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Gesundheitsminister mit Thesen: Ist Krebs in 10 bis 20 Jahren besiegbar?

Kommentar schreiben Mittwoch, 20. März 2019

Unumstritten war die These von Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU), dass Krebs in gut 10 bis 20 Jahren besiegt werden könne, eine gewagte Prognose. Unzweifelhaft ist, dass die These des Gesundheitspolitikers primär einen politischen Impetus verfolgte. Betroffene, Experten und Verbände relativierten die These postwendend. Experten halten einen Krebsfortschritt in den nächsten Jahrzehnten allerdings für beflügelbar, wenn den politischen Aussagen der nötige Aktionismus folgt.

 

Der Kontext der umstrittenen Krebsthese

 

Vor eineinhalb Monaten hatte die Bundesregierung gemeinsam mit der Krebshilfe und dem Deutschen Krebsforschungszentrum die „Nationale Dekade gegen Krebs“ ausgerufen. Im Zuge dieser ausgerufenen Dekade sollen Erkenntnisse aus der Patientenversorgung, Forschungsergebnisse und Gelder besser miteinander verzahnt werden. Ziel der Dekade ist es, einen Fortschritt hinsichtlich Diagnose, Prävention und Therapie von Krebs zu befördern. Dazu sollen in den kommenden 10 Jahren 62 Millionen Forschungsgelder mobilisiert werden. Wie die bessere Verzahnung von Forschung und Versorgung im Zuge der „Krebsdekade“ aussehen solle, gab Jens Spahn am 29. Januar auf einer Bundespressekonferenz wieder: „Wir wollen an Ursachen arbeiten. Chronische Entzündungen stehen vielfach in Verbindung mit Krebs. Diese Verbindung frühzeitig zu erkennen und medikamentös behandeln zu können, ist ein Ziel“ sagte der CDU-Politiker.

 

Die These im Fokus

 

Am 1. Februar 2019 publizierte die Rheinische Post (RP) Aussagen des Bundesgesundheitsminister gegenüber der Redaktion zu zukünftigen Krebsrisiken: „Es gibt gute Chancen, dass wir in 10 bis 20 Jahren den Krebs besiegt haben“, äußerte sich der Politiker gegenüber der RP. Weiter äußerte sich der Gesundheitsminister gegenüber der Zeitung: „Der medizinische Fortschritt ist immens, die Forschung vielversprechend. Und wir wissen deutlich mehr.“ In Deutschland zählt Krebs nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen zur zweithäufigsten Todesursache. Es sterben jährlich rund 200.000 Menschen an Krebs, während 500.000 jährliche Neuerkrankungen auftreten.

 

Bundesgesundheitsminister: Präventivschlag gegen Krebs nutzen

 

Besonders auf Präventiverfolge zielten die Äußerungen des Gesundheitsministers Jens Spahn auf der Bundespressekonferenz ab: „Ein Drittel der Krebsfälle wären vermeidbar, das wissen wir aus Studien", äußerte sich Spahn auf der Konferenz am 29. Januar. In einem ebenso umstrittenen Twitter-Tweed hatte Spahn wenige Tage nach seiner umstrittenen Äußerung sogar zum Präventivschlag gegen Krebs ausgerufen: „Jeder kann seinen persönlichen Kampf gegen Krebs heute beginnen. Wie? So: Nicht (mehr) rauchen, sich mehr bewegen, gesund ernähren und die Haut vor UV-Strahlung schützen (Sonnencreme)!“ twitterte der CDU-Politiker optimistisch.

Diese Perspektive stieß betroffenen Krebspatienten, Medizinern und Krebsvereinigungen übel auf. Mit den Worten von Carsten Bokemeyer gegenüber Tagesspiegel.de sei dies zweifelhaft. Der Direktor des Krebszentrums Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sagte bezogen auf Spahns Krebsthese, Krebs sei auch „eine Geißel der Menschheit, die in den Zellen angelegt ist“. Bei der Krebsbehandlung liege das Problem in der Resistenzfähigkeit von Krebszellen: „Krebszellen entwickeln mit jeder neuen Therapie Mechanismen, um sich gegen den Angriff auf sie zu wehren“, sagte Bokemeyer gegenüber dem Onlineauftritt des Tagesspiegels.

Auch Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe, bremst die hoffnungsvollen Erwartungen, die Spahns Äußerungen wecken: „Die heutigen Erkenntnisse und Therapiemöglichkeiten zu den zahlreichen verschiedenen Krebserkrankungen sind sehr unterschiedlich“, äußerte sich Nettekoven gegenüber apomio. „Bei Bauchspeicheldrüsenkrebs und Hirntumoren sind beispielsweise die Heilungschancen bisher nur sehr gering. Wir wissen noch zu wenig über die Entstehungsmechanismen dieser Tumorarten“, gibt der Krebshilfe-Vorstandsvorsitzende zu bedenken. Nettekoven äußerte jedoch verhaltene Hoffnung, dass durch die finanziellen Mittel und Ziele der Krebsdekade „die Möglichkeiten der Krebsprävention erheblich besser genutzt werden“ können als bisher. Dann seien erhebliche Fortschritte in der Krebsbekämpfung in den nächsten 10 bis 20 Jahren zumindest „denkbar“, so Nettekoven.

 

DKFZ: Lifestyle-bezogene Krebsrisiken bei 37 Prozent

 

Betrachtet man jüngste Zahlen des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) aus einem Krebsbericht Ende 2018, müsste dem Minister zwar theoretisch Recht gegeben werden. Denn einer Erhebung des DKFZ nach seien 37 Prozent der Krebserkrankungen auf vermeidbare Risiken wie Rauchen und Übergewicht zurückzuführen. Der Bericht zur Krebslast des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg hatte 2018 erstmals die Frage beantwortet, wie viele aufgetretene Krebsfälle hierzulande theoretisch hätten vermieden werden können. Bei 440.000 Neuerkrankungen der Altersgruppe 35 bis 84 Jahre wurden 165.000 Krebserkrankungen untersuchten Risikofaktoren zugeschrieben. Anders ausgedrückt: Von fünf Erkrankungen hätten zwei – theoretisch – verhindert werden können.

Doch der Mehrzahl an Krebsfällen (63 Prozent) können keinerlei Lifestyle Faktoren zulasten gelegt werden. Hinzu kommt, dass das Auftreten einer Krebserkrankung dennoch schwer von genetischen Zellursachen getrennt werden kann. Ohnehin ringen Betroffene Krebspatienten und ihre Familie nach einer Diagnose häufig mit Schulgefühlen und unsensiblen Vorurteilen der Umgebung. Insofern sind Äußerungen in Bezug auf vermeidbare Krebsrisiken und zukünftige Krebschancen eines Gesundheitsministers durchaus irritierend.

 

https://rp-online.de/politik/deutschland/jens-spahn-sieht-gute-chancen-dass-krebs-in-20-jahren-besiegt-ist_aid-36306455

 

https://www.presseportal.de/pm/30621/4181480

 

https://www.bibliomedmanager.de/news-des-tages/detailansicht/37321-spahn-und-karliczek-wollen-forschung-und-versorgung-besser-verzahnen/

 

http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/krebs-in-deutschland-so-viele-faelle-waeren-vermeidbar-a-1225561.html

 

https://www.aerzteblatt.de/archiv/199679"

 

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Maria Köpf
Autor: Maria Köpf

Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.

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