Health-Experte überzeugt: „Apotheken müssen digitaler werden“
Die Digitalisierung ist längst nicht mehr von Vor-Ort-Apotheken zu trennen. Wie können Digitalisierung und Künstliche Intelligenz Vor-Ort-Apotheken noch besser unterstützen?
Beim Thema Kommissionierer finden sich zwar sicherlich geteilte Meinungen – schließlich war der Gang zum Medikamentenfach eine gute Möglichkeit, die Medikation länger zu überdenken oder Patienten zu beruhigen – doch auch hier sehen viele die Vorteile der Künstlichen Intelligenz. Apothekensoftware, Gesundheitsapps, Kommissionierer & Co helfen dem Apothekenpersonal, noch stärker beim Patienten zu bleiben und umfassender auf Begleitinformationen zu achten, die möglicherweise in der Masse der Informationen untergehen könnten. Der digitale Wechselwirkungscheck per Klick oder auch Drop-In, die Erfüllung von Rabattverträgen, die Importartikelsuche oder das gesamte Bestellwesen im Hintergrund von Offizinen – nichts läuft mehr ohne perfekt abgestimmte Software.
Inhaltsverzeichnis
- Längst haben Computer, Software und Hardware bei Vor-Ort-Apotheken Einzug gehalten
- Experte Maximilian Wilke: „Digital sein bedeutet nicht nur, Onlinewerbung zu schalten!“
- „Digitale Software kann Apothekenmitarbeiter perfekt ergänzen“
- Kunden bevorzugen leibhaftige Menschen statt Programme
- Die Vor-Ort-Apotheke der Zukunft vernetzt sich mit Kunden als „Omni-Channel-Player“
- Die Apothekenplattformen vernetzen sich zusehends
- Herausragende Apotheken-Plattform-Konzepte für Vor-Ort-Apotheken
- Die Digitalisierung in Europa schreitet zusehends voran
- Das Segment „Digital Health“ wächst derzeit rasant
- Europäische Gesundheitsdienstleistungen müssen zügig vereinheitlicht werden
- Die Vorteile für den EU-Bürger im Blick behalten
Längst haben Computer, Software und Hardware bei Vor-Ort-Apotheken Einzug gehalten
Es gibt bereits viele Möglichkeiten zur digitalen Förderung von Vor-Ort-Apotheken. Dass der digitale Wandel Apotheken massiv fördern kann, ist auch Maximilian Wilke ein großes Anliegen. Er ist Startup-Unternehmer der App „whats in my meds“ und Inhaber der vitalfunktion GmbH: „Selbst bei der Interaktion mit den Patienten kommen schon heute zahlreiche digitale Tools zum Einsatz. Zum Beispiel kommen Vorbestell-Apps, Wechselwirkungs-Checks oder klassische Webpräsenzen zum Einsatz, damit Apotheken besser interagieren können“, bekräftigt Wilke im Gespräch mit apomio.1
Experte Maximilian Wilke: „Digital sein bedeutet nicht nur, Onlinewerbung zu schalten!“
Viele Apotheken seien sich aber noch nicht bewusst, dass digital sein nicht nur bedeutet, Onlinewerbung zu schalten. „Ein Punkt, bei dem Apotheken allerdings noch besser werden können, ist der stärkere Einsatz digitaler Tools im Alltag“, findet der approbierte Apotheker und fügt hierzu ein gutes Beispiel ins Feld: „Etwa eine Beratungssoftware zum Thema Unverträglichkeiten, die gezielt in einer Apotheke eingesetzt wird“.2 Häufig würden sich betroffene Patienten dank eigener Recherche bereits selbst gut bei Unverträglichkeiten auskennen. Glänze ein Mitarbeiter vor einem solchen Patienten mit Halbwissen, hinterließe dies jedoch einen schlechten Eindruck.
