Ratspräsidentschaft: Folgen für den deutschen Apothekenmarkt?
Nach Presseinformationen des Bundesgesundheitsministeriums sollen während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in den kommenden 6 Monaten Lehren aus der Corona-Pandemie gezogen werden. „Nur so können wir bei internationalen Krisen geschlossener und schneller handeln“, so das Fazit des Bundesgesundheitsministeriums.
Inhaltsverzeichnis
- Welche Themen möchte die ABDA auf die Agenda der EU-Ratspräsidentschaft setzen?
- BPI wünscht sich bessere Standortbedingungen in Europa
- Worauf zielt der EU-Rat politisch ab?
- Warum sind Erwartungen an die deutsche Ratspräsidentschaft so hoch?
- Folgende Themen wollen EU-Gesundheitsminister auf die europäische Bühne bringen
Seit 1. Juli ist Deutschland für ein halbes Jahr der Strippenzieher auf der politischen Bühne des EU-Rats. Gesundheitlicher Schwerpunkt im Europarat soll laut eines Erklärvideos des Pressereferats die „Reaktionsfähigkeit auf Gesundheitskrisen“1 werden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will dafür mit drei Themenkomplexen sorgen:
An 1. Stelle steht die europäische Gesundheitsversorgung – der Tagespunkt stellt eine Lehre aus der Unterversorgung mit Medikamenten, Schützausrüstung und Medizinprodukten in den vergangenen Monaten dar. Künftig sollen für alle EU-Bürgerinnen und Bürger ausreichend Arzneimittel und Schutzausrüstung zur Verfügung stehen. Dazu müsse eine gemeinsame „europäische Reserve“ angelegt werden und zudem die Arzneimittelproduktion wieder verstärkt in die EU verlagert werden.2
Thema 2 der Tagesordnung im EU-Rat zu europäischer Gesundheitspolitik soll laut Bundesgesundheitsministerium die digitale Aufbereitung von Gesundheitsdaten sein. Dadurch können Krankheiten besser verstanden und behandelt werden. Notwendig hierfür sei ein sogenannter „europäischer Gesundheitsdatenraum“, um die nötigen Daten dafür zu liefern.3
Als Thema 3 will Bundesgesundheitsminister Spahn europäische Gesundheitsorganisationen und die europäische Gesundheitsforschung stärken - besonders das ecdc (European Centre for Disease Prevention and Control) als europäisches Pendant zum Robert-Koch Institut (RKI) soll besser ausgebaut werden.4
Welche Themen möchte die ABDA auf die Agenda der EU-Ratspräsidentschaft setzen?
Lieferengpässe zu minimieren, war in den letzten Jahren auch erklärtes Ziel der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Allein im Jahr 2019 konnten der ABDA zufolge 18 Millionen Packungen wegen Nichtverfügbarkeit nicht wie vorgesehen abgegeben werden – und somit wurden Lieferengpässe verdoppelt. Die ABDA möchte daher das Thema „Lieferengpässe in Europa“ auf die Tagesordnung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft setzen.
„Die Corona-Pandemie führt uns deutlich vor Augen, wie anfällig die Arzneimittelversorgung in Europa bei Produktionsausfällen, Exportstopps oder Logistikproblemen in anderen Teilen der Welt ist“, sagt Mathias Arnold, ABDA-Vizepräsident und Leiter der ABDA-Europadelegation in einer kürzlichen Pressemitteilung.5
„Mit unserem Fachwissen wollen wir die deutsche Politik in Brüssel unterstützen, Wege zu finden, wie man die Arzneimittelproduktion in Europa stärken kann“, teilte Arnold dort mit. Die ABDA will zum Jahresende 2020 in Brüssel zusätzlich eine Konferenz ausschließlich zum Thema „Lieferengpässe“ arrangieren.6
Bezüglich der Digitalisierung will die ABDA analog zur Bundesregierung das E-Rezept und Fragen des Gesundheitsdatenschutzes in den Fokus rücken. Ein „Lackmustest“ für den Subsidiaritätsgedanken in Europa, nämlich die größtmögliche Selbstbestimmung der Mitgliedsstaaten, sei die Positionierung der EU-Kommission zum Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz der Bundesregierung: „Das VOASG sieht vor, die im deutschen Sozialrecht geltende Gleichpreisigkeit für rezeptpflichtige Arzneimittel wiederherzustellen“, gibt die ABDA im Kontext der EU-Ratspräsidentschaft nochmals für die Gleichpreisigkeit deutscher und nichtdeutscher RX-Arzneimittel zu bedenken.7
BPI wünscht sich bessere Standortbedingungen in Europa
Am 24.6. positionierte sich auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Dieser erhofft sich ab 1. Juli „Impulse für die Stärkung des Pharmastandorts Europa.“8
Die Coronakrise habe gezeigt, auf welch wackligen Füßen die deutsche Gesundheitsversorgung stehe: „Wir müssen in Europa jederzeit imstande sein, unabhängig und flexibel auf sich verändernde Marktbedingungen reagieren zu können", sagt BPI-Hauptgeschäftsführer Dr. Kai Joachimsen zu den pharmazeutischen Herausforderungen der EU.9
Die EU-Ratspräsidentschaft sollte deshalb „die Bedeutung der pharmazeutischen Industrie für die Volkswirtschaft und den Wissenschaftsstandort in den Mittelpunkt stellen“. Essentiell sei es, Lieferengpässe zu minimieren, Abhängigkeiten abzubauen und die Versorgung nachhaltig zu sichern. „Die teilweise Rückholung der Produktion nach Europa ist eher ein Marathon als ein Sprint“, gibt Dr. Joachimsen politisch zu bedenken. „Die deutsche Ratspräsidentschaft kann und sollte die Kriterien für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen so mit verändern, dass gezielt Produktionsstandorte in Europa gefördert werden.“10
Worauf zielt der EU-Rat politisch ab?
