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Sorgenkind Telematikinfrastruktur - (k)ein Netz für Alle

Kommentar schreiben Dienstag, 23. Juni 2020

In knapp 3 Monaten müssen per Gesetz alle Apotheken an die Datenautobahn im Gesundheitswesen angeschlossen sein1. Doch seit 27. Mai 2020 ist das Netzwerk von schwerwiegenden Störungen betroffen. Eine Behebung von Seiten der gematik scheint nicht möglich, stattdessen verweist sie auf die Eigeninitiative der bereits angeschlossenen Praxen oder auf die Hilfestellung durch TI-Dienstleister2. Ein Signal, das nicht gerade das Vertrauen in die so wichtige und längst überfällige Digitalisierung im Gesundheitswesen stärkt und für eine Aufwertung des bereits angekratzten Images sorgt.

 

Inhaltsverzeichnis

 

Verantwortlich für die offizielle Entwicklung des Telematik-Netzwerkes ist die im Jahr 2005 gegründete gematik GmbH - eine Dienstleistungsgesellschaft, die von den Spitzenorganisationen des Gesundheitswesens initiiert wurde. Zu diesen gehören unter anderem das Bundesministerium für Gesundheit, die Bundesärztekammer, der Deutsche Apothekerverband und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen3. Laut eigenen Angaben steht der Datenschutz an erster Stelle: „Die sichere, verschlüsselte Kommunikation zwischen bekannten Kommunikationspartnern sowie der Schutz vor dem Zugriff auf sensible Informationen sind daher das Fundament der Telematikinfrastruktur.“4

 

Dennoch gelang es dem Chaos Computer Club (CCC) sich Ende 2019 in das Telematik-Netzwerk zu hacken.5 Auf die dargelegten Sicherheitslücken reagierte die gematik damals umgehend mit einem Ausgabestopp der elektronischen Praxisausweise (SMCB). In einem Statement äußerte man sich außerdem: „Der mangelhafte Schutz der personenbezogenen Daten der Antragsteller ist für die gematik nicht hinnehmbar.“6

 

Konfigurationsfehler in der zentralen Telematikinfrastruktur

 

Was den Hackern des CCC gelang, bleibt tausenden von Zahnärzten, Medizinern und Physiotherapeuten in Deutschland momentan jedoch verwehrt. Ein Zugriff auf das Netzwerk ist aktuell nicht möglich, das Versichertenstammdatenmanagement (VSDM) ist für knapp 80.000 Praxen nicht durchführbar. Die Aktualisierung und das Einlesen der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) kann nicht erfolgen. Die betroffenen Praxen sind zudem nicht in der Lage die Gültigkeit der eGK zu überprüfen. Vorgänge, die allerdings verpflichtend sind und die gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung im Zuge der Abrechnung nachgewiesen werden müssen, um Honorarkürzungen zu vermeiden.7

 

Grund für die Störung ist nach Angaben der gematik ein „Konfigurationsfehler in der zentralen Telematikinfrastruktur“. Deren Sicherheitsstandard wird durch einen Vertrauensanker gewährleistet, der für die sichere Auflösung von Namen in IP-Adressen erforderlich ist. Alle dabei verwendeten kryptografischen Schlüssel liegen diesem Vertrauensanker zugrunde. Durch Fehler bei der Aktualisierung vertrauen die Konnektoren dem aktuell gültigen Vertrauensanker folgerichtig nicht mehr. Dies führt ebenso dazu, dass das VSDM nicht mehr funktioniert. Die Sicherheit des Netzwerkes sei dagegen nicht betroffen und auch durch die Störung bedingte Honorareinbußen seien nicht zu befürchten.2

 

Fehlerbehebung ist Sache der Leistungserbringer

 

Ob sie, beziehungsweise ihre Konnektoren, von der Störung betroffen sind und um das gegebenenfalls erforderliche Update müssen sich die Praxen in Eigenregie kümmern. Denn obwohl die Problematik ihren Ursprung in der zentralen TI hat, setzt die gematik auf die Zusammenarbeit mit den betroffenen Leistungserbringern. Diese sollten demnach umgehend Kontakt mit ihren IT-Dienstleistern aufnehmen oder deren im Netz veröffentlichen Anleitungen zur Fehlerbehebung befolgen. Durch ein manuelles Update der Vertrauensliste (TSL) kann sich der Praxis-Konnektor dann wieder mit der Telematikinfrastruktur verbinden.2