„Digitale Software kann Apothekenmitarbeiter perfekt ergänzen“
„Hier können Software und Künstliche Intelligenz helfen, apothekerliches Fachwissen zu untermauern“, ergänzt der Start-Up-Unternehmer.3 Auch dass im Rahmen der Digitalisierung die Arbeitsplätze in Vor-Ort-Apotheken sinken, glaubt Maximilian Wilke nicht: „Im Gegenteil – ich bin überzeugt, dass die Arbeitsplätze in Apotheken mit fortschreitender Digitalisierung eher noch steigen. Die Menschen suchen in einer zusehends anonymeren Digitalwelt Kontakte zu empathischen Fachpersonen“, betont er.4
Kunden bevorzugen leibhaftige Menschen statt Programme
Niemand wolle sich einer künstlichen Intelligenz oder einem Algorithmus aussetzen. Längst würden viele Apotheken ihre Prozesse bereits volldigitalisiert haben. „Viele Apotheken nutzen bereits digitale Vorbestell-Apps. Ein Klick reicht aus und in der Apotheke geht eine Bestellung ein. Wenige Stunden später kann der Patient das Medikament abholen oder erhält es geliefert“, erläutert der Inhaber der vitalfunktion GmbH aus Berlin den Trend heutiger Vor-Ort-Apotheken.5 Dies würde in dieser Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit keine Versandapotheke schaffen.
Die Vor-Ort-Apotheke der Zukunft vernetzt sich mit Kunden als „Omni-Channel-Player“
Dass Apotheken digitale Plattformen oder Apps zwingend benötigen, um Umsätze aus dem Versandhandel an sich zu binden, ist tatsächlich bekannt. Laut ABDA beträgt der Marktanteil des Versandhandels in Deutschland bei rezeptfreien Arzneimitteln bereits knapp ein Fünftel, genauer: 16,4 Prozent. Dies machte im Jahr 2019 insgesamt 1,537 Milliarden Euro Umsatz aus.6 Doch wie müsste eine Plattform für Apotheken gestaltet sein, um möglichst viele Kunden anzuziehen? Laut Handelsblatt geht es bei dem Kampf um die meisten Nutzer digitaler Angebote von Vor-Ort-Apotheken darum, dass Apothekenplattformen viele Verkäufer und Käufer auf ihre Seite locken.7
Die Apothekenplattformen vernetzen sich zusehends
So sagte Clemens Oberhammer von Simon-Kucher und Partners Anfang 2020 gegenüber dem Handelsblatt, dass besonders Versandapotheken auf der Käuferseite und Großhändler auf der Verkäuferseite einen Wettbewerbsvorteil hätten.8 Inzwischen versucht der Versandhändler Doc Morris etwa, eine Kooperation mit Vor-Ort-Apotheken anzustreben, die besonders viele Käufer verzeichnen. Oberhammer sieht bereits einen Wettbewerb mehrerer Apothekenplattformen voraus.9 Noch würden sich am Markt der Apothekenplattformen diverse ähnliche Angebote zeigen, die miteinander konkurrieren. Sie alle nützten das Prinzip des „Omnichannels“, bei dem Kunden über mehrere Kanäle erreicht werden.10
Herausragende Apotheken-Plattform-Konzepte für Vor-Ort-Apotheken
Unter digitalen Apothekenplattformen und Apotheken-Apps, die bereits deutlich aus einer Vielzahl an Angeboten herausstechen, fallen insbesondere die ProAvO als Initiative für Apotheken vor Ort, die Plattform „ihreapotheken.de“ und die App „Deine Apotheke“ heraus:
- Die Kooperation ProAvO, die von fünf Großhändlern, Verlagen und Apothekengenossenschaften initiiert wurde (u.a. Gehe, Noventi, Sanacorp und der Wort & Bild-Verlagsgruppe), möchte die Vor-Ort-Apotheken miteinander vernetzen und ihnen digitale Lösungen wie eine gemeinsame Apotheken-Plattform anbieten. Als digitale Konkurrenz zu den ausländischen Versandapotheken.11
- Anders agiert der Pharmagroßhändler Noweda gemeinsam mit dem Großverlag Burda. Der Verlag kaufte im Jahr 2019 eigens die Plattform Netdoktor mit knapp 10 Millionen Nutzern. Die Noweda-Burda-Netdoktor-Kooperation verlinkt auf ihreapotheken.de, um Apothekenkunden zu gewinnen.12