Der EU-Rat ist neben dem EU-Parlament der zweite Gesetzgeber in Europa. In dem Gremium treffen sich die unterschiedlichen Fachminister der EU-Mitgliedsstaaten zu 10 festgelegten Themen. Der Rat zielt darauf ab, die europäische Politik der Mitgliedsstaaten in wichtigen Bereichen besser zu koordinieren.11 Am 1. Juli übernahm Deutschland bis 31.Dezember 2020 für 6 Monate die EU-Ratspräsidentschaft.
Warum sind Erwartungen an die deutsche Ratspräsidentschaft so hoch?
Zum einen steigt die Erwartung der Mitgliedsstaaten mit der Einwohnerzahl und politischen Entscheidungskraft eines Mitgliedslandes. Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Polen, Rumänien und die Niederlande halten in dieser Reihenfolge den größten Einwohneranteil der Eurozone.12 Diese großen Mitgliedsstaaten können leichter eine qualitative Mehrheit für ein bestimmtes Gesetz erwirken.13
Zum anderen steigen die Erwartungen an die deutsche Ratspräsidentschaft im Zuge der Corona-Pandemie enorm an. Auf den Schultern von Angela Merkel liegt die Last, sowohl die Stärke der CDU zu repräsentieren als auch Zukunftsfähiges mit dem
EU-Rat voranzubringen. Waren zunächst der Brexit und die Beziehung mit China auf der Agenda der deutschen Ratspräsidentschaft, stehen nun der wirtschaftliche Wiederaufbau Europas, die Digitalisierung und die Klimapolitik im Vordergrund.14 Allein der Schuldenabbau des großen EU-Hilfspakets in Höhe von 750 Milliarden Euros zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und der BRD-Schutzschirm von 1 Billiarde Euro für die deutsche Wirtschaft dürfte die EU ein Jahrzehnt lang prägen.
Folgende Themen wollen EU-Gesundheitsminister auf die europäische Bühne bringen
Rund viermal im Jahr trifft sich der EU-Rat zum Thema „Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz“. Zwar ist Gesundheitspolitik nach wie vor durchweg Gestaltungsspielraum der Mitgliedsstaaten, doch kann der EU-Rat gemeinsam mit dem EU-Parlament Gesetzesvorschriften erlassen, die über Patientenrechte „in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung“ und über die „Qualität und Sicherheit von Arzneimitteln und Medizinprodukte“ entscheiden.15
In einem Gedankenaustausch der EU-GesundheitsministerInnen über eine Videokonferenz am 12. Juni 2020 hatten sich die Fachminister auf folgende Kernpunkte geeinigt: „Unsere heutigen Beratungen haben die wichtigste Erkenntnis aus der COVID-19-Pandemie bestätigt. Um den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, müssen wir in der gesamten EU stärkere und widerstandsfähigere Gesundheitssysteme aufbauen.
Wir brauchen eine bessere Verfügbarkeit von Arzneimitteln, Medizinprodukten, Schutzausrüstungen und medizinischen Notfallteams, einen besseren Datenaustausch und eine engere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten“, sagte Tomislav Dulibić, kroatischer Staatssekretär für Gesundheit, zum Ergebnis der Konferenz.16
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Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.