© Josep M? Suria

Iberogast: von der Volks-Arznei zu einer medicina non grata?

Kommentar schreiben Dienstag, 20. August 2019

Iberogast und dessen mögliche Nebenwirkungen sind wieder in aller Munde und die Verunsicherung wächst weiter. Ist die Empfehlung zur Selbstmedikation noch vertretbar? Oder erfährt Iberogast ein ähnliches Schicksal wie Umckaloabo, das durch den Verdacht der Leberschädigung zeitweilig herbe Umsatzverluste verbuchen musste?

 

Googelte man in den vergangenen Wochen den Begriff „Iberogast“ schien es kaum ein Medium zu geben, dass sich nicht dem Magen-Darmmittel angenommen hatte. Selbst die Boulevardpresse widmete sich den aktuellen Entwicklungen und während die Bild-Zeitung fragte “Iberogast: wie giftig ist Schöllkraut?“, erschien auf bunte.de: "Nach To-desfall: Iberogast: wie gefährlich ist das umstrittene pflanzliche Arzneimittel?“

 

Doch wie konnte es soweit kommen?

 

Ende der 1950er Jahre entwickelte der Arzneimittelhersteller Steigerwald das aus neun Pflanzenextrakten bestehende Magenmittel Iberogast. Eine der enthaltenen Arzneipflanzen: das alkaloidhaltige Schöllkraut  dessen Inhaltsstoff Chelidonin unter anderem schwach beruhigend und krampflösend auf Darm und Gallenblase wirkt.

Auch nach der Übernahme durch Bayer im Jahr 2013 blieb die Zusammensetzung bis heute unverändert. Laut eigener Aussage handelt es sich bei Iberogast um das „weltweit bestdokumentierte pflanzliche Arzneimittel gegen Verdauungsbeschwerden“.

 

Doch bereits im Jahr 1998 berichtete die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzte-schaft (AkdÄ) über Hepatitis-Fälle nach Anwendung eines Schöllkrautextraktes.

2002 legte sie im Deutschen Ärzteblatt einen Bericht vor, der schwere Leberschäden unter Chelidonium dokumentierte. Von einer Anwendung schöllkrauthaltiger Extrakte werde daher abgeraten, zumal gültige Wirksamkeitsnachweise ausstünden und die Daten-lage äußerst dürftig sei.

Im Jahr 2008 wurde von Seiten des deutschen Bundesinstituts für Arzneimittel und Me-dizinprodukte (BfArM) ebenfalls die leberschädigende Wirkung des enthaltenen Schöllkrauts diskutiert. Hintergrund waren 48 gemeldete Verdachtsfälle von Leberschädigungen die im Zusammenhang mit der Einnahme von schöllkrauthaltigen Präparaten beobachtet wurden.         

                       

Die Folgen

                                                                                                                                                                                   Als Konsequenz folgte die Einleitung eines Stufenplanverfahrens infolge dessen alle Arzneimittel mit einem Alkaloidgehalt über 2,5 Milligramm (Gesamtalkaloide als Chelidonin berechnet) pro Tagesdosis ihre Zulassung verloren. Für Präparate mit einem niedrigeren Alkaloidgehalt mussten entsprechende Warnhinweise in die Gebrauchsanweisungen aufgenommen werden. Darunter fielen unter anderem eine entsprechende Anmerkung im Passus „Nebenwirkungen“, Gegenanzeigen bei bestehenden oder voraus-gegangenen Lebererkrankungen, die gleichzeitige Einnahme leberschädigender Arzneimittel sowie eine Schwangerschaft. Außerdem sollten bei einer Anwendungsdauer von mehr als 4 Wochen die Leberfunktionswerte (Transaminasen) kontrolliert werden.

 

Weleda leistete diesen Anweisungen folge und passte die Informationen seiner schöllkrauthaltigen Arzneimittel Chelidonium comp  und Choleodoron  entsprechend an, ebenso der Arzneimittelhersteller Hanosan bei seinem Präparat HanoHepan . Lediglich der damalige Iberogast-Produzent Steigerwald weigerte sich entsprechende Anpassungen vorzunehmen und legte Widerspruch ein. Das BfArM reagierte zunächst nicht. Da die Dokumentation bei nur 14 der 48 berichteten Nebenwirkungsfälle ausführlich genug war, beschloss die Behörde zunächst weitere Meldungen zu sammeln um einer möglichen gerichtlichen Auseinandersetzung standhalten zu können.

