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Remdesivir: Erste Wirksamkeitsstudien veröffentlicht

Kommentar schreiben Dienstag, 23. Juni 2020

Remdesivir gilt weltweit als Hoffnungsträger zur Behandlung schwerer klinischer Coronavirus-Verläufe. Anfang Juni proklamierte der Pharmahersteller Gilead Sciences eine weitere Pressemitteilung, wonach eine Phase-III-Studie bei mittleren COVID-19-Erkrankungen signifikante Ergebnisse aufzeigt: „Patienten zeigten im Rahmen einer 5-tägigen Behandlung mit Remdesivir eine um 65 Prozent höhere klinische Verbesserung“, so die erfreuliche Nachricht.

 

Die ursprünglich gegen Ebolaviren entwickelte Substanz ist den ersten drei klinischen Studien zufolge nachweislich gegen COVID-19 wirksam. Die Kehrseite der Medaille: Remdisivir-Hersteller Gilead geriet in den letzten Jahren wegen möglicher Verunreinigungen seiner Produktionsketten in die Schlagzeilen. Mitte April veröffentlichten drei Redakteure des NDR sowie WDR auf dem Portal Tagesspiegel.de einen Text, der die sauberen Herstellungsverfahren des US-Pharmakonzerns erneut in Zweifel zieht. Dort heißt es unter anderem: „NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) liegen die Gerichtsakten vor, aus denen hervorgeht, dass ein ehemaliger hochrangiger Manager von Gilead seinen Arbeitgeber unter anderem beschuldigt, in früheren Medikamententests bei Kindern verunreinigte Wirkstoffe eingesetzt zu haben.“1 Das Nebenwirkungs-Regimen ist zudem noch weitgehend unbekannt, obgleich es bislang als gut gilt. Wie hoffnungsträchtig ist das Medikament wirklich?

 

Inhaltsverzeichnis

 

Bisherige Ergebnisse beider SIMPLE-Studien positiv

 

Seit 1. Juni verkündet das US-amerikanische Unternehmen Gilead Sciences, es seien weitere Ergebnisse zum potenziellen COVID-19-Medikament Remdesivir in einer Phase-III-Studie bestätigt worden: „Studienergebnisse liefern neue ermutigende Daten über Remdisivir“, sagte Dr. Francisco Marty, Infektionsmediziner am Brigham und Women's Hospital und Professor für Medizin an der Harvard Medical School. „Sie zeigen uns, dass ein früheres Eingreifen in den Krankheitsprozess im Rahmen eines 5-tägigen Behandlungszyklus den Gesundungsprozess bei mittelschweren COVID-19-Verläufen signifikant verbessert“.2

 

Im Rahmen einer kleinen randomisierten, nicht-placebokontrollierten Studie hatte sich für hospitalisierte, mittelschwere COVID-19-Verläufe ergeben, dass eine 5-tägige Behandlung mit Remdesivir zu größerer klinischer Verbesserung führte als die alleinige Standardbehandlung. „Die placebo-kontrollierte Studie des National Institute of Allergy and Infectious Disease zeigte, das Remdesivir eine schnellere Genesung ermöglicht und dass eine frühere Behandlung zu besserem klinischem Ergebnis führt. Unsere zweite SIMPLE-Studie zeigte nun, dass die 5-Tage-Behandlung zu ähnlichen klinischen Ergebnissen führt wie die 10-Tage-Behandlung“3, sagt Dr. Merdad Parsey, Chefarzt bei Gilead Sciences. „Diese Ergebnisse sind wichtig, um weitere Studien zu beflügeln, etwa die Fragen, ob sich ein früherer Behandlungsbeginn oder eine Kombination mit weiteren Medikamenten bei besonders kranken Patienten als hilfreich erweisen“, sagte Parsey in besagter Gilead-Pressemitteilung vom 1. Juni.4 

 

Wie verliefen die SIMPLE-Studien?

