Sicher ist sicher? Bundesgesundheitsministerium prüft Wegfall der Preisbindung
Mit der Preisbindung deutscher Arzneimittel ringen Apothekerverbände und Politiker seit Jahren. Nun gab Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ein Gutachten zur Prüfung der Preisbindung in Auftrag. Trotz Versicherung des Ministeriums, dass die Politik die Stärkung der deutschen Vor-Ort-Apotheken forciert, reagiert die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände irritiert.
Die Zeit ist bekanntlich ein nicht zu verachtendes politisches Mittel, um breit debattierte Gesetzesentwürfe wie das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) ins Wanken zu bringen. Auf Nachfrage von apomio teilte ein Pressereferent zum derzeitigen politischen Stand des Gesetzesvorhabens mit: „Die Bundesregierung befindet sich zur Zeit zum Gesetzentwurf in der Kabinettfassung in Abstimmungsgesprächen mit der Kommission.“1 Anders ausgedrückt: Der Entwurf zum VOASG wird von der EU-Kommission derzeit noch auf seine verfassungsrechtliche Tauglichkeit geprüft.
BMG-Sprecher: Gutachten soll Apotheken-Stärkungsgesetz empirisch stützen
Zeitgleich lässt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nach Angaben von DAZ.online derzeit ein alternatives Marktregulierungsinstrument prüfen. Demnach beauftragte sein Ministerium ein Gutachten über mögliche Auswirkungen eines Wegfalls der Preisbindung auf den deutschen Arzneimittelmarkt. Das Gutachten wurde beim IGES Institut in Auftrag gegeben. Die Kosten dafür belaufen sich der DAZ.online auf 140.000 Euro.2 Auf Anfrage von apomio dient das Gutachten den Angaben eines Pressereferenten des Bundesgesundheitsministeriums zufolge dem Ziel, „die Gesetzesinitiative von BM Spahn mit empirischen Daten zu unterstützen“. Demnach werde das Gutachten dem Ministerium „voraussichtlich bis Mitte 2020 vorliegen“.1
ABDA war nicht in den Prozess involviert
Auf Anfrage von apomio vom 13. Januar war die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) Angaben eines Sprechers zufolge nicht in diesen Prozess involviert.3 Das Bundesgesundheitsministerium habe dem Apothekerverband gegenüber im Herbst jedoch signalisiert, die eingeschlagene politische Linie „bei Bedarf auch durch weitere Daten beziehungsweise Untersuchungen stützen zu wollen“. Insofern sei die Vergabe eines Gutachtens „nur konsequent“, so ein ABDA-Sprecher.
Dennoch zeigt sich die Irritation der ABDA anhand kommunikativer Zwischentöne. Neben der Mitteilung, nichts von einem Preisbindungs-Gutachten gewusst zu haben, betont die Stabsstelle für Kommunikation in einer apomio vorliegenden E-Mail, dem Gesetzgeber müsse es letztlich darum gehen, eine flächendeckende Rund-um-die-Uhr-Versorgung zu erhalten – und diese sei eben nur durch Apotheken vor Ort zu garantieren.
Tatsächlich setzt ein solches Gutachtens politisch betrachtet immer auch Signale, deren Doppelwirkung Kommunikationswissenschaftler mit den Axiomen des österreichischen Philosophen Paul Watzlawick „Man kann nicht nicht kommunizieren“ und „Kommunikation ist immer Ursache und Wirkung“ beschreiben würden. (Non)verbale Kommunikation spricht häufig eine andere Sprache, als dies der Sender einer Nachricht beabsichtigt haben mag. Das Gutachten des Bundesgesundheitsministerium zur Auswirkung eines wegfallenden Preisbildungsankers wirft automatisch Fragen auf in Zeiten zähen politischen Verhandelns um Gleichpreisigkeit bei RX-Arzneimitteln.