- Phoenix, der größte Großhändler in Deutschland, kooperiert hingegen mit Payback. Durch das Bonussystem, das laut Handelsblatt bereits knapp 2,5 Millionen Käufer in Apothekenkooperationen nutzen. Dadurch lenkt der Pharmahändler erfolgreich viele Kunden auf seine App „Deine Apotheke“.13 Im Februar 2020 hatte das Portal ApothekeAdhoc berichtet, dass der daraus resultieren Umsatz bei Phoenix um 23 Prozent auf 156,8 Millionen Euro gestiegen war.14 Eins ist laut Apothekenexperte Maximilian Wilke jedoch klar: „Apotheken, die sich der Digitalisierung widersetzen, wird es über kurz oder lang nicht mehr geben.“15
Die Digitalisierung in Europa schreitet zusehends voran
In anderen Ländern der EU mag die Digitalisierung in Einzelfällen bereits weiter sein als in Deutschland. Etwa in Estland konnte Anfang 2019 bereits der erste Patient ein finnisches Arzneimittelrezept einlösen. Doch beim Thema Digitalisierung stellt sich insbesondere die Frage nach dem „Quo vadis?“
Schon die Ära Doc Morris und die Corona-Pandemie haben diverse Prozesse auf dem deutschen Arzneimittelmarkt angestoßen. Grundsätzlich müssen alle Gesundheitsdienstleister die Patienten beziehungsweise Kunden im Blick behalten. Ihre Bedürfnisse sind nicht immer deckungsgleich mit denen der Apothekeninhaber, Apothekengenossenschaften und Versandapotheken. Der Kunde bevorzugt prinzipiell digitale Innovationen, die das Leben erleichtern und seine Gesundheit fördern. Freilich möchte er auch an günstigen Arzneimitteln partizipieren. Zuletzt möchte er selbstbestimmt entscheiden, wo sein Rezept eingelöst wird und mit wem er seine Daten teilt.
Das Segment „Digital Health“ wächst derzeit rasant
Inzwischen kommen immer mehr Technologie-Konzerne mit digitalen Gesundheitsangeboten auf den Markt. Die Telemedizin, Gesundheitsapps und Patientendatenapps oder das Contact Tracing sind nur Vorreiter dessen, was künftig möglich sein wird. Spätestens mit 2022 wird auch das E-Rezept nach Deutschland kommen. Das Marktvolumen im Bereich Digital Health beträgt laut der Unternehmensberatung Berger für das Jahr 2025 geschätzte 155 Milliarden Euro.16 In Deutschland beträgt das Digital-Health-Volumen in knapp 5 Jahren laut der Berger-Studie knapp 35 Milliarden Euro.17 Das zeigt ein enormes Wachstumspotenzial im digitalen Gesundheitssektor.
Europäische Gesundheitsdienstleistungen müssen zügig vereinheitlicht werden
Zwischen den USA und China ist längst ein Kampf der Tech-Giganten um enorme Datenmengen zur Erforschung neuer Therapien entbrannt. Das hatte der Tagesspiegel Background in einem Leitartikel vor knapp 6 Monaten betont.18 Auch in Europa könnten die Daten von knapp 500 Millionen Menschen etwa zur Erforschung von Krebs und Demenz genutzt werden. Die Nutzung der Gesundheitsdaten von Millionen EU-Bürgern wäre essentiell, um mit China und den USA mithalten zu können.19
Die Vorteile für den EU-Bürger im Blick behalten
Für den Bürger bringt die Vernetzung und Erforschung von Gesundheitsdaten letztlich eine bessere Gesundheitsversorgung. Künftig könnten beispielsweise italienische Ärzte bei einer plötzlichen Urlaubserkrankung in der e-Akte die lebenswichtigen Gesundheitsdaten von EU-Bürgern orten. Doch bis dahin ist es noch längerer Weg. In den nächsten 2 Jahren müssten europäische Gesundheitsdienstleistungen rund um die E-Akte, Gesundheitsapps, Telemedizin, E-Rezepte und ärztliche Dienstleistungen stärker vereinheitlicht werden. Dafür braucht es europäischer, einheitlicher Gesundheitsgesetze und strikter Regularien für den Datenschutz. Diese bestimmen die Leitplanken für die freiwillige Datenspende (Stichwort: europäischer Health Data Space) und den Umgang deutscher Bürger mit Gesundheitsangeboten von Ärzten, Apotheken, Therapeuten und Krankenhäusern.
Quellen anzeigen
Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.