 

Gilead führte zwei randomisierte, offene Phase-III-Studien mit intravenös verabreichtem Remdesivir in 180 Ländern der Welt durch, die beiden sogenannten „SIMPLE-Studien“. Unter anderem nahmen Kliniken in den USA, China, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Korea und andere Länder mit einer hohen COVID-19-Infektionsprävalenz teil. Darunter befanden sich 8 renommierte deutsche Kliniken, etwa die Charité-Universitätsmedizin Berlin und die München Klinik Schwabing.

 

Die erste Simple-Studie untersuchte Patienten mit einer schweren COVID-19-Ausprägung, die zweite SIMPLE-Studie solche mit einer mittleren Ausprägung. In der ersten Kohorte untersuchten die Forscher die Sicherheit und Wirksamkeit einer 5-Tage-Dosierung von Remdesivir im Vergleich zur 10-Tage-Dosierung bei 397 Krankenhauspatienten.5 Remdesivir wurde hier zusätzlich zur Standardbehandlung verabreicht. Die Vergleichsgruppe erhielt eine alleinige Standardbehandlung aus Beatmung und Glukocortison. Das New England Journal of Medicine veröffentlichte die Ergebnisse hierzu gänzlich am 27. Mai, wobei eine Erweiterungsstudie an 5600 Patienten läuft.6

 

Die zweite Studie verglich die Sicherheit und Wirksamkeit einer 5-Tage und 10-Tage-Dosierung bei 600 hospitalisierten Patienten mit mittelschwerer COVID-19-Ausprägung. Der Versuchsaufbau verglich analog zur ersten SIMPLE-Studie eine Zusatzbehandlung mit Remdesivir mit einer alleinigen Standardbehandlung (Beatmungen und Glukocortison).  Auch hier läuft bereits eine Erweiterungsstudie.7

 

Einsatz in Deutschland bald möglich?

 

Entgegen üblicher Prozedere ist eine baldige EU-Zulassung des Medikaments seitens der EMA (Europäischen Arzneimittelagentur) derzeit in Rede. Diese ungewöhnlich rasche Abwicklung sorgte allerdings für Stirnrunzeln bei Wolf-Dieter Ludwig, dem Vorsitzenden der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Gegenüber dem Tagesspiegel Background äußerte sich der Mediziner vor rund einem Monat kritisch, dieses Medikament vorschnell zuzulassen.

 

Dort sagte er auch, dass die Studienlage noch sehr dürftig sei: „Die Wirksamkeit kann nicht als gesichert angesehen werden“,8 betonte der Facharzt. Schließlich habe man bislang nur eine randomisierte kontrollierte Studie vorliegen. Zwar konnte die Genesungsphase der Betroffenen nach einer 5-tägigen Behandlung mit Remdesivir verkürzt werden – doch die Todesfallrate sei dem Internist zufolge „nicht signifikant gesunken“. Stattdessen handele sich bloß um eine Verkürzung der Genesungsdauer, die durch die Substanz von 15 Tagen unter Placebo auf 11 Tagen verkürzt worden sei.9

 

Enormer Druck auf die Forschung bei COVID-19-Arzneimitteln

 

Ursächlich für die womöglich baldige Zulassung des Medikaments sei der weltweite Druck, der klinische Studien zur Zulassung einer wirksamen Waffe gegen COVID-19 derzeit begleite und letztlich zu unsicheren Medikamenten führen könne. Das Nebenwirkungsregimen von Remdesivir hält Ludwig zwar insgesamt für gut tolerabel, mit überwiegend Durchfall, Übelkeit und Leberwertveränderungen. Dennoch sei selbst eine eingeschränkte Zulassung für Remdesivir zum derzeitigen Zeitpunkt inadäquat. Um das Risiko-Nutzen-Verhältnis besser bewerten zu können, fehlten bislang Studien mit einer größeren Patientenzahl, bezogen auf klinisch schwere COVID-19-Erkrankungen.10

 

Auch ist dem Experten zufolge noch unbekannt, ob Remdesivir mit anderen Virostatika kombiniert werden müsse, um den gefürchteten Zytokinsturm zu vermeiden. Einige Menschen reagieren auf Coronaviren mit einem autoaggressivem Immunsystem, indem ihre Zytokine nicht nur die infizierten, sondern auch gesunde Körperzellen markieren und den Fresszellen darbieten.11

 

Zulassung von Remdesivir weltweit noch eingeschränkt

 

Remdesivir ist erst in den USA und Japan zum Notfallgebrauch zugelassen. In allen anderen Ländern ist es nur im Rahmen eines experimentellen Arzneiversuchs als „Compassinate-Use“ (=Erbarmungsvoller Gebrauch) einsetzbar. Die Substanz ist ein Nukleosidanalogon mit antiviralen Eigenschaften. Es zeigt Breitband-Wirkung gegen Coronaviren (SARS-CoV-2, SARS-1, MERS), Ebolaviren und RSV-Viren (Respiratorisches-Synzytial-Virus). Es hemmt selektiv die virale RNA-Polymerase und verhindert durch Kettenabbruch die weitere Virusvermehrung in den betroffenen Zellen.12

 

Remdesivir ist ein Triphosphat, das mit dem natürlich im Körper vorkommenden Adenosintriphosphat (ATP) im Wettbewerb steht und somit wie andere antivirale Medikamente mit Vorsicht eingesetzt werden sollte.13

 

Präklinische Daten aus Tiermodellen und In-Vitro-Versuchen bei verwandten Viren wie MERS und SARS-1 deuten jedoch laut Gilead Sciences auf eine potenzielle Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 hin. Remdesivir gilt als einer der größten antiviralen Hoffnungsträger. Bereits vor 10 Jahren leitete Gilead nach eigenen Angaben Untersuchungen zur antiviralen Aktivität des Arzneistoffes ein. „Wir sind jetzt in der Lage, das Potenzial von Remdesivir zur Behandlung von COVID-19 zu untersuchen«, so der Medizindirektor Dr. Karsten Kissel von Gilead Sciences Deutschland.14

 

Alternative Impfstoffe: Welche Impfstoffe gelten als besonders vielversprechend?

 

Im Kampf gegen das Coronavirus wird weltweit nicht nur an wirksamen Arzneistoffen zur Behandlung einer mittelgradigen oder schweren Infektion mit SARS-CoV-2 geforscht. Ebenso fieberhaft werden aktuell in den USA, Deutschland, Großbritannien und China vielversprechende Impfstoffkandidaten erprobt. Die US-Regierung hat kürzlich verschiedene Impfkandidaten als besonders hoffnungsträchtig ausgelobt.

 

Darunter nannte das Handelsblatt die US-Biotechfirma Moderna mit ihrem mRNA-Impfstoff, der speziell für COVID-19 entwickelt wird. Die Firma gab im Mai für 1,3 Milliarden Dollar neue Aktien aus. Dies wird als möglicher Indikator für Wachstum gewertet.15

 

Der zweite US-Pharmakonzern auf der Liste der US-Regierung ist Pfizer. Pfizer ist der Mutterkonzern der deutschen Pharmafirma Biontech (Mainz). Sowohl Pfizer als auch Biontech kündigten baldige Impfstoff-Dosen an. Pfizer sprach dem Handelsblatt zufolge von bald verfügbaren „Hunderten Millionen Dosen“ und Biontech bringt einen bedeutsamen Impfstoff für Deutschland und China zur Marktreife.16 Der Biontech-Impfstoff ist besonders bedeutend, da es sich um einen mRNA-Impfstoff handelt. mRNA-Impfstoffe wurden weltweit noch nie für den Einsatz am Menschen zugelassen, könnten zukünftig aber aufgrund ihrer immens kürzeren Entwicklungszeit auch für andere Viren oder Virenmutationen relevant werden.

 

Der letzte Kandidat auf den ersten drei Plätzen der US-Regierung stammt aus dem Hause Merck & Themis. Merck übernahm kürzlich eigens die österreichische Firma Themis, um einen Impfstoff „auf Basis eines Masernvirus“17 gegen Coronaviren zum Einsatz am Menschen hervorzubringen.

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Maria Köpf
Autor: Maria Köpf

Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.

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