Der Minister sitzt zwischen den Stühlen
Noch im April 2019 informierte das Bundesgesundheitsministerium die mahnende EU-Kommission, dass die geforderte Aufhebung des RX-Boni-Verbotes im AMG geplant sei.4 Damit stellte sich das Bundesgesundheitsministerium mit Jens Spahn an der Spitze dem seit 2013 laufenden EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen die Warenverkehrsfreiheit. Die EU-Kommission verlangte Antworten darauf, wie Deutschland künftig dafür sorgen wolle, dass europaweit nicht Staaten, sondern Marktteilnehmer die Preise für rezeptpflichtige Versandarzneimittel diktieren. Im Oktober 2016 urteilte der Europäische Gerichtshof über Paragraph 78 Absatz 1 Satz 4, dass die RX-Boni-Verbotsklausel im deutschen Arzneimittelgesetz (AMG) „europarechtswidrig“ sei.5 Daraufhin formulierte das Bundesgesundheitsministerium in einem Ende April 2019 der Deutschen Apotheker Zeitung vorliegenden Brief an die EU-Kommission:
„§ 78 wird seit dem EuGH-Urteil von 2016 nicht mehr angewendet, also seit über 3 Jahren nicht. Warum einige in der Apothekerschaft so für einen Paragrafen kämpfen, der seit so vielen Jahren rechtlich keine Wirkung mehr entfaltet und auch keine mehr entfalten wird, erschließt sich uns nicht wirklich. Der Referentenentwurf des BMG enthält die Aufhebung des § 78 Absatz 1 Satz 4 Arzneimittelgesetz (…) Es ist geplant, das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren bis Januar 2020 abzuschließen.“6
RX-Versandverbot: Bundesrat dafür – Bundesjustizministerium dagegen
Bislang sieht der Gesetzesentwurf zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (VOASG-Gesetz) von Spahn vor, die Gleichpreisigkeit von rezeptpflichtigen Versandarzneimitteln durch eine Verankerung des RX-Boni-Verbots im Sozialgesetzbuch V statt im Arzneimittelgesetz zu gewähren. Das Bundesjustizministerium soll dem Vernehmen nach ein RX-Versandverbot als simpelstes Instrument zur Blockade eines unfairen Preiswettbewerbs blockiert haben.
Das halten die Gesundheitsminister der Länder wiederum für verfassungswidrig. Gesetzlich und privat Versicherte würden gegenüber inländischen und ausländischen Arzneimittelversendern unterschiedlich behandelt. Deshalb empfahlen die Ländervertreter dem Bundesrats-Plenum am 5. September 2019, auf ein RX-Versandverbot durch die Bundesregierung hinzuwirken. Es bleibt allerdings bei einer Empfehlung, da das Apotheken-Stärkungsgesetz nicht unter die Zustimmungspflicht fällt:
„Die Verschiebung der nach Ansicht des EuGHs gegen die Warenverkehrsfreiheit verstoßenden arzneimittelpreisrechtlichen Regelungen ins Sozialrecht beseitigen als Maßnahmen gleicher Wirkung deren Europarechtswidrigkeit nicht. Zudem würde eine Ungleichbehandlung zwischen inländischen und ausländischen Arzneimittelversendern sowie zwischen GKV-Versicherten einerseits und Privatversicherten sowie Selbstzahlern andererseits gesetzlich festgeschrieben. Eine solche Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund wäre verfassungswidrig. Dagegen kann mit einem Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel europa- und verfassungsrechtskonform die Arzneimittelpreisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel uneingeschränkt durchgesetzt werden.
Zudem kann so auch die Ungleichbehandlung und dadurch Benachteiligung im Wettbewerb von in Deutschland ansässigen Apotheken mit und ohne Versanderlaubnis gegenüber ausländischen Arzneimittelversendern beseitigt werden. Verfassungsrechtlich ist ein solches Verbot grundsätzlich zulässig und entspricht dem zugestandenen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Staates. Weder Artikel 12 GG (Berufsausübungsfreiheit) noch Artikel 3 GG (Gleichheitsgrundsatz) stehen einem Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln entgegen. Bei der Arzneimittelpreisbindung handelt es sich mithin um einen wichtigen Gemeinwohlbelang.“7
Apotheken-Stärkungsgesetz: Ein kurzes Update
Der am 17. Juli 2019 vom Bundeskabinett verabschiedete Entwurf, der deutsche Vor-Ort-Apotheken gegenüber Online-Apotheken stärken will, befindet sich derzeit noch in Warteposition. Bislang wurde der 1. Durchgang des Gesetzesvorhabens im Bundesrat abgeschlossen, eine Ausschussempfehlung des federführenden Gesundheitsausschuss im Bundesrat empfahl am 5. September 2019, die freie Apothekenwahl für elektronische Verschreibungen nicht nur im §31 SGB V zu verankern und das Makeln mit E-Verschreibungen zu verbieten, sondern auch die RX-Arzneimittelpreisbindung mittels Rezept-Versandhandelsverbot in Deutschland durchzusetzen.8
Diese Ausschussempfehlung des Bundesrats wurde am 20. September 2019 mit einer Stellungnahme des Bundesrats abgeschlossen. Der Bundesrat hält demnach das RX-Versandverbot für das probateste Mittel der Bundesregierung, den deutschen Apothekenmarkt gegen äußere Einflüsse zu stärken.9 Ein zweite Durchgang im Bundesrat steht noch aus - Termine zur Abstimmung des Gesetzesentwurfs im Bundestag wurden im vergangenen Herbst bislang ersatzlos gestrichen.
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Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.