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Telepharmazie kommt in die Apotheken – Chance oder Hindernis?

Kommentar schreiben Mittwoch, 12. Mai 2021

Das geflügelte Wort “Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit” (Carl Josef Neckermann) wird wohl jedem Unternehmer nur allzu bekannt klingen. Seit der COVID-19-Pandemie hat sich auf dem Gesundheitsmarkt viel getan - so auch im Bereich der Telepharmazie. Inzwischen können Apotheken ihre Kunden unkompliziert und kostengünstig per Videotelefonie beraten und anschließend per Botendienst beliefern.

 

 

Was ist Telepharmazie?

Telepharmazie ist analog zur Telemedizin die Möglichkeit, ein Videotelefonat mit einem Vor-Ort-Apotheker zu führen. Der Apotheker kann diese apothekenübliche Dienstleistung kostenpflichtig abrechnen. Beraten werden unter gesetzlichen Vorschriften sowohl rezeptpflichtige als auch OTC Arzneimittel, Medizinprodukte und andere Apothekenwaren. Anschließend werden die Kunden mit den Arzneimitteln beliefert. Dies stellt insbesondere in gesundheitlichen Risikophasen wie der COVID-19-Pandemie oder einer Grippesaison eine willkommene Hilfestellung seitens der Apotheken dar. Besonders profitieren sicherlich Risikopatienten, Ältere, Jungfamilien und körperlich Beeinträchtigte.1 Deutsche Apotheken haben im April 2020 mit der telepharmazeutischen Beratung und Belieferung begonnen.

 

Welche Vorteile bietet die Telepharmazie?

Der Vorteil liegt auf der Hand: Kunden, die aktuell während der Corona-Pandemie lieber auf Abstand achten oder aus gesundheitlichen Gründen keine Apotheke vor Ort aufsuchen, werden unkompliziert beliefert. Ein weiteres Vorsprechen in der Apotheke ist bei diesem Modell nicht notwendig. Der Botendienst erhält das Rezept des Kunden bei Auslieferung der rezeptpflichtigen und gegebenenfalls auch rezeptfreien Apothekenprodukte. Sofern die ausgelieferten Medikamente und Apothekenprodukte mit dem Rezept übereinstimmen, muss der Patient keine weiteren bürokratischen Hürden erklimmen.

Besonders interessant wird die Telepharmazie in Zusammenhang mit der Telemedizin. In Kombination mit der Telepharmazie, die nun auf dem Vormarsch ist, kann der Patient sowohl auf einen persönlichen Arzt als auch auf einen persönlichen Apothekenbesuch verzichten. Dieses kombinierte Angebot deckt sich mit einer hohen Nachfrage nach unbürokratischen digitalen Lösungen für den Kundenalltag.

 

Telepharmazie in Kombination mit Telemedizin: Digitaler Vorreiter oder Trojanisches Pferd?

Im Jahr 2015 startete ebenfalls der telemedizinische Anbieter Teleclinic, der Videosprechstunden mit Ärzten anbietet. Die Tatsache, dass der Zur Rose Konzern “Doc Morris” im Juli 2020 das Unternehmen Teleclinic übernahm, sorgte für Stirnrunzeln bei deutschen Apothekern, die sich über das Zuweisungsverbot besorgt zeigten. Das Zuweisungsverbot, wurde im Patientendatenschutzgesetz (PDSG) kürzlich festgeschrieben.2

Es bezieht sich auf ein umfassendes Makelverbot für Rezepte - einschließlich elektronischer Verschreibungen. Ärzte und Apotheker dürfen sich nicht bezüglich Rezeptverschreibungen absprechen oder diese dem anderen zuweisen. Das Verbot ist ausdrücklich auch auf “Dritte” und auch auf ausländische Versandapotheken ausgeweitet worden. Auch ist es laut PDSG verboten, Rezepte - einschließlich E-Rezepte - zu sammeln und an Apotheken weiterzuleiten.3

 

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Welche aktuellen Entwicklungen gibt es im Bereich Telepharmazie?

Die Firma Apomondo GmbH wurde bereits zu Beginn der Coronakrise von den ApothekerInnen Margit Schlenk, Stefan Frank, Wolfgang Kuhn, Dr. Elvan Erdal und dem befreundeten Projektentwickler Dr. Uwe Gebauer ins Leben gerufen. Sie entwickelte die kostenfreie, webbasierte Telepharmazie-App „APOMONDO FREE“ für Vor-Ort-Apotheken. Seit Dezember 2020 ist auch die erweiterte App „APOMONDO PLUS“ für derzeit 49,90 Euro/Monat verfügbar, mit der Beratungsgespräche administriert werden.4 Die PLUS-Version legt mehrere Berater oder Filialen an, ermöglicht Indikationsberatung, Terminreservierung, Abrechnungsfunktionen und mehr.5 Aktuell wird noch an einer umfangreichen Software zur detaillierteren Beratung gearbeitet.

