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Nitrosamine - wie sicher sind unsere Arzneimittel?

Kommentar schreiben Dienstag, 25. August 2020

Valsartan, Metformin, Ranitidin - Wirkstoffe, die durch Nitrosamin-Verunreinigungen für Schlagzeilen sorgten. Die Verunsicherung unter Patienten ist groß und die Frage wird immer lauter: wie sicher sind unsere Arzneimittel? Galt Deutschland vor einigen Jahrzehnten noch als „die Apotheke der Welt“, werden heutzutage knapp 80 Prozent der Arzneistoffe für den deutschen Markt vor allem in asiatischen Niedriglohnländern produziert.1 Und auch international hat die Konzentration auf einige wenige Produzenten zugenommen. Man nähert sich einer Monopolsituation und begibt sich so in eine fatale Abhängigkeit zu Gunsten immer niedrigerer Preise und zu Lasten der Qualität.

 

Im Jahr 2019 erhielt die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) insgesamt 10.782 Spontanberichte zu Qualitätsmängeln und unerwünschten Wirkungen von Arzneimitteln. Die Anzahl an Meldungen erreichte somit einen erneuten Höchststand und führt deutlich vor Augen, dass die Qualitätsprobleme bei Arzneimitteln größer werden.2

 

In letzter Zeit machten besonders Verunreinigungen mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA) und anderen Nitrosaminen von sich zu sprechen. Sie werden auf Basis von Tierstudien als wahrscheinlich krebserregend beim Menschen eingestuft. Nitrosamine findet man beispielsweise in gepökeltem oder geräuchertem Fleisch und Fisch, im Trinkwasser und in Zigarettenrauch. In einer Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) zu Nitrosaminen vom Mai 2005 heißt es: „Für diese Substanzen existiert nach heutigem wissenschaftlichen Kenntnisstand keine Dosis ohne Wirkung: Jede Menge kann schädlich sein. Idealerweise sollte der Verbraucher mit diesen Stoffen überhaupt nicht in Kontakt kommen.“3

 

Inhaltsverzeichnis

 

Valsartan-Skandal 2018

 

Der Sommer 2018 wird vielen Valsartan-Anwendern noch lange im Gedächtnis bleiben: nach einem anonymen Hinweis stellte sich heraus, dass valsartanhaltige Blutdrucksenker mit NDMA verunreinigt sind. Alleine in Deutschland wurden im Jahr 2017 nach Informationen des Bundesministeriums für Gesundheit etwa neun Millionen Packungen valsartanhaltiger Arzneimittel verordnet, von welchen rund 40 Prozent der Chargen kontaminiert waren. Über Jahre hinweg waren so knapp 900.000 Patientinnen und Patienten in Deutschland unwissentlich mit den potentiell krebserregenden Verbindungen in Berührung gekommen.4

 

Grund war ein neuartiges Syntheseverfahren beim chinesischen Lohnhersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical (ZHP). Die Produktionsumstellung erfolgte bereits 2012, möglicherweise um die Wirtschaftlichkeit zu steigern und einen höheren Ertrag zu generieren.5

Relativ schnell wurde klar, dass verunreinigtes Valsartan aus den Werken von ZHP nur die Spitze des Eisbergs war. Andere Wirkstoffe aus der Gruppe der Sartane und weitere Hersteller waren betroffen, außerdem wurden nach NDMA noch weitere Nitrosamin-Verunreinigungen wie beispielsweise N-Nitrosodiethylamin (NDEA) bekannt. Es folgten zahlreiche Rückrufe; zurück blieben stark verunsicherte Patienten.6

 

Als Konsequenz reagierte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit Änderungen der Sartan-Monographien im Europäischen Arzneibuch zum 1. Juli 2019. Seitdem müssen Sartan-Produzenten ihren Herstellungsprozess innerhalb von zwei Jahren so auslegen, dass eine Nitrosamin-Verunreinigung ausgeschlossen werden kann. Bis zum 31.12. 2020 gelten die von der Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) festgelegten Grenzwerte für NDMA und NDEA. Produkte, die diese Werte überschreiten oder in denen sowohl NDMA als auch NDEA, unabhängig von der vorliegenden Konzentration, enthalten sind, sind in der EU verboten. Ab Januar 2021 sollen alle Sartane frei von schädlichen Nitrosaminen sein.7

 

Auch Ranitidin verunreinigt

 

Im September 2019 sorgte NDMA erneut für Schlagzeilen. Entscheidende Hinweise lieferte die US-Versandapotheke Valisure, die in ihren eigenen Laboratorien NMDA in Ranitidin-Produkten nachweisen konnte. Der verunreinigte Wirkstoff kam aus der indischen Produktionsstätte Saraca Laboratories.8 Behörden und Pharmahersteller riefen Fertigarzneimittel zurück, die dort produziertes Ranitidin enthielten; Patienten sollten auf Alternativen umgestellt werden. Die Ursache ist bis heute nicht abschließend geklärt.

 

Von Seiten des BfArM heißt es: „Obwohl die genaue Quelle der Verunreinigung in Ranitidin noch nicht geklärt ist, ist es möglich, dass sich NDMA durch den Abbau von Ranitidin auch unter normalen Lagerbedingungen bilden kann. Einige Studien wiesen darauf hin, dass Ranitidin durch seinen Abbau oder Metabolismus im Gastrointestinaltrakt zusätzliche endogene NDMA-Bildung verursachen kann, andere Studien jedoch nicht.“9 Auch weiterhin ruht die Zulassung und es ist fraglich ob das H2-Antihistaminikum jemals wieder den Weg zurück in den Handel finden wird.

