamittel mit Plaquenil (Sanofi) soll in klinischen Studien bereits wirksam bei COVID-19-Patienten gewesen sein. Auch Sanofi stellt das Medikament Patienten zur Verfügung, wenn es sich in weiteren Studien als gut angwendbar erweist.
Antivirale Medikamente gegen Grippe, Hepatitis und Organentzündungen
Das antivirale Medikament Interferon beta-1 (Merck) konnte in Laborversuchen die Virenvermehrung aufhalten und wird nun in einer französischen Studie geprüft. Sowohl das Lungenmedikament APN01 (Apeiron Biologics Wien) als auch das Bauchspeicheldrüsenmedikament Camostat-Mesilat (Dt. Primatenzentrum) hemmen das gefürchtete Virus offenbar antiviral an der Oberfläche der Lungenzellen, sodass die Viren nicht eindringen können. Beide Medikamenten blockieren dort Elemente, die die Viren benutzen, um in die Zellen der Lunge einzudringen. Der Wirkstoff Brilacidin (Innovation Pharmaceutical) lässt erwarten, dass er die äußere Hülle der Viren Sars-CoV-2 angreift. Auch der Wirkstoff „Lopinavir/Ritonavir“ gegen HIV (AbbVie) wurde nun chinesischen Forschern zur Verfügung gestellt. Außerdem läuft eine Studie, in der Patienten neben diesem Wirkstoff noch „Novaferon“ (Bejing Genova Biotech) inhalieren, das in China gegen Hepatitis B zugelassen ist. Auch eine Kombination des antiviralen Medikaments „Ritonavir“ mit dem in China gegen Hepatitis C zugelassenen antiviralen Wirkstoff „Danoprevir“ durch Ascletis Pharma läuft. Das Grippemittel Favilavir (Zhejiang Hisun Phamaceutical) mit Zulassung in China und Japan wird ebenfalls in einer klinischen Studie bei COVID-19 erprobt.8
Immunologisch wirksame Medikamente gegen COVID-19 in Testphase
Auch bereits vorhandene Immunmodulatoren, die Abwehrreaktionen unseres Körpers begrenzen, werden erprobt. Diese Medikamentenklasse begrenzt beispielsweise körpereigene Entzündungsmediatoren, Makrophagen und Fibrosierungen, damit die körpereigenen Immunreaktionen nicht mehr Schaden anrichten als die Viren selbst. Dafür nennt der VfA als Beispiel das Medikament Leronlimab. Der Antikörper-Wirkstoff der Firma CytoDyn gegen HIV und eine bestimmte Brustkrebsform soll nun in einer Phase-II-Studie gegen COVID-19 geprüft werden. Auch das immunologisch wirksame Rheumamedikament Sarilumab, ein Interleukin-6-Antagonist, wird in einer Studie durch Sanofi und Regeneron derzeit an COVID-19-Patienten geprüft. Fast denselben Wirkmechanismus zeigt das Arthritismedikament Tocilizumab, das bei schweren Lungenentzündungen durch COVID-19 durch die Firma Roche und chinesische Ärzte erprobt wird. Auch das MultipleSklerose-Medikament Fingolimod wird von chinesischen Medizinern derzeit an Patienten erprobt, ebenso wie das Cytokin-dämpfende Medikament Natriummetaarsenit demnächst durch ein südkoreanisches Unternehmen klinisch erprobt wird.
Lungenmedikamente gegen COVID-19 ebenfalls auf dem Vormarsch
Als dritte Medikamentengruppe werden spezifische Mittel für Lungenpatienten auf ihre Wirksamkeit gegen COVID-19 getestet. Ziel dieser Medikamente ist es, dass die Lunge der Patienten trotz des Befalls mit SARS-CoV-2 noch genügend Sauerstoff ins Blut transportiert.9
Auf welche politische Unterstützung können Entwickler zählen?
Damit das Coronavirus bestmöglich bekämpft wird, hat der Haushaltsausschuss des Bundestages am 11. März insgesamt 145 Millionen Euro Forschungsgelder bereitgestellt. Hauptsächlich soll damit die Impfstoff-Initiative CEPI unterstützt werden. Auch sollen die Gelder in die Entwicklung neuer Medikamente gegen das Virus – hauptsächlich durch bereits anderweitig zugelassene Medikamente – und in die Grundlagenforschung fließen, damit der Erreger und die Übertragung besser verstanden wird.10
Wie viele Infektionen gibt es bereits in Deutschland?
Die Zahl der Todesfälle und bestätigter Infektionen in Deutschland wächst dynamisch und wird durch den Tagesspiegel-Ticker und das Robert Koch-Institut unterschiedlich beziffert. Zum Tragen kommen unterschiedliche Hochrechnungszeitpunkte der beiden Informationsportale. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts, waren in der Nacht zum 22. März noch 18.610 Menschen infiziert und 55 Menschen mit bestätigter COVID-19-Infektion verstorben (22.03.2020, 0 Uhr).11 Laut Tagesspiegel-Ticker waren hingegen 23.974 Menschen infiziert und 92 Menschen an COVID-19 verstorben (22.03.2020, 19 Uhr).12
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Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.