© SARINYA PINNGAM

Verordnungssteuerung: Wie „Kassenbudgets“ sich auf Arzt und Patient auswirken

Kommentar schreiben Mittwoch, 24. April 2019

Anja Klinger traute ihren Ohren nicht. Warum nur, wunderte sie sich, muss ich für ein Antibiotikum in ein Krankenhaus gehen? Gerade erklärte ihr Hausarzt: „Es wäre besser, wenn Sie sich in Zukunft bei einem Bronchialinfekt an ein ambulantes Lungenzentrum im Krankenhaus wenden“. Dreimal jährlich litt Anja Klinger an leichten Infekten der Bronchien. Schlimmeres blieb ihr erspart. Sobald sie ein Antibiotikum einnahm, ging es ihr rasch besser.

 

Doch bei der Verordnung von Antibiotika muss der Kassenarzt von Anja Klinger leider auch deren „Wirtschaftlichkeit“ abwägen. „Alles, was der Arzt  im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet oder leistet, muss wirtschaftlich ausgewogen sein. Das besagen die Begriffe „Wirtschaftlich, ausreichend, gesetzmäßig und notwendig“ im Sozialgesetzbuch“, erklärt Dr. Roland Stahl, Pressesprecher der Kassenärztliche Bundesvereinigung in Berlin. Niedergelassene Ärzte müssen eine Reihe von Vorgaben beachten, die eingeführt wurden, um dem Ausgabenanstieg bei Arzneimitteln entgegenzuwirken. Dazu gehört auch die Überprüfung des Wirtschaftlichkeitsgebots - verstoßen Ärzte dagegen, drohen Ihnen im schlimmsten Fall Regresse.

 

Rahmenvereinbarungen zur Kostendämpfung

 

Ein weiterer Aspekt der Kostendämpfung im deutschen Gesundheitssystem ist eine jährliche Rahmenvereinbarung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband). Die Rahmenvereinbarung orientiert sich an Vorgaben des Sozialgesetzbuches gemäß §84 Abs. 6. SGB V. Die konkrete Umsetzung wird schließlich am föderalen Prinzip festgemacht, das die Ausgestaltung den Bundesländern überträgt. Anpassungen werden somit regional zwischen den Kassenverbänden und kassenärztlichen Landesverbänden festgehalten.

Für kassenärztliche Ausgaben von Arzneimitteln werden Faktoren einbezogen wie die Zahl und Altersstruktur der Versicherten im jeweiligen Bundesland, bundesweite Arzneimittelpreise und sogenannte Wirtschaftlichkeitsreserven. In der Rahmenvereinbarung für das Jahr 2019 im vergangenen Oktober wurde beispielsweise der rationale Einsatz von Antibiotika empfohlen. Ebenso empfahl diese Rahmenvereinbarung den „wirtschaftlichen Einsatz von Kombinationspräparaten“ zur Behandlung des Bluthochdrucks oder den „rationalen Einsatz von Magenschleimhauthemmern“.

 

Überschüsse der Krankenkassen auf Kosten der Patienten?

 

Auf der anderen Seite erwirtschafteten die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland in den letzten Jahren konsequent Überschüsse. Im Dezember 2018 stiegen laut Mitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit Rücklagen und Betriebsmittel der Krankenkassen auf 21 Milliarden Euro an. Dazu bezog der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Rahmen einer Pressemitteilung Ende vergangenen Jahres Stellung: „Diese Zahlen zeigen: Es war richtig, die Krankenkassen zum Abbau ihrer Rücklagen zu zwingen.“ Rahmenvereinbarungen, Regresse, Rabattverträge mit der Pharmaherstellern und ähnliche Maßnahmen erwirtschafteten vom 1. bis zum 3. Quartal 2018 einen monatlichen Überschuss von knapp 1,1 Monatsausgaben der Kassen. Das entspricht laut Berechnungen des Bundesministeriums für Gesundheit der vierfachen Höhe einer Mindestrücklage, die gesetzlich vorgesehen ist.

Mit dem kommenden Terminservice- und Versorgungsgesetz sollen die Kontrollen zur wirtschaftlichen Verordnung zwar lockerer werden, abgeschafft wird die Regressgefahr aber nicht: „Wir hören auch immer wieder von Medizinstudierenden, dass  die Regressgefahr sie von einer Niederlassung in eigener Praxis abschreckt“, so Dr. Roland Stahl. „Zwar ist die Zahl der Regresse faktisch nicht wirklich groß - doch die Gefahr bleibt und hängt wie ein Damoklesschwert über den verordnenden Ärzten.“

Tatsächlich würden stärker zunehmende Arzneimittelausgaben aber auch dem Prinzip des sozial-nachhaltigen Gesundheitssystems schaden. Vom ethischen Ansatz her ein klassisches Dilemma: Genährt wird die gesetzliche Krankenversicherung durch ein unendliches Beitragsversprechen, enger geschnallt durch begrenzte Beitragssumme der Mitglieder. Schließlich gilt das Sachleistungsprinzip, wodurch Gesundheitskosten mit dem Krankenversicherungsbeitrag abgegolten sind. Auf der anderen Seite dienen Krankenkassen der Gewährleistung eines Gesundheitsversprechens. Deswegen wurden Instrumente geschaffen, welche die medizinische Notwendigkeit im Einzelfall über die Verordnungsfähigkeit stellen sollen.

Für häufig existente Fälle wie der fiktiven Patientin Anja Klinger, die mit abgelehnten Verordnungen konfrontiert werden, sind Patientenverbände, Ärztekammern und Bundesministerien aufgerufen, für wasserdichte Lösungen zu sorgen.

 

 

 

 

 

 

Maria Köpf
Autor: Maria Köpf

Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.

Schreib einen Kommentar

help
help
help

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Zu unseren Datenschutzbestimmungen.