Betroffen sind die Konnektorenmodelle von T-Systems, Rise und Secunet. Die Anbieter Rise und Secunet statten auch Apotheken mit ihren Konnektoren aus, die Telekom-Tochter T-Systems hat mittlerweile das Geschäft mit Konnektoren aufgegeben. Ein Großteil der bisher abgesetzten T-Systems Geräte soll in den nächsten sechs Monaten aufgrund nötiger Softwareaktualisierungen ausgetauscht werden. Die Updates sind nicht Bestandteil des Telekom-Portofolios, so dass diese durch Konnektoren des Mitanbieters Secunet ersetzt werden. Grundlage bildet hierzu ein Liefervertrag zwischen den einstigen Konkurrenten, der ermöglicht, dass T-Systems Kunden ein neues, updatefähiges Gerät der Firma Secunet erhalten.8

 

Kostenregelung für die Störungsbehebung nicht für alle Fälle geklärt

 

Björn Kalweit, Leiter Operations bei der gematik appelliert: „Die aktuelle Situation erfordert das Engagement aller – das ist uns bewusst. Wir bitten auch insbesondere die betroffenen Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten, sich bei der Lösung aktiv einzubringen. Danke an all jene, die das bereits gemacht haben.“9

Ein für alle zufriedenstellender Weg mag dies jedoch nicht zu sein. Klare Worte findet Dr. Silke Lüder, Vizevorsitzende der Freien Ärzteschaft (FÄ): „Das Ganze erinnert an einen kranken Schildbürgerstreich. Mitten in der Corona-Krise wird die Versorgungssicherheit der ambulanten Medizin in Deutschland aufs Spiel gesetzt.“10

 

Entwarnung kann die gematik zumindest teilweise in Punkto Kostenübernahme geben: man würde in Übereinstimmung mit den Gesellschaftern im Austausch mit den IT-Servicepartnern der medizinischen Einrichtungen darauf hinwirken, dass die Störungsbehebung durch die Betriebskostenpauschale abgedeckt wird. Das Update könne mit Unterstützung des TI-Dienstleisters „manuell per Fernwartung oder bei einem Vor-Ort-Termin“ eingespielt werden. Für Sonderfälle, deren Kosten darüber hinaus gehen, werde noch an einer Lösung gearbeitet. Eine gute und nachvollziehbare Dokumentation durch die Betroffenen sei in diesem Zusammenhang notwendig.9 Eine Regelung die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KVB) jedoch als nicht akzeptabel empfunden wird. Schließlich seien die Praxen ohne Selbstverschulden von der technischen Störung betroffen. Der Beschluss schaffe weder Rechtssicherheit für die Ärztinnen und Ärzte, noch würden Unsicherheiten ausgeräumt.11

 

Probleme auch bei Heilberufsausweisen (HBA) und Institutionenkarten (SMCB)

 

Bei den Apothekerkammern offenbaren sich zudem weitere Fallstricke für den Anschluss an die TI. Die Berufsvertretungen sind verantwortlich für die Ausgabe der Ausweiskarten HBA und SMBC. Berichte „von nicht zu Ende durchführbaren Prozessen, einer Vielzahl von Anfragen der Antragsteller bei den Kammern und den Kartenherstellern, von unberechtigten Schuldzuweisungen, daraus resultierender fehlender Planungssicherheit für die Anbindung durch die Softwarehäuser etc.“ führen jedoch dazu, dass der Beantragunsstart für HBA und SMBC der Berliner Apothekerkammer verschoben wurde. Das Anforderungsportal soll erst geöffnet werden, wenn alle technischen Prozesse reibungslos funktionieren.12

 

Weniger drastische, aber nicht sonderlich optimistische Worte findet die Bayerische Apothekerkammer auf ihrer Homepage: „Wir werden Sie rechtzeitig über den Start unseres Online-Antragsportals und das Antragsprocedere informieren. Sie verpassen derzeit noch nichts! Der Anschluss der Apotheken an die TI soll zwar bis 30.09.2020 erfolgen. Die Nichteinhaltung dieser Frist ist aber nicht sanktioniert.“13

 

Noch ist es auf der Datenautobahn verhältnismäßig ruhig, die übertragenen Datenmengen sind marginal. Doch wie sieht es aus, wenn noch in diesem Jahr Befundberichte, Notfalldatenmanagement und der elektronische Medikationsplan über das Netzwerk laufen und die Anfang 2021 anstehende elektronische Patientenakte hinzukommt? Die aktuellen Entwicklungen mögen Kritikern der Digitalisierung des Gesundheitswesens in die Karten spielen und das Vertrauen der Befürworter ins Wanken bringen. Es bleibt also nur zu hoffen, dass die gematik ihrem Werbeslogan „Ein Netz für alle“ wieder gerecht werden und ihre Datenautobahn erneut auf Kurs bringen kann.

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Linda Künzig
Autor: Linda Künzig

Linda Künzig, Apothekerin mit Weiterbildungen im Bereich Homöopathie und Naturheilverfahren. Neben ihrer Tätigkeit in einer öffentlichen Apotheke unterstützt sie seit Mai 2019 die Apomio-Redaktion als freie Autorin.

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