Impfstoff-Update: Sputnik V ˗ Was ist dran am vielversprechenden Impfstoff?
Der russische Impfstoff Sputnik V (Vakzin Gam-COVID-Vac) wurde weltweit als erstes Vakzin an einer größeren Zahl gesunder Menschen eingesetzt. Dafür erhielt es als erstes Präparat während der Corona-Pandemie eine vorläufige Zulassung. Dieser zeigte sich bei über 20.000 Menschen überaus verträglich, soll zu 91,6 % wirken und bei allen Altersgruppen einsetzbar sein.1 Die Macher der jetzt im Lancet veröffentlichten Interimsanalyse äußern sich ausgesprochen positiv über das Vakzin. Dabei bleiben Experten skeptisch.2 Warum das so ist, verrät unser Blick hinter die Kulissen.
Inhaltsverzeichnis
Um welchen Impfstoff handelt es sich bei Sputnik V?
Was wissen wir über die tatsächliche Wirkung von Vektorimpfstoffen?
Woraus besteht der russische Impfstoff Sputnik V?
Wird es eine Zulassung für Sputnik V in Deutschland geben?
Wie hoch ist die Wirkung des Impfstoffes Sputnik V? Was kann der Impfstoff?
Wie hoch stehen die Chancen für eine Zulassung von Sputnik V in Europa?
Um welchen Impfstoff handelt es sich bei Sputnik V?
Gam-COVID-Vac (sog. Sputnik V) ist wie der britische AstraZeneca-Impfstoff AZD1222 und wie der Johnson&Johnson ein adenovirus-basierter Vektorimpfstoff. Das Vakzin wurde am Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie entwickelt.3 Bei ihm werden Adenoviren genetisch so präpariert, dass sie sich im menschlichen Körper nicht mehr vermehren können. Für den russischen Gam-VOVID-Vac wird bei der ersten Injektion humanes Adenovirus 5 verwendet. Bei der zweiten Teilimpfung ist stattdessen humanes Adenovirus 26 der Träger für die Zellinformation.4 Ein recht innovatives Verfahren innerhalb der biotechnologischen Entwicklungen in den letzten Jahren.
Was wissen wir über die tatsächliche Wirkung von Vektorimpfstoffen?
Bislang wurden erst gegen Ebola und gegen das Dengue-Virus vektorbasierte Impfstoffe zugelassen und eingesetzt. Ihr Einsatz war bislang sehr dünn. Die meisten üblichen Impfstoffe gelangen nicht in den Zellkern, das ist bei den gegen neuere Erkrankungen eingesetzten Vakzinen anders. Auf der anderen Seite sehen Virologen keine langfristigen Risiken. Zwar werde DNA eines Adenovirus laut seit Jahren bekannten Studien durchaus zufällig in die Wirts-DNA integriert. Diese spontane Integration von Virus-DNA in die Wirtszelle nennt sich heterologe Rekombination. Doch ist die Integrationsrate äußerst gering. In einem Artikel von Wissenschaftsjournalist Frederik Jötten auf Spektrum.de sagt ein Professor für virale Immunbiologie der Universität Zürich, ihn würde das nervös machen – Krebs könnte ein Langzeitschaden sein.5 Ein anderer Experte, Stefan Kochanek von der Abteilung Gentherapie am Uniklinikum Ulm, würde sich den AstraZeneca-Impfstoff bedenkenlos verabreichen.6 Schließlich haben Menschen ihm zufolge regelmäßig Adenovirus-Erkältungen und Adenovirus-Augeninfektionen.7 Und aus jahrelanger Forschung sei keine Tumorfolge bekannt, zumal Krebs in der Einstichstelle in Muskelzellen äußerst selten sei und das Immunsystem falsch ins menschliche Genom eingebaute Adenovirus-Gene „sehr wahrscheinlich“ nach einigen Wochen zerstöre.8
Woraus besteht der russische Impfstoff Sputnik V?
Das Vakzin basiert auf zwei verschiedenen humanen Adenoviren, dem Adenovirus 5 (rAd5) für die Boostimpfung und dem Adenovirus 26 (rAd26) für die Erstimpfung.9 Die beiden Adenoviren wurden rekombinant, also künstlich mittels gentechnischer Verfahren hergestellt. Sie schleusen als Vektoren bzw. “Genfähren” das Gen für das Spikeprotein in die Muskelzellen der Einstichstelle.10 Der Einsatz von zwei unterschiedlichen Adenoviren ist in der Biotechnologie ein neueres Verfahren. In Bezug auf den Imfpstoffcharakter selbst sind zwei verschiedene Adenoviren-Dosen insofern interessant als dass die unterschiedlichen Vektoren eventuell eine immunologische Reaktion auf die Adenoviren besser umgehen. Das Immunsystem kann auch gegen Adenoviren Antikörper bilden. Bei einer zweiten Impfung ist möglicherweise die Wirkung der Impfung abgeschwächt, wenn der Körper die Adenoviren bekämpft, bevor sie die Zielzellen erreichen können. Durch einen anderen Typ des Adenovirus bei der Zweitimpfung bleibt der Boostereffekt erhalten. Das könnte die höhere Effektivität von 92 % des russischen Kandidaten im Vergleich zum Präparat von AstraZeneca mit nur 62 % erklären.