Die Idee zu einer rein telemedizinischen Betreuung von Apothekenkunden sei den vier bayerischen Apothekern im Januar beim Brainstorming gekommen, äußerte sich Margit Schlenk gegenüber Apotheke Adhoc.6 Das Unternehmen Apomondo beschreibt seine Vision auf dem Internetauftritt wie folgt: „Über einen App-Link können ab sofort Patienten und Kunden mit IHREM Apotheker Vor-Ort mit einem persönlichem Zugangscode kommunizieren, in persönlichen Kontakt treten und auftretende Fragen und Probleme klären. Man kennt sich, hat zueinander Vertrauen sowie das Wissen über vorhandene Erkrankungen.“7 Ein niedrigschwelliges Angebot also, dass dem Apotheker die Möglichkeit bietet, den bekannten Stammkunden per Videoberatung noch enger an sich zu binden. Technisch ist es einfach in Apotheken umsetzbar: Benötigt werde Medien zufolge lediglich ein internetfähiger Computer.8 Über die Apomondo-Startseite weise die Apotheke ihre Betriebserlaubnis aus und lässt sich bei Apomondo registrieren sowie freischalten. Im Bedarfsfall könne eine Einrichtung auch via Telefonberatung durch Apomondo erfolgen.9

 

Welche Telemedizinangebote gibt es noch?

Auch der Apothekenzusammenschluss von apotheken.de bietet ein Telepharmazie-Angebot, das seit August 2020 monatlich 25,40 Euro kostet. Über ihren Internetbrowser können sich Apotheken auf dem Portal mein.apotheken.de in die Videoberatung einbinden.10 Der jeweilige Patient erhält analog wie bei Apomondo einen Code mit dem nur er den Chatdialog mit dem Apotheker betreten kann. Nachdem beide einen Termin vereinbart haben, den der Apotheker dem Kunden zusammen mit einem persönlichen Videolink zugesandt hat, können sie datenschutzkonform sprechen. Der Projektleiter Thomas Koch verdeutlichte gegenüber DAZ.online: „Das Angebot ist DSGVO-konform, Ende-zu-Ende verschlüsselt, die benutzten Server stehen in Deutschland, und die Patientendaten werden nicht gespeichert.“11 Ein drittes telepharmazeutische Angebot wurde fast zeitgleich im Frühjahr 2020 aus der Taufe gehoben. Beim kostenpflichtigen Rundumkonzept “Clickdock Videoberatung” der Compugroup handelt es sich aber um einen Drittanbieter, der nicht direkt aus der Apothekerschaft stammt. Er bietet seine Softwarelösung zur Videoberatung ab 15 Monaten Laufzeit, alternativ kann mit einem Mail-und-Sail-Botendienst oder einer SmartCourier ® -Botendienst-Software aufgestockt werden.12

 

Die Wettbewerbsvorteile für Vor-Ort-Apotheken

Die Wettbewerbsvorteile für die teilnehmenden Apotheken liegen auf der Hand: Mit einer solchen digitalen Anwendung können sie den Patienten hautnah und zielgerichtet beraten, ihm Empathie, Sicherheit und Nähe vermitteln. Das überbrückt die Lücke bis zum nächsten Kundenkontakt und bietet gegenüber anderen Apotheken und anonymen Callcentern klare Wettbewerbsvorteile. Der Apotheker präsentiert sich darüber hinaus als innovatives Unternehmen. Da Krankenkassen bereits großes Interesse an der Entwicklung gezeigt haben, bietet sich hier die Möglichkeit, administrative Hürden für zukünftige pharmazeutische Dienstleistungen per Videoberatung bereits zu bewältigen.13

Dahinter steckte der Gedanke, ein telemedizinisches Projekt von und für Apotheker zu schaffen. Das Angebot sollte telemedizinischen Drittanbietern, die an den Dienstleistungen von Apothekern mitverdienen möchten, keinen Raum bieten. Es sollte außerdem zeigen, dass Apotheker inmitten der Krise innovativ seien und nicht nur Spielball der Politik und Entwicklungen. Auch wollten die vier Apotheker, die locker befreundet sind, der Kundschaft demnach ein Signal senden: Dass sie stets einen Schritt auf den Patienten zugehen, auch in Zeiten von Social Distancing, sei es mittels Botendienst oder nun auch mittels Videoberatung.14  

 

Welchen Einfluss hat Corona auf die Entwicklung von Telepharmazie?

Die Coronapandemie hatte ganz klar einen beschleunigenden Effekt auf die Telepharmazie. Beispielsweise hat das Telepharmazie-Unternehmen APOMONDO gegenüber Apotheke Adhoc mitgeteilt, dass es eigentlich erst später in den Markt gehen wollte. Jedoch sei die Coronakrise ein Katalysator für den früheren Markteinstieg gewesen. So sagte Schenk gegenüber dem Medium: „Wir haben Anfang April entschieden, schon während der Krise in den Markt zu gehen, weil der Bedarf der Apotheken gerade besonders groß ist“, so Margit Schlenk, Inhaberin der MoritzApotheke in Nürnberg, gegenüber Apotheke Adhoc.15 

 

Wie sieht es mit dem Datenschutz aus?