 

Erst im Jahr 2017 schien die Datenlage ausreichend und das BfArM konnte den bis da-hin ruhenden Widerspruch zurückweisen. Bayer klagte, so dass der Fall vor Gericht entschieden werden sollte. Noch im Januar 2018 äußerte sich Bayer auf Anfrage der DAZ.online, dass der zur Iberogast-Herstellung verwendete Schöllkrautextrakt nur geringe Mengen Alkaloide enthalte. Bei einer empfohlenen Tagesdosis von drei mal täglich 20 Tropfen würden lediglich 0,3 Milligramm Schöllkraut-Alkaloide aufgenommen werden. Eine Anpassung der aktuellen Patienten- und Fachinformationen bezüglich der Einnahme von Schöllkraut sei derzeit nicht angedacht. Es lägen auch keine neuen Fakten vor, so dass sich die Sach- bzw. Beurteilungslage von Iberogast nicht verändert habe. Das Nutzen-Risikoprofil des Arzneimittels bleibe unverändert positiv.

 

Umdenken bei Bayer 

 

Ende 2018 dann die Kehrtwende: Bayer änderte seine Gebrauchsanweisung bezüglich der geforderten Warnhinweise. Tragischer Hintergrund war der Tod einer Patientin Mitte 2018, die augenscheinlich zuvor Iberogast eingenommen hatte, ein Leberversagen erlitt und an den Komplikationen einer daraus resultierenden Lebertransplantation gestorben war. Bayer verwies in einer Stellungnahme drauf, dass bei der Betroffenen Vorerkrankungen bekannt seinen, die für den Krankheitsverlauf relevant sein könnten. Umfangreiche Auswertung ließen den Schluss zu, dass es sich im beschriebenen Fall um eine idiosynkratische Reaktion handle - „eine äußerst seltene, dosisunabhängige Reaktion auf Substanzen, die in der Regel von Menschen sicher toleriert werden“. Da Bayer erst nach dem tragischen Vorfall entsprechende Hinweise in die Gebrauchsanweisung aufnehmen lies, ermittelt seit Ende Juli 2019 die Staatsanwaltschaft Köln. Laut Apotheke-adhoc wendete sich Bayer mit einem Schreiben an die Apotheken das Entwarnung gab. Das Verfahren wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung richte sich aktuell noch gegen unbekannt. 

 

Die gerichtliche Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit der angeordneten Textänderungen ist laut Recherchen von Medwatch indes noch nicht vom Tisch. Äußern wollte sich der Pharmariese auf diesbezügliche Nachfragen nicht.  Es bleibt also die Frage offen warum Bayer an der Weiterführung des Klageverfahrens nach wie vor festhält, während andere Hersteller die Forderungen des BfArM bereits 2008 anstandslos umsetzten.

Es sei dahin gestellt, ob ein solches Vorgehen für das Vertrauen in die Marke „Iberogast“ wirklich förderlich ist. Die pharmazeutischen Gegenanzeigen mögen nur einen kleinen Teil der potenziellen Anwender betreffen, die moralischen Gründe die gegen eine Anwendung von Iberogast sprechen, könnten für die ganze Zielgruppe von Bedeutung sein.

 

 

 

Quellenangabe (Stand: 12.08.2019):

https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail//umckaloabo-ist-zurueck-schwabe-otc-phyto-apotheke-spitzner-wick-grippostad/

https://www.bild.de/bild-plus/ratgeber/2019/ratgeber/iberogast-wie-giftig-ist-schoellkraut-63463088,view=conversionToLogin.bild.html

https://www.bunte.de/fitness/gesundheit/nach-todesfall-iberogast-wie-gefaehrlich-ist-das-umstrittene-pflanzliche-arzneimittel.html

https://www.iberogast.de/infocenter/faq/

Das große Buch der Heilpflanzen, Apotheker M. Pahloew, Bechtermünzverlag 2000

https://www.aerzteblatt.de/archiv/14016/Arznei%C2%ADmittel%C2%ADkommission-der-deutschen-Aerzteschaft-Aus-der-UAW-Datenbank-der-AkdAe

https://www.aerzteblatt.de/archiv/34606/Mitteilungen-Aus-der-UAW-Datenbank

https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RV_STP/s-z/schoellkraut.html

https://www.gelbe-liste.de/produkte/Chelidonium-comp-Weleda-Dilution_462109/fachinformation

Gebrauchsinformation Choleodoron

https://www.hanosan.de/produkte.aspx?productId=154

https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2018/01/24/leber-warnhinweise-zu-iberogast-angeordnet/chapter:2

https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/markt/iberogast-bericht-bayer-schreibt-an-apotheker-stellungnahme/?tx_aponews_newsdetail%5B%40widget_4%5D%5BcurrentPage%5D=3&tx_aponews_newsdetail%5B%40widget_4%5D%5BitemsPerPage%5D=1&cHash=105cc4205ab162322b861d207e75f869

https://medwatch.de/2019/08/06/auch-nach-todesfall-bayer-kaempft-weiter-gegen-warnhinweise-fuer-iberogast/

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Linda Künzig
Autor: Linda Künzig

Linda Künzig, Apothekerin mit Weiterbildungen im Bereich Homöopathie und Naturheilverfahren. Neben ihrer Tätigkeit in einer öffentlichen Apotheke unterstützt sie seit Mai 2019 die Apomio-Redaktion als freie Autorin.

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