 

Antidiabetikum ebenfalls mit NMDA kontaminiert

 

Im Dezember 2019 gesellte sich ein weiterer prominenter Wirkstoff zur Gruppe der verunreinigten Pharmaka: NMDA wurde in Metformin gefunden. Es folgten lokale Rückrufe metforminhaltiger Arzneimittel in Singapur10 und der Schweiz11. Die US-Arzneimittelbehörde FDA konnte NDMA nur in einigen wenigen Fertigarzneimitteln nachweisen, wobei die akzeptable Tagesdosis von 0,096 µg nicht überschritten wurde.12 Und auch für die EU konnte das BfArM Entwarnung geben: die gemessenen NDMA-Konzentrationen lagen innerhalb beziehungsweise unterhalb der Grenzwerte. Als Ursache vermutete man, anders als bei Valsartan, dass das im Metformin nachgewiesene Nitrosamin bei der Lagerung entstehen oder aus den Blistern stammen könnte.

 

Auf Metformin eingestellte Patienten sollen dieses weiterhin wie gewohnt einnehmen. Laut BfArM überwiegt das Risiko einer unzureichenden Behandlung eines Diabetes bei weitem die möglichen Risiken, die sich aus der Aufnahme geringer Nitrosamin-Konzentrationen ergeben. Da Metformin als kritisches Medikament gilt, arbeiten die EMA und die nationalen Behörden eng zusammen, um mögliche Versorgungsengpässe zu vermeiden, so dass Patienten weiterhin die benötigten Behandlungen erhalten können.13

 

Konsequenzen auf nationaler und internationaler Ebene

 

Im September 2019 wandte die EMA sich an alle Zulassungsinhaber für Humanpharmaka mit chemisch synthetisierten Wirkstoffen. Sie wurden dazu aufgefordert, innerhalb eines halben Jahres ihre Arzneimittel und Produktionsverfahren auf das mögliche Vorhandensein von Nitrosaminen zu prüfen. Die erforderlichen Maßnahmen sollten im Anschluss mit der Behörde abgestimmt werden.14

 

Um zukünftig die Gefahr der Nitrosamin-Verunreinigungen in Arzneimitteln so weit wie möglich zu minimieren und nötigenfalls zielgerichteter reagieren zu können, erarbeiteten die nationalen Arzneimittelbehörden gemeinsam mit der EMA außerdem einen Leitfaden unter dem Titel „Lessons learnt from presence of N-nitrosamine impurities in sartan medicines“. Neben der Vermeidung von Nitrosaminen in Arzneimitteln, werden auch das Vorgehen im Fall von Kontaminationen, die Kommunikation mit Anwendern, Ärzten und Apothekern, sowie die Zusammenarbeit auf internationaler Ebene aufgeführt.15

 

Als weitere Konsequenz trat im August 2019 das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) in Kraft. Unter anderem sollen Bundes- und Länderbehörden besser zusammenarbeiten und Informationen über Wirkstoffhersteller von Fertigarzneimitteln öffentlich gemacht werden.16

Recherchen von apomio ergaben, dass diese Angaben zum aktuellen Zeitpunkt jedoch nicht in den AMIS-Datenbanken oder unter PharmNet.Bund hinterlegt sind. Eine diesbezügliche Anfrage an das BfArM ergab: nachdem das GSAV in Kraft trat, waren im Februar/März 2020 nur wenige Wochen die Herstellerangaben in den Amis-Datenbanken sichtbar. Diese Informationen können derzeit jedoch nicht mehr recherchiert werden, da es zunächst der Klärung eines anhängigen Rechtsschutzverfahrens bedarf. Ob und wann diese Daten wieder öffentlich zugänglich sein werden, ist erst nach der rechtlichen Klärung absehbar.17

 

Ob die bisher getroffenen und die noch umzusetzenden Maßnahmen wirklich ausreichen, um zukünftig die Sicherheit unserer Arzneimittel zu gewährleisten, bleibt abzuwarten. Durch die zielgerichtete Überprüfung der Herstellungsverfahren und immer empfindlichere Analysemethoden muss wohl auch in Zukunft mit der Entdeckung weiterer Kontaminationen gerechnet werden.

 

Ein zwangsläufiger Garant für die Vermeidung weiterer Verunreinigungsfälle mag eine Verlagerung der Herstellung zurück nach Deutschland beziehungsweise Europa nicht sein. Doch sicherlich ein Weg in die richtige Richtung hinsichtlich Transparenz, erleichterter Kontrollen und Unabhängigkeit von einigen wenigen großen Wirkstoffsherstellern.

Denn letztlich sind die dokumentierten Qualitätsmängel auch Folge des immer größer werdenden Preisdrucks. Bei vielen Wirkstoffen auf dem deutschen Markt zahlen die Krankenkassen Tabletten-Preise im Cent Bereich. Eine Abwärtsspirale, die sich kaum noch tiefer bewegen kann. Es bleibt also zu hoffen, dass auch diesbezüglich bald gilt: „lessons learnt“.

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Linda Künzig
Autor: Linda Künzig

Linda Künzig, Apothekerin mit Weiterbildungen im Bereich Homöopathie und Naturheilverfahren. Neben ihrer Tätigkeit in einer öffentlichen Apotheke unterstützt sie seit Mai 2019 die Apomio-Redaktion als freie Autorin.

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