Schnell kann es aufgrund der umfangreichen Bestimmungen zum Datenschutz anstatt zu einem Kundenbindungs-Traum zu einem Kundengespräch-Albtraum kommen. Datenschutzexperten raten Gesundheitsdienstleistern zur Beachtung der DSGVO-konformen Datenschutzregelungen. Bei den telepharmazeutischen Anbietern ist explizit nachzufragen, ob sie ihre Datenübertragung durch eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vor dem Zugriff Unbefugter absichern. Zusätzlich rät der Blog Datenschutzexperte.de dazu, die Online-Gespräche lieber auf einem gesonderten Rechner stattfinden zu lassen - idealerweise durch ein gesichertes Netz doppelt abgesichert: “Vor allem die veraltete IT-Infrastruktur vieler Arztpraxen und Krankenhäuser gefährdet den Datenschutz in der Telemedizin, darum ist es ebenfalls ratsam, eine(n) IT-Expert(in) hinzuzuziehen.” Außerdem wird dazu geraten, im Apothekenteam einen Datenschutzbeauftragten zu ernennen. Sämtliche Verarbeiter von Gesundheitsdaten sind hierzu verpflichtet.16 

 

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Welche rechtlichen Vorgaben gibt es für den Telepharmazie-Arbeitsplatz?

Nun stellt sich im nächsten Schritt freilich die Frage, ob nur in den Apothekenbetriebsräumen oder auch im Homeoffice beraten werden kann? Noch gibt es keine eindeutigen Richtlinien oder Gesetzesvorhaben hierzu, die eine Telepharmazie-Beratung auswärts der Offizin-Apotheke grundsätzlich verbieten würden. Auf der anderen Seite wurde im vorherigen Abschnitt “Wie sieht es mit dem Datenschutz aus” betont, wie datentechnisch heikel ein nicht durchdachter Transfer ins Homeoffice sein kann. Der Apothekenlaptop, der im Homeoffice zur Videoberatung genutzt wird, müsste vorher durch einen IT-Experten abgesichert sein. Das Homeoffice-Internet des Apothekers oder der/des PTA müsste ebenfalls durch Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gesichert werden. Seit 22. Oktober 2019 ist es laut §17 Abs. 2 der Apothekenbetriebsordnung ApBetrO “zulässig”, dass die Beratung vor dem Botendienst “auch im Wege der Telekommunikation erfolgen” darf. Das schließt die Telepharmazie im Prinzip ein, die auch eine Form der Telefonie (Videotelefonie) darstellt.17

Es kann für Apothekenleiter überaus praktisch sein nicht nur in Zeiten der COVID-19-Krise, sondern auch anschließend diverse bürokratische Arbeiten ins Homeoffice zu verlagern, sodass Mitarbeiter nicht durch den Apothekenbetrieb abgelenkt werden.

 

Welche Chancen bietet Telepharmazie für Apotheken?

Die Telepharmazie bietet deutschlandweit angesiedelten Apotheken die Möglichkeit, ein weiteres nachgefragtes Servicetool für Apothekenkunden darzubieten. Bereits im April 2018 stellte die EU-weit aufgestellte Apothekerorganisation „Pharmaceutical Group of the European Union (PGEU)“ fest, dass sich die Servicepalette an Dienstleistungen in europäischen Apotheken hin zu einer größeren Bandbreite wandelt. Neben der großen Bedeutung von Offizinapotheken für die Compliance (Therapietreue) des Patienten mit seiner Behandlung zeigte sich, dass immer mehr europäische Apotheken zusätzliche pharmazeutische Dienstleistungen anbieten. Inzwischen übernehmen mindestens zwei Drittel aller europäischen Apotheken ein breit gestreutes Therapieangebot für ihre Patienten: Darunter fallen Blutzuckerbestimmung, Blutdruckmessung, Asthmaberatung, Ernährungsberatung, individuelle Medikationskontrolle, Wochenmedikationsboxen für Patienten mit Polymedikation, Gewichtsmessung, Medikamentenentsorgung, Kontrolle der Cholesterinwerte oder Raucherentwöhnung. Interessant dabei: Seit 2018 werden in über 40 Prozent der Mitgliedstaaten in der EU bereits Grippe- und weitere Schutzimpfungen angeboten. Die PGEU zeigt vor allem eines: Die Patienten profitieren enorm von den breiten Angeboten ihrer Offizinapotheken.18 

 

Ist Telepharmazie die Zukunft oder nicht?

Ob sich die Telemedizin als eins der wichtigsten pharmazeutischen Dienstleistungen entwickelt, ist noch nicht eindeutig zu sagen. Das wird der Zahn der Zeit binnen eines Jahres mit hoher Wahrscheinlichkeit zeigen. Und gerade weil dieser Aspekt noch so unsicher ist, dürfen Apotheker nicht den Zahn der Zeit an sich vorbeigehen lassen, sondern sollten flugs einmal ausprobieren, wie ihre Kunden auf eine Videoberatung reagieren und welchen Zeitaufwand das Tool für die Mitarbeiter darstellt.

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Maria Köpf
Autor: Maria Köpf

Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.

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