Wird es eine Zulassung für Sputnik V in Deutschland geben?
Dr. Rolf Hömke, Forschungssprecher des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller in Berlin, entgegnet auf den innovativen Charakter des russischen Impfstoffs jedoch relativierend: “Das in der Impfstoffforschung schon länger diskutierte Prinzip wurde bereits bei einer Ebola-Impfung eingesetzt, die das Unternehmen Janssen anbietet, mit einem Adeno- und einem verkrüppelten Pockenvirus. Es ist somit bei den russischen Entwicklern von Sputnik V nicht zum ersten Mal eingesetzt worden.”11
Der Experte für Medizin, Forschung, Biotechnologie und Arzneimittelsicherheit beim vfa ist noch zurückhaltend in Bezug auf die Zulassung des russischen Impfstoffs in Europa: “Es bleibt abzuwarten, wann der russische Staatsfonds RDIF sämtliche erforderlichen Unterlagen für die Beurteilung bei der EMA einreicht. Verwirrend ist insbesondere, dass der Fonds erklärt hat, er habe bereits die Zulassung für Gam-COVID-Vac bei der EMA beantragt”, sagt Dr. Rolf Hömke.12 Bis heute sei laut der EMA keinerlei Zulassungsantrag eingelangt: “Das sind an dieser Stelle etwas verwirrende Informationen seitens der russischen Entwickler”, betont Hömke im Gespräch mit apomio.13 Wünschenswert wäre insbesondere, mehr belastbare Details zum Impfstoff und zu den Studienergebnissen zu erhalten, als die Zusammenfassung im Lancet geliefert habe.
Wie hoch ist die Wirkung des Impfstoffes Sputnik V? Was kann der Impfstoff?
Das russische Vakzin Gam-VOVID-Vac bzw. Sputnik V zeigt laut einer Interimsanalyse der laufenden Phase-III-Studie in allen Altersgruppen „eine Wirksamkeit von 91,6 % gegen COVID-19“.14 Es sei überaus gut vertragen worden. Die Verfasser*innen der im Lancet Zwischenanalyse sind ein Autorenteam aus 30 russischen Wissenschaftler*innen um den russischen Erstautor Dr. Denis Y. Logunov (Dsc).15 Sie attestieren darin dem weltweit erstem Impfstoff gegen COVID-19 eine überragende Wirksamkeit bei gleichzeitig niedrigen Nebenwirkungen. 94 % der berichteten Nebenwirkungen seien milder Natur gewesen, darunter grippale Beschwerden, lokale Reaktionen und Müdigkeit. 0,3 % der Impfstoff-Gruppe zeigten schwerwiegende Nebenwirkungen, hier zeigten sich drei Todesfälle, von denen keiner mit dem Impfstoff in Verbindung gebracht wurde: einer erlitt Wirbelkörperbrüche und zwei starben an COVID-19, die bereits vier bzw. fünf Tage nach Erstimpfung auftrat. Ein weiterer Todesfall trat in der Placebogruppe auf. Primärer Endpunkt war die Zahl der Probanden mit einer bestätigten PCR-Diagnose von COVID-19 nach Tag 21 nach Erstdosis. Bei 16 von 14.964 Teilnehmenden der Impfstoffgruppe und bei 62 von 4.902 der Placebogruppe wurde COVID-19 anhand eines PCR-Testergebnisses festgestellt. Interessanterweise zeigten sich in der Studie Männer mit 94,2 % geschützt, während Frauen durch Gam-COVID-Vac zu 87,5 % geschützt waren. Im altersabhängigen Schutz zeigte sich eine recht altersneutrale Streuung bei 18 bis über 60 Jährigen mit 90 bis 92,7 prozentigem Schutz.16
Das auf zwei rekombinanten Adenovirus-Typen basierende Vakzin Gam-COVID-Vac ähnelt wie bereits erwähnt technologisch deutlich dem britischen Impfstoff von AstraZeneca. Technisch gibt es einen großen Lagerungs- und Liefervorteil bei Gam-COVID-Vac: es kann in gefriergetrockneter Form vakuumverpackt versendet werden, möglicherweise auch bei Raumtemperatur.17
Wie hoch stehen die Chancen für eine Zulassung von Sputnik V in Europa?
Der Zulassungsprozess, wenn dann die Unterlagen tatsächlich kommen, muss ein Ergebnis der Experten bei der EMA formulieren. Ob sie den Impfstoff bestätigen werden oder ob nicht, ist aktuell schwer abwägbar. Die Europäische Kommission wird in jedem Fall mit großer Wahrscheinlichkeit dem Votum der EMA folgen, wie sie es auch in den vergangenen Jahren ohne Ausnahme getan hat.
Quellen anzeigen
Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.