Retaxationen vermeiden: Das ändert sich ab Juli 2019
Die Liste möglicher Retax-Gründe ist lang, der Ärger über kostspielige Retaxationen bereits belieferter Rezepte oft wohl begründet. Salomonische Urteile wie dasjenige des Landessozialgerichts Hessen, das die 13.018-Euro-Retaxation eines T-Rezepts über Revlimid für unzulässig erklärte, sind bislang leider nicht die Regel. Im Gegenteil:
Über die zuletzt im Jahr 2016 in Kraft getretene Fassung des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung ließ sich in Punkto „Retaxationen“ streiten. Zum 1. Januar einigten sich der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der Spitzenverband Kassen (GKV-Spitzenverband) auf einen neuen „Retaxationsparagraphen § 129“ im Sozialgesetzbuch, der ab Juli 2019 in Kraft tritt.
Retaxationen sind ein ewiger Zankapfel zwischen Krankenkassen und Apotheken geworden. Die Krankenkasse reduziert die Erstattung der Apothekerrechnung, indem sie auf einen Formfehler bei der Abgabe des Arzneimittels verweist. Dafür kann ein kleiner Formfehler verantwortlich sein, der die Versorgung des Patienten keineswegs beeinflusst hat. Nun wurde seitens des DAV endlich eine neue Grundlage für Retaxationen ausgehandelt.
Den Rahmen des Zankapfels „Retaxationen“ zwischen deutschen gesetzlichen Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband bildeten bislang insbesondere Abgaberegelungen zu Sonder-PZN, Lieferfähigkeit und Importquoten. Diese werden bekanntermaßen im Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB 5 festgelegt. Eine neue Fassung des Rahmenvertrags vom 1. Januar 2019 soll ab 1. Juli 2019 in Kraft treten. Sie erweitert die bisherigen 14 Paragraphen um 18 neue Paragraphen und verspricht, die Abrechnung von Rezepten ein wenig leichter zu machen.
Konkretisierte „Vorrätigkeitsklausel“
Bislang mussten Apotheken befürchten, retaxiert zu werden, wenn das Arzneimittel kurze Zeit später wieder erneut verfügbar oder die Liefereinschränkung des Lieferanten nicht eindeutig vorzuweisen war. Der neue Rahmenvertrag legt nun in § 2 Punkt 7 genauere Definitionen zur Vorrätigkeit, Lieferfähigkeit und Nicht-Verfügbarkeit fest. Demnach ist ein Arzneimittel vorrätig, wenn es in der Apotheke zu dem Zeitpunkt „vorhanden“ ist. Lieferfähig ist es, wenn es bei vollversorgenden Großhandlungen „vorrätig“ beziehungsweise „von diesen vom pharmazeutischen Unternehmer beziehbar“ ist. „Nicht verfügbar“ sind Arzneimittel dagegen, wenn es „innerhalb angemessener Zeit nicht beschafft werden kann“. Nachzuweisen ist dieser für Retaxationen sehr relevante Punkt durch die Apotheke „durch zwei Verfügbarkeitsanfragen im direkten zeitlichen Zusammenhang mit der Vorlage der Verordnung durch die Apotheke“. Falls Belieferungs- und Vorlagedatum voneinander abweichen, sei laut Rahmenverordnung das Vorlagedatum von der Apotheke auf dem Arzneiverordnungsblatt zu vermerken.
Sonder-PZN nun auch für Importe und andere Arzneimittel
Bestand bislang noch die Vorgabe, dass nur für Fertigarzneimittel mit vereinbartem Rabattvertrag eine abweichende Akutabgabe mittels Sonder-PZN aus „pharmazeutischen Bedenken“ erfolgen konnte, wurde diese Richtlinie nun erweitert. Ab Juli können andere nicht-rabattierte Fertigarzneimittel ebenso wie Importe die Sonder-PZN für pharmazeutische Bedenken erhalten. Dass kein preisgünstiges Import-Arzneimittel verfügbar war muss jedoch nach wie vor durch Vorlage eines Nicht-Lieferbarkeitsbeleg des Lieferanten zum Zeitpunkt der Rezeptvorlage nachgewiesen werden. Doch erschwert die erweiterte Verwendung der Sonder-PZN „pharmazeutische Bedenken“ eine zukünftige Retaxation bei lieferfähigem preisgünstigerem Import. Das dürfte nicht nur abrechnungstechnisch, sondern auch für die Akut- und Notfallversorgung von Patienten positiv zu Buche schlagen. Auch ist die abweichende Abgabe des Importarzneimittels nicht für das Einsparziel zu berücksichtigen. Bei der Abgabe von Sonder-PZN ist zu berücksichtigen, dass das vereinbarte Sonderkennzeichen von allen beteiligten Mitarbeitern, die an der Abgabe beteiligt waren, separat abgezeichnet werden muss.
Noch mehr „Heilungsmöglichkeiten“ auf dem Rezept
Bereits seit der letzten Fassung des Rahmenvertrags, die seit 1. Juni 2016 galt, erhielten Apotheker mehr „Heilungsmöglichkeiten“ eines falsch ausgestellten Rezepts. So konnten Apotheker bislang zwar bereits nach Rücksprache mit dem Arzt einige Angaben des Rezeptes korrigieren oder sogar ergänzen, ohne zumindest der Form nach Retaxationen zu befürchten. Nun sollen sie nach Rücksprache des Arztes sogar die PZN des Arzneimittels, die nicht mit dem Präparat übereinstimmt, ändern dürfen. Vermerkt werden muss das Datum des Telefonats mit dem Arzt auf dem Rezept.
Quellen:
„Alter Rahmenvertrag“ über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V bis 30.06.2019:
https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/
arzneimittel/rahmenvertraege/apotheken/AM_20160930_Rahmenvertrag_129_Absatz-2_SGB-V.pdf
„Neuer Rahmenvertrag“ über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V ab 1.07.2019:
https://www.abda.de/fileadmin/assets/Vertraege/
Rahmenvertrag-Arzneimittelversorgung-Paragraf-129-Abs-2-SGB-V-idF-2019-01-01.pdf
Marc Kößling, Dr. Frank Antwerpes, Artikel „Retaxation“, Flexikon.doccheck.com:
https://flexikon.doccheck.com/de/Retaxation
Patrick Hollstein, Artikel „13.000€-Retax: Komma sticht Kreuz“, Apotheke-adhoc.de, 12.02.2019:
Benjamin Rohrer, Artikel „Zum Download bereit. Was gilt? Hier geht’s zum neuen Rahmenvertrag“, DAZ.online, 28.02.2